Urteil im "Flachslandenprozeß"

BGH, Mitteilung vom 7. 9. 1995 – 54/95 (lexetius.com/1995,489)

[1] Der Bundesgerichtshof hat in einem weiteren Revisionsverfahren über den sexuellen Mißbrauch von Kindern im sog. "Flachslandenprozeß" entschieden. Das Landgericht Ansbach hatte die Angeklagte wegen vielfachen sexuellen Mißbrauchs zweier ihrer Töchter und eines weiteren Mädchens (insges. 23 Taten) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Auf die Revision der Angeklagten hat der Bundesgerichtshof in einigen Einzelfällen die rechtliche Bewertung geändert und deswegen den Strafausspruch aufgehoben. Es bleibt dabei, daß die Angeklagte – die nach Auffassung zweier Sachverständiger an der Grenze zur Debilität steht – schuldfähig ist, dies freilich in vermindertem Umfang (§ 21 StGB); die Verteidigung hatte auf Schuldunfähigkeit plädiert. Der Schuldspruch ist somit rechtskräftig, über die Strafe ist, ohne daß die Kinder hierzu vernommen werden müßten, neu zu verhandeln.
[2] Die Angeklagte, welche die neun bis elf Jahre alten Kinder vielfach selbst mißbraucht hat, hatte in einigen Fällen sexuelle Handlungen nicht selber vorgenommen, sondern es zugelassen (oder veranlaßt), daß andere Erwachsene sich an den Kindern sexuell vergingen, bis zum (teils gewaltsam) vollendeten Geschlechtsverkehr. Die Angeklagte hatte das Geschehen beobachtet, um sich sexuell zu erregen. Das Landgericht hat auch diese Fälle als sexuellen Mißbrauch von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB) und von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 StGB) beurteilt. Dagegen gelangte der Strafsenat unter Berücksichtigung der Gesetzesfassung, des Zusammenhangs der einschlägigen Regelungen und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zu der Auffassung, daß die genannten Vorschriften jeweils ein sog. "eigenhändiges Delikt" regeln, also nur anzuwenden sind, wenn der Täter selbst das Kind sexualbezogen körperlich berührt. Ist das nicht der Fall, so kann das Verhalten dennoch strafbar sein. Der Senat hat die Verurteilung als Täterin wegen eigenhändiger Delikte in fünf Fällen ersetzt durch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum sexuellen Mißbrauch durch andere Täter. Das führte zur Aufhebung der verhängten Strafe.
BGH, Urteil vom 7. 9. 1995 – 1 StR 236/95