Bundesfinanzhof
BewG §§ 68 Abs. 1 Nr. 3, 93 Abs. 1 Satz 1; WEG § 8 Abs. 2
Die wirtschaftliche Einheit Wohnungseigentum entsteht erst mit der Eintragung in das Wohnungsgrundbuch.

BFH, Urteil vom 24. 7. 1991 – II R 132/88; FG Rheinland-Pfalz (lexetius.com/1991,397)

[1] Gründe: I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Eigentümer eines zum 1. Januar 1981 als Zweifamilienhaus bewerteten Grundstücks. Am 7. November 1984 legte der Kläger dem Grundbuchamt die öffentlich beglaubigte Teilungserklärung vom 8. Juni 1984 vor, wonach das Zweifamilienhaus in zwei Miteigentumsanteile mit jeweiligem Sondereigentum im Wege der sog. Vorratsteilung nach § 8 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) vom 15. März 1951 (BGBl I, 175) geteilt werden sollte.
[2] Am 8. Februar 1985 vollzog das Grundbuchamt die Teilung durch Anlegen der Wohnungsgrundbücher.
[3] Mit Bescheid vom 13. Dezember 1985 hob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA -) wegen Wegfalls der wirtschaftlichen Einheit die Einheitswertfeststellung für das Zweifamilienhaus auf den 1. Januar 1985 auf und bewertete in zwei Nachfeststellungsbescheiden vom 13. Dezember 1985 wegen Neugründung von wirtschaftlichen Einheiten die beiden Eigentumswohnungen auf den 1. Januar 1985 als Einfamilienhäuser im Wohnungseigentum mit Einheitswerten von 42.900 DM und 27.100 DM.
[4] Das Finanzgericht (FG) hob die Nachfeststellungsbescheide nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Begründung auf, daß mangels Bestehens eines Wohnungseigentums zum Stichtag 1. Januar 1985 die wirtschaftliche Einheit "Zweifamilienhaus" noch bestanden habe. Die Teilung des Grundstückseigentums sei erst mit Anlegen der Wohnungsgrundbücher wirksam geworden (§ 8 Abs. 2 Satz 2 WEG); diese zivilrechtliche Wirksamkeit müsse auch im Bewertungsrecht beachtet werden.
[5] Mit der Revision beantragt das FA, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
[6] Wirtschaftlich gesehen habe der Kläger alles getan, um den Erfolg – Teilung des Grundstücks in Wohnungseigentum – zu erreichen, als er den Antrag beim Grundbuchamt abgegeben habe. Daran müsse das Bewertungsrecht anknüpfen.
[7] Der prozessual nicht vertretene Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
[8] II. Die Revision ist unbegründet.
[9] Zu Recht hat das FG entschieden, daß zum maßgeblichen Feststellungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine Nachfeststellung gemäß § 22 Abs. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1, § 68 Abs. 1 Nr. 3, § 93 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht vorgelegen haben.
[10] Das grundsätzlich zum Grundvermögen gehörende Wohnungseigentum (vgl. § 68 Abs. 1 Nr. 3 BewG) bildet nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG eine wirtschaftliche Einheit und gilt damit als Grundstück i. S. des § 70 Abs. 1 BewG. Durch diese Heraushebung und Verselbständigung des Wohnungseigentums aus der Einheit der bebauten Grundstücke wird den Besonderheiten des Wohnungseigentums bewertungsrechtlich Rechnung getragen (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 18. September 1985 II R 232/84, BFHE 144, 454, BStBl II 1985, 705). Die Fiktion in § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG sagt nichts darüber aus, in welchem Zeitpunkt die selbständige wirtschaftliche Einheit "Wohnungseigentum" entsteht, sondern setzt ihr Bestehen als gegeben voraus.
[11] Zutreffend hat das FG ausgeführt, daß die dem Grundbuchamt vorliegende formgerechte Teilungserklärung nach § 8 WEG verbunden mit dem Eintragungsantrag für sich allein noch nicht dazu führt, daß Wohnungs- bzw. Teileigentum als selbständig bewertungsfähige wirtschaftliche Einheit entsteht (a. A. FG München, Urteil vom 21. April 1983 IV 290/82 EW, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1984, 60; Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz/Vermögensteuergesetz-Kommentar, Anm. 6. 2 zu § 93 BewG, bundeseinheitlicher Ländererlaß von 1978, vgl. Steuererlasse in Karteiform – StEK –, Bewertungsgesetz 1965, § 93 Nr. 9; vgl. auch Verfügung der Oberfinanzdirektion – OFD – Kiel S 3116 A-St 211 vom 17. Dezember 1984, StEK, Bewertungsgesetz 1965, § 93 Nr. 12). Auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise kann nicht dazu führen, daß das Sondereigentum als solches vor seiner zivilrechtlichen Entstehung als bereits gebildet angesehen werden kann. Es kann dahinstehen, ob der die Teilungserklärung Abgebende und die Eintragung Beantragende in diesem Stadium bereits ein Anwartschaftsrecht auf das Sondereigentum erworben hat, weil der Kläger als Alleineigentümer des Grundstücks ein derartiges Anwartschaftsrecht, das ein Minus gegenüber dem Vollrecht darstellt, nicht erworben haben kann. Die Voraussetzung für eine Nachfeststellung, nämlich das Entstehen der wirtschaftlichen Einheit, ist erst mit dem Anlegen der Wohnungsgrundbücher (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 WEG) erfüllt. Erst von der Entstehung der wirtschaftlichen Einheit des Grundvermögens an stellt sich die Frage der Zurechnung, denn § 39 der Abgabenordnung (AO 1977) regelt – wie das FG zutreffend ausgeführt hat – nur die Zurechnung bereits entstandener wirtschaftlicher Einheiten.
[12] Das Urteil des BFH vom 18. Mai 1988 II R 163/85 (BFHE 153, 231, BStBl II 1988, 741), in dem der erkennende Senat entschieden hat, daß die Schenkung eines Grundstücks bereits dann i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes ausgeführt sei, wenn die Vertragspartner die für die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch erforderlichen Erklärungen in gehöriger Form abgegeben haben und der Beschenkte aufgrund dieser Erklärungen in der Lage ist, beim Grundbuchamt die Eintragung der Rechtsänderung zu bewirken, steht dieser Entscheidung nicht entgegen. Denn im Gegensatz zum Streitfall bestand unabhängig von der Eintragung bereits das Grundstück; die Eintragung bewirkt in diesen Fällen lediglich einen Eigentümerwechsel oder eine Belastungsänderung, während das Anlegen von neuen Grundbüchern im Falle einer Vorratsteilung erst das Recht neu entstehen läßt. Vor der Eintragung werden dem Erwerber einer Eigentumswohnung auch nach Zivilrecht die wesentlichen mit der Eigentümerstellung verbundenen Rechte, so z. B. das eigene Stimmrecht in der Eigentümerversammlung, nicht zuerkannt (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 1. Dezember 1988 V ZB 6/88, Neue Juristische Wochenschrift 1989, 1087).
[13] Mit dieser Entscheidung stellt sich der erkennende Senat nicht in Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. März 1974 VIII C 91.73 (Bundesbaublatt 1975, 19) zur Steuervergünstigung nach §§ 82, 83 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes; denn im Streitfall geht es nicht um eine Steuervergünstigung, für die der Bewerber alles getan hat, was in seiner Macht stand, sondern um das Entstehen und die Bewertung eines Rechts, deren steuerbelastende oder -begünstigende Auswirkungen damit noch nicht festgeschrieben sind.