Kammerentscheidung zur Verfassungsmäßigkeit von Fahrverboten:

BVerfG, Mitteilung vom 3. 4. 1996 – 16/96 (lexetius.com/1996,503)

[1] Nach einer Entscheidung der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist § 2 der Bußgeldkatalog-Verordn ung verfassungsrechtlich unbedenklich. Aus diesem Grund hat die Kammer mehrere Verfassungsbeschwerden gegen gerichtlich angeordnete Fahrverbote wegen Geschwindigkeitsüberschreitung bzw. Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen. Damit ist ein Beschluß des BVerfG aus dem Jahre 1969 (BVerfGE 27, 36) insoweit überholt, als danach ein Fahrverbot nur als Ausnahme und nur dann zulässig war, wenn feststand, daß sich der angestrebte Erziehungserfolg im Einzelfall nicht auch mit einer empfindlichen und im Wiederholungsfall verschärften Geldbuße erreichen läßt. Solche Folgerungen aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprächen heute nicht mehr der Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse. Der motorisierte Straßenverkehr, die Verkehrsübertretungen und die Unfallzahlen seien gewaltig angestiegen. Das Fahrverbot, das sich als wirkungsvollste Sanktion erwiesen habe, komme unter diesen Bedingungen nicht mehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht. Durch den 1982 in das Straßenverkehrsgesetz eingefügten § 26a (Ermächtigung des Bundesministers für Verkehr zum Erlaß einer Bußgeldkatalog-Verordnung) sind auch gesetzgeberische Konsequenzen gezogen worden. Die 2. Kammer des Zweiten Senats hat in ihrer Entscheidung weiter festgestellt, daß sowohl dieser vom Gesetzgeber beschrittene Weg der Verordnungsermächtigung als auch die Bestimmungen der Bußgeldkatalog-Verordnung selbst verfassungsrechtlich unbedenklich seien. Die Tatsache, daß bei den bezeichneten Regelbeispielen grundsätzlich ein Fahrverbot in Betracht komme, rechtfertige sich aus dem besonderen Gefahrenpotential solcher Verstöße und dem Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren Straßenverkehr. Durch die Fallbeschreibung der Verordnung werde der Richter nicht von seiner Pflicht entbunden, dem Schuldprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch eine Gesamtwürdigung zu entsprechen, in die alle Umstände der Tat und die Sanktionsempfindlichkeit des jeweiligen Betroffenen einzustellen seien. Dem Übermaßverbot werde ebenso wie dem Schuldgrundsatz in der Auslegung von § 2 Abs. 1 und Abs. 2 der Bußgeldkatalog-Verordnung durch den Bundesgerichtshof ausreichend Rechnung getragen.
BVerfG, Beschluss vom 24. 3. 1996 – 2 BvR 616/91