Bundesfinanzhof
GG Art. 100 Abs. 1; GDL § 12; EStG 1975 § 13a
Zur Frage der Entscheidungserheblichkeit einer möglichen Verfassungswidrigkeit der § 12 GDL und § 13 a EStG a. F. im Rahmen der Normenkontrolle des Art. 100 Abs. 1 GG.

BFH, Urteil vom 13. 10. 1983 – IV R 217/80; Niedersächsisches FG (lexetius.com/1983,269)

[1] Tatbestand: Die Kläger und Revisionskläger (im folgenden: Kläger) sind Eheleute und werden antragsgemäß zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann ist buchführender Landwirt. Die Ehefrau (im folgenden: Klägerin) ist seit dem 1. Januar 1970 durch Erbfolge ebenfalls Inhaberin eines eigenen landwirtschaftlichen Betriebes. Sie war nicht zur Buchführung verpflichtet, führte aber seit dem 1. Juli 1970 freiwillig Bücher. Am 24. September 1971 beantragte sie gemäß § 12 Abs. 2 des Gesetzes über die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittsätzen (GDL) unwiderruflich, den erstmals durch Bestandsvergleich ermittelten Gewinn des Wirtschaftsjahres 1970/71 der Besteuerung zugrunde zu legen. Daraufhin berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (im folgenden: das Finanzamt – FA -) bei den Einkommensteuerveranlagungen bis 1974 jeweils ihre erklärten Gewinne bzw. Verluste aus Land- und Forstwirtschaft laut ihrer Buchführung. Die Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre 1973 und 1974 erfolgten gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufig.
[2] Bei einer späteren Betriebsprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, daß die landwirtschaftlichen Einkünfte der Klägerin für die Wirtschaftsjahre 1972/73 und 1973/74 nach dem GDL und für das Wirtschaftsjahr 1974/75 nach § 13 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) a. F. zu ermitteln seien, da die Klägerin aufgrund ihres obigen Antrags nur bis zum Ablauf des Wirtschaftsjahres 1971/72 zur Buchführung verpflichtet gewesen sei. Für die folgenden Wirtschaftsjahre habe die Klägerin keine entsprechenden Anträge gestellt. Danach ergaben sich gegenüber den Gewinnen und Verlusten laut Buchführung folgende Gewinne: ...
[3] Durch Sammelbescheid gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) vom 2. Januar 1977 änderte das FA die Veranlagungen 1973 und 1974 entsprechend dem Prüfungsergebnis. Dadurch erhöhte sich die Einkommensteuer 1973 von 11.374 DM auf 14.924 DM und 1974 von 11.242 DM auf 18.196 DM.
[4] Mit ihrer Sprungklage begehrten die Kläger, die durch Bestandsvergleich ermittelten Gewinne bzw. Verluste der Klägerin zu berücksichtigen und die Steuern für 1973 und 1974 entsprechend herabzusetzen.
[5] Zur Begründung trugen sie u. a. vor, GDL und § 13 a EStG in den für die Streitjahre geltenden Fassungen verstießen gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), da sie die nicht buchführungspflichtigen Landwirte gegenüber den buchführungspflichtigen Landwirten und den übrigen Steuerpflichtigen steuerlich in einem Umfang begünstigten, für den es keine sachliche Rechtfertigung gebe.
[6] Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.
[7] Mit der Revision beantragen die Kläger, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer 1973 auf 11.374 DM und die Einkommensteuer 1974 auf 11.684 DM herabzusetzen. Hilfsweise beantragen sie, unter Aussetzung des Verfahrens die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsmäßigkeit des GDL und des § 13 a EStG a. F. einzuholen.
[8] Entscheidungsgründe: Die Revision ist unbegründet.
[9] 1. Den Gewinn der Klägerin aus Land- und Forstwirtschaft hat das FA für die Wirtschaftsjahre 1972/73, 1973/74 und 1974/75 zutreffend nach dem GDL bzw. nach § 13 a EStG a. F. ermittelt.
[10] Gemäß § 12 Abs. 1 und 2 GDL ist der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft von Steuerpflichtigen, die – wie die Klägerin – nicht gesetzlich zur Führung von Büchern und zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG verpflichtet sind, nach § 12 Abs. 3 bis 6 GDL zu ermitteln. Bei freiwilliger Buchführung ist das durch Bestandsvergleich ermittelte Betriebsergebnis der Besteuerung nur dann zugrunde zu legen, wenn der Steuerpflichtige dies ausdrücklich schriftlich und unwiderruflich spätestens sechs Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres beantragt, auf das sich der Antrag erstmals bezieht. Eine entsprechende Bestimmung enthält § 13 a Abs. 1 EStG a. F.
[11] Für Steuerpflichtige, die einen Antrag nach § 12 Abs. 2 GDL in der vor dem Inkrafttreten des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1968 geltenden Fassung gestellt haben, endete die Verpflichtung, Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen, mit dem Ablauf des Wirtschaftsjahres 1967/68. Für Steuerpflichtige, die einen Antrag nach § 12 Abs. 2 GDL i. d. F. des StÄndG 1968 gestellt haben, endete die Verpflichtung, Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen, mit dem Ablauf des Wirtschaftsjahres 1971/72 (vgl. § 16 a Abs. 2 GDL), und für Steuerpflichtige, die einen solchen Antrag nach § 12 Abs. 2 GDL unter der Geltung des GDL und des EStG vom 8. Mai 1972 (BGBl I, 761, BStBl I, 380) gestellt haben, endete die Verpflichtung, Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen, mit dem Ablauf des Wirtschaftsjahres 1973/74. Daß die Buchführungspflicht auf Antrag aufgrund freiwillig geführter Bücher nach § 12 Abs. 2 GDL nicht jeweils für vier Jahre galt, wie nach § 1 Abs. 2 GDL und § 13 a EStG, sondern nur für die genannten kürzeren Zeiträume, ist in der jeweiligen Annahme des Gesetzgebers begründet, die Übergangsregelung des § 12 GDL werde nach den genannten kürzeren Zeiträumen außer Kraft gesetzt. Tatsächlich ist das aber erst mit dem Ende des Wirtschaftsjahres 1973/74 geschehen. Das ändert aber nichts an der Geltung der drei angeführten kürzeren Laufzeiten der Buchführungspflicht auf Antrag nach § 12 Abs. 2 GDL.
[12] Die Klägerin hat ihren Antrag unter der Geltung der Fassung des § 12 Abs. 2 GDL nach dem StÄndG 1968 gestellt. Ihre Buchführungspflicht endete danach mit dem Wirtschaftsjahr 1971/72. Einen neuen Antrag hat sie nicht mehr gestellt, und zwar weder nach § 12 Abs. 2 GDL noch – nach dem Inkrafttreten des § 13 a EStG a. F. – nach dem entsprechenden Abs. 1 dieser neuen Bestimmung. Das FA mußte daher ihren Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft für die Wirtschaftsjahre 1972/73, 1973/74 und 1974/75 trotz vorhandener Buchführung nach Durchschnittsätzen ermitteln.
[13] 2. Dieses Ergebnis wird von der Frage der Verfassungswidrigkeit der Besteuerung nach dem GDL und nach § 13 a EStG a. F. nicht berührt. Das ergibt sich aus den Vorschriften über die konkrete Normenkontrolle im gerichtlichen Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG.
[14] Hält nach Art. 100 Abs. 1 GG ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung des GG handelt, die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Die Begründung der Vorlage muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit des betreffenden Gesetzes die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist (vgl. § 80 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht – BVerfGG -).
[15] Danach ist die Frage der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes für eine bei einem Gericht anhängige Streitsache nur relevant und kann deshalb eine Vorlage an das BVerfG gebieten, wenn die Entscheidung des vorlegenden Gerichts von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt. Bei der Prüfung der Frage, ob die Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Vorschrift für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung entscheidungserheblich ist, ist grundsätzlich von der Rechtsansicht des vorlegenden Gerichts auszugehen, sofern die Auffassung nicht offensichtlich unvertretbar ist (vgl. BVerfGE 20, 312; 33, 90; 43, 27; 50, 108). Das Verfahren der Normenkontrolle ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Entscheidung der verfassungsrechtlichen Frage zur abschließenden Beurteilung des konkreten gerichtlichen Verfahrens unerläßlich ist (vgl. BVerfGE 50, 108).
[16] Die Vorlagefrage muß danach in einem konkreten sachlichen Bezug zu dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens stehen. Hängt von der Vorlagefrage nicht unmittelbar die Entscheidung der eigentlichen Streitfrage ab, so ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens in der gegenwärtigen Verfahrenssituation notwendig und geeignet ist, das Verfahren sachlich zu fördern (vgl. BVerfGE 42, 42).
[17] An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Denn nach Ansicht des erkennenden Senats können verfassungsrechtliche Bedenken nicht gegen die Einkommensbesteuerung kleinerer Land- und Forstwirte nach Durchschnittsätzen als solche bestehen und auch nicht gegen die vom Gesetzgeber dafür in § 12 GDL und in § 13 a EStG a. F. gewählte Methode, sondern nur gegen die sich daraus ergebenden zu geringen Gewinne, die unstreitig nur einen Bruchteil der tatsächlichen Gewinne dieser Landwirte betragen; nur die sich daraus ergebende zu niedrige Einkommensteuer kann den Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung verletzen (Art. 3 GG; vgl. dazu die Tabelle auf Seite 53 des Gutachtens zur Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft in der Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen). Die zu niedrigen Gewinne sind nicht im Wesen der streitigen Gewinnermittlungen nach Durchschnittsätzen begründet, sie beruhen vielmehr auf den bewußt zu niedrig gehaltenen Wertansätzen, wie z. B. dem Wertansatz für den Grundbetrag oder dem Wertansatz für die Arbeitsleistungen des Betriebsinhabers und der Familienangehörigen.
[18] Würden also § 12 GDL und § 13 a EStG a. F. hinsichtlich der sich durch sie ergebenden zu niedrigen Gewinne für verfassungswidrig erklärt, so würde nach Auffassung des Senats dadurch die Besteuerung nach Durchschnittsätzen nicht beseitigt und sich – abgesehen von den Wertansätzen – auch an der Methode der beiden strittigen Bestimmungen nichts ändern müssen. Was sich ändern müßte, wäre die stärkere Angleichung der sich aus der Durchschnittsgewinnermittlung ergebenden Gewinne an die tatsächlichen Gewinne der betreffenden Landwirte durch die Anhebung der Wertansätze. Von diesen Überlegungen ist offenbar auch der Gesetzgeber bei der Fassung des neuen § 13 a EStG ausgegangen, der die Gewinnermittlung nach Durchschnittsätzen mit gewissen Änderungen nach derselben Methode, aber mit höheren Wertansätzen als § 12 GDL und § 13 a EStG a. F. vorschreibt. Nicht betroffen von der Verfassungswidrigkeit wären auch die Bestimmungen über die Buchführungspflicht auf Antrag aufgrund freiwilliger Führung von Büchern in § 12 Abs. 2 GDL und § 13 a Abs. 1 Satz 2 EStG a. F.
[19] Die Verfassungswidrigkeit der beiden Bestimmungen in dem angeführten beschränkten Umfang würde also nichts daran ändern, daß die Gewinne der Klägerin für die Wirtschaftsjahre 1972/73 bis 1974/75 nicht aufgrund ihrer Buchführung nach dem Vermögensvergleich, sondern nach Durchschnittsätzen zu ermitteln wären. Ändern könnte sich nur die Gewinnhöhe bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittsätzen, und zwar nur zuungunsten der Klägerin. Da aber der Senat nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen (Verbot der reformatio in peius) gehindert ist, höhere Gewinne festzusetzen als das FA, wäre die richtig verstandene Verfassungswidrigkeit der beiden Bestimmungen auf den Ausgang des anhängigen Verfahrens ohne Einfluß.
[20] Es ist daher nicht entscheidungserheblich, ob der Senat § 12 GDL oder § 13 a EStG a. F. hinsichtlich der Höhe der nach Durchschnittsätzen zu ermittelnden Gewinne für verfassungswidrig hält. Die Vorschriften des § 12 GDL hat der Senat im Beschluß vom 14. Oktober 1982 IV R 54/79 (BFHE 136, 491, BStBl II 1983, 11) als Übergangsregelung noch für verfassungsgemäß angesehen; § 13 a EStG a. F. hatte er in seiner Äußerung nach § 82 Abs. 4 BVerfGG zum Vorlagebeschluß des Niedersächsischen FG vom 13. Oktober 1978 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1979, 28) wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG für verfassungswidrig gehalten.
[21] Nach alledem war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.