Bundesfinanzhof
AO 1977 § 101, § 102, § 103, § 105; FGO § 82, § 84; ZPO § 383 Abs. 1 Nr. 6; StPO § 53 Abs. 1; StGB § 203 Abs. 2, § 353 b Abs. 1; SpkG NW § 21, § 23
Angestellte einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse sind im finanzgerichtlichen Verfahren nicht berechtigt, über die bei ihrer Tätigkeit erworbenen Kenntnisse das Zeugnis zu verweigern. Die Zeugnispflicht geht der Amtsverschwiegenheitspflicht vor.

BFH, Beschluss vom 21. 12. 1992 – XI B 55/92; FG Münster (lexetius.com/1992,415)

[1] Gründe: I. Die Beteiligten dieses Zwischenverfahrens streiten darum, ob der Zeuge und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) als Angestellter einer Stadtsparkasse dem Finanzgericht (FG) gegenüber das Zeugnis verweigern darf.
[2] Der Kläger im Hauptverfahren war in den Jahren 1984 und 1985 (Streitjahre) als Gabelstaplerfahrer nichtselbständig beschäftigt. Nachdem das beklagte Finanzamt (FA) durch Kontrollmitteilungen erfahren hatte, daß der Kläger außerdem für die Firma L auf Provisionsbasis als Propagandist tätig gewesen sein sollte, rechnete es die laut Aufzeichnungen der Firma L an den Kläger gezahlten Provisionen in Höhe von 36.640,54 DM (für 1984) sowie 1.810,12 DM (für 1985) dem Kläger bei den Einkommensteuerveranlagungen für 1984 und 1985 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb hinzu. Die Provisionszahlungen waren belegt durch maschinenschriftlich erstellte Provisionsrechnungen, die von dem Kläger nicht unterschrieben, jedoch im Kopf mit einem auf seinen Namen und auf seine Anschrift lautenden Stempel versehen waren. Die Provisionen waren durch Verrechnungsschecks, die u. a. auf ein Konto der Firma L bei der Stadtsparkasse B gezogen waren, gezahlt worden. Auf den Kontoauszügen war handschriftlich vermerkt "Prov. A" oder "Lohn A".
[3] Gegen diese Erfassung von Provisionszahlungen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb wandte der Kläger sich mit seinen Einsprüchen, die insoweit Erfolg hatten, als das FA Betriebsausgaben in Höhe von 10 v. H. der vorgeblichen Provisionseinnahmen anerkannte. Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, er habe vertretungsweise in beiden Streitjahren insgesamt etwa eine Woche für eine als Propagandist tätige dritte Person gearbeitet und in beiden Streitjahren insgesamt nur 850 DM verdient. Unmittelbare Beziehungen zu der Firma L hätten nicht bestanden. Insbesondere habe er auch keine Provisionszahlungen von dieser Firma erhalten.
[4] Zur Aufklärung, wem die auf den Kontoauszügen mit den Vermerken "Prov. A" oder "Lohn A" versehenen Verrechnungsschecks gutgeschrieben worden sind, hat das FG den Beschwerdeführer als Zeugen geladen. Die Firma L hatte zuvor die Anfrage des FG, ob sie mit der Erteilung von Auskünften durch die Sparkasse einverstanden sei, unbeantwortet gelassen. Der Beschwerdeführer hat daraufhin mitgeteilt, er berufe sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 84 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 103 der Abgabenordnung (AO 1977), da er bei Erteilung der erwünschten Auskunft ohne Zustimmung des Kontoinhabers gegen die sich aus §§ 21 und 22 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Sparkassen sowie über die Girozentralen und Sparkassen- und Giroverbände (SpkG NW) i. d. F. vom 2. Juli 1975 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen – GVBl NW – 1975, 498) ergebende Verschwiegenheitspflicht verstoße und sich strafbar mache. – Dieser Auffassung sind sowohl der Kläger als auch das FA entgegengetreten.
[5] Das FG hat durch Zwischenurteil entschieden, die Weigerung des Beschwerdeführers, als Zeuge auszusagen, sei nicht rechtmäßig. Die wesentlichen Gründe dieses Zwischenurteils sind in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 571 wiedergegeben.
[6] Gegen diese Entscheidung des FG richtet sich die Beschwerde, die der Beschwerdeführer wie folgt begründet: Das Zeugnisverweigerungsrecht stehe ihm zum einen nach § 103 AO 1977 zu. Denn mit der vom FG erwünschten Aussage verletze er die sich aus §§ 21 und 23 SpkG NW ergebende Amtsverschwiegenheitsverpflichtung. Wegen einer solchen Verletzung drohe ihm ein Straf- oder Bußgeldverfahren (§ 203, § 353 a des Strafgesetzbuches – StGB -). Zum anderen folge das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 102 AO 1977. Diese Vorschrift erstrecke sich zwar nicht auf Sparkassenangestellte, sei aber – in Anlehnung an § 383 Abs. 1 Nr. 6 der Zivilprozeßordnung (ZPO) – auch auf solche Personen analog auszudehnen. Schließlich verweise § 84 FGO nur auf §§ 101 bis 103 AO 1977, nicht aber auf § 105 AO 1977, wonach Behörden oder sonstige öffentliche Stellen zur Auskunftserteilung gegenüber den Finanzbehörden verpflichtet seien. Hieraus sei im Umkehrschluß zu folgern, daß im finanzgerichtlichen Verfahren eine entsprechende Auskunftsverpflichtung nicht bestehe.
[7] Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, das angefochtene Zwischenurteil aufzuheben und ihm das Zeugnisverweigerungsrecht einzuräumen.
[8] Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
[9] Das FA hat keinen Antrag gestellt.
[10] II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat dem Beschwerdeführer zu Recht kein Zeugnisverweigerungsrecht zuerkannt.
[11] a) Gemäß § 84 FGO gelten für das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses die §§ 101 bis 103 AO 1977 sinngemäß. Auf ein sich hiernach ergebendes Zeugnisverweigerungsrecht nach § 101 und § 102 AO 1977 kann der Zeuge sich indes nicht berufen. Er ist kein Angehöriger i. S. des § 15 AO 1977 eines Beteiligten des Hauptverfahrens (§ 101 AO 1977). Er gehört auch keiner der Berufsgruppen an, deren Berufsgeheimnis durch § 102 AO 1977 geschützt ist. Insoweit verhält es sich im Steuerstreitverfahren (ebenso wie im abgabenrechtlichen Verwaltungsverfahren) nicht anders als im Strafprozeß. Auch dort gibt der mit § 102 AO 1977 weitestgehend gleichgestaltete § 53 Abs. 1 der Strafprozeßordnung (StPO) den Angestellten von Banken und Sparkassen zum Schutze des Bank- und Sparkassengeheimnisses kein Zeugnisverweigerungsrecht (vgl. z. B. Kleinknecht/Meyer, Strafprozeßordnung, Kommentar, 40. Aufl., § 53 Rdnr. 3, § 161 Rdnr. 4, § 54 Rdnr. 10; Pelchen in Karlsruher Kommentar zur StPO, 2. Aufl., § 53 Rdnr. 2, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Der Beschwerdeführer kann sich demgegenüber nicht auf die ein Zeugnisverweigerungsrecht gewährende Regelung in § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen und im Hinblick hierauf eine analoge Anwendung des § 102 AO 1977 auch für Bank- und Sparkassenangehörige verlangen. Der Gesetzgeber hat auf eine Übernahme des zivilprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts für das abgaben-, finanzgerichtliche und strafverfahrensrechtliche Verfahren verzichtet. Damit unterscheiden sich die Rechtslagen nach Zivilverfahrensrecht einerseits, Abgaben- sowie Strafprozeßrecht andererseits voneinander. Eine Regelungslücke, die es durch Analogie zu schließen gelte, besteht nicht. Im übrigen ist der Katalog der in § 102 AO 1977 genannten Berufsgruppen abschließend (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 102 AO 1977 Rdnr. 4, m. w. N., auch zur Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des Auskunftsverweigerungsrechts auf den genannten Personenkreis).
[12] b) Der Beschwerdeführer kann aus § 103 AO 1977 nichts für das von ihm beanspruchte Zeugnisverweigerungsrecht herleiten. Danach können Personen, die nicht Beteiligte und nicht für einen Beteiligten auskunftspflichtig sind, die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung sie selbst oder einen ihrer Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Die Voraussetzungen dieser Regelung liegen nicht vor. Das Zeugnisverweigerungsrecht besteht nur im Hinblick auf solche Fragen, die den Zeugen wegen einer zuvor begangenen Tat der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 103 AO 1977 Rdnr. 3; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 103 AO 1977 Rdnr. 12; zum Strafprozeßrecht Kleinknecht/Meyer, a. a. O., § 55 Rdnr. 5). Dafür ist im Streitfall nichts ersichtlich oder dargetan.
[13] Es kommt sonach nicht darauf an, daß Angestellte von Sparkassen in Nordrhein-Westfalen gemäß §§ 21 und 23 SpkG NW zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet sind. Da dem jeweiligen Schweigeverpflichteten insoweit kein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt ist, geht die Pflicht des Zeugen zur wahrheitsgemäßen Aussage vor den FG dieser Pflicht zur Amtsverschwiegenheit vor (allgemein zur Zeugnispflicht insoweit z. B. Kleinknecht/Meyer, a. a. O., vor § 48 Rdnr. 1; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 17. Aufl., Vorbem. zu § 373 Anm. 4). § 203 Abs. 2 und § 353 b Abs. 1 StGB ändert hieran nichts. Zwar wird danach bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart, das ihm als Amtsträger (§ 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB) oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten (§ 203 Abs. 2 Nr. 2 StGB) anvertraut oder sonst bekanntgeworden ist. Desgleichen wird bestraft, wer als Amtsträger ein solches Geheimnis unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet (§ 353 b Abs. 1 StGB). Die hier begründete Strafandrohung bei Verletzung der Schweigepflicht gewährt indes kein Zeugnisverweigerungsrecht: Zeugnisverweigerungsrecht einerseits und Strafandrohung andererseits korrespondieren zwar, decken sich aber nicht. Besteht – wie im finanzgerichtlichen Streitverfahren für Bank- und Sparkassenangestellte – eine prozessuale Zeugnispflicht, so muß der Zeuge, auch wenn er Geheimnisträger ist, wie jeder andere aussagen. Die Zeugnispflicht geht der Schweigepflicht vor; die Offenbarung des Geheimnisses ist gerechtfertigt und schließt strafrechtliche Konsequenzen aus (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 24. Aufl., § 203 Rdnr. 29; Kleinknecht/Meyer, a. a. O., § 53 Rdnr. 4; Pelchen, a. a. O., § 54 Rdnr. 3, jeweils m. w. N.).
[14] c) Schließlich hilft dem Beschwerdeführer nicht, daß in § 84 FGO lediglich auf §§ 101 bis 103 AO 1977, nicht jedoch auf § 105 AO 1977 verwiesen wird. Dort ist geregelt, daß die Verpflichtung der Behörden oder sonstiger öffentlicher Stellen nicht für ihre Auskunfts- und Vorlagepflicht gegenüber den Finanzbehörden gilt. Die Vorschrift sichert den allgemeinen Vorrang der Auskunftsbefugnisse der Finanzbehörden vor den behördlichen Schweigepflichten. Einer vergleichbaren Vorschrift bedurfte es im Steuergerichtsverfahren wegen der hier bestehenden umfassenden Zeugnispflicht nicht. Es kann folglich im Streitfall dahinstehen, ob Sparkassen überhaupt als Behörden oder öffentliche Stellen i. S. des § 105 AO 1977 anzusehen sind (vgl. insoweit Urteil des Reichsfinanzhofs vom 22. Dezember 1920 III A 134/20, RFHE 4, 265, 268; Pelchen, a. a. O., § 54 Rdnr. 8; R. Müller in Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 161 Rdnr. 8, jeweils m. w. N.).