Bundesfinanzhof
EStG § 33
Auch Leistungen aus einer Lebensversicherung (hier: Kapitallebensversicherung), die dem Steuerpflichtigen anläßlich des Todes eines nahen Angehörigen (hier: Ehemann) außerhalb des Nachlasses zufließen, sind auf die als außergewöhnliche Belastung anzuerkennenden Beerdigungskosten anzurechnen (Weiterentwicklung des BFH-Urteils vom 19. Oktober 1990 III R 93/87, BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140).

BFH, Urteil vom 22. 2. 1996 – III R 7/94; FG Düsseldorf (lexetius.com/1996,43)

[1] Sachverhalt: I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), deren Ehemann im Streitjahr (1989) verstorben ist, machte in der gemeinsamen Einkommensteuererklärung 1989 von ihr als Alleinerbin getragene Beerdigungskosten in Höhe von 12.542,03 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA -) ließ den Abzug der Kosten nicht zu, weil die Klägerin u. a. aus einer Lebensversicherung ihres verstorbenen Ehemanns Leistungen in Höhe von 37.030,20 DM erhalten hatte. Der Einspruch gegen den Bescheid vom 9. Mai 1990 hatte keinen Erfolg.
[2] Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
[3] Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im wesentlichen aus: Es entspreche ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), daß Aufwendungen für die Beerdigung naher Angehöriger in der Regel als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen seien, soweit sie nicht aus dem Nachlaß bestritten werden könnten. Des weiteren sei es einhellige Auffassung, daß die Leistung aus einer Lebensversicherung dem vorrangig Bezugsberechtigten als vertraglich begünstigtem Dritten unabhängig vom Erbgang zustehe. Allerdings habe der BFH entschieden, daß Ersatzleistungen und die Auszahlung einer auf den Todesfall abgeschlossenen Versicherung in einem inneren Zusammenhang mit den Beerdigungskosten ständen und die hierauf beruhenden Belastungen minderten (Urteil vom 19. Oktober 1990 III R 93/87, BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140).
[4] Die Rechtslage sei im Streitfall jedoch grundlegend anders, weil die strittigen Geldleistungen der Klägerin aus einer Kapitallebensversicherung zugeflossen seien. Anders als bei einer Sterbegeldversicherung, die hauptsächlich die durch den Todesfall selbst entstehenden Kosten abdecken solle, und anders als bei einer Risikolebensversicherung, die oftmals zusätzlich zur Tilgung von Verbindlichkeiten eingesetzt werde, stehe bei einer Kapitallebensversicherung die Kapitalbildung im Vordergrund. Sie sei unter Abdeckung des Todesfallrisikos auf den Erlebensfall ausgerichtet und vorwiegend eine Form der Vermögensbildung zur Sicherung des Lebensstandards im Alter. Der entscheidende Unterschied zu den auf den Todesfall abgeschlossenen Versicherungen, insbesondere zur Sterbegeldversicherung, bestehe jedoch darin, daß die Kapitallebensversicherung, wenn sie von einem Ehegatten zugunsten des anderen abgeschlossen werde, auch Versorgungslücken schließen solle, die durch den Wegfall des Einkommens des verstorbenen Ehegatten beim Überlebenden für die Zukunft entstünden. In diesem Sinne sei weder der innere Zusammenhang mit den Beerdigungskosten der Sterbegeldversicherung vergleichbar ausgeprägt noch sei die Versicherungssumme eine Ersatzleistung für die Todesfallkosten. Da sie auf längere Sicht als Zukunfts- und Alterssicherung erhalten bleiben solle, mindere sie die durch die Beerdigungskosten entstandene Belastung nicht.
[5] Anzurechnen seien im Streitfall jedoch die von der Krankenkasse und der Gewerkschaft erstatteten Beträge in Höhe von insgesamt 2.340 DM, da es sich hierbei um reine Ersatzleistungen handele. Die geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 12.542,03 DM beträfen Beerdigungskosten im engeren Sinne und hielten sich im Rahmen des Angemessenen. Unter Anrechnung der genannten Ersatzleistungen sei im Streitjahr zusammen mit den bisher schon anerkannten Krankheitskosten somit ein Betrag von 11.930 DM als außergewöhnliche Belastung bei der Festsetzung der Einkommensteuer zu berücksichtigen.
[6] Mit seiner Revision rügt das FA zum einen die Verletzung materiellen Rechts. Es trägt insoweit im wesentlichen vor, die Überlegungen des FG stimmten nicht mit der in Rechtsprechung und Literatur zur Annahme einer tatsächlichen wirtschaftlichen Belastung bei Aufwendungen i. S. des § 33 Abs. 1 EStG vertretenen Auffassung überein und verweist hierzu auf die Entscheidungen des BFH in BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140; vom 23. November 1967 IV R 143/67 (BFHE 91, 149, BStBl II 1968, 259), und vom 11. Mai 1979 VI R 37/76 (BFHE 128, 64, BStBl II 1979, 558), sowie auf das Urteil des FG Münster vom 9. Juni 1988 III 1769/88 L (Entscheidungen der Finanzgerichte 1989, 24), und auf die Ausführungen in Blümich/Oepen, Einkommensteuergesetz, § 33 Anm. 150 – Todesfall –; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 33 Anm. 8 – Beerdigung –; Hartz/Meeßen/Wolff, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort "Begräbniskosten", und von Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 33 EStG Anm. 144. Es werde übereinstimmend dargetan, daß Beerdigungskosten nicht nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung abziehbar seien, wenn sie entweder aus dem Nachlaß bestritten oder durch sonstige, im Zusammenhang mit dem Tod des Angehörigen zugeflossene Geldleistungen gedeckt werden könnten. Mit einzubeziehen seien nach dem Schrifttum auch die Leistungen aus Lebensversicherungen, die der Verstorbene für den Steuerpflichtigen abgeschlossen habe. Auch wenn Zuwendungen im Zusammenhang mit einem Todesfall dem Bezugsberechtigten außerhalb des Nachlasses zuflössen, sei dieser bei wirtschaftlicher Betrachtung insoweit nicht belastet.
[7] Außerdem werde die Rüge mangelnder Sachaufklärung erhoben. Das FG gehe in seiner Urteilsbegründung davon aus, daß die der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemanns zugeflossenen Versicherungsleistungen aus einer zu ihren Gunsten abgeschlossenen Kapital- und nicht aus einer Risikolebensversicherung stammten. Es sei jedoch nicht aktenkundig, daß das FG im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechende Auskünfte eingeholt oder Einsicht in die Versicherungspolice genommen habe.
[8] Im Einspruchsverfahren sei auf die Vorlage der Versicherungspolice verzichtet worden, da aufgrund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine Unterscheidung zwischen einer Zahlung aus einer Kapital- oder aus einer Risikolebensversicherung nicht erforderlich gewesen sei.
[9] Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
[10] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[11] Entscheidungsgründe: II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FG hat zu Unrecht die geltend gemachten Beerdigungskosten als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG anerkannt.
[12] Nach dieser Vorschrift wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen.
[13] Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, daß Ausgaben für die Beerdigung eines nahen Angehörigen in der Regel als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind, soweit sie nicht aus dem Nachlaß bestritten werden können oder durch Ersatzleistungen gedeckt sind (BFH-Urteile in BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140, und vom 17. Juni 1994 III R 42/93, BFHE 174, 547, BStBl II 1994, 754).
[14] a) Der Anspruch auf die Versicherungssumme aus einer Lebensversicherung oder einer Kapitalversicherung auf den Todesfall fällt beim Tod des Versicherungsnehmers in den Nachlaß, wenn der Versicherungsnehmer von seinem Recht, einen Bezugsberechtigten zu benennen (§ 166 des Versicherungsvertragsgesetzes – VVG -), keinen Gebrauch gemacht hat (Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 55. Aufl., § 1922 Rdnr. 47, m. w. N.); in diesen Fällen steht das Bezugsrecht dem Versicherungsnehmer selbst zu (§ 168 VVG). Da die Beerdigungskosten Nachlaßverbindlichkeiten darstellen (§ 1968 des Bürgerlichen Gesetzbuches), scheidet demgemäß auch ein Abzug nach § 33 EStG aus, wenn die Versicherungssumme zum Nachlaß gehört und die Beerdigungskosten durch diesen gedeckt sind. In einem solchen Fall ist der Steuerpflichtige durch die von ihm zu tragenden Aufwendungen in keiner Weise in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Das FG hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob im Streitfall der Ehemann der Klägerin sein Benennungsrecht ausgeübt und die Klägerin als Bezugsberechtigte eingesetzt hat. Auch aus der dem erkennenden Senat von der Klägerin in Kopie vorgelegten Versicherungspolice ergeben sich hierzu keine Anhaltspunkte.
[15] b) Die Frage nach dem Bezugsberechtigten kann im Streitfall jedoch unbeantwortet bleiben; denn auch dann, wenn der Klägerin die strittige Geldleistung unmittelbar zugeflossen ist, mindert sie deren Aufwendungen im Zusammenhang mit der Beerdigung.
[16] Der erkennende Senat hat mit seinem Urteil in BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140, entschieden, daß Beerdigungskosten nicht steuermindernd nach § 33 EStG berücksichtigt werden können, soweit sie durch Leistungen aus einer Sterbegeldversicherung gedeckt sind, die dem Kostenträger außerhalb des Nachlasses zufließen und die auf die als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen entfallen. Er hat dies im wesentlichen damit begründet, daß die Auszahlung einer auf den Todesfall abgeschlossenen Versicherung in einem inneren Zusammenhang mit den Beerdigungskosten stehe. Beide Ereignisse würden durch den Tod des Versicherungsnehmers ausgelöst.
[17] Wie bei einer Sterbegeldversicherung stehen auch bei einer Lebensversicherung im Falle des Todes des Versicherungsnehmers die Leistungen in einem engen inneren Zusammenhang mit den Todesfallkosten. In der Regel soll eine Kapitallebensversicherung zwar der eigenen Versorgung im Alter dienen; sie soll aber ebenso im Todesfall die begünstigten Angehörigen finanziell absichern, sie z. B. auch vor einer Belastung mit durch den Tod des Versicherungsnehmers ausgelösten Kosten bewahren. In Fällen, in denen der Empfänger der Leistungen aus der Lebensversicherung zugleich als Erbe die Beerdigungskosten zu tragen hat, ist er durch diese Verpflichtung, soweit die Versicherungsleistungen reichen, wirtschaftlich tatsächlich nicht belastet.
[18] Der Umstand, daß bei einer Kapitallebensversicherung die Kapitalbildung im Vordergrund steht, führt zu keiner anderen Beurteilung. Auch in den Nachlaß selbst fallende Teile des Vermögens wie z. B. Immobilien, Beteiligungen oder Wertpapiere sollen oftmals der eigenen Versorgung im Alter oder der Versorgung naher Angehöriger dienen und führen dennoch zum Ausschluß des § 33 EStG, soweit daraus die Beerdigungskosten bestritten werden können (s. hierzu das Senatsurteil in BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140).
[19] Die Frage, ob die Leistungen aus der Lebensversicherung auf nach § 33 EStG abziehbare und nicht abziehbare Aufwendungen aufzuteilen sind (s. auch hierzu das Senatsurteil in BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140), stellt sich im Streitfall nicht, da die ausgekehrte Versicherungssumme in Höhe von rd. 37.000 DM sämtliche mit der Beerdigung des Ehemanns zusammenhängenden Kosten deckt.
[20] Auf mögliche Verfahrensfehler des FG kommt es im Streitfall nicht an, da die Revision bereits aus materiell-rechtlichen Gründen Erfolg hat.