Zu den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Behinderung des Einsatzes von Baumaschinen durch eine Protestdemonstration

BGH, Mitteilung vom 4. 11. 1997 – 79/97 (lexetius.com/1997,531)

[1] Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über einen Schadensersatzanspruch zu entscheiden, mit dem Nutzungsausfall wegen Behinderung des Einsatzes von Baumaschinen durch eine Protestdemonstration geltend gemacht wurde.
[2] Die Klägerin, eine im Freistaat Sachsen gelegene Gemeinde, plante kurz nach der Wiedervereinigung die Errichtung eines Gewerbeparks. Gegen dieses Vorhaben wandte sich eine Bürgerinitiative.
[3] Mit der Durchführung der erforderlichen Erschließungsarbeiten wurden zwei Bauunternehmen beauftragt. Nachdem die behördlichen Genehmigungen vorlagen, sollten am Morgen des 22. April 1991 die Erschließungsmaßnahmen in Angriff genommen werden. Jedenfalls an diesem Tag, nach der Behauptung der Klägerin auch am Folgetag, kam es hierbei zu Behinderungen durch Demonstranten aus dem Kreis der Bürgerinitiative.
[4] Die Klägerin wirft den Beklagten vor, sie seien an den Demonstrationen und der planmäßigen Behinderung der Erschließungsarbeiten beteiligt gewesen. Die Bauunternehmen hätten einen hierdurch entstandenen Schaden in Höhe von 62.909,66 DM in Rechnung gestellt, der seitens der Klägerin beglichen worden sei. Die Beklagten seien zum Ersatz dieses Betrages verpflichtet.
[5] Das Oberlandesgericht hat die Klage im wesentlichen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
[6] Der Bundesgerichtshof hat allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts bestätigt, daß eine zweitägige Blockade des Einsatzes von Baumaschinen, wie sie den Beklagten im Berufungsurteil zur Last gelegt wird, eine rechtswidrige und schuldhafte Rechtsgutverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen und demgemäß grundsätzlich einen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch der Bauunternehmen begründen kann, und zwar auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse, wie sie in den neuen Bundesländern kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands herrschten. In einem solchen Vorgehen kann ein tatbestandsmäßiger Eingriff in den berechtigten Besitz der Bauunternehmen an den Baumaschinen liegen, der auch unter Berücksichtigung der Grundrechte der Demonstranten auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) als rechtswidrig zubetrachten ist. Für eine zielbewußte Anwendung unmittelbaren Zwanges gegenüber einem bestimmten Rechtsgut eines Dritten kann sich der Schädiger in der Regel nicht auf diese Grundrechte berufen. Denn die in Ar. 8 und 5 GG geschützten verfassungsrechtlichen Positionen sollen den der demokratischen Gesellschaft immanenten Kampf der Meinungen mit geistigen Mitteln gewährleisten; sie decken hingegen nicht Maßnahmen, die nicht zur Überzeugung der Gegenseite im Meinungskampf, sondern dazu führen sollen, daß sich die Gegenseite ohne Möglichkeit zueigener Willensentscheidung einem auf sie ausgeübten Zwang beugt.
[7] An dieser Beurteilung ändert es auch nichts, daß es hier um Ereignisse geht, die wenige Monate nach der Wiedervereinigung Deutschlands in einem der neuen Bundesländer stattgefunden haben. Zwar kam gerade der intensiven Ausübung des Demonstrationsrechts durch die früheren DDR-Bürger im Kampf gegen die SED-Herrschaftbesondere Bedeutung zu. In der verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes, das zum Zeitpunkt der hier streitigen Ereignisse in vollem Umfang in den neuen Bundesländern in Kraft war, kann aber für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit nicht an Verhaltensmaßstäbe angeknüpft werden, die im Rahmen der Ereignisse, die die Wende herbeigeführt haben, angemessen und geboten sein konnten.
[8] Der Bundesgerichtshof hat jedoch die Feststellungen des Berufungsgerichts zu Ausmaß uns Umfang der rechtsgutverletzenden Handlungen beanstandet, aus denen im Berufungsurteil eine Haftung der Beklagten hergeleitet wurde. Insoweit sind dem Berufungsgericht bei Erhebung und Würdigung der Beweise Verfahrensfehler unterlaufen.
[9] Des weiteren hatte die Revision Erfolg in ihrer Rüge, daß die bisher getroffenen Feststellungen eine haftungsrechtlich verantwortliche Beteiligung von drei der vier Beklagten an den im Berufungsurteil zugrunde gelegten Blockademaßnahmen nicht zu tragen vermögen. Insoweit sind nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt die Voraussetzungen einer Mittäterschaft oder einer Beihilfe dieser Beklagten im Sinne des § 830 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB nicht erfüllt.
[10] Das Berufungsgericht wird daher erneut in die Sachverhaltsfeststellung einzutreten und Ausmaß und Umfang der Blockademaßnahmen sowie die Beteiligung der Beklagten hieran zu prüfen haben.
BGH, Urteil vom 4. 11. 1997 – VI ZR 348/96