Europäisches Gericht
"Wettbewerb – Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag – Begriff der Vereinbarung – Informationsaustausch – Anordnung – Geldbuße – Bestimmung der Höhe – Begründung – Mildernde Umstände – Verteidigungsrechte – Kooperation während des Verwaltungsverfahrens – Grundsatz der Gleichbehandlung"
1. Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33. 833 – Karton) wird in bezug auf die Klägerin mit Ausnahme folgender Passagen für nichtig erklärt: "Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen, den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen, a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen. Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln läßt, ausschließt."
2. Die Höhe der in Artikel 3 der Entscheidung 94/601 gegen die Klägerin verhängten Geldbuße wird auf 17 000 000 ECU festgesetzt.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten und ein Viertel der Kosten der Klägerin.
5. Die Klägerin trägt drei Viertel ihrer eigenen Kosten.

EuG, Urteil vom 14. 5. 1998 – T-347/94 (lexetius.com/1998,1044)

[1] In der Rechtssache T-347/94 Mayr-Melnhof Kartongesellschaft mbH, Gesellschaft österreichischen Rechts mit Sitz in Wien, Prozeßbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte Otfried Lieberknecht, Burkhard Richter und Klaus Brenner, Düsseldorf, sowie Rechtsanwalt Michel Waelbroeck, Brüssel, danach Rechtsanwälte Michel Waelbroeck und Denis Waelbroeck, Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Alex Bonn, 7, Val Sainte-Croix, Luxemburg, Klägerin, gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Bernd Langeheine und Richard Lyal, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwalt Dirk Schroeder, Köln, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg, Beklagte, wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33. 833 – Karton, ABl. L 243, S. 1) erläßt DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer) unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie des Richters C. P. Briët, der Richterin P. Lindh und der Richter A. Potocki und J. D. Cooke, Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat aufgrund des schriftlichen Verfahrens und der mündlichen Verhandlung vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997, folgendes Urteil (1):
Sachverhalt
[2] 1. Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33. 833 – Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer Veröffentlichung durch eine Entscheidung der Kommission vom 26. Juli 1994 (K [94] 2135 endg.) berichtigt wurde (im folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstößen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages Geldbußen festgesetzt.
[3] 2. Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung werden drei Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten "GC", "GD" und "SBS" zugeordnet werden.
[4] 3. Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer grauen unteren Lage (Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.
[5] 4. Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weiße Lage und wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton. In dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im allgemeinen ein Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton auch für graphische Zwecke verwendet.
[6] 5. SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weißen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber hauptsächlich für graphische Zwecke bestimmt.
[7] 6. Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries Federation (BPIF), eine Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen Kartonbedrucker, bei der Kommission eine informelle Beschwerde ein. Sie machte geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden Kartonhersteller eine Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten, und ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung heraus. Deren Inhalt wurde von der Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.
[8] 7. Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der Kommission ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend den französischen Kartonmarkt ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.
[9] 8. Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen und Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig Nachprüfungen vor.
[10] 9. Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten der Entscheidung Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und ersuchte um die Vorlage von Dokumenten.
[11] 10. Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und Vorlage von Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß sich die betreffenden Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.
[12] 11. Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen. Sämtliche Adressaten antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.
[13] 12. Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende Bestimmungen enthält: "Artikel 1. Buchmann GmbH, Cascades S. A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard – the Finnish Board Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH & Co. KG, Kartonfabriek "De Eendracht" NV (unter der Firma BPB de Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och Domsjö AB (MoDo), Mayr-Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S. A., Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding Ltd (ehemals Reed Paper & Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso EspaÄnola S. A. (früher Tampella EspaÄnola S. A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages verstoßen, indem sie sich -im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens Ende 1990, -im Falle von Enso EspaÄnola von mindestens März 1988 bis mindestens Ende April 1991 und -im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990, -in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991, an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft -sich regelmäßig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs trafen; -sich über regelmäßige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten; -gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und durchführten; -sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten; -in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen; -als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten. … Artikel 3. Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten Verstoß folgende Geldbußen festgesetzt: … xi) gegen Mayr-Melnhof Karton Gesellschaft mbH eine Geldbuße in Höhe von 21 000 000 ECU; …"
[14] 13. Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus mehreren Gruppen oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens "Produktgruppe Karton" (im folgenden: PG Karton).
[15] 14. Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens "Presidents" Working Group" (PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der (etwa acht) führenden Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.
[16] 15. Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise und Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende Beschlüsse über die zeitliche Folge und die Höhe der von den Herstellern vorzunehmenden Preiserhöhungen gefaßt.
[17] 16. Der PWG habe der "Präsidentenkonferenz" (PK) Bericht erstattet, an der (mehr oder weniger regelmäßig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK habe im maßgeblichen Zeitraum zweimal pro Jahr getagt.
[18] 17. Ende 1987 sei das "Joint Marketing Committee" (JMC) eingesetzt worden. Die Hauptaufgabe des JMC habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und, wenn ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und zum anderen die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen.
[19] 18. Schließlich habe die "Wirtschaftliche Kommission" (WK) u. a. die Preisentwicklung auf den nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und dem JMC oder – bis Ende 1987 – dessen Vorgänger, dem "Marketing Committee", über die Ergebnisse ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus Vertriebs- und/oder Verkaufsleitern der meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals pro Jahr zusammengetreten.
[20] 19. Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach Ansicht der Kommission durch einen Informationsaustausch über die Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zürich (Schweiz) unterstützt wurden. In der Entscheidung heißt es, die meisten Mitglieder der PG Karton hätten der FIDES regelmäßig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefaßten Daten erhalten.
[21] 20. Die Klägerin hat der Entscheidung zufolge an Sitzungen der vier oben genannten Gremien der PG Karton – PWG, PK, JMC und WK – teilgenommen.
[22] 21. Während des gesamten von der Entscheidung erfaßten Zeitraums waren die Management- und Marketing-Tätigkeiten der Klägerin und von FS-Karton, einem von ihr 1984 erworbenen deutschen Kartonhersteller, völlig integriert. Aus diesem Grund wurde die Klägerin für die Beteiligung von FS-Karton am Kartell zur Verantwortung gezogen (Randnr. 150 der Entscheidung).
[23] 22. Die Klägerin wurde auch als verantwortlich für die Kartellteilnahme ihrer in der Schweiz ansässigen 66 % igen Tochtergesellschaft Deisswil während der gesamten Dauer der Teilnahme angesehen (Randnr. 150 der Entscheidung). Schließlich wurde sie als verantwortlich für die Kartellteilnahme der in den Niederlanden ansässigen Mayr-Melnhof Eerbeek BV (im folgenden: Eerbeek) angesehen, die sie im September 1990 erwarb. Für das Verhalten von Eerbeek wurde sie ab 1. Januar 1990 verantwortlich gemacht, dem Zeitpunkt, zu dem der Erwerb wirksam wurde.
Verfahren
[24] 23. Mit Klageschrift, die am 18. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
[25] 24. Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten Unternehmen haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben (Rechtssachen T-295/94, T-301/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94).
[26] 25. Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre Klage mit Schreiben, das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 18. Juli 1996 in der Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.
[27] 26. Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung Finnboard gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten Geldbuße haftbar gemacht wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt (verbundene Rechtssachen T-339/94, T-340/94, T-341/94 und T-342/94).
[28] 27. Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der Entscheidung gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8. Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.
[29] 28. Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer informellen Sitzung geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äußern sollten. In dieser Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen Verbindung einverstanden erklärt.
[30] 29. Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts die genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden und einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-334/94 auf vertrauliche Behandlung stattgegeben.
[31] 30. Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-337/94 auf vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Dokuments stattgegeben.
[32] 31. Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende Maßnahmen getroffen, indem es die Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen Ersuchen nachgekommen.
[33] 32. Die Parteien in den in Randnummer 28 genannten Rechtssachen haben in der Sitzung, die vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
[34] 33. Die Klägerin beantragt, -Artikel 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären; -Artikel 2 der Entscheidung für nichtig zu erklären; -Artikel 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären oder zumindest die in dieser Bestimmung festgesetzte Geldbuße herabzusetzen; -der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
[35] 34. Die Kommission beantragt, -die Klage abzuweisen; -die Klägerin zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
A – Zu den auf die Verletzung wesentlicher Formvorschriften gestützten Klagegründen
Zum Klagegrund einer Verletzung von Artikel 190 des Vertrages
Vorbringen der Parteien
[36] 35. Die Klägerin weist darauf hin, daß die Begründungspflicht dem Schutz der Bürger dienen und dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung der gerichtlichen Kontrolle ermöglichen solle (Urteil des Gerichtshofes vom 20. März 1959 in der Rechtssache 18/57, Nold/Hohe Behörde, Slg. 1959, 91). Die Kommission müsse insbesondere die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte angeben, die sie zum Erlaß ihrer Entscheidung veranlaßt hätten und von denen deren Rechtmäßigkeit abhänge.
[37] 36. Die Kommission brauche nur auf solche Argumente der Adressaten der Entscheidung nicht einzugehen, die sie für völlig unbegründet halte (Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-15/89, Chemie Linz/Kommission, Slg. 1992, II-1275, Randnr. 328). Im vorliegenden Fall habe sie gegen diesen Grundsatz verstoßen, da sie auf mehrere Hauptargumente der Klägerin nicht eingegangen sei.
[38] 37. Sie habe sich weitgehend über das Vorbringen hinweggesetzt, daß die angeblichen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen keine spürbaren Auswirkungen auf die Marktverhältnisse gehabt hätten. Dieses Vorbringen sei auf ein umfängliches Gutachten – den Bericht von London Economics (im folgenden: LE-Bericht) – gestützt worden. In der Entscheidung (Randnr. 115) werde nicht auf die Thesen dieses Berichts eingegangen.
[39] 38. Außerdem habe sich die Kommission nicht mit den Besonderheiten des Marktes auseinandergesetzt, die die Klägerin sowohl in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdepunkte als auch in der Anhörung vor der Kommission dargelegt habe. Die in der Branche üblichen regelmäßigen Listenpreiserhöhungen würden in der Entscheidung nur als tatsächlicher Gesichtspunkt erwähnt, mit dem sich die Existenz des angeblichen Kartells belegen lasse (Randnrn. 18 bis 20). Durch diese Vorgehensweise habe es die Kommission unter Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages unterlassen, zu den Erläuterungen der Klägerin Stellung zu nehmen.
[40] 39. Schließlich sei die Kommission von einem unzutreffenden Gewinnbegriff ausgegangen.
[41] 40. Die Beklagte weist darauf hin, daß eine Entscheidung ausreichend begründet sei, wenn darin die sie tragenden sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme abhänge, genannt würden (Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-3/89, Atochem/Kommission, Slg. 1991, II-1177, Randnr. 222). Diese Anforderungen seien im vorliegenden Fall voll und ganz erfüllt worden.
[42] 41. Auf den LE-Bericht sei sie nicht nur in Randnummer 115 der Entscheidung eingegangen, sondern auch in den Randnummern 16, 21 und 101. Die Entscheidung enthalte ferner eine eingehende Darstellung des Kartonmarkts (Randnrn. 6 bis 21). Die Kommission sei insbesondere sowohl auf die Frage der Kapitalintensität des Marktes (Randnr. 13 der Entscheidung) als auch auf die Tatsache eingegangen, daß in dieser Branche gleichzeitige Listenpreiserhöhungen zu bestimmten Terminen üblich seien (Randnr. 18 der Entscheidung).
Würdigung durch das Gericht
[43] 42. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen den Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung der Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des fraglichen Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 1996 in der Rechtssache T-49/95, Van Megen Sports/Kommission, Slg. 1996, II-1799, Randnr. 51). Die Kommission hat zwar gemäß Artikel 190 des Vertrages die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung abhängt, sowie die Erwägungen anzugeben, die sie zu ihrem Erlaß veranlaßt haben; sie braucht jedoch nicht auf alle sachlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die während des Verwaltungsverfahrens aufgeworfen wurden (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 66).
[44] 43. Im vorliegenden Fall enthält die Entscheidung eine eingehende Darstellung der Gründe, aus denen die Kommission angenommen hat, daß dem Vorbringen einiger Unternehmen – u. a. der Klägerin –, wonach sich die festgestellte Zuwiderhandlung nicht auf den Markt ausgewirkt habe, nicht zu folgen sei (vgl. insbesondere Randnrn. 101, 102 und 115 der Entscheidung). Auch auf alle von der Klägerin genannten Besonderheiten des Marktes wurde in der Entscheidung eingegangen (vgl. namentlich Randnrn. 13 und 18).
[45] 44. Das Vorbringen der Klägerin schließlich, das sich gegen die Richtigkeit der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung des von den Herstellern der Branche erzielten Gewinns richtet (siehe oben, Randnr. 39), betrifft die inhaltliche Überprüfung der Entscheidung und ist daher im vorliegenden Zusammenhang irrelevant.
[46] 45. Dieser Klagegrund ist somit abzuweisen.
Zum Klagegrund einer Verletzung der Beweisanforderungen des Gemeinschaftsrechts
[47] 46. Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe die Beweisanforderungen des Gemeinschaftsrechts verkannt, da sie sich auf bloße Vermutungen und Unterstellungen sowie auf nicht bestehende Erfahrungssätze gestützt habe. Sie habe insbesondere den Beweiswert der Aussagen von Stora überschätzt, da dieses Unternehmen nach den eigenen Angaben der Kommission die Hauptverantwortung für die angeblichen Zuwiderhandlungen trage (Randnr. 46 der Entscheidung).
[48] 47. Mit diesem Vorbringen rügt die Klägerin in Wirklichkeit die Würdigung der in der Entscheidung angeführten Beweise durch die Kommission. Da ein solches Vorbringen die inhaltliche Überprüfung der Entscheidung betrifft, ist der vorliegende Klagegrund abzuweisen.
B – Zu den auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Klagegründen
Zum Klagegrund des Fehlens von Preisabsprachen
Vorbringen der Parteien
[49] 48. Die Klägerin weist zunächst auf einige Besonderheiten des Kartonmarkts hin, die für das Verständnis der Art und Weise wichtig seien, in der sowohl die Listenpreise als auch die tatsächlichen Verkaufspreise zustande kämen. Um etwaige Erhöhungen der Kartonpreise an ihre Kunden weitergeben zu können, hätten die Verarbeiter stets verlangt, daß sich die Kartonhersteller preislich für das jeweilige Halbjahr festlegten und ihnen ihre Preiserhöhungsabsichten mindestens zwei Monate im voraus mitteilten. Die Verarbeiter hätten verlangt, daß etwaige Erhöhungen des Kartonpreises mindestens 5 % betrügen.
[50] 49. Die Zusammenkünfte der Kartonhersteller hätten deshalb nicht die ihnen von der Kommission beigelegte Bedeutung gehabt. Die Vorstellungen der Hersteller über das Ausmaß der jeweiligen Preiserhöhung seien nämlich durch die Kostensteigerungen beeinflußt worden, die sie alle in mehr oder weniger gleichem Umfang getroffen hätten. Alle Preiserhöhungen seien aufgrund des Anstiegs der Produktionskosten zwingend erforderlich gewesen.
[51] 50. Außerdem hätten sich die Hersteller der Entscheidung eines einzelnen Herstellers, die Preise um einen bestimmten Betrag zu erhöhen, nicht anschließen müssen. Es sei auf derartigen Massengutmärkten jedoch üblich, daß die mehr oder weniger homogenen Güter nach einheitlichen Preislisten verkauft würden, so daß sich der tatsächliche Wettbewerb in den Einzelgesprächen mit den Kunden abspiele.
[52] 51. Für die Transparenz der Preisinitiativen habe der Markt gesorgt, da die Hersteller nach der Übersendung der Schreiben, in denen Preiserhöhungen angekündigt worden seien, innerhalb der von den Verarbeitern verlangten ausreichenden Vorlauffrist von den Plänen der übrigen Hersteller sowie von der Reaktion der Abnehmer hätten Kenntnis erlangen können, bevor sie selbst darüber entschieden hätten, ob sie sich der Initiative anschließen wollten. Die Kommission habe nicht geltend gemacht, daß es Wettbewerbsbeschränkungen gegeben habe, die sich auf die individuellen Preisverhandlungen mit den Abnehmern ausgewirkt hätten.
[53] 52. Die Kommission habe außer acht gelassen, daß die Nachfrage nach Karton allein von der Nachfrage nach den zu verpackenden Gütern bestimmt werde. Daher könne ein bestimmter Hersteller auch durch eine Preissenkung nicht ohne weiteres seinen Marktanteil erhöhen, weil die Verarbeiter oft auf die Kartonsorten ihres bisherigen Lieferanten eingestellt seien und ihn ohne große Schwierigkeiten dazu veranlassen könnten, seine Preise ebenfalls zu senken.
[54] 53. Schließlich habe die Kommission die in der Kartonbranche erforderlichen hohen Investitionen nicht angemessen berücksichtigt.
[55] 54. Sodann sei darauf hinzuweisen, daß nach der Rechtsprechung nur dann eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 des Vertrages vorliege, wenn die Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht hätten, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (Urteil Chemie Linz/Kommission, Randnr. 301). Dem Begriff der Vereinbarung sei folglich das Vorliegen einer Verpflichtung in Form eines Bindungswillens der Beteiligten immanent, die nicht unbedingt rechtlich verbindlich sein müsse. Um vom Vorliegen einer Vereinbarung ausgehen zu können, sei jedoch zumindest die Übernahme einer moralischen Verpflichtung zu fordern, sich absprachegemäß zu verhalten. Die Kommission habe in der Entscheidung jedoch nicht einmal behauptet, daß sich die Unternehmen faktisch zu einem bestimmten wettbewerbsbeschränkenden Verhalten verpflichtet hätten.
[56] 55. Die Klägerin räumt ein, daß sie am Informationsaustausch über geplante Listenpreiserhöhungen teilgenommen habe und daß dieser Informationsaustausch als wettbewerbsbeschränkende abgestimmte Verhaltensweise angesehen werden könne. Die von der Kommission in den Randnummern 74 ff. der Entscheidung genannten Beweismittel seien jedoch kein Beleg für die Existenz von Vereinbarungen. Insbesondere die zweite Aussage von Stora (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte), auf die sich die Kommission stütze, enthalte keinen Anhaltspunkt für das Vorliegen solcher Vereinbarungen. Die Aussagen von Stora hätten im übrigen keinen Beweiswert.
[57] 56. Auch die Tatsache, daß die Hersteller im wesentlichen einheitliche und mehr oder weniger gleichzeitig in Kraft getretene Preiserhöhungen vorgenommen hätten, sei kein Beweis für das Vorliegen verbindlicher Preisabsprachen. Darin kämen nur die Besonderheiten des relevanten Marktes zum Ausdruck.
[58] 57. Schließlich bestehe kein Kausalzusammenhang zwischen den Gesprächen über Erhöhungen der Listenpreise und den am Markt zu beobachtenden Erhöhungen der tatsächlichen Verkaufspreise; daher könnten die tatsächlichen Preiserhöhungen nicht als Beleg für die Existenz von Preisabsprachen angesehen werden.
[59] 58. Die Kommission trägt vor, nach der Rechtsprechung liege eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht hätten, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (vgl. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 256).
[60] 59. Sie habe in den Randnummern 72 bis 90 der Entscheidung die Beweise aufgeführt, aus denen die Art der in Rede stehenden Zuwiderhandlung hervorgehe. Nach diesen Beweisen hätten sich die Kartonhersteller im Rahmen des PWG im voraus über den Umfang jeder Preisanhebung verständigt und abgesprochen, wer von ihnen die einzelnen Preiserhöhungen als erster ankündigen solle, wann dies geschehen solle und zu welchen Zeitpunkten die übrigen Hersteller durch Absendung ihrer eigenen Ankündigungsschreiben folgen würden (Randnr. 73 der Entscheidung).
[61] 60. Unter diesen Umständen werde die Existenz von Absprachen nicht durch das Vorbringen der Klägerin widerlegt, daß die Periodizität und die Art der Vorankündigung von Preiserhöhungen auf die Wünsche der Kunden zurückzuführen seien. Auch ihr Vorbringen zu der durch die Ankündigungsbriefe geschaffenen Markttransparenz und zu den Besonderheiten des Marktes sei nicht stichhaltig, da feststehe, daß sich die Unternehmen im voraus über die Preiserhöhungen abgestimmt hätten.
[62] 61. Im übrigen sei die Preisabsprache Teil eines umfassenden Planes gewesen. Bei einem derart komplexen System von Absprachen seien die einzelnen Maßnahmen aber in ihrer Gesamtheit vor dem Hintergrund des übergreifenden Zieles des Kartells zu beurteilen (Randnr. 128 der Entscheidung). In Anbetracht der fortschreitenden Konkretisierung der Absprachen, der gemeinsamen Planung und Durchführung der Preisinitiativen und der Verständigung über die Marktanteile und die Mengenkontrolle bleibe sie bei ihren in den Randnummern 131 und 132 der Entscheidung dargestellten Schlußfolgerungen, daß die Zuwiderhandlung ab Mitte 1986 als abgestimmte Verhaltensweise anzusehen sei und von Ende 1987 an alle Merkmale einer echten Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 des Vertrages aufgewiesen habe.
[63] 62. Schließlich hätten sich die Preiserhöhungen auf die tatsächlich angewandten Preise ausgewirkt.
Würdigung durch das Gericht
[64] 63. Die Klägerin räumt ihre Beteiligung an einer Abstimmung der geplanten Preiserhöhungen ein.
[65] 64. Gemäß der Entscheidung setzten die in ihrem Artikel 1 genannten Unternehmen die "auf jedem nationalen Markt anzuwendenden regelmäßigen Preiserhöhungen im Wege der Absprache" fest (Randnr. 130 Absatz 2, dritter Gedankenstrich). Die Kommission ging, wie sie ausgeführt hat (siehe oben, Randnr. 61), davon aus, daß eine solche Absprache ab Ende 1987 bestand.
[66] 65. Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (vgl. u. a. Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 112, und in den Rechtssachen Van Landewyck u. a./Kommission, Randnr. 86, sowie Urteil Hercules Chemicals/Kommission, Randnr. 256). Unter diesen Umständen braucht entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht geprüft zu werden, ob sich die betreffenden Unternehmen für – rechtlich, tatsächlich oder moralisch – verpflichtet hielten, sich absprachegemäß zu verhalten.
[67] 66. Somit ist zu prüfen, ob die Kommission nachgewiesen hat, daß die Adressaten der Entscheidung ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck brachten, auf dem Markt ein bestimmtes Preisverhalten zu zeigen.
[68] 67. In bezug auf die Preisinitiativen führt Stora insbesondere aus (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkte 27, 28 und 30): "1987 war … ein annäherndes Gleichgewicht zwischen Kapazität und Verbrauch eingetreten. In diesem Jahr lag die Kapazität um 5 % über dem Verbrauch. Diese Diskrepanz (die viel geringer war, als der Industrie selbst bis dahin bewußt war) gab dem PWG Gelegenheit, ab 1987 Preiserhöhungen zu vereinbaren und dabei eine gewisse Sicherheit zu haben, daß diese Erhöhungen mit Erfolg durchgeführt würden. Als sich diese Gelegenheit bot, waren die Hersteller bestrebt, die in den Vorjahren eingetretenen Verluste wettzumachen. Der PWG war der Ansicht, daß 1988 eine erste Erhöhung um 10 % durchgeführt werden sollte. Sie betrug z. B. auf dem französischen Markt 50 FF pro 100 Kilogramm für GC-Sorten und 35 FF pro 100 Kilogramm für GD-Sorten. Ähnliche Erhöhungen erfolgten in anderen Ländern. Bei späteren Erhöhungen wurden ähnliche absolute Beträge vereinbart, so daß sich der Prozentsatz der Erhöhungen verringerte … … … Im PWG wurde erörtert und vereinbart, wer die jeweilige Preiserhöhung zuerst ankündigen würde und wann die Ankündigungen der anderen führenden Hersteller folgen. Der Ablauf war nicht immer gleich."
[69] 68. Sie fügt hinzu (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkte 13 und 14): "[Der] Zweck [des JMC] bestand u. a. darin, Preisvergleiche in bezug auf einige Großkunden anzustellen und Einzelheiten für die Durchführung der Preisentscheidungen des PWG sowohl für GC- als auch für GD-Sorten in den einzelnen Ländern auszuarbeiten. Das JMC erörterte für jeden Markt die genaue Durchführung der Preisentscheidungen des PWG und erstattete dem PWG Bericht."
[70] 69. Nach Angaben von Stora brachten die dem PWG und dem JMC angehörenden Unternehmen somit ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck, auf den einzelnen nationalen Märkten identische und gleichzeitige Preiserhöhungen vorzunehmen.
[71] 70. Die Aussagen von Stora werden in diesem Punkt durch mehrere schriftliche Beweise gestützt, auf die sich die Kommission in den Randnummern 74 ff. der Entscheidung berufen hat.
[72] 71. Insoweit genügt es, auf die drei in den Randnummern 79, 80 und 83 der Entscheidung erwähnten Preislisten hinzuweisen. Die Listen, die die Kommission von Rena (Anlagen 110 und 111 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) und von Finnboard (UK) Ltd erlangte, enthalten für mehrere Kartonsorten und mehrere Länder der Gemeinschaft Angaben über die genauen Daten und Beträge der von den fraglichen Unternehmen im April 1989, im September/Oktober 1989 und im April 1990 vorgenommenen Preiserhöhungen. Die in den drei Preislisten enthaltenen Angaben entsprechen hinsichtlich des Umfangs der Preiserhöhungen und der Daten ihrer Vornahme dem tatsächlichen Marktverhalten der betreffenden Unternehmen (vgl. die der Entscheidung beigefügten Tabellen D, E und F).
[73] 72. Außerdem erlangte die Kommission von Rena handschriftliche Notizen über eine Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte), in denen es u. a. heißt: "Preiserhöhung wird nächste Woche im September angekündigt: Frankreich40 FF Niederlande14 Deutschland12 DM Italien80 LIT Belgien2, 50 BFR Schweiz9 FS England40 UKL Irland45 IRL Alle Sorten sollten gleich heraufgesetzt werden: GD, UD, GT, GC usw. Nur 1 Preiserhöhung pro Jahr. Für Lieferungen ab 7. Januar. Nicht später als 31. Januar. Schreiben vom 14. September mit Preiserhöhung (Mayr-Melnhof). 19. September. Brief von Feldmühle geht raus. Cascades vor Ende September. Alle Schreiben müssen vor dem 8. Oktober raus sein."
[74] 73. Die Klägerin bestreitet weder, daß sich die drei oben erwähnten Preislisten auf eine Preisabsprache beziehen, noch daß sich Anlage 118 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte auf die Sitzung des JMC vom 6. September 1990 bezieht.
[75] 74. Ohne daß die übrigen Beweismittel geprüft zu werden brauchen, ist das Gericht deshalb der Ansicht, daß die Kommission den Beweis dafür erbracht hat, daß die an den Sitzungen des PWG und des JMC teilnehmenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck brachten, einheitliche und gleichzeitige Preiserhöhungen vorzunehmen. Die Kommission war daher berechtigt, die Willensübereinstimmung zwischen der Klägerin und anderen Kartonherstellern über die Preisinitiativen ab Ende 1987 als Vereinbarung einzustufen.
[76] 75. Unter diesen Umständen ist das auf die angeblichen Besonderheiten des Kartonmarkts und den fehlenden Kausalzusammenhang zwischen den Erhöhungen der Listenpreise und den Erhöhungen der tatsächlichen Verkaufspreise gestützte Vorbringen der Klägerin unerheblich. Denn selbst wenn man unterstellt, daß die von der Klägerin im Rahmen dieses Vorbringens aufgestellten Tatsachenbehauptungen zutreffen, könnte dies die Einstufung der von der Klägerin ab Ende 1987 bei den Preisen begangenen Zuwiderhandlung als Vereinbarung nicht in Frage stellen.
[77] 76. Der vorliegende Klagegrund ist somit abzuweisen.
Zum Klagegrund des Fehlens einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise in bezug auf die angebliche "Preis-vor-Menge" -Politik
Vorbringen der Parteien
[78] 77. Das Vorbringen der Klägerin gliedert sich in drei Teile.
[79] 78. Erstens äußert sie sich zum Fehlen einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise zur Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile.
[80] 79. Sie trägt vor, das Vorbringen der Kommission zur angeblichen Absprache über ein "Einfrieren" der Marktanteile der führenden Kartonhersteller beruhe ausschließlich auf den Aussagen von Stora sowie auf der bei FS-Karton gefundenen vertraulichen Aktennotiz vom 28. Dezember 1988 (Anlage 73 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte). Diese Unterlagen enthielten jedoch keinen Beleg für das Vorliegen einer auf ein "Einfrieren" der Marktanteile gerichteten Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise.
[81] 80. Bei Anlage 73 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte handele es sich nur um einen allgemeinen Lagebericht des Verkaufsleiters von FS-Karton, der dazu gedient habe, die Stagnation des Umsatzes von FS-Karton gegenüber der Konzernleitung zu rechtfertigen. Insoweit gehe aus der Aktennotiz hervor, daß der Verkaufsleiter Vorbehalte gegen die neue Verkaufspolitik des Konzerns geltend gemacht habe, die in der Verpflichtung der Tochtergesellschaften zu absoluter Preisdisziplin auch unter Inkaufnahme von Umsatzverlusten bestanden habe. Die fragliche Notiz beweise, daß es sich um eine Entscheidung der Konzernleitung gehandelt habe, die gegenüber dem Verkaufsleiter von FS-Karton durchgesetzt worden sei. Dieser habe im übrigen keine Kenntnis vom Inhalt der Gespräche innerhalb der PG Karton gehabt.
[82] 81. Die Aussagen von Stora enthielten keinen Beweis für das Vorliegen der angeblichen Grundvereinbarung über eine sogenannte "Preis-vor-Menge" -Politik. In ihrer zweiten Aussage spreche Stora nur von "Diskussionen" über Marktanteile (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, S. 4 und 11). Auch in ihrer dritten Aussage (Anlage 43 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) sei von "discussions" und "understandings" die Rede (S. 1 und 2). Außerdem sei nicht von einer Grundvereinbarung die Rede, sondern von mehreren einzelnen – im übrigen nirgends durch andere Dokumente bestätigten – Vereinbarungen auf der Basis der Zahlen des Vorjahrs. Stora habe das Wort "Vereinbarung" nicht im speziellen Sinne von Artikel 85 des Vertrages verwendet (siehe oben, Randnrn. 54 f.), denn sie habe erklärt, daß die zwischen den Herstellern geschlossenen "Vereinbarungen" nicht verbindlich gewesen und von ihnen nur eingehalten worden seien, soweit dies in ihrem eigenen Interesse gelegen habe (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, S. 4, und Randnr. 59 der Entscheidung).
[83] 82. Überdies bestünden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen von Stora, da die Erklärung für die Kooperation dieses Unternehmens mit der Kommission darin bestehen könnte, daß Gespräche über den Umfang des als Gegenleistung gewährten Bußgeldnachlasses geführt worden seien.
[84] 83. Schließlich sei der beim Verkaufsleiter von FS-Karton gefundene handschriftliche Vermerk vom 11. Januar 1990 (Anlage 113 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, vgl. Randnrn. 84 bis 86 der Entscheidung) zur Vorbereitung eines internen Berichts an die Geschäftsführung von Mayr-Melnhof verfaßt worden; die darin enthaltenen Angaben beruhten auf eigenen Schätzungen des Geschäftsführers sowie auf Informationen, die aus Gesprächen mit Kollegen und Kunden stammten. Auch die übrigen von der Kommission erwähnten Dokumente stützten ihre Behauptungen nicht.
[85] 84. Zweitens argumentiert die Klägerin mit der Entwicklung ihrer Marktanteile. Sie führt hierzu aus, die 1990 erfolgte Erhöhung der Kapazität von FS-Karton um 200 000 Jahrestonnen zeuge davon, daß sie ihren Marktanteil in ihrem Hauptabsatzgebiet – dem Gemeinschaftsmarkt – habe vergrößern wollen. Daß sie auf Märkte außerhalb der Gemeinschaft exportiert habe, habe nichts mit effektiver Angebotskontrolle zu tun, sondern entspreche den einfachsten Regeln marktkonformen Verhaltens. Die von ihr betriebene "Preis-vor-Menge" -Politik habe auf einer autonomen Entscheidung beruht, mit der ein Verfall des gesamten Preisniveaus auf dem Gemeinschaftsmarkt habe verhindert werden sollen.
[86] 85. Darüber hinaus hätten sich auch die Marktanteile der verschiedenen Hersteller einschließlich ihrer eigenen verändert. Die Kommission erkläre die Schwankungen der Marktanteile zu Unrecht damit, daß sie nicht statisch gewesen, sondern in regelmäßigen Abständen angepaßt und neu ausgehandelt worden seien und daß die Gespräche über die Marktanteile jedes Jahr auf einer neuen Basis wieder aufgenommen worden seien. Weder hierfür noch für die Behauptung der Kommission, daß die Hersteller, die ihren Marktanteil ausgeweitet hätten, zur Ordnung gerufen worden seien, gebe es einen Beweis.
[87] 86. Drittens äußert sich die Klägerin zu den Abstellzeiten und zur Entwicklung der Produktionsmengen.
[88] 87. Zunächst habe die Kommission nicht hinreichend berücksichtigt, daß der europäische Kartonmarkt ein Käufermarkt sei. Die Klägerin beschreibt in diesem
Zusammenhang das auf diesem Markt bestehende Verhältnis zwischen Herstellern und Kunden.
[89] 88. Auch für eine Verständigung der großen Hersteller über die Abstellzeiten habe die Kommission nicht den geringsten Beweis geliefert. Diese Behauptungen beruhten nur auf einigen vagen Andeutungen in der zweiten Aussage von Stora. Ferner habe die Kommission nie auf das Vorbringen der Klägerin geantwortet, daß sie ihre Produktionskapazitäten stets voll genutzt habe, obwohl dieses Vorbringen durch eine ihrer Klageschrift beigefügte Übersicht über die Auslastung ihrer Kapazitäten bestätigt werde. Die für das Jahr 1990 in den Fabriken des Mayr-Melnhof-Konzerns festgestellten tatsächlichen Abstellzeiten der Maschinen seien durch die Inbetriebnahme einer neuen Maschine, Wartungsarbeiten, Tests und Umstellungsarbeiten bedingt gewesen.
[90] 89. Die Kommission verweist zur Entgegnung auf das Vorbringen der Klägerin im wesentlichen auf die in der Entscheidung enthaltenen Feststellungen zur "Preis-vor-Menge" -Politik (Randnrn. 51 bis 60). Sie verweist ferner auf die zweite Aussage von Stora (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, insbesondere S. 3, 12, 14 und 15).
[91] 90. Speziell zum "Einfrieren" der bestehenden Marktanteile der führenden Hersteller trägt die Kommission vor, dies sei ein notwendiger Bestandteil der "Preis-vor-Menge" -Politik gewesen, der zur Kontrolle der tatsächlichen Mengenpolitik der Kartellmitglieder gedient habe. Den Beweis für das Vorliegen einer Absprache über das "Einfrieren" der Marktanteile liefere insbesondere die bei FS-Karton gefundene vertrauliche Aktennotiz (Anlage 73 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte). In der Entscheidung werde überdies eine ganze Reihe weiterer Beweismittel erwähnt, auf die die Klägerin überhaupt nicht eingehe und die die Angaben in der zweiten Aussage von Stora und in der vertraulichen Aktennotiz von FS-Karton genauestens bestätigten (vgl. Randnrn. 84, 87, 94 und 95 der Entscheidung sowie die dort behandelten Unterlagen).
[92] 91. In bezug auf die Aussagen von Stora wiederholt die Kommission, daß eine Willensübereinstimmung über ein künftiges Marktverhalten gegen Artikel 85 des Vertrages verstoße. Die fraglichen Aussagen würden in allen wichtigen Punkten durch andere Dokumente bestätigt, und daher bestehe kein Anlaß, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Im übrigen habe es zwischen ihr und Stora keine Vereinbarung über die Höhe der Geldbuße und den aufgrund ihrer Kooperation zu erwartenden Nachlaß gegeben.
[93] 92. Zum Ausbau der Kapazitäten der Klägerin weist die Kommission darauf hin, daß der Kartonverbrauch in Westeuropa zwischen 1987 und 1990 um 18, 6 % gestiegen sei, so daß ein gewisser Kapazitätsausbau in der Branche zur Deckung der gestiegenen Nachfrage erforderlich gewesen sei. Dieser Kapazitätsausbau, der u. a. durch die Inbetriebnahme einer neuen Maschine bei FS-Karton erfolgt sei, sei jedoch nicht zwangsläufig mit einer Verschiebung der Marktanteile verbunden gewesen.
[94] 93. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß die mit der bei FS-Karton neu geschaffenen Kapazität erzeugten Waren auf dem Gemeinschaftsmarkt abgesetzt worden seien. Nach den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen sei ihr Marktanteil zwischen 1987 und 1991 bei GD-Sorten nur um 0, 6 % und bei GC-Sorten nur um 0, 3 % gestiegen, und die bei FS-Karton neu geschaffene Kapazität habe nicht zu einer Ausweitung ihrer Marktanteile geführt. Wie die Klägerin selbst eingeräumt habe, habe sie in Drittländer exportiert, um einen Preisverfall auf dem Gemeinschaftsmarkt zu verhindern; dies stimme exakt mit den Zielen der "Preis-vor-Menge" -Politik überein.
[95] 94. Im übrigen hätte auch eine Ausweitung der Marktanteile der Klägerin deren Teilnahme an Gesprächen nicht entschuldigt, in deren Verlauf die Marktanteile der führenden Kartonhersteller jedes Jahr neu festgelegt worden seien (Randnr. 60 der Entscheidung).
[96] 95. In bezug auf die Produktionsunterbrechungen schließlich zeigten die von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen, daß namentlich 1990 der Auslastungsgrad einiger Werke gegenüber den Vorjahren deutlich gesunken sei und daß 1991 auch der Auslastungsgrad des Werkes Hirschwang erheblich unter dem der Vorjahre gelegen habe.
[97] 96. Es sei ohnehin unerheblich, ob die Klägerin tatsächlich mit voller Auslastung produziert habe. Da es sich um ein komplexes System von Absprachen gehandelt habe, das u. a. zur Kontrolle des Angebots und zur Marktaufteilung in der Gemeinschaft gedient habe, und da die Klägerin an den Sitzungen des PWG teilgenommen habe, bei denen die fragliche Politik festgelegt worden sei, sei ihr vielmehr der gesamte Kartellverstoß der Hersteller zuzurechnen (vgl. Urteile des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-13/89, ICI/Kommission, Slg. 1992, II-1021, Randnrn. 256 bis 261 und 305, und in der Rechtssache Hercules Chemicals/Kommission, Randnr. 272).
Würdigung durch das Gericht
1. Zum Vorliegen einer Absprache über das Einfrieren der Marktanteile und einer Absprache über die Angebotskontrolle
[98] 97. Nach Artikel 1 der Entscheidung haben die in dieser Bestimmung genannten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich im Referenzzeitraum an einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft "sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten" und "in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen".
[99] 98. Nach Ansicht der Kommission wurden diese beiden Formen von Absprachen, die in der Entscheidung unter der Überschrift "Mengenkontrollen" behandelt werden, im Referenzzeitraum von den Teilnehmern an den Sitzungen des PWG eingeführt. Aus Randnummer 37 Absatz 3 der Entscheidung geht nämlich hervor, daß der eigentliche Auftrag des PWG nach der Darstellung von Stora "die Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen und Kapazitäten" umfaßte.
[100] 99. Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Marktanteile wird in der Entscheidung (Randnr. 37 Absatz 5) folgendes ausgeführt: "Im Zusammenhang mit den Preiserhöhungsinitiativen führte der PWG ausführliche Diskussionen über die Marktanteile, die die nationalen Gruppierungen und einzelne Herstellergruppen in Westeuropa innehaben. Das Ergebnis waren eine Reihe von 'Vereinbarungen' zwischen den Teilnehmern über ihre jeweiligen Marktanteile, die sicherstellen sollten, daß die konzertierten Preisinitiativen nicht durch ein die Nachfrage überschreitendes Angebot gefährdet werden. So einigten sich die großen Herstellergruppen darauf, ihre Marktanteile auf den Niveaus zu belassen, wie sie aus den jährlichen Produktions- und Verkaufszahlen resultierten, die jeweils im März des darauffolgenden Jahres über die FIDES bekanntgegeben wurden. Auf jeder PWG-Sitzung wurde die Entwicklung der Marktanteile auf der Grundlage der monatlichen FIDES-Meldungen analysiert; bei größeren Schwankungen wurden von den vermuteten Schuldigen Erklärungen verlangt."
[101] 100. In Randnummer 52 der Entscheidung heißt es: "Die 1987 im PWG erzielte Vereinbarung umfaßte auch ein 'Einfrieren' der Marktanteile der führenden Hersteller in Westeuropa auf dem erreichten Niveau, ohne daß Versuche unternommen wurden, neue Kunden zu gewinnen oder durch aggressive Preispolitik bestehende Geschäftsbeziehungen auszubauen."
[102] 101. Nach Randnummer 56 Absatz 1 der Entscheidung bestand die "Grundvereinbarung zwischen den führenden Herstellern über das Einfrieren ihrer Marktanteile … während des gesamten von der vorliegenden Entscheidung erfaßten Zeitraums weiter". In Randnummer 57 heißt es: "Die 'Entwicklung der Marktanteile' wurde auf jeder PWG-Sitzung auf der Grundlage vorläufiger Statistiken analysiert …" Schließlich wird in Randnummer 56 letzter Absatz folgendes ausgeführt: "Die Unternehmen, die an den Beratungen über die Marktanteile teilnahmen, waren die gleichen wie die Mitglieder des PWG, nämlich Cascades, Finnboard, KNP (bis 1988), [Mayr-Melnhof], MoDo, Sarrió, die beiden zur Stora-Gruppe gehörenden Hersteller CBC und Feldmühle und (ab 1988) Weig."
[103] 102. Die Kommission hat das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Marktanteile ordnungsgemäß nachgewiesen.
[104] 103. Die Analyse der Kommission beruht im wesentlichen auf den Aussagen von Stora (Anlagen 39 und 43 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) und wird durch Anlage 73 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte bestätigt.
[105] 104. In Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte erläutert Stora: "Der PWG trat ab 1986 zusammen, um bei der Einführung von Marktdisziplin zu helfen … Neben anderen (legitimen) Tätigkeiten bestand sein Zweck in der Erörterung und Abstimmung hinsichtlich der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen, Nachfrage und Kapazität. Zu seiner Rolle gehörte es, die genaue Angebots- und Nachfragesituation auf dem Markt sowie die beim Versuch, Ordnung in den Markt zu bringen, zu treffenden Maßnahmen zu beurteilen und der Präsidentenkonferenz zu erläutern."
[106] 105. Zur Absprache über die Marktanteile führt Stora aus: "Die von nationalen Gruppen in EG-, EFTA- und anderen Ländern, die von Mitgliedern der PG Karton beliefert wurden, übernommenen Anteile wurden im PWG geprüft … [Der PWG] erörterte … die Möglichkeit, die Marktanteile auf dem Niveau des Vorjahrs zu halten" (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 19). Ferner gab sie folgendes an (gleiches Dokument, Punkt 6): "Auch die europäischen Marktanteile der Hersteller wurden in diesem Zeitraum erörtert, wobei das Niveau von 1987 den ersten Referenzzeitraum darstellte."
[107] 106. In ihrer am 14. Februar 1992 übersandten Antwort auf ein Ersuchen der Kommission vom 23. Dezember 1991 (Anlage 43 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) fügte Stora hinzu: "Die Verständigungen der PWG-Mitglieder über das Niveau der Marktanteile bezogen sich auf Europa als Ganzes. Die Verständigungen beruhten auf den Gesamtzahlen des Vorjahrs, die in der Regel im März des Folgejahrs endgültig verfügbar waren" (Punkt 1. 1).
[108] 107. Diese Behauptung wird im selben Dokument mit folgenden Worten bestätigt: "[D] ie Erörterungen [führten] in der Regel im März jeden Jahres zu Verständigungen zwischen den Mitgliedern des PWG über die Beibehaltung ihrer Marktanteile auf dem Niveau des Vorjahrs" (Punkt 1. 4). Stora führt aus: "Es wurden keine Maßnahmen getroffen, um die Einhaltung der Verständigungen sicherzustellen …" Den Teilnehmern an den Sitzungen des PWG sei bewußt gewesen, "daß, wenn sie sich auf bestimmten von anderen belieferten Märkten ungewöhnlich verhielten, diese anderen auf anderen Märkten Vergeltung üben könnten" (gleicher Punkt).
[109] 108. Schließlich erklärt Stora, daß die Klägerin an den Erörterungen der Marktanteile teilgenommen habe (Punkt 1. 2).
[110] 109. Die Behauptungen von Stora hinsichtlich der Absprache über die Marktanteile werden durch Anlage 73 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte untermauert. Dieses bei FS-Karton gefundene Schriftstück ist eine vertrauliche Aktennotiz des für die Verkaufsaktivitäten der Mayr-Melnhof/FS-Karton-Gruppe in Deutschland zuständigen Verkaufsleiters (Herrn Katzner) an den Geschäftsführer von Mayr-Melnhof in Österreich (Herrn Gröller) vom 28. Dezember 1988, die die Marktsituation betrifft.
[111] 110. Nach diesem in den Randnummern 53 bis 55 der Entscheidung behandelten Schriftstück gab es bei der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit im "Präsidentenkreis" "Gewinner und Verlierer". Der Verfasser der Aktennotiz zählt die Klägerin u. a. aus folgenden Gründen zu den Verlierern: "2.) Eine Einigung konnte nur durch unsere "Bestrafung" erzielt werden – man verlangte von uns "Opfer". 3.) Die 1987-Marktanteile sollten "eingefroren", die bestehenden Kontakte beibehalten und keine neuen Aktivitäten und Sorten über den Preis gewonnen werden (im Januar 1989 wird sich ja das Resultat zeigen – wenn alle ehrlich sind)."
[112] 111. Diese Ausführungen sind im allgemeineren Kontext der Aktennotiz zu sehen.
[113] 112. Insoweit verweist ihr Verfasser einleitend auf die engere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene im "Präsidentenkreis". Dieser Ausdruck ist nach der Auslegung der Klägerin eine gemeinsame Bezeichnung für PWG und PK in allgemeinem Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes Ereignis oder Treffen (Anlage 75 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 2. a).
[114] 113. Der Verfasser führt sodann aus, daß diese Zusammenarbeit zu "Preisdisziplin" geführt habe, bei der es "Gewinner und Verlierer" gegeben habe.
[115] 114. Folglich sind die Ausführungen zu den auf dem Niveau von 1987 einzufrierenden Marktanteilen im Kontext dieser vom "Präsidentenkreis" beschlossenen Preisdisziplin zu verstehen.
[116] 115. Außerdem steht die Verweisung auf 1987 als Referenzjahr mit der zweiten Aussage von Stora (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte; siehe oben, Randnr. 105) im Einklang.
[117] 116. Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Lieferkontrolle, die durch die Prüfung der Abstellzeiten der Maschinen gekennzeichnet war, heißt es in der Entscheidung, daß der PWG bei der Durchsetzung der Abstellzeiten eine entscheidende Rolle gespielt habe, als ab 1990 die Produktionskapazität zugenommen habe und die Nachfrage gesunken sei: "Von Anfang 1990 an [hielt es] die Branche … für erforderlich …, sich im Rahmen des PWG über Abstellzeiten zu verständigen. Die großen Hersteller räumten ein, daß sie die Nachfrage nicht durch Preissenkungen steigern konnten und daß die Aufrechterhaltung der vollen Produktion lediglich einen Preisrückgang bewirken würde. Theoretisch ließ sich anhand der Kapazitätsberichte errechnen, wie lange die Maschinen abgestellt werden mußten, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen" (Randnr. 70 der Entscheidung).
[118] 117. Ferner heißt es in der Entscheidung: "Der PWG wies jedoch nicht formell jedem Hersteller seine 'Abstellzeiten' zu. Laut Stora bestanden praktische Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für Abstellzeiten für alle Hersteller aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut Stora nur 'ein loses System der Ermutigung'" (Randnr. 71 der Entscheidung).
[119] 118. Die Kommission hat das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Produktionsunterbrechungen hinreichend nachgewiesen.
[120] 119. Die von ihr vorgelegten Unterlagen stützen ihre Analyse.
[121] 120. In ihrer zweiten Aussage (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 24) führt Stora aus: "Mit der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den PWG und der allmählichen Anwendung eines einheitlichen Preissystems ab 1988 erkannten die Mitglieder des PWG an, daß Abstellzeiten erforderlich sein würden, um diese Preise angesichts geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne Abstellzeiten hätten die Hersteller vereinbarte Preisniveaus angesichts zunehmender Überkapazität nicht halten können."
[122] 121. Im folgenden Punkt ihrer Erklärung fügt sie hinzu: 51988 und 1989 konnte die Industrie mit nahezu voller Kapazität arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen Schließung wegen Reparaturen und Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich … Schließlich waren Abstellzeiten nötig, wenn der Auftragseingang stockte, um die Preis-vor-Menge-Politik aufrechtzuerhalten. Die Länge der von den Herstellern (zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch) einzuhaltenden Abstellzeit konnte anhand der Kapazitätsberichte errechnet werden. Der PWG nahm keine formelle Zuweisung von Abstellzeiten vor, obwohl ein loses System der Ermutigung bestand …"
[123] 122. Die in Anlage 73 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte vom Verfasser genannten Gründe dafür, daß er die Klägerin bei Abfassung der Aktennotiz als "Verlierer" ansah, stellen wichtige Beweise für das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Abstellzeiten dar.
[124] 123. Der Verfasser stellt nämlich folgendes fest: "4.) Und an dieser Stelle beginnt die unterschiedliche Auffassung der Beteiligten über das Gewollte. … c) Alle Außendienstler und europäischen Vertreter wurden von ihren Mengenbudgets entbunden, und es wurde eine fast lückenlose, harte Preispolitik vertreten (die Mitarbeiter verstanden oftmals unsere geänderte Einstellung zum Markt nicht – früher wurde nur Tonnage gefordert und jetzt nur Preisdisziplin mit der Gefahr, die Maschinen abzustellen)."
[125] 124. Die Klägerin macht in Anlage 75 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte und in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen (siehe oben, Randnr. 80) geltend, daß die Aktennotiz und folglich der oben wiedergegebene Abschnitt einen unternehmensinternen Sachverhalt betreffe. Bei einer Analyse im allgemeineren Kontext der Aktennotiz läßt dieser Auszug jedoch erkennen, daß auf der Ebene des Verkaufspersonals eine im "Präsidentenkreis" beschlossene rigorose Politik durchgesetzt wurde. Das Schriftstück ist somit dahin auszulegen, daß die Teilnehmer an der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit, d. h. zumindest die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, unbestreitbar die Folgen der beschlossenen Politik für den Fall erwogen haben, daß diese rigoros angewandt wird.
[126] 125. Der Umstand, daß die Hersteller bei der Vorbereitung der Preiserhöhungen die Prüfung der Abstellzeiten erörterten, wird u. a. durch Notizen von Rena vom 6. September 1990 (Anlage 118 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) bestätigt, in denen der Umfang der Preiserhöhungen in mehreren Ländern, die Zeitpunkte der künftigen Ankündigungen dieser Erhöhungen sowie die in Arbeitstagen ausgedrückten Auftragsbestände mehrerer Hersteller erwähnt werden.
[127] 126. Der Verfasser des Schriftstücks vermerkt, daß einige Hersteller Abstellzeiten vorsähen, die er z. B. wie folgt aufführt: "Kopparfors5 – 15 days 5/9 will stop for five days".
[128] 127. Die Klägerin, die an der Sitzung des JMC teilnahm, auf die sich die Notizen beziehen (Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung), wird in diesen Notizen mehrmals erwähnt. Insbesondere wird der Zeitpunkt angegeben, zu dem sie die Schreiben, in denen die Preiserhöhungen angekündigt wurden, abschicken sollte. Ferner heißt es dort: "Deiswill5 days (GC) 2. 5 weeks for GD plan to stop within 2 weeks step (?)"
[129] 128. Aus alledem ist zu schließen, daß der Kommission der Beweis für das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Marktanteile sowie einer Absprache dieser Unternehmen über die Abstellzeiten rechtlich gelungen ist. Da die Klägerin unstreitig an den Sitzungen des PWG teilnahm und da sie im hauptsächlichen Belastungsmaterial (den Aussagen von Stora und Anlage 73 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte) ausdrücklich erwähnt wird, hat die Kommission sie zu Recht für eine Teilnahme an diesen beiden Absprachen zur Verantwortung gezogen.
[130] 129. Die Einwände der Klägerin gegen die Aussagen von Stora, mit denen deren Beweiswert in Abrede gestellt wird, sind nicht geeignet, diese Feststellung zu entkräften.
[131] 130. Es steht nämlich fest, daß die Aussagen von Stora von einem der Unternehmen stammen, die an der geltend gemachten Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sein sollen, und daß sie eine eingehende Beschreibung der Art der Erörterungen in den Gremien der PG Karton, des von den ihr angehörenden Unternehmen verfolgten Zieles sowie der Teilnahme dieser Unternehmen an den Sitzungen ihrer verschiedenen Gremien enthalten. Da dieses zentrale Beweismittel durch andere Aktenstücke bestätigt wird, stellt es eine stichhaltige Stütze des Vorbringens der Kommission dar.
[132] 131. Da die Kommission das Vorliegen der beiden fraglichen Absprachen nachgewiesen hat, brauchen die Einwände der Klägerin gegen Anlage 113 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht geprüft zu werden.
2. Zum tatsächlichen Verhalten der Klägerin
[133] 132. Auch dem Vorbringen der Klägerin, daß ihr tatsächliches Marktverhalten nicht den Behauptungen der Kommission zum Vorliegen der beiden streitigen Absprachen entspreche, kann nicht gefolgt werden.
[134] 133. Erstens darf die Existenz von Absprachen der Mitglieder des PWG über die beiden Aspekte der "Preis-vor-Menge" -Politik nicht mit deren Durchführung verwechselt werden. Die von der Kommission vorgelegten Beweise haben nämlich ein solches Gewicht, daß Informationen über das tatsächliche Marktverhalten der Klägerin keinen Einfluß auf die Ergebnisse haben können, zu denen die Kommission hinsichtlich des Vorliegens von Absprachen über die beiden Aspekte der streitigen Politik gelangt ist. Die Behauptungen der Klägerin könnten allenfalls als Beleg dafür dienen, daß ihr Verhalten nicht dem entsprach, was die dem PWG angehörenden Unternehmen vereinbart hatten.
[135] 134. Zweitens stehen die Ergebnisse, zu denen die Kommission gelangt ist, nicht im Widerspruch zu den von der Klägerin erteilten Auskünften. Die Kommission räumt ausdrücklich ein, daß die Absprache über die Marktanteile "kein formelles System von Strafen oder Kompensationsmaßnahmen, um die in der Frage der Marktanteile erzielte Einigung durchzusetzen," einschloß und daß die Marktanteile einzelner großer Hersteller von Jahr zu Jahr wuchsen (vgl. insbesondere Randnrn. 59 und 60 der Entscheidung). Außerdem räumt die Kommission ein, daß die Industrie bis Anfang 1990 mit voller Kapazitätsauslastung arbeitete, so daß bis dahin praktisch keine Abstellzeiten notwendig wurden (Randnr. 70 der Entscheidung).
[136] 135. Drittens ist nach ständiger Rechtsprechung die Tatsache, daß sich ein Unternehmen den Ergebnissen von Sitzungen mit offensichtlich wettbewerbsfeindlichem Gegenstand nicht beugt, nicht geeignet, es von seiner vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten, wenn es sich nicht offen vom Inhalt der Sitzungen distanziert hat (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-141/89, Tréfileurope/Kommission, Slg. 1995, II-791, Randnr. 85). Selbst wenn man annimmt, daß das Marktverhalten der Klägerin nicht dem vereinbarten Verhalten entsprach und daß sie insbesondere, wie sie geltend macht, ihre Produktionskapazität im Jahr 1990 voll ausnutzte, ändert dies somit nichts an ihrer Verantwortlichkeit für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages.
3. Zur rechtlichen Einordnung der Absprache über das Einfrieren der Marktanteile und der Absprache über die Angebotskontrolle
[137] 136. Auf die Frage nach der rechtlichen Einordnung der Absprache über das Einfrieren der Marktanteile und der Absprache über die Angebotskontrolle ist im Rahmen des Klagegrundes des Fehlens eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs (nachstehend Randnrn. 137 ff.) einzugehen.
Zum Klagegrund des Fehlens eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs
Vorbringen der Parteien
[138] 137. Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe keinen Beweis für die Existenz einer Vereinbarung über einen gemeinsamen Branchenplan zur Einschränkung des Wettbewerbs geliefert. Sie stützt sich in diesem Zusammenhang im wesentlichen auf ihr Vorbringen im Rahmen der beiden vorangegangenen Klagegründe.
[139] 138. Außerdem werde aus dem Vorwurf, daß ein solcher Plan bestanden habe, nicht deutlich, worin der gerügte Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages bestehen solle. Es habe keine für die Beteiligten verbindliche Vereinbarung gegeben, die sie zur Befolgung eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs verpflichtet hätte (zum Begriff der Vereinbarung siehe oben, Randnrn. 54 ff.).
[140] 139. Die Kommission antwortet auf den vorliegenden Klagegrund im Rahmen ihres Vorbringens zum Klagegrund des Fehlens einer Preisabsprache (siehe oben, Randnrn. 58 ff.).
Würdigung durch das Gericht
[141] 140. Wie oben festgestellt, haben sich die dem PWG angehörenden Unternehmen an einer Absprache über die Marktanteile, einer Absprache über die Abstellzeiten und einer Preisabsprache beteiligt.
[142] 141. Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die dort genannten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich im fraglichen Zeitraum an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, nach der sich die Kartonanbieter in der Gemeinschaft u. a. "regelmäßig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs trafen".
[143] 142. In der Begründung der Entscheidung heißt es: 5 [1987] wies die vertragswidrige Handlung … mit der Konkretisierung der fortschreitenden Absprache der Hersteller im Rahmen des sogenannten "Preis-vor-Menge"-Systems alle Merkmale einer vollen "Vereinbarung" im Sinne von Artikel 85 auf" (Randnr. 131 Absatz 1).
[144] 143. Die Kommission hat die verstärkte Zusammenarbeit der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG ab Ende 1987 zu Recht als Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 des Vertrages eingestuft. Diese Unternehmen brachten nämlich ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (vgl. u. a. die oben in Randnr. 65 genannten Urteile). Nach dem Vorstehenden brachten sie ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck, einheitliche und gleichzeitige Preiserhöhungen vorzunehmen, durch die Prüfung von Produktionsunterbrechungen das Angebot zu kontrollieren und ihre Marktanteile vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen konstant zu halten.
[145] 144. In bezug auf den Zeitraum von Mitte 1986 bis Ende 1987 führt die Kommission in der Entscheidung aus (Randnr. 132): "Auch wenn die Absprache zwischen den Herstellern wahrscheinlich erst Ende 1987 in das volle 'Preis-vor-Menge'-System einmündete, bedeutet dies nicht, daß das Verhalten der Hersteller in den vorhergehenden 18 Monaten nicht unter die Anwendung von Artikel 85 fällt." Da davon auszugehen ist, daß die Absprache über die Abstellzeiten und die Absprache über die Marktanteile Ende 1987 begannen, kann sich diese Äußerung der Kommission nur auf die Preisabsprache beziehen.
[146] 145. Die Klägerin bestreitet nicht, an einer die Preise betreffenden abgestimmten Verhaltensweise teilgenommen zu haben (siehe oben, Randnr. 55), so daß die Richtigkeit dieser Qualifizierung nicht geprüft zu werden braucht.
[147] 146. Da kein Argument der Klägerin durchgreift, ist der Klagegrund abzuweisen.
Zum Klagegrund der Rechtmäßigkeit des Informationsaustauschsystems der FIDES
Vorbringen der Parteien
[148] 147. Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe zu Unrecht angenommen, daß das Informationsaustauschsystem der FIDES bei der Umsetzung der angeblichen Quoten- und Mengenabsprachen eine wesentliche Rolle gespielt habe. Die der FIDES im Rahmen des Informationsaustauschsystems übermittelten Daten seien nämlich landesweit zusammengefaßt worden und hätten sich deshalb nicht zur Kontrolle einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise geeignet.
[149] 148. Die von der FIDES bearbeiteten Daten über den Auftragsbestand hätten den Herstellern nur einen Überblick über die Gesamtverfassung des Marktes geben können. Der Austausch der zusammengefaßten Daten, die sich nur auf abgeschlossene Aufträge bezogen hätten, habe den Wettbewerb nicht beeinträchtigen können. Er habe vielmehr als Grundlage für die individuellen Dispositionen der Hersteller (Abstellen von Maschinen, Absatz auf Drittlandsmärkten usw.) gedient.
[150] 149. Die von der FIDES verteilten Kapazitätsberichte hätten im wesentlichen nur Daten enthalten, die bereits auf dem Markt bekannt gewesen und in ohnehin verfügbaren und allgemein zugänglichen Kompendien wiedergegeben worden seien.
[151] 150. Die Kommission führt aus, die ausgetauschten Informationen seien für die Planung eines abgestimmten Preis- und Mengenverhaltens der gesamten Branche verwendet worden (Randnr. 134 der Entscheidung).
[152] 151. Darüber hinaus hätten die Kapazitätsdaten den Kartonherstellern in Verbindung mit den Daten über den Auftragsbestand die Ermittlung der Auslastung der Branche ermöglicht. Die Daten über den Auftragsbestand seien aber den Kunden nicht zugänglich gewesen, so daß es keine generelle Markttransparenz gegeben habe. Zudem sei bei der Beurteilung der Bedeutung der Kapazitätsberichte der gesamte Datenaustausch zu berücksichtigen.
[153] 152. Ein Informationsaustausch, der für Kartellzwecke eingesetzt werde, falle als solcher unter Artikel 85 des Vertrages. Es sei daher irrelevant, inwieweit die Auftragsstatistiken individualisierbare Daten enthalten hätten.
Würdigung durch das Gericht
[154] 153. Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die darin genannten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich an einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die sie u. a. "als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen [d. h. einer Preisabsprache, einer Absprache über die Marktanteile und einer Absprache über die Abstellzeiten] Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten".
[155] 154. In bezug auf das Informationsaustauschsystem der FIDES ist die Entscheidung angesichts ihres verfügenden Teils und ihrer Randnummer 134 Absatz 3 dahin auszulegen, daß die Kommission den Verstoß dieses Systems gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das festgestellte Kartell stützte.
[156] 155. Gemäß Randnummer 134 Absatz 3 der Entscheidung handelte es sich beim Informationsaustauschsystem der FIDES um "eine wichtige Hilfe bei -der laufenden Beobachtung der Entwicklung der Marktanteile; -der laufenden Beobachtung der Angebots- und Nachfragesituation im Hinblick auf die Erhaltung der vollen Kapazitätsauslastung; -den Entscheidungen darüber, ob abgestimmte Preiserhöhungen vorgenommen werden könnten; -der Planung der notwendigen Abstellzeiten".
[157] 156. Ferner wurden der Entscheidung zufolge die FIDES-Statistiken im Rahmen des PWG geprüft und erörtert. In Randnummer 57 Absatz 1, wo auch auf Randnummer 63 verwiesen wird, heißt es: "Die 'Entwicklung der Marktanteile' wurde auf jeder PWG-Sitzung auf der Grundlage vorläufiger Statistiken analysiert …" Darüber hinaus wird in Randnummer 69 Absatz 1 ausgeführt: "Durch Vergleich des wöchentlichen Auftragsbestands mit der verfügbaren Kapazität konnte sich der PWG ein Bild von der globalen Nachfragesituation in der Kartonindustrie machen."
[158] 157. Diese Behauptungen der Kommission sind als bewiesen anzusehen.
[159] 158. Erstens bestreitet die Klägerin nicht, daß die FIDES-Statistiken im PWG erörtert wurden.
[160] 159. Zweitens hat die Kommission zu Recht die Ansicht vertreten, daß die FIDES-Statistiken in diesem Gremium zur "laufenden Beobachtung der Entwicklung der Marktanteile" (Randnr. 134 Absatz 3, erster Gedankenstrich) und zur "laufenden Beobachtung der Angebots- und Nachfragesituation im Hinblick auf die Erhaltung der vollen Kapazitätsauslastung" sowie zur "Planung der notwendigen Abstellzeiten" (Randnr. 134 Absatz 3, zweiter und vierter Gedankenstrich) verwendet worden seien.
[161] 160. In bezug auf die Verwendung der FIDES-Statistiken zur "laufenden Beobachtung der Entwicklung der Marktanteile" hat Stora folgendes eingeräumt: "Wenn sich aus der Analyse der Statistiken ergab, daß sich das Absatzniveau bei den nationalen Gruppierungen zu stark veränderte, ermunterten sich die Mitglieder des PWG … gegenseitig und übernahmen die Verpflichtung, Fluktuationen auf den nationalen Märkten einzudämmen" (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 19).
[162] 161. Ferner heißt es in Anlage 43 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte (Punkt 1. 1): "Fluktuationen der Belieferung nationaler Märkte wurden bei jedem PWG (d. h. alle zwei bis drei Monate) auf der Grundlage der FIDES-Schnellstatistiken … geprüft und erörtert. Diese wurden monatlich mit einer Gesamtsumme pro Kalenderjahr und nicht pro laufendem Jahr erstellt. In den Statistiken auftauchende Fluktuationen gaben die endgültige Situation am Jahresende nicht unbedingt genau wieder und waren nicht sehr verläßlich. Es war für die im PWG vertretenen großen Hersteller nicht sinnvoll, die Marktanteile auf nationaler Ebene im einzelnen zu erörtern, da die Hersteller nicht in der Lage waren, den endgültigen Bestimmungsort ihrer Lieferungen zu ermitteln … Die Verständigungen der PWG-Mitglieder über das Niveau der Marktanteile bezogen sich auf Europa als Ganzes. Die Verständigungen beruhten auf den Gesamtzahlen des Vorjahrs, die in der Regel im März des Folgejahrs endgültig verfügbar waren."
[163] 162. In bezug auf die Verwendung der FIDES-Statistiken zur "laufenden Beobachtung der Angebots- und Nachfragesituation im Hinblick auf die Erhaltung der vollen Kapazitätsauslastung" und zur "Planung der notwendigen Abstellzeiten" ist auf die Aussage von Stora (Anlage 39 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 5) zu verweisen, in der es heißt: "Verbunden mit der Preisinitiative von 1987 war das Erfordernis, ein annäherndes Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch aufrechtzuerhalten (Preis-vor-Menge-Politik). 1988 und 1989 arbeiteten die Hersteller mit voller oder nahezu voller Auslastung. 1990 begannen die Hersteller infolge des Zusammentreffens von erhöhter Kapazität und geringerer Nachfragesteigerung mit Abstellzeiten, um das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch aufrechtzuerhalten … Die Hersteller konnten aus den jährlichen Kapazitätsberichten ableiten, wie lang die Abstellzeiten sein mußten, und ermunterten sich gegenseitig, zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch ausreichende Abstellzeiten einzulegen … [N] icht alle Hersteller legten in dieser Weise Abstellzeiten ein, so daß einige – in der Regel die größeren – Hersteller in dem Bestreben, das Preisniveau zu erhalten, einen verhältnismäßig größeren Tonnageverlust erlitten" (ebenso Punkt 25 dieses Schriftstücks).
[164] 163. Die Aussagen von Stora werden durch die Anlagen 73 und 75 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte mittelbar gestützt. Aus Anlage 73 (siehe oben, Randnrn. 109 ff.) geht hervor, daß der für die Verkaufsaktivitäten der Mayr-Melnhof/FS-Karton-Gruppe in Deutschland zuständige Verkaufsleiter (Herr Katzner) dem Geschäftsführer der Klägerin in Österreich eine Änderung des damals geltenden Informationsaustauschsystems der FIDES vorschlug (S. 5, Punkt 5, unter der Überschrift "Kontrolle"). In Anlage 75 (S. 11), der Antwort der Klägerin auf ein Auskunftsverlangen, heißt es: "Die FIDES-Regeln sind später in etwa im Sinne der in Anlage [73] enthaltenen Vorschläge geändert worden" (siehe auch Randnr. 63 Absatz 2 der Entscheidung). Da Anlage 73 allgemein gehalten ist, ist die Anregung von Herrn Katzner zur Änderung des Informationsaustauschsystems der FIDES dahin zu verstehen, daß dieses System keine ausreichende Kontrolle der Entwicklung der Marktanteile und/oder der Prüfung der Abstellzeiten ermöglichte und deshalb verbessert werden sollte, um eine größere Kontrolle zu gewährleisten.
[165] 164. In Anbetracht dieser Beweise sowie der Tatsache, daß die Kommission zu Recht von einer Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten und einer Absprache über die Marktanteile im PWG ausgegangen ist, ist der vorliegende Klagegrund abzuweisen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung
Vorbringen der Parteien
[166] 165. Die Klägerin trägt hinsichtlich des Verbotes eines künftigen Informationsaustauschs in erster Linie vor, Artikel 2 der Entscheidung sei zu ungenau und allgemein formuliert, als daß beurteilt werden könne, welche Arten von Daten künftig ausgetauscht werden dürften. Fast jedes Informationsaustauschsystem scheine nämlich unter dieses Verbot fallen zu können.
[167] 166. Darüber hinaus sei Artikel 2 der Entscheidung insofern gegenstandslos, als er Maßnahmen betreffe, die nach der Reorganisation des Informationsaustauschsystems und der Gründung von CEPI-Cartonboard aufgegeben worden seien (vgl. Randnr. 106 der Entscheidung).
[168] 167. Hilfsweise trägt die Klägerin vor, Artikel 2 der Entscheidung müsse insoweit für nichtig erklärt werden, als er den Austausch aller Daten über die Auftragseingänge und die Auftragslage auch in globaler Form, d. h. rein statistischer Daten, verbiete (vgl. die Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen [ABl. 1968, C 75, S. 3, berichtigt im ABl. 1968, C 84, S. 14], und den Siebten Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nr. 7).
[169] 168. Der Austausch solcher Informationen stehe nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz, daß jeder Unternehmer autonom zu bestimmen habe, welche Politik er auf dem Markt zu betreiben gedenke (Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-4/89, BASF/Kommission, Slg. 1991, II-1523, Randnr. 240). Der Austausch rein vergangenheitsbezogener und nicht individualisierbarer Daten verstoße nur dann gegen den Vertrag, wenn er mit einer weitergehenden Kooperation der Unternehmen verbunden sei.
[170] 169. Schließlich habe Artikel 2 der Entscheidung präjudizielle Wirkung für das Schicksal des der Kommission von CEPI-Cartonboard notifizierten Informationsaustauschsystems. Wenn eine solche Notifizierung erfolge, müsse die Kommission prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Freistellung gegeben seien. Das von CEPI-Cartonboard notifizierte Informationsaustauschsystem betreffe aber gerade den Austausch vergangenheitsbezogener Daten über Auftragseingänge und Auftragslage.
[171] 170. Die Kommission hält das Verbot des künftigen Informationsaustauschs nicht für zu unbestimmt. Es reiche nämlich aus, wenn sich aus dem Tenor und der Begründung der Entscheidung ergebe, welches wettbewerbswidrige Verhalten abzustellen sei (Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73, 55/73, 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnrn. 122 bis 124). Im vorliegenden Fall enthalte bereits Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a bis c der Entscheidung eine detaillierte Beschreibung der Art des unzulässigen Informationsaustauschs. Im übrigen seien die tatsächlichen Feststellungen zu den ausgetauschten Informationen in den Randnummern 61 bis 68, 105 und 106 der Entscheidung im einzelnen dargelegt worden. Ferner enthalte die Entscheidung eine genaue Darstellung der wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen des Informationsaustauschs (Randnrn. 134 und 166). Die Tragweite des Verbotes ergebe sich daher eindeutig aus Artikel 2 der Entscheidung in Verbindung mit ihrer Begründung.
[172] 171. In Artikel 2 Absätze 2 und 3 der Entscheidung werde nur dargelegt, wie ein zulässiger Informationsaustausch gestaltet werden könnte.
[173] 172. Das Verbot sei auch nicht zu weit gefaßt. Das Informationsaustauschsystem sei selbst nach den vom PWG am 27. November 1991 beschlossenen Änderungen mit Artikel 85 des Vertrages unvereinbar gewesen (vgl. Randnrn. 105 und 106 der Entscheidung). Bei der Beurteilung des Informationsaustauschs seien der hohe Konzentrationsgrad der Branche sowie der aus der bisherigen Zusammenarbeit in der PG Karton resultierende hohe Informationsstand der verschiedenen Unternehmen in bezug auf die Unternehmensstruktur und -politik zu berücksichtigen. Auf konzentrierten Märkten bestünden die Wettbewerbsreserven im wesentlichen in der Ungewißheit und Geheimhaltung zwischen den Hauptanbietern hinsichtlich der Marktbedingungen. Der Austausch von Daten über den Auftragsbestand in kurzen Zeitabständen bewirke aber ein so hohes Maß an künstlicher Markttransparenz, daß die Entfaltung der verbleibenden Wettbewerbsreserven letztlich verhindert werde.
[174] 173. Außerdem könnten durch den wöchentlichen Austausch von Statistiken über die Auftragseingänge zusammen mit den Kapazitätsberichten die Auslastung der Branche ermittelt und Produktionsunterbrechungen branchenweit geplant werden. Auf diese Weise könnten die Hersteller ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage aufrechterhalten und einem Preisverfall bei rückläufiger Nachfrage entgegenwirken. Für den Eintritt dieser Wirkungen spiele es keine Rolle, ob die Daten individualisiert seien oder ob sie sich auf bereits abgeschlossene Aufträge bezögen. Die Kommission sei daher zu Recht davon ausgegangen, daß ein Informationsaustausch über den Stand der Auftragseingänge und der Auftragslage auch in globaler Form gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoße; dieses Ergebnis entspreche den während des Ermittlungsverfahrens erlangten Informationen.
[175] 174. Schließlich unterscheide sich das von CEPI-Cartonboard notifizierte Informationsaustauschsystem von dem Informationsaustausch, der Gegenstand der Entscheidung sei, da CEPI-Cartonboard insbesondere einige Änderungen an seinem System vorgenommen habe, um Einwänden der Kommission Rechnung zu tragen. Sie habe daher die Frage einer eventuellen Freistellung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht zu erörtern brauchen.
Würdigung durch das Gericht
[176] 175. Artikel 2 der Entscheidung lautet: "Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen, den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen, a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen, oder b) durch den auch ohne Offenlegung individueller Informationen eine gemeinsame Reaktion der Branche auf wirtschaftliche Verhältnisse hinsichtlich der Preise oder der Kontrolle der Produktion gefördert oder erleichtert wird, oder c) durch die die Teilnehmer in die Lage versetzt werden könnten, die Erfüllung oder Beachtung ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarungen betreffend die Preise oder die Marktaufteilung in der Gemeinschaft zu überwachen. Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß es nicht nur alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln läßt, sondern auch alle Daten über den gegenwärtigen Stand der Auftragseingänge und der Auftragslage, die erwartete Kapazitätsausnutzung (in beiden Fällen auch in globaler Form) oder die Produktionskapazität jeder Maschine ausschließt. Ein eventueller Informationsaustausch beschränkt sich auf die Beschaffung und Verbreitung von Produktions- und Verkaufsstatistiken in globaler Form, die nicht dazu benutzt werden können, ein gemeinsames Geschäftsverhalten zu fördern oder zu erleichtern. Die Unternehmen nehmen außerdem von jedem Austausch weiterer wettbewerbsrelevanter Informationen über den zulässigen Informationsaustausch hinaus sowie von allen Treffen oder sonstigen Kontakten zur Erörterung des Aussagegehalts der ausgetauschten Informationen oder der möglichen oder wahrscheinlichen Reaktion der Branche oder einzelner Hersteller auf diese Informationen Abstand. Für die notwendigen Änderungen an einem etwaigen Informationsaustauschsystem wird eine Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung eingeräumt."
[177] 176. Wie sich aus Randnummer 165 der Entscheidung ergibt, wurde Artikel 2 der Entscheidung gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 erlassen. Nach dieser Bestimmung kann die Kommission u. a. dann, wenn sie eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages feststellt, die beteiligten Unternehmen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen.
[178] 177. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 das Verbot umfassen, bestimmte Tätigkeiten, Praktiken oder Sachverhalte fortzuführen oder fortdauern zu lassen, deren Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist (Urteile des Gerichtshofes vom 6. März 1974 in den Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, Randnr. 45, und vom 6. April 1995 in den Rechtssachen C-241/91 P und C-242/91 P, RTE und ITP/Kommission, Slg. 1995, I-743, Randnr. 90), aber auch das Verbot, sich künftig ähnlich zu verhalten (Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnr. 220).
[179] 178. Da die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 der festgestellten Zuwiderhandlung angepaßt sein muß, ist die Kommission außerdem befugt, den Umfang der Verpflichtungen anzugeben, die die betroffenen Unternehmen erfüllen müssen, damit die Zuwiderhandlung abgestellt wird. Derartige den Unternehmen auferlegte Verpflichtungen dürfen jedoch nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des angestrebten Zieles – Wiederherstellung der Legalität im Hinblick auf die verletzten Vorschriften – angemessen und erforderlich ist (Urteil RTE und ITP/Kommission, Randnr. 93; in diesem Sinne auch Urteile des Gerichts vom 8. Juni 1995 in den Rechtssachen T-7/93, Langnese Iglo/Kommission, Slg. 1995, II-1533, Randnr. 209, und T-9/93, Schöller/Kommission, Slg. 1995, II-1611, Randnr. 163).
[180] 179. Zunächst ist zum Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe dadurch einen Rechtsfehler begangen, daß sie Artikel 2 der Entscheidung erlassen habe, ohne zur Vereinbarkeit des von CEPI-Cartonboard notifizierten Informationsaustauschsystems mit Artikel 85 Stellung genommen zu haben, zu sagen, daß die von diesem Verband am 6. Dezember 1993 vorgenommene Notifizierung ein neues Informationsaustauschsystem betraf, das sich von dem von der Kommission in der Entscheidung geprüften System unterschied. Als die Kommission Artikel 2 der angefochtenen Entscheidung erließ, konnte sie folglich nicht die Rechtmäßigkeit des neuen Systems im Rahmen dieser Entscheidung beurteilen. Sie war daher berechtigt, sich auf die Prüfung des alten Informationsaustauschsystems zu beschränken und zu diesem durch den Erlaß von Artikel 2 der Entscheidung Stellung zu nehmen.
[181] 180. Außerdem ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, daß die Kommission von der Befugnis, gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 Anordnungen an die Unternehmen zu richten, nur insoweit Gebrauch machen dürfe, als diese Anordnungen Aspekte des Informationsaustauschsystems beträfen, die vor dem Erlaß der Entscheidung aufgegeben worden seien. Hierzu genügt die Bemerkung, daß die Klägerin den sachlichen Umfang der in Artikel 2 der Entscheidung enthaltenen Anordnungen in Frage stellt; dies zeigt, daß die Kommission ein berechtigtes Interesse daran hatte, das Ausmaß der den Unternehmen, u. a. der Klägerin, obliegenden Verpflichtungen klarzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 2. März 1983 in der Rechtssache 7/82, GVL/Kommission, Slg. 1983, 483, Randnrn. 26 bis 28).
[182] 181. Um sodann festzustellen, ob die Anordnung in Artikel 2 der Entscheidung – wie die Klägerin behauptet – zu weit geht, ist der Umfang der verschiedenen Verbote zu prüfen, die den Unternehmen damit auferlegt werden.
[183] 182. Das Verbot in Artikel 2 Absatz 1 Satz 2, wonach die Unternehmen künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen absehen müssen, mit denen gleiches oder ähnliches wie mit den in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen bezweckt oder bewirkt wird, soll die Unternehmen nur daran hindern, die Verhaltensweisen zu wiederholen, deren Rechtswidrigkeit festgestellt wurde. Folglich hat die Kommission mit der Aufstellung dieses Verbotes die ihr durch Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 verliehenen Befugnisse nicht überschritten.
[184] 183. Die Bestimmungen von Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, b und c betreffen Einzelheiten zum Verbot des künftigen Austauschs von Geschäftsinformationen.
[185] 184. Die Anordnung in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a, der für die Zukunft jeden Austausch von Geschäftsinformationen verbietet, der es den Teilnehmern ermöglicht, unmittelbar oder mittelbar individuelle Informationen über die Konkurrenzunternehmen zu erlangen, setzt voraus, daß die Kommission in der Entscheidung die Rechtswidrigkeit eines derartigen Informationsaustauschs im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages festgestellt hat.
[186] 185. In Artikel 1 der Entscheidung heißt es nicht, daß der Austausch individueller Geschäftsinformationen als solcher gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstößt.
[187] 186. Dort wird in allgemeinerer Form ausgeführt, daß die Unternehmen gegen diesen Artikel des Vertrages verstoßen hätten, indem sie sich an einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt hätten, durch die sie u. a. "als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten".
[188] 187. Da der verfügende Teil der Entscheidung im Licht ihrer Gründe auszulegen ist (Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnr. 122), ist jedoch darauf hinzuweisen, daß es in Randnummer 134 Absatz 2 der Entscheidung heißt: "Der von den Herstellern in Sitzungen der PG Karton (vor allem des JMC) praktizierte Austausch von normalerweise vertraulichen und sensitiven individuellen Informationen über Auftragslage, Abstellzeiten und Produktionshöhe war offenkundig wettbewerbsfeindlich, da mit ihm bezweckt wurde, möglichst günstige Voraussetzungen für die Durchführung der vereinbarten Preisinitiativen zu schaffen."
[189] 188. Da die Kommission somit in der Entscheidung ordnungsgemäß ihre Ansicht geäußert hat, daß im Austausch individueller Geschäftsinformationen als solchem ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zu sehen sei, erfüllt das Verbot, künftig einen derartigen Informationsaustausch vorzunehmen, die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17.
[190] 189. Die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung aufgestellten Verbote des Austauschs von Geschäftsinformationen sind im Licht der Absätze 2, 3 und 4 dieses Artikels zu prüfen, die ihren Inhalt näher ausgestalten. In diesem Kontext ist zu ermitteln, ob und, wenn ja, inwieweit die Kommission den fraglichen Austausch als rechtswidrig angesehen hat, da der Umfang der den Unternehmen auferlegten Verpflichtungen auf das zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erforderliche Maß zu beschränken ist.
[191] 190. Die Entscheidung ist dahin auszulegen, daß die Kommission den Verstoß des FIDES-Systems gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das festgestellte Kartell stützte (Randnr. 134 Absatz 3 der Entscheidung). Diese Auslegung wird durch den Wortlaut von Artikel 1 der Entscheidung bestätigt, aus dem hervorgeht, daß die Geschäftsinformationen zwischen den Unternehmen "als Absicherung" der als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehenen Maßnahmen ausgetauscht wurden.
[192] 191. Im Licht dieser Auffassung der Kommission zur Frage der Vereinbarkeit des FIDES-Systems mit Artikel 85 des Vertrages im vorliegenden Fall ist die Tragweite der in die Zukunft gerichteten Verbote in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung zu beurteilen.
[193] 192. Die fraglichen Verbote beschränken sich zum einen nicht auf den Austausch individueller Geschäftsinformationen, sondern betreffen auch den Austausch bestimmter globaler statistischer Daten (Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 2 der Entscheidung). Zum anderen verbietet Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung den Austausch bestimmter statistischer Informationen, um dem Aufbau einer möglichen Stütze potentieller wettbewerbswidriger Verhaltensweisen vorzubeugen.
[194] 193. Da ein solches Verbot den Austausch rein statistischer Informationen, die nicht den Charakter individueller oder individualisierbarer Informationen haben, mit der Begründung verhindern soll, daß die ausgetauschten Informationen zu wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden könnten, überschreitet es das zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit der festgestellten Verhaltensweisen erforderliche Maß. Zum einen geht nämlich aus der Entscheidung nicht hervor, daß die Kommission den Austausch statistischer Daten als solchen als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehen hat. Zum anderen führt die bloße Tatsache, daß ein System des Austauschs statistischer Informationen zu wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden kann, nicht zu seiner Unvereinbarkeit mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages; vielmehr sind unter derartigen Umständen seine konkreten wettbewerbswidrigen Auswirkungen zu bestimmen.
[195] 194. Daher ist Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung mit Ausnahme folgender Passagen für nichtig zu erklären: "Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen, den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen, a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen. Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln läßt, ausschließt."
Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße
A – Zum Klagegrund des Vorliegens offensichtlicher rechtlicher oder tatsächlicher Fehler bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen
[196] 195. Der Klagegrund besteht aus fünf Teilen, die im folgenden einzeln geprüft werden.
Erster Teil des Klagegrundes: Fehler der Kommission bei der Bestimmung des Umfangs der Zuwiderhandlungen
[197] 196. Die Klägerin macht unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung geltend, daß die Geldbußen erheblich herabgesetzt werden müßten. Die Kommission habe nämlich weder das Vorliegen von Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen zur Marktaufteilung und Angebotskontrolle noch das Vorliegen von Preisabsprachen nachgewiesen.
[198] 197. Alle von der Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung geltend gemachten Klagegründe sind abgewiesen worden.
[199] 198. Folglich greift der erste Teil des vorliegenden Klagegrundes nicht durch.
Zweiter Teil des Klagegrundes: Keine ins einzelne gehende Regulierung des Kartonmarkts in der Gemeinschaft
Vorbringen der Parteien
[200] 199. Die Klägerin trägt vor, selbst wenn man unterstelle, daß die angeblichen Zuwiderhandlungen begangen worden seien, sei der Kartonmarkt in der Gemeinschaft dadurch jedenfalls nicht "im einzelnen reguliert" worden (Randnr. 168, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung). Die angeblichen Zuwiderhandlungen hätten den Wettbewerb vielmehr nur sehr global beeinflussen können.
[201] 200. Die Entscheidung enthalte insoweit widersprüchliche Angaben zum Charakter der angeblich durchgeführten wettbewerbswidrigen Maßnahmen. So werde z. B. die angebliche Marktaufteilungsabsprache in Randnummer 52 als allgemeine Verständigung darüber beschrieben, die jeweiligen Marktanteile nicht auszudehnen, während in Randnummer 60 von jährlichen Verhandlungen über die Marktanteile die Rede sei. Es handele sich jedenfalls nicht um eine ins einzelne gehende Regulierung des Kartonmarkts, zumal die Kommission nicht einmal behauptet habe, daß es eine Absprache über die Einführung von Quoten für jede Kartonsorte gegeben habe.
[202] 201. Die Kommission hält auf der Grundlage der in der Entscheidung getroffenen Feststellungen daran fest, daß die Hersteller den Kartonmarkt im einzelnen reguliert hätten.
Würdigung durch das Gericht
[203] 202. Wie bereits festgestellt, hat die Kommission in bezug auf die Klägerin das Vorliegen der Bestandteile der in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung – einer Preisabsprache, einer Absprache über die Abstellzeiten und einer Absprache über die Marktanteile – nachgewiesen. Ferner ist festgestellt worden, daß die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, zu denen die Klägerin gehörte, Ende 1987 eine Vereinbarung schlossen. Außerdem bestreitet die Klägerin weder, daß Zeitpunkt und Reihenfolge der Versendung der Schreiben zur Ankündigung der Preiserhöhungen vom PWG festgelegt wurden und daß das JMC davon unterrichtet wurde (vgl. insbesondere Randnr. 73 der Entscheidung), noch daß das JMC die Aufgabe hatte, die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten (Randnr. 44 Absatz 2, zweiter Gedankenstrich, der Entscheidung).
[204] 203. Schließlich bestreitet die Klägerin nicht die Behauptung der Kommission, daß sich das Kartell "praktisch auf das ganze Gebiet der Gemeinschaft" erstreckt habe und daß "die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen … praktisch den gesamten Markt" repräsentiert hätten (Randnr. 168, zweiter und vierter Gedankenstrich, der Entscheidung).
[205] 204. Unter diesen Umständen konnte sie sich nicht mit Erfolg gegen die Behauptung der Kommission wenden, daß die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen den "Kartonmarkt in der Gemeinschaft im einzelnen reguliert" hätten (Randnr. 168, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung).
[206] 205. Der zweite Teil des Klagegrundes greift daher nicht durch.
Dritter Teil des Klagegrundes: Geheimhaltung und Verschleierung dürften nicht als erschwerende Umstände der Zuwiderhandlung angesehen werden
Vorbringen der Parteien
[207] 206. Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe es als erschwerenden Umstand angesehen, daß aufwendige Schritte unternommen worden seien, um die Natur und das Ausmaß der Absprachen zu verschleiern (Randnrn. 167 und 168 der Entscheidung).
[208] 207. Das Fehlen von offiziellen Niederschriften oder anderen Dokumenten über die Sitzungen des PWG und des JMC könne keinesfalls ein "aufwendiger Schritt" sein. Für die Behauptung der Kommission, daß Vorkehrungen getroffen worden seien, um das Anfertigen von Notizen durch die Teilnehmer an den Sitzungen zu verhindern, gebe es keinen Beweis. Und selbst wenn es ihn geben würde, wären solche Vorkehrungen ebenfalls keine aufwendigen Schritte. Da die Kommission überdies zu Unrecht angenommen habe, daß die Zuwiderhandlungen vorsätzlich begangen worden seien, habe sie jedenfalls die angeblichen Maßnahmen zur Verschleierung des Kartells nicht auch noch berücksichtigen dürfen.
[209] 208. Was die angebliche vorherige Verabredung der Zeitpunkte für das Inkrafttreten der Preiserhöhungen angehe, so setze die Preisabsprache zwangsläufig eine Absprache – zumindest unter den "Anführern" – über die Durchführung der Preiserhöhungen voraus. Da die Kommission die Ansicht vertreten habe, daß die Zuwiderhandlungen vorsätzlich begangen worden seien, habe sie die Gesichtspunkte, die mit dem vorsätzlichen Verstoß notwendig verbunden seien, nicht erneut berücksichtigen dürfen.
[210] 209. Die Kommission meint, zu der Annahme berechtigt gewesen zu sein, daß die Geheimhaltungspraxis bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung habe berücksichtigt werden müssen. Vorsätzliche Wettbewerbsverstöße seien nämlich nicht notwendig mit Verschleierungsmaßnahmen verbunden. Im vorliegenden Fall hätten die Kartellteilnehmer nicht nur vereinbart, keine Notizen über die geführten Gespräche aufzubewahren (Protokoll der Anhörung vor der Kommission, S. 46), sondern auch den Ablauf der einzelnen Preisinitiativen minutiös geplant (Randnr. 73 der Entscheidung). Sie habe daher zu Recht angenommen, daß die Geheimhaltungspraxis einen bei der Bemessung der Geldbußen zu berücksichtigenden erschwerenden Umstand der Zuwiderhandlung dargestellt habe.
Würdigung durch das Gericht
[211] 210. Randnummer 167 Absatz 3 der Entscheidung lautet: "Ein besonders gravierender Aspekt des Verstoßes ist der Umstand, daß die Unternehmen bei dem Bemühen, die Existenz des Kartells zu verschleiern, soweit gingen, daß sie im voraus verabredeten, zu welchem Zeitpunkt und in welcher zeitlichen Folge die einzelnen großen Hersteller die neuen Preiserhöhungen ankündigen würden." Ferner heißt es in der Entscheidung: "[D] ie Hersteller [hätten] aufgrund dieses ausgeklügelten Systems die Serien einheitlicher, regelmäßiger und branchenweiter Preiserhöhungen in der Kartonbranche dem Phänomen 'oligopolistischen Verhaltens' zuschreiben können" (Randnr. 73 Absatz 3). Schließlich hat die Kommission gemäß Randnummer 168, sechster Gedankenstrich, der Entscheidung bei der Festsetzung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen berücksichtigt, daß "aufwendige Schritte unternommen [wurden], um die wahre Natur und das wahre Ausmaß der Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen Sitzungsniederschriften oder Dokumente für den PWG und das JMC; Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen; Maßnahmen mit dem Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche Reihenfolge der Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die Unternehmen behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.)".
[212] 211. Die Klägerin bestreitet die Behauptung der Kommission nicht, daß die Unternehmen die Zeitpunkte und die Reihenfolge der Schreiben, in denen die Preiserhöhungen angekündigt wurden, festgelegt hätten. Was den von der Kommission gezogenen Schluß anbelangt, daß durch diese Festlegung der Zeitpunkte und der Reihenfolge der Schreiben zur Ankündigung von Preiserhöhungen versucht worden sei, das Vorliegen der Preisabsprache zu verschleiern, so hat die Klägerin nichts dafür vorgetragen, daß die Absprache der Zeitpunkte und der Reihenfolge der Schreiben zur Ankündigung von Preiserhöhungen ein anderes als das von der Kommission angenommene Ziel hatte.
[213] 212. Das Fehlen offizieller Protokolle und das fast völlige Fehlen interner Vermerke über die Sitzungen des PWG und des JMC stellen in Anbetracht der Zahl und der zeitlichen Dauer dieser Sitzungen sowie der Art der fraglichen Erörterungen einen hinreichenden Beweis für die Behauptung der Kommission dar, daß Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen getroffen worden seien.
[214] 213. Nach alledem war den Unternehmen, die an den Sitzungen dieser Gremien teilnahmen, nicht nur die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens bewußt, sondern sie haben auch Maßnahmen zur Verschleierung der Absprache getroffen. Die Kommission hat diese Maßnahmen folglich bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung zu Recht als erschwerende Umstände behandelt.
[215] 214. Der dritte Teil des Klagegrundes ist daher abzuweisen.
Vierter Teil des Klagegrundes: Die Kommission habe zu Unrecht angenommen, daß das Kartell, "was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich" gewesen sei
Vorbringen der Parteien
[216] 215. Die Klägerin bestreitet, daß das Kartell, "was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich" gewesen sei (Randnr. 168, siebenter Gedankenstrich, der Entscheidung). Gestützt auf ihre Beschreibung der Besonderheiten des Kartonmarkts (siehe oben, Randnrn. 48 ff.) und den LE-Bericht führt sie aus, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Preisentwicklung nicht auch ohne jede Absprache zwischen den Herstellern ebenso verlaufen wäre.
[217] 216. Die Feststellungen der Kommission zur Kosten- und Erlösentwicklung in der Kartonbranche träfen auf sie nicht zu. Auch die in der Entscheidung enthaltenen Angaben über die Gewinnspanne (Randnr. 16) seien irreführend. Die Amortisation der Kapitalkosten mache nämlich ungefähr 27 % des durchschnittlichen Kartonpreises aus. Die Kommission habe diesen Gesichtspunkt bei der Berechnung der durchschnittlichen Gewinnspanne der Hersteller aber nicht berücksichtigt. Da diese durchschnittliche Gewinnspanne nach ihren Angaben in den Jahren 1986 bis 1991 etwa 20 % betragen haben solle, bedeute dies folglich einen realen Verlust von etwa 7 %.
[218] 217. Zur Stützung ihres Vorbringens, daß die Preisabsprache keine Auswirkungen auf den Markt gehabt habe, verweist die Klägerin auf Übersichten, in denen die Entwicklung ihrer Listenpreise der Entwicklung der von ihr tatsächlich auf dem Markt erzielten Bruttopreise gegenüberstellt wird. Diese Übersichten, in denen die Preisentwicklung bei repräsentativen Kunden und Kartonsorten auf ihren wichtigsten nationalen Märkten wiedergegeben werde, zeigten, daß zwischen den Listenpreisen und den tatsächlichen Verkaufspreisen ein beträchtlicher Unterschied bestanden habe.
[219] 218. Die Kommission weist zunächst darauf hin, daß zwei Arten von Auswirkungen der Preisinitiativen auf den Markt zu unterscheiden seien. Die Auswirkungen der ersten Art, die darin bestünden, daß die in der PG Karton vereinbarten Preise als Grundlage für die Verhandlungen mit den Kunden gedient hätten, würden von der Klägerin nicht bestritten. Es sei daher undenkbar, daß nicht auch die Auswirkungen der zweiten Art eingetreten seien, die darin bestünden, daß die Preiserhöhungsinitiativen die tatsächlichen Marktpreise beeinflußt hätten, da sich die vom Verkäufer festgelegte Basis für Preisverhandlungen stets auf den tatsächlichen Verkaufspreis auswirke. Dies gelte erst recht, wenn alle Verkäufer die gleiche Verhandlungsbasis hätten.
[220] 219. Außerdem hätten sich die Kartonhersteller in ihren Verhandlungen mit den Kunden bemüht, die vereinbarten Preiserhöhungen auch durchzusetzen (vgl. Anlage 73 zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, S. 2).
[221] 220. Es sei zwar nicht immer möglich gewesen, die Preiserhöhungen gegenüber allen Abnehmern und auf allen Märkten im gleichen Umfang durchzusetzen (Randnrn. 100 bis 102 der Entscheidung). Wie aus mehreren von den Herstellern selbst verfaßten internen Unterlagen (Schriftstücke C-4—1 und C-11—11) hervorgehe, bedeuteten diese Schwierigkeiten bei der Durchführung der Preiserhöhungen aber nicht, daß sie nicht erfolgreich gewesen seien.
[222] 221. Auch die von der Klägerin vorgelegten Übersichten seien nicht geeignet, die Feststellungen der Kommission zu entkräften. Ihnen könne u. a. deshalb keine Beweiskraft beigemessen werden, weil sie "sprunghafte" Preiserhöhungen zeigten. Außerdem behaupte die Klägerin zwar, daß die Übersichten die Entwicklung der bei repräsentativen Kunden und Kartonsorten in Rechnung gestellten Preise zeigten, habe aber die bei der Auswahl dieser Rechnungen verwendeten Kriterien nicht angegeben.
[223] 222. Der LE-Bericht sei kein Beleg für das Fehlen eines Zusammenhangs zwischen den angekündigten und den tatsächlichen Verkaufspreisen. Aus den Tabellen 10 und 11 dieses Berichts gehe vielmehr klar hervor, daß die Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise im Durchschnitt die angekündigten Preise nachvollzogen habe. Für den Zeitraum 1988/89 zeige der Bericht sogar einen linearen Zusammenhang zwischen diesen Preisen, wie sein Verfasser im übrigen bei der Anhörung vor der Kommission eingeräumt habe (Protokoll, S. 21 und 28). Folglich hätten die einheitlichen Listenpreiserhöhungen den Kartonherstellern die Möglichkeit verschafft, die tatsächlichen Verkaufspreise deutlich anzuheben.
[224] 223. Schließlich sei es unerheblich, ob sich die einheitlichen Listenpreiserhöhungen tatsächlich, wie die Klägerin behaupte, an der Kostenentwicklung orientiert hätten. Im übrigen seien die in der Entscheidung enthaltenen Angaben über die Kostenentwicklung und die Definition der Gewinnspanne dem LE-Bericht entnommen worden.
Würdigung durch das Gericht
[225] 224. Gemäß Randnummer 168, siebenter Gedankenstrich, der Entscheidung hat die Kommission bei der Festsetzung der Höhe der Geldbußen u. a. berücksichtigt, daß das Kartell, "was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich" war. Es ist unstreitig, daß mit dieser Erwägung auf die Auswirkungen der in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung auf den Markt Bezug genommen wird.
[226] 225. Zur Überprüfung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung braucht nach Ansicht des Gerichts nur die Beurteilung der Auswirkungen der Preisabsprache untersucht zu werden. Die Prüfung der Auswirkungen der Preisabsprache – der einzigen Auswirkungen, die die Klägerin bestreitet – erlaubt es nämlich, den generellen Erfolg des Kartells zu beurteilen, denn die Absprachen über die Abstellzeiten und über die Marktanteile dienten dazu, den Erfolg der abgestimmten Preisinitiativen sicherzustellen.
[227] 226. Bei der Preisabsprache hat die Kommission die allgemeinen Auswirkungen beurteilt. Selbst wenn die von der Klägerin gemachten individuellen Angaben – wie sie behauptet – zeigen sollten, daß die Preisabsprache für sie geringere als die auf dem europäischen Kartonmarkt als Ganzem festgestellten Auswirkungen hatte, würden diese individuellen Gegebenheiten daher als solche nicht ausreichen, um die Beurteilung der Kommission in Frage zu stellen. Die Behauptung der Klägerin, daß sich die Kommission in Randnummer 16 der Entscheidung auf eine falsche Definition der durchschnittlichen Gewinnspanne der Kartonhersteller gestützt habe, ist ebenfalls unerheblich. Es gibt nämlich keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Kommission die so definierte Gewinnspanne bei ihrer Beurteilung der Auswirkungen der Preisabsprache auf den Markt herangezogen hätte oder daß die erzielte Gewinnspanne bei dieser Beurteilung hätte herangezogen werden müssen.
[228] 227. Wie die Kommission in der Verhandlung bestätigt hat, ist der Entscheidung zu entnehmen, daß zwischen drei Arten von Auswirkungen unterschieden wurde. Außerdem hat sich die Kommission darauf gestützt, daß die Hersteller selbst die Preisinitiativen im wesentlichen als Erfolg gewertet hätten.
[229] 228. Die erste von der Kommission berücksichtigte und von der Klägerin nicht in Abrede gestellte Art von Auswirkungen besteht darin, daß die vereinbarten Preiserhöhungen den Kunden tatsächlich angekündigt wurden. Die neuen Preise dienten somit als Referenz bei der individuellen Aushandlung der tatsächlichen Verkaufspreise mit den Kunden (vgl. u. a. Randnrn. 100 und 101 Absätze 5 und 6 der Entscheidung).
[230] 229. Die zweite Art von Auswirkungen besteht darin, daß die Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise der Entwicklung der angekündigten Preise folgte. Hierzu führt die Kommission aus, daß "sich die Hersteller nicht darauf [beschränkten], die vereinbarten Preiserhöhungen anzukündigen, sondern … – mit wenigen Ausnahmen – auch alles [taten], um sicherzustellen, daß sie bei den Kunden durchgesetzt wurden" (Randnr. 101 Absatz 1 der Entscheidung). Sie räumt ein, daß den Kunden bisweilen Zugeständnisse hinsichtlich des Termins des Inkrafttretens der Erhöhungen gemacht oder – vor allem bei Großaufträgen – individuelle Rabatte oder Skonti gewährt worden seien und daß "die durchschnittliche Netto-Preiserhöhung, die nach allen Nachlässen, Rabatten und sonstigen Zugeständnissen erzielt wurde, stets geringer [war] als der volle Betrag der angekündigten Preisanhebung" (Randnr. 102 letzter Absatz der Entscheidung). Unter Bezugnahme auf Schaubilder im LE-Bericht, einer im Zusammenhang mit dem Verfahren vor der Kommission im Auftrag mehrerer Adressaten der Entscheidung erstellten Wirtschaftsstudie, macht sie jedoch geltend, in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum habe es einen "engen linearen Zusammenhang" zwischen der Entwicklung der angekündigten Preise und der Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise – ausgedrückt in Landeswährung oder umgerechnet in Ecu – gegeben. Sie zieht daraus folgenden Schluß: "Die erzielten Netto-Preiserhöhungen vollzogen die Preisankündigungen – wenngleich mit etwas zeitlichem Abstand – nach. Der Verfasser des Berichts räumte bei der mündlichen Anhörung selbst ein, daß dies für die Jahre 1988 und 1989 zutrifft" (Randnr. 115 Absatz 3 der Entscheidung).
[231] 230. Bei der Beurteilung dieser zweiten Art von Auswirkungen war die Kommission zweifellos zu der Annahme berechtigt, daß die Existenz eines linearen Zusammenhangs zwischen der Entwicklung der angekündigten Preise und der Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise den Beweis für eine Auswirkung der Preisinitiativen auf die letztgenannten Preise entsprechend dem von den Herstellern verfolgten Ziel darstellte. Denn unstreitig hat die Praxis individueller Verhandlungen mit den Kunden auf dem fraglichen Markt zur Folge, daß die tatsächlichen Verkaufspreise im allgemeinen nicht mit den angekündigten Preisen übereinstimmen. Es war daher nicht zu erwarten, daß der Anstieg der tatsächlichen Verkaufspreise mit den Erhöhungen der angekündigten Preise übereinstimmen würde.
[232] 231. Hinsichtlich des Bestehens einer Wechselbeziehung zwischen den angekündigten Preiserhöhungen und dem Anstieg der tatsächlichen Verkaufspreise hat die Kommission zu Recht auf den LE-Bericht Bezug genommen, da in diesem die Entwicklung des Kartonpreises in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum unter Heranziehung der von mehreren Herstellern, darunter der Klägerin selbst, gemachten Angaben untersucht wird.
[233] 232. Dieser Bericht bestätigt jedoch in zeitlicher Hinsicht nur teilweise, daß es einen "engen linearen Zusammenhang" gab. Bei der Prüfung des Zeitraums von 1987 bis 1991 ergeben sich nämlich drei gesonderte Abschnitte. Während der Anhörung vor der Kommission hat der Verfasser des LE-Berichts seine Schlußfolgerungen hierzu wie folgt zusammengefaßt: "Es gibt keinen engen Zusammenhang, auch nicht in zeitlichem Abstand, zwischen den angekündigten Preiserhöhungen und den Marktpreisen zu Beginn des Zeitraums, von 1987 bis 1988. 1988/89 besteht ein solcher Zusammenhang, und dann löst sich der Zusammenhang auf und verhält sich im Zeitraum 1990/91 recht seltsam [oddly]" (Anhörungsprotokoll, S. 28). Ferner führte er aus, daß diese Veränderungen im Lauf der Zeit eng mit den Nachfrageschwankungen zusammenhingen (vgl. u. a. Anhörungsprotokoll, S. 20).
[234] 233. Diese mündlichen Schlußfolgerungen des Verfassers stimmen mit der in seinem Bericht vorgenommenen Analyse und insbesondere mit den Schaubildern überein, in denen die Entwicklung der angekündigten Preise mit der Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise verglichen wird (LE-Bericht, Schaubilder 10 und 11, S. 29). Somit ist festzustellen, daß die Kommission nur teilweise nachgewiesen hat, daß es den von ihr geltend gemachten "engen linearen Zusammenhang" gab.
[235] 234. In der Verhandlung hat die Kommission erklärt, daß sie noch eine dritte Art von Auswirkungen der Preisabsprache berücksichtigt habe, die darin bestehe, daß die tatsächlichen Verkaufspreise stärker gestiegen seien, als wenn es keinerlei Absprache gegeben hätte. Hierzu hat die Kommission unter Hinweis darauf, daß Zeitpunkt und Reihenfolge der Ankündigungen von Preiserhöhungen vom PWG festgelegt worden seien, in der Entscheidung die Ansicht vertreten, es sei "unter solchen Umständen undenkbar, daß die abgestimmten Preisankündigungen keine Auswirkungen auf das tatsächliche Preisniveau hatten" (Randnr. 136 Absatz 3 der Entscheidung). Im LE-Bericht (Abschnitt 3) wurde jedoch eine Modellrechnung vorgenommen, die die Vorhersage des Preisniveaus ermöglicht, das sich aus den objektiven Marktbedingungen ergibt. Nach diesem Bericht hätte sich das anhand objektiver wirtschaftlicher Faktoren in der Zeit von 1975 bis 1991 ermittelte Preisniveau mit unerheblichen Abweichungen ebenso entwickelt wie das Niveau der tatsächlichen Verkaufspreise; dies gilt auch für den von der Entscheidung erfaßten Zeitraum.
[236] 235. Trotz dieser Ergebnisse läßt die im Bericht vorgenommene Analyse nicht den Schluß zu, daß die konzertierten Preisinitiativen es den Herstellern nicht ermöglicht haben, höhere tatsächliche Verkaufspreise als bei freiem Wettbewerb zu erzielen. Insoweit ist es möglich, wie die Kommission in der Verhandlung ausgeführt hat, daß die bei dieser Analyse herangezogenen Faktoren durch die Existenz der Absprache beeinflußt wurden. So hat die Kommission zu Recht geltend gemacht, daß das abgesprochene Verhalten z. B. den Anreiz für die Unternehmen verringern konnte, ihre Kosten zu senken. Sie hat jedoch keinen direkten Fehler in der im LE-Bericht enthaltenen Analyse gerügt und auch keine eigenen wirtschaftlichen Analysen zur hypothetischen Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise bei Fehlen jeder Abstimmung vorgelegt. Unter diesen Umständen geht ihre Behauptung, daß die tatsächlichen Verkaufspreise ohne die Absprache zwischen den Herstellern niedriger gewesen wären, fehl.
[237] 236. Folglich gibt es für die Existenz dieser dritten Art von Auswirkungen der Preisabsprache keinen Beweis.
[238] 237. Auf die vorstehenden Feststellungen hat die subjektive Einschätzung der Hersteller keinen Einfluß, auf die die Kommission ihre Annahme gestützt hat, daß das Kartell, was die Erreichung seiner Ziele betreffe, weitgehend erfolgreich gewesen sei. Dabei hat die Kommission auf eine von ihr in der Verhandlung vorgelegte Liste von Schriftstücken Bezug genommen. Selbst wenn man unterstellt, daß sie ihre Beurteilung des möglichen Erfolges der Preisinitiativen auf Schriftstücke stützen konnte, in denen die subjektiven Empfindungen einiger Hersteller zum Ausdruck kommen, ist aber festzustellen, daß mehrere Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehört, in der Verhandlung zu Recht auf zahlreiche andere Aktenstücke verwiesen haben, in denen von den Problemen die Rede ist, die die Hersteller bei der Durchführung der vereinbarten Preiserhöhungen hatten. Unter diesen Umständen reicht die Bezugnahme der Kommission auf Erklärungen der Hersteller selbst nicht aus, um zu dem Ergebnis zu kommen, daß das Kartell, was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich war.
[239] 238. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen sind die von der Kommission geltend gemachten Auswirkungen der Zuwiderhandlung nur teilweise bewiesen. Das Gericht wird die Tragweite dieses Ergebnisses im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung von Geldbußen bei der Beurteilung der Schwere der im vorliegenden Fall festgestellten Zuwiderhandlung prüfen (siehe unten, Randnr. 262).
Fünfter Teil des Klagegrundes: Heranziehung einer unzutreffenden Gewinnspanne
Vorbringen der Parteien
[240] 239. Die Klägerin wiederholt, daß die Kommission zu Unrecht davon ausgegangen sei, daß die Unternehmen der Kartonbranche in der Zeit von 1986 bis 1991 eine Gewinnspanne von 20 % erzielt hätten. Bei der Zugrundelegung dieser Zahl habe die Kommission nämlich die beträchtlichen Kapitalkosten in der Branche außer acht gelassen (siehe oben, Randnr. 216). Auch wenn aus der Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgehe, daß dieser Gesichtspunkt bei der Festsetzung des allgemeinen Bußgeldniveaus berücksichtigt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, daß dieser Fehler eine wesentliche Rolle gespielt habe, da auf die Gewinnspanne in der Entscheidung mehrmals Bezug genommen werde. Außerdem sei die Berücksichtigung des finanziellen Gewinns, den die Unternehmen durch ihr wettbewerbswidriges Verhalten erzielt hätten, nach der von der Kommission selbst vertretenen Ansicht bei der Festsetzung von Geldbußen in zunehmendem Maße von Bedeutung (XXI. Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nr. 139). Dieser Fehler müsse zu einer deutlichen Herabsetzung der Geldbuße führen.
[241] 240. Die Kommission trägt vor, die durchschnittliche Gewinnspanne der Kartonhersteller sei bei der Bußgeldbemessung nicht berücksichtigt worden. Außerdem habe sie in ihrem XXI. Bericht über die Wettbewerbspolitik nur die allgemeinen Kriterien genannt, die bei der Bemessung einer Geldbuße herangezogen werden könnten. Schließlich träfen die in Randnummer 16 der Entscheidung enthaltenen Angaben über die Gewinnspanne zu, da sie dem LE-Bericht entnommen seien.
Würdigung durch das Gericht
[242] 241. Die von den Kartonherstellern erzielte durchschnittliche Gewinnspanne gehört nicht zu den Gesichtspunkten, die von der Kommission bei der Ermittlung des allgemeinen Bußgeldniveaus sowie der Höhe der individuellen Geldbußen herangezogen wurden (vgl. Randnrn. 167 bis 169 der Entscheidung).
[243] 242. Aus Randnummer 16 letzter Absatz der Entscheidung geht jedenfalls hervor, daß die Angaben zur durchschnittlichen Gewinnspanne der Kartonhersteller dem LE-Bericht entnommen wurden. Ihr ist ferner zu entnehmen (Fußnote 1), daß der Kommission bekannt war, daß bei der Berechnung dieser durchschnittlichen Gewinnspanne die Amortisation der Kapitalkosten nicht berücksichtigt wurde.
[244] 243. Folglich ist das Vorbringen der Klägerin, daß sich die Kommission auf eine unzutreffende Definition des von den Kartonherstellern erzielten Gewinns gestützt habe, unbegründet.
[245] 244. Daher kann dem fünften Teil des Klagegrundes nicht gefolgt werden.
[246] 245. Somit ist der Klagegrund insgesamt abzuweisen.
B – Zu den Klagegründen einer Verletzung von Artikel 190 des Vertrages sowie eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich des allgemeinen Bußgeldniveaus
Vorbringen der Parteien
[247] 246. Die Klägerin räumt ein, daß die Kommission befugt sei, das allgemeine Bußgeldniveau gegenüber ihrer früheren Praxis anzuheben, wenn sie dies für erforderlich halte, um die abschreckende Wirkung der Geldbußen zu verstärken (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und 103/80, Musique Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 108, und Urteil ICI/Kommission). Die Kommission verstoße jedoch gegen Artikel 190 des Vertrages und gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn sie wie hier die Geldbußen ohne Angabe von Gründen willkürlich anhebe.
[248] 247. Die Klägerin vergleicht sodann den Ausgangssatz der Geldbußen (7, 5 % des Umsatzes auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 bei den "gewöhnlichen Mitgliedern" und 9 % bei den angeblichen "Anführern") sowie ihre Gesamthöhe mit den Entscheidungen der Kommission in früheren Rechtssachen (vgl. z. B. die Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags [IV/31. 149 – Polypropylen, ABl. L 230, S. 1; im folgenden: Polypropylen-Entscheidung] und die Entscheidung 89/191/EWG der Kommission vom 21. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags [IV/31. 866 – LDPE, ABl. 1989, L 74, S. 21]). Sie schließt daraus, daß der im vorliegenden Fall angewandte Ausgangssatz der Geldbußen deutlich über den früher angewandten Sätzen liege und daß sich der Satz bei den angeblichen "Anführern" fast verdoppelt habe. Auch der Gesamtbetrag der Geldbußen liege weit über dem früher verhängter Geldbußen.
[249] 248. Wie die Entscheidung zeige, die Gegenstand des Urteils des Gerichts vom 21. Februar 1995 in der Rechtssache T-29/92 (SPO u. a./Kommission, Slg. 1995, II-289) gewesen sei, könne das hier in Rede stehende Verhalten im übrigen im Verhältnis zu den Rechtssachen, über die die Kommission früher zu entscheiden gehabt habe, nicht als besonders schwerwiegend angesehen werden.
[250] 249. Der Fehler bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung werde ferner durch einen Vergleich mit der Höhe der in der Entscheidung 94/815/EG der Kommission vom 30. November 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (Sache IV/33. 126 und 33. 322 – Zement, ABl. L 343, S. 1) verhängten Geldbußen bestätigt.
[251] 250. Im Ergebnis stelle die Höhe der in der vorliegenden Rechtssache verhängten Geldbußen eine beträchtliche, ja exorbitante Steigerung gegenüber vergleichbaren Rechtssachen dar. Das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission habe in einem Vortrag am 16. September 1994 erklärt, daß die Kommission die Geldbußen im vorliegenden Fall gegenüber ihrer früheren Praxis deutlich angehoben habe.
[252] 251. Selbst wenn man davon ausgehe, daß die Kommission ihre Bußgeldentscheidungen im allgemeinen nicht im einzelnen zu begründen brauche, müsse sie die Gründe erläutern, aus denen sie in eklatanter Weise von der bisherigen Bußgeldpraxis abgewichen sei (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 26. November 1975 in der Rechtssache 73/74, Groupement des fabricants de papiers peints de Belgique u. a./Kommission, Slg. 1975, 1491, Randnrn. 30 bis 33, und Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der Rechtssache T-34/92, Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Slg. 1994, II-905, Randnr. 35).
[253] 252. Schließlich liege ein Verstoß gegen Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) vor, der ein Recht auf gerichtliche Überprüfung statuiere, denn nur bei größerer Transparenz könne geprüft werden, ob die Kommission in einem bestimmten Fall den Grundsatz der Gleichbehandlung beachtet habe.
[254] 253. Die Kommission weist darauf hin, daß sie gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 berechtigt sei, Geldbußen in Höhe von bis zu 10 % des jährlichen Gesamtumsatzes der betroffenen Unternehmen zu verhängen. Der im vorliegenden Fall angewandte Satz liege klar innerhalb der in dieser Verordnung vorgesehenen Grenzen, da nur der Umsatz bei Kartonverkäufen in der Gemeinschaft berücksichtigt worden sei.
[255] 254. Ferner könne sie das Bußgeldniveau innerhalb der durch die Verordnung Nr. 17 gesteckten Grenzen jederzeit anheben, wenn dies zur Durchsetzung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik und insbesondere zur Sicherstellung der abschreckenden Wirkung der Geldbußen erforderlich sei (Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 106 bis 109). Dabei sei sie nicht an ihre früheren Entscheidungen gebunden (Urteil ICI/Kommission, Randnrn. 382 und 385), so daß es nicht darauf ankomme, ob der vorliegende Fall mit früheren Rechtssachen vergleichbar sei und ob sie das allgemeine Bußgeldniveau maßgeblich heraufgesetzt habe. Im übrigen sei das Bußgeldniveau gegenüber früheren Rechtssachen weder willkürlich noch beträchtlich heraufgesetzt worden.
[256] 255. Schließlich sei sie zu Recht davon ausgegangen, daß die festgestellte Zuwiderhandlung besonders schwerwiegend gewesen sei.
Würdigung durch das Gericht
[257] 256. Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission gegen Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen haben, durch Entscheidung Geldbußen in Höhe von 1 000 ECU bis 1 000 000 ECU oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen. Die Höhe der Geldbuße richtet sich sowohl nach der Schwere als auch nach der Dauer der Zuwiderhandlung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß des Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C-137/95 P, SPO u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54).
[258] 257. Im vorliegenden Fall hat die Kommission bei der Festsetzung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen der Dauer der Zuwiderhandlung (Randnr. 167 der Entscheidung) und folgenden Erwägungen Rechnung getragen (Randnr. 168 der Entscheidung): "-Preis- und Marktaufteilungsabsprachen stellen als solche schwere Wettbewerbsbeschränkungen dar; -das Kartell erstreckte sich praktisch auf das ganze Gebiet der Gemeinschaft; -der EG-Kartonmarkt ist ein bedeutender Industriesektor, der jedes Jahr einen Wert von bis zu 2, 5 Milliarden ECU darstellt; -die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen repräsentieren praktisch den gesamten Markt; -das Kartell wurde in einem System regelmäßiger Sitzungen institutionalisiert, in denen der Kartonmarkt in der Gemeinschaft im einzelnen reguliert wurde; -es wurden aufwendige Schritte unternommen, um die wahre Natur und das wahre Ausmaß der Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen Sitzungsniederschriften oder Dokumente für den PWG und das JMC; Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen; Maßnahmen mit dem Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche Reihenfolge der Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die Unternehmen behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.); -das Kartell war, was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich."
[259] 258. Außerdem wurden unstreitig gegen die als "Anführer" des Kartells angesehenen Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 7, 5 % des von den Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes festgesetzt.
[260] 259. Erstens ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission bei ihrer Beurteilung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen der Tatsache Rechnung tragen darf, daß offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft immer noch verhältnismäßig häufig sind, und daß es ihr daher freisteht, das Niveau der Geldbußen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken. Folglich ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (vgl. u. a. Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 105 bis 108, und ICI/Kommission, Randnr. 385).
[261] 260. Zweitens hat die Kommission zu Recht geltend gemacht, daß aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles kein direkter Vergleich zwischen dem allgemeinen Niveau der Geldbußen in der streitigen Entscheidung und dem Niveau nach der früheren Entscheidungspraxis der Kommission – insbesondere in der Polypropylen-Entscheidung, die die Kommission selbst als die mit dem vorliegenden Fall am besten vergleichbare Entscheidung ansieht – vorgenommen werden kann. Im Gegensatz zu dem Fall, der Gegenstand der Polypropylen-Entscheidung war, wurde hier nämlich bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen kein genereller mildernder Umstand berücksichtigt. Im übrigen bilden, wie das Gericht bereits festgestellt hat, die aufwendigen Maßnahmen der Unternehmen zur Verschleierung der Existenz der Zuwiderhandlung einen besonders schwerwiegenden Aspekt der Zuwiderhandlung, der sie von den früheren von der Kommission aufgedeckten Zuwiderhandlungen unterscheidet.
[262] 261. Drittens ist auf die lange Dauer und die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages hinzuweisen, die trotz der Warnung begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der Kommission und insbesondere die Polypropylen-Entscheidung hätte darstellen müssen.
[263] 262. Aufgrund dieser Gesichtspunkte gehen aus den in Randnummer 168 der Entscheidung wiedergegebenen Kriterien mit hinreichender Deutlichkeit die Gründe hervor, aus denen die Kommission das angewandte allgemeine Niveau der Geldbußen gewählt hat; sie reichen aus, um ein solches Niveau zu rechtfertigen. Das Gericht hat zwar bereits festgestellt, daß die Auswirkungen der Preisabsprache, die die Kommission der Bestimmung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen zugrunde gelegt hat, nur teilweise bewiesen sind. Angesichts der vorstehenden Erwägungen kann dieses Ergebnis die Beurteilung der Schwere der festgestellten Zuwiderhandlung jedoch nicht spürbar beeinflussen. Insoweit läßt sich schon allein daraus, daß die Unternehmen die vereinbarten Preiserhöhungen tatsächlich angekündigt und daß die angekündigten Preise als Grundlage für die Bestimmung der individuellen tatsächlichen Verkaufspreise gedient haben, ableiten, daß die Preisabsprache eine schwere Wettbewerbsbeschränkung sowohl bezweckt als auch bewirkt hat. Das Gericht ist daher im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Ansicht, daß die Feststellungen zu den Auswirkungen der Zuwiderhandlung keine Herabsetzung des von der Kommission festgelegten allgemeinen Niveaus der Geldbußen rechtfertigen.
[264] 263. Schließlich ist die Kommission bei der hier erfolgten Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen nicht derart von ihrer früheren Entscheidungspraxis abgewichen, daß sie ihre Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung ausführlicher hätte begründen müssen (vgl. u. a. Urteil Groupement des fabricants de papiers peints de Belgique u. a./Kommission, Randnr. 31).
[265] 264. Der Klagegrund ist folglich abzuweisen.
C – Zum Klagegrund einer Verletzung von Artikel 190 des Vertrages bei der Festsetzung der Höhe der individuellen Geldbußen
Vorbringen der Parteien
[266] 265. Die Klägerin trägt vor, die bloße Aufzählung der bei der Festsetzung der individuellen Geldbußen herangezogenen Kriterien in Randnummer 169 der Entscheidung stelle keine ausreichende Begründung dar. Die Entscheidung enthalte nämlich weder einen Anhaltspunkt dafür, wie die einzelnen Geldbußen zustande gekommen seien, noch dafür, ob die Unterscheidung zwischen den einzelnen Unternehmen bei den Geldbußen gerechtfertigt sei. In diesem Punkt sei eine eingehendere Begründung insbesondere dann geboten, wenn – wie hier – eine exorbitante Differenzierung zwischen den Unternehmen vorgenommen worden sei. Vor allem dann, wenn bestimmte Umstände, auf die sich die Kommission gestützt habe, nicht vorgelegen hätten, setze eine gerichtliche Überprüfung der Höhe der individuellen Geldbußen voraus, daß das Gericht die Bedeutung kenne, die die Kommission jedem als erschwerend angesehenen Umstand beigemessen habe. Dies gelte um so mehr, wenn es – wie hier – Anhaltspunkte dafür gebe, daß gegen die Unternehmen, die nicht auf ihre Verteidigungsrechte gegenüber den Vorwürfen der Kommission verzichtet hätten, eine sehr viel höhere Geldbuße verhängt worden sei.
[267] 266. Im übrigen habe die Kommission eingeräumt, daß ihre Methode zur Differenzierung zwischen den verschiedenen Unternehmen einer eingehenderen Begründung bedürfe, denn sie habe in einer Pressekonferenz am 13. Juli 1994 Angaben darüber gemacht und sogar die von ihr angeblich nicht benutzte mathematische Formel bekanntgegeben. Die Begründung müsse jedoch Bestandteil der Entscheidung selbst sein.
[268] 267. Schließlich fehle in der Entscheidung eine Erläuterung der Gründe, aus denen die Kommission davon ausgegangen sei, daß die Klägerin nicht in den Genuß einer Verringerung der Geldbuße kommen solle, obwohl sie in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die Tatsachenbehauptungen der Kommission in der Substanz nicht bestritten habe. Die Kommission hätte in der Entscheidung angeben müssen, welche Tatsachen die Unternehmen, deren Geldbuße herabgesetzt worden sei, im Verwaltungsverfahren eingeräumt oder nicht bestritten hätten.
[269] 268. Die Kommission ist der Ansicht, daß die Entscheidung eine ausreichende Darstellung der für die Festsetzung der Geldbuße für jedes einzelne Unternehmen ausschlaggebenden Gründe enthalte. Die in Randnummer 169 der Entscheidung aufgezählten Kriterien seien nämlich im Licht der gesamten Begründung der Entscheidung zu sehen (Urteil ICI/Kommission, Randnr. 355). Die Entscheidung enthalte aber gerade in bezug auf die hinsichtlich der Klägerin vorgenommene individuelle Würdigung zahlreiche Angaben (insbesondere in den Randnrn. 8, 9, 36 ff. und 170 bis 173).
[270] 269. Es treffe nicht zu, daß die in der Entscheidung enthaltene Begründung keine gerichtliche Überprüfung der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulasse. Die Klägerin gehe offenbar irrtümlich davon aus, daß die Bußgelder auf der Grundlage einer mathematischen Formel festgesetzt worden seien; dies sei jedoch nicht der Fall. Der zugrundegelegte Ausgangssatz sei nach Maßgabe der besonderen Situation jedes betroffenen Unternehmens geändert worden. Im übrigen seien die Umsatzzahlen Geschäftsgeheimnisse, die die Kommission wahren müsse.
[271] 270. In bezug auf die für die Zusammenarbeit mit der Kommission gewährten Nachlässe enthalte die Entscheidung zusammenfassende Angaben zum Verteidigungsvorbringen der einzelnen Unternehmen (Randnrn. 107 bis 110) sowie zur Würdigung dieses Vorbringens durch die Kommission (Randnrn. 111 bis 115). Hinsichtlich der Klägerin gehe aus den Randnummern 108 und 114 der Entscheidung hervor, daß die Kommission deren Ausführungen in zentralen Punkten für sachlich unrichtig gehalten habe und daß sie deshalb nicht als geständig habe angesehen werden können (siehe auch Randnr. 172 der Entscheidung). Die Klägerin habe somit beurteilen können, ob sie im Verhältnis zu anderen Unternehmen sachgerecht und ohne Diskriminierung behandelt worden sei.
[272] 271. Schließlich sei die Begründung hinsichtlich der Bemessung der individuellen Geldbußen voll und ganz mit der Begründung in der Polypropylen-Entscheidung vergleichbar, die als ausreichend angesehen worden sei (Urteil ICI/Kommission, Randnrn. 353 und 354).
Würdigung durch das Gericht
[273] 272. Das Gericht hat bereits auf den Zweck der Pflicht zur Begründung einer Einzelfallentscheidung hingewiesen (siehe oben, Randnr. 42).
[274] 273. Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der wie im vorliegenden Fall gegen mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbußen festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist (siehe oben, Randnr. 256).
[275] 274. Außerdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbußen über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59).
[276] 275. Die zur Ermittlung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen und der Höhe der individuellen Geldbußen herangezogenen Kriterien finden sich in den Randnummern 168 und 169 der Entscheidung. Zudem führt die Kommission in bezug auf die individuellen Geldbußen in Randnummer 170 aus, daß die Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, grundsätzlich als "Anführer" des Kartells und die übrigen Unternehmen als dessen "gewöhnliche Mitglieder" angesehen worden seien. Schließlich weist sie in den Randnummern 171 und 172 darauf hin, daß die gegen Rena und Stora festgesetzten Geldbußen erheblich niedriger auszufallen hätten, um deren aktiver Kooperation mit der Kommission Rechnung zu tragen, und daß acht andere Unternehmen ebenfalls in den Genuß einer in geringerem Umfang herabgesetzten Geldbuße kommen könnten, da sie in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der Kommission in der Substanz nicht bestritten hätten.
[277] 276. In ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen und in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission erläutert, daß die Geldbußen auf der Grundlage des von den einzelnen Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet worden seien. Gegen die als "Anführer" des Kartells angesehenen Unternehmen seien Geldbußen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 7, 5 % festgesetzt worden. Schließlich habe die Kommission gegebenenfalls dem kooperativen Verhalten bestimmter Unternehmen während des Verwaltungsverfahrens Rechnung getragen. Bei zwei Unternehmen seien die Geldbußen aus diesem Grund um zwei Drittel und bei anderen Unternehmen um ein Drittel herabgesetzt worden.
[278] 277. Im übrigen ergibt sich aus einer von der Kommission vorgelegten Tabelle, die Angaben zur Festlegung der Höhe aller individuellen Geldbußen enthält, daß diese zwar nicht durch streng mathematische Anwendung allein der oben genannten Zahlen ermittelt wurden, daß diese Zahlen jedoch bei der Berechnung der Geldbußen systematisch herangezogen wurden.
[279] 278. In der Entscheidung wird aber nicht erläutert, daß die Geldbußen auf der Grundlage des von den einzelnen Unternehmen auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet wurden. Auch die zur Berechnung der festgesetzten Geldbußen angewandten Basissätze von 9 % für die als "Anführer" angesehenen Unternehmen und von 7, 5 % für die "gewöhnlichen Mitglieder" sind in der Entscheidung nicht zu finden. Gleiches gilt für den Umfang der Herabsetzung bei Rena und Stora einerseits und bei acht anderen Unternehmen andererseits.
[280] 279. Im vorliegenden Fall ist erstens davon auszugehen, daß die Randnummern 169 bis 172 der Entscheidung bei einer Auslegung im Licht der in der Entscheidung zu findenden eingehenden Darstellung der jedem ihrer Adressaten zur Last gelegten Sachverhalte ausreichende und sachgerechte Angaben zu den Gesichtspunkten enthalten, die bei der Beurteilung der Schwere und der Dauer der von den einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung herangezogen wurden (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnr. 264). Die Angabe der Kriterien, die einen Bußgeldnachlaß rechtfertigten, und die Aufzählung der Unternehmen, die einen solchen Nachlaß erhielten (Randnrn. 171 und 172 der Entscheidung), ermöglichen es außerdem, die Erwägungen der Kommission nachzuvollziehen. Sie brauchte die individuelle Anwendung dieser Kriterien deshalb nicht näher zu erläutern.
[281] 280. Zweitens würde, wenn die Höhe der jeweiligen Geldbußen wie hier auf der Grundlage der systematischen Heranziehung einiger ganz bestimmter Daten ermittelt wird, die Angabe all dieser Faktoren in der Entscheidung den Unternehmen die Beurteilung der Frage erleichtern, ob die Kommission bei der Festlegung der Höhe der individuellen Geldbuße Fehler begangen hat und ob die Höhe jeder individuellen Geldbuße in Anbetracht der angewandten allgemeinen Kriterien gerechtfertigt ist. Im vorliegenden Fall wäre mit der Angabe der fraglichen Faktoren – Referenzumsatz, Referenzjahr, angewandte Basissätze und Umfang der Herabsetzung der Geldbußen – in der Entscheidung keine möglicherweise gegen Artikel 214 des Vertrages verstoßende implizite Preisgabe des genauen Umsatzes der Adressaten der Entscheidung verbunden gewesen. Denn der Endbetrag der individuellen Geldbußen ergibt sich, wie die Kommission selbst ausgeführt hat, nicht aus einer streng mathematischen Anwendung dieser Faktoren.
[282] 281. Die Kommission hat im übrigen in der Verhandlung eingeräumt, daß sie in der Entscheidung die systematisch berücksichtigten und in einer Pressekonferenz am Tag ihres Erlasses bekanntgegebenen Faktoren durchaus hätte aufzählen können. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Begründung einer Entscheidung nach ständiger Rechtsprechung in der Entscheidung selbst enthalten sein muß und daß nachträgliche Erläuterungen der Kommission nur unter außergewöhnlichen Umständen berücksichtigt werden können (vgl. Urteil des Gerichts vom 2. Juli 1992 in der Rechtssache T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Slg. 1992, II-1931, Randnr. 131; in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1991 in der Rechtssache T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Randnr. 136).
[283] 282. Gleichwohl ist festzustellen, daß die Begründung zur Festlegung der Höhe der Geldbußen in den Randnummern 167 bis 172 der Entscheidung mindestens ebenso detailliert ist wie die Begründung in früheren Entscheidungen der Kommission, die ähnliche Zuwiderhandlungen betrafen. Zwar ist der Klagegrund eines Begründungsmangels von Amts wegen zu berücksichtigen, doch hatte der Gemeinschaftsrichter zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung noch in keinem Fall die Praxis der Kommission bei der Begründung der festgesetzten Geldbußen gerügt. Erst im Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-148/89 (Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 142) und in zwei anderen Urteilen vom selben Tag in den Rechtssachen T-147/89 (Société métallurgique de Normandie/Kommission, Slg. 1995, II-1057, abgekürzte Veröffentlichung) und T-151/89 (Société des treillis et panneaux soudés/Kommission, Slg. 1995, II-1191, abgekürzte Veröffentlichung) hat es das Gericht erstmals als wünschenswert bezeichnet, daß die Unternehmen die Berechnungsweise der gegen sie verhängten Geldbuße im einzelnen in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweck gerichtlich gegen die Entscheidung der Kommission vorgehen zu müssen.
[284] 283. Folglich muß die Kommission, wenn sie in einer Entscheidung eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln feststellt und gegen die daran beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt und wenn sie systematisch bestimmte Grundelemente bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen heranzieht, diese Elemente in der Entscheidung selbst angeben, um es deren Adressaten zu ermöglichen, die Richtigkeit der Höhe der Geldbuße zu überprüfen und festzustellen, ob eine Diskriminierung vorliegt.
[285] 284. Unter den zuvor in Randnummer 282 genannten besonderen Umständen und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kommission bereit war, im gerichtlichen Verfahren alle Auskünfte über den Berechnungsmodus der Geldbußen zu geben, kann das Fehlen einer speziellen Begründung für den Berechnungsmodus der Geldbußen in der Entscheidung im vorliegenden Fall nicht als Verstoß gegen die Begründungspflicht angesehen werden, der die völlige oder teilweise Nichtigerklärung der festgesetzten Geldbußen rechtfertigt.
[286] 285. Der vorliegende Klagegrund ist daher abzuweisen.
D – Zum Klagegrund, der darauf gestützt wird, daß die Klägerin fälschlich als "Anführerin" des Kartells eingestuft worden sei
Vorbringen der Parteien
[287] 286. Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe sie zu Unrecht zu den "Anführern" des Kartells gezählt. Die Kommission habe diese Feststellung nur auf einen Gesichtspunkt gestützt, und zwar darauf, daß sie im PWG vertreten gewesen sei (Randnr. 170 der Entscheidung). Dieser Gesichtspunkt könne jedoch nicht als ausreichend angesehen werden, zumal die Kommission nicht erläutert habe, weshalb die – ebenfalls im PWG vertretenen – Unternehmen Weig und KNP nicht zu den "Anführern" gezählt worden seien.
[288] 287. Es sei auch nicht gerechtfertigt, sie zu den "Anführern" zu zählen, weil sie für weniger als ein halbes Jahr die Präsidentschaft des PWG innegehabt habe.
[289] 288. Die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG hätten auch nicht die Rolle einer "treibenden Kraft" des Kartells gespielt. Alle Teilnehmer an den Sitzungen der verschiedenen Gremien der PG Karton hätten an allen Gesprächen mitgewirkt, die gegen Artikel 85 des Vertrages verstoßen haben könnten. Außerdem räume die Kommission selbst ein, daß alle Gremien der PG Karton Funktionen ausgeübt hätten, die Teil eines gemeinsamen Gesamtplans zur Beschränkung des Wettbewerbs gewesen seien, und daß jedes Unternehmen an diesem Gesamtsystem mitgewirkt habe.
[290] 289. Die Kommission trägt vor, die Klägerin sei aufgrund ihrer Teilnahme an den Sitzungen des PWG, in dem die grundlegenden Entscheidungen über Preisinitiativen und über die "Preis-vor-Menge" -Politik getroffen worden seien (Randnrn. 36 bis 40 der Entscheidung), als einer der "Anführer" des Kartells anzusehen. Außerdem sei angesichts der Tatsache, daß die Klägerin über einen längeren Zeitraum den Vorsitz im PWG geführt habe, davon auszugehen, daß sie darin eine durchaus aktive Rolle gespielt habe.
Würdigung durch das Gericht
[291] 290. Den Feststellungen zu den von der Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung geltend gemachten Klagegründen ist zu entnehmen, daß die Kommission ordnungsgemäß nachgewiesen hat, daß der PWG die in der Entscheidung beschriebenen Funktionen hatte. Auch die Rolle, die – insbesondere Ende 1987 – die diesem Gremium angehörenden Unternehmen spielten, wurde nachgewiesen.
[292] 291. Unter diesen Umständen war die Kommission zu dem Schluß berechtigt, daß die Unternehmen, die an den Sitzungen dieses Gremiums teilnahmen und zu denen die Klägerin gehörte, als "Anführer" der festgestellten Zuwiderhandlung anzusehen waren und aus diesem Grund eine besondere Verantwortung zu tragen hatten (vgl. Randnr. 170 Absatz 1 der Entscheidung). Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission bei der Einstufung der Unternehmen als "Anführer" nicht darauf abgestellt hat, wer die Präsidentschaft des PWG innehatte, sondern auf die Teilnahme an den Sitzungen dieses Gremiums.
[293] 292. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin unstreitig seit der Schaffung des PWG an dessen Sitzungen teilgenommen. Sie hat auch nicht dargetan, daß sie in den Gremien der PG Karton eine weitgehend passive Rolle gespielt hätte.
[294] 293. Auch wenn die Behauptung zuträfe, daß alle Unternehmen, die an den Sitzungen der verschiedenen Gremien der PG Karton teilnahmen, als für die Zuwiderhandlung verantwortlich anzusehen seien, könnte sie keinen Einfluß auf die Feststellung haben, daß die dem PWG angehörenden Unternehmen eine besondere Rolle bei der Ausarbeitung und Durchführung der rechtswidrigen Handlungen spielten.
[295] 294. Schließlich enthält die Entscheidung nach Ansicht des Gerichts hinreichende Erläuterungen, um die Rolle von KNP und Weig beurteilen zu können. So wurde KNP gemäß Artikel 170 Absatz 2 der Entscheidung nur während der Zeit ihrer Teilnahme an den Sitzungen des PWG, d. h. nicht während der gesamten Dauer ihrer Beteiligung am Kartell, zu den "Anführern" des Kartells gezählt. Außerdem hat die Kommission nach ihren Angaben berücksichtigt, daß Weig, obschon Mitglied des PWG, bei der Gestaltung der Politik des Kartells keine wichtige Rolle gespielt zu haben scheine (Randnr. 170 Absatz 3 der Entscheidung). Die Behauptung der Klägerin, daß sie gegenüber den genannten Unternehmen benachteiligt worden sei, entbehrt daher der Grundlage.
[296] 295. Folglich ist dieser Klagegrund abzuweisen.
E – Zum Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte
Vorbringen der Parteien
[297] 296. Die Klägerin macht geltend, daß ihre Verteidigungsrechte verletzt worden seien. Die gegen sie verhängte Geldbuße sei um 50 % erhöht worden, weil sie einzelne Tatvorwürfe der Kommission bestritten habe. Sie sei folglich mit einer härteren Sanktion belegt worden, weil sie nicht auf die Geltendmachung ihrer Verteidigungsrechte verzichtet habe.
[298] 297. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stehe die Ausübung jeder Art von Druck auf die Unternehmen, damit sie – um eine Herabsetzung der Geldbuße zu erreichen – auf ein Bestreiten der gegen sie erhobenen Tatvorwürfe verzichteten, im Widerspruch zu Artikel 6 EMRK (Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache Deweer, Serie A, Nr. 35, Randnrn. 41 bis 47, und vom 25. Februar 1993 in der Rechtssache Funke, Serie A, Nr. 256-A, Randnr. 44). Außerdem müßten nach Ansicht dieses Gerichts die Ermittlungsbehörden auch in Wettbewerbsverfahren gegenüber Unternehmen die verfahrensrechtlichen Garantien von Artikel 6 EMRK und namentlich das Prinzip der Unschuldsvermutung respektieren (Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 8. Juni 1976 in der Rechtssache Engel u. a., Serie A, Nr. 22, vom 21. Februar 1984 in der Rechtssache Öztürk, Serie A, Nr. 73, und in der Rechtssache Deweer sowie Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache Stenuit/Französischer Staat, Nr. 11598/85, Serie A, Nr. 232-A).
[299] 298. Die Verteidigungsrechte seien als generelles Prinzip des Gemeinschaftsrechts anerkannt worden, aus dem folge, daß die Unternehmen keinem Zwang unterworfen werden dürften, um sie dazu zu bringen, die Richtigkeit der gegen sie erhobenen Vorwürfe einzugestehen (Urteil des Gerichtshofes vom 18. Oktober 1989 in der Rechtssache 374/87, Orkem/Kommission, Slg. 1989, 3283, Randnr. 35). Insbesondere sei anerkannt worden, daß Artikel 6 EMRK im Verwaltungsverfahren vor der Kommission Anwendung finde (Randnr. 30 desselben Urteils).
[300] 299. Während des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission seien Drohungen gegenüber den Unternehmen ausgesprochen worden, um sie dazu zu zwingen, die Behauptungen der Kommission nicht zu bestreiten. Die Kommission räume ein, während des Verwaltungsverfahrens den Unternehmen gegenüber zum Ausdruck gebracht zu haben, daß ihre Kooperation bei der Bußgeldbemessung Berücksichtigung finden würde.
[301] 300. Darüber hinaus seien die Verteidigungsrechte der Klägerin dadurch verletzt worden, daß sie die Schriftsätze der Unternehmen, die einen Bußgeldnachlaß erhalten hätten, weil sie die Tatsachenbehauptungen der Kommission in der Substanz nicht bestritten hätten, nicht habe einsehen können. Unter diesen Umständen habe sie nicht prüfen können, ob diese Unternehmen die Behauptungen tatsächlich in der Substanz nicht bestritten hätten und ob sie folglich gegenüber diesen Unternehmen benachteiligt worden sei.
[302] 301. Die Kommission hält sich für berechtigt, die Geldbußen herabzusetzen, um einer aktiven Kooperation der Unternehmen Rechnung zu tragen (Urteile des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-12/89, Solvay/Kommission, Slg. 1992, II-907, Randnrn. 341 und 342, und in der Rechtssache ICI/Kommission, Randnr. 393). Eine solche Herabsetzung der Geldbuße könne nur dann als Verletzung der Verteidigungsrechte der fraglichen Unternehmen angesehen werden, wenn die Kommission damit drohe, gegen Unternehmen, die die Zuwiderhandlungen nicht zugäben, höhere Geldbußen zu verhängen.
[303] 302. Sie habe nie auch nur den geringsten Druck auf die Klägerin ausgeübt, um sie dazu zu bewegen, die Richtigkeit der Beschwerdepunkte nicht zu bestreiten. Sie habe ihr zu den gleichen Bedingungen wie allen anderen betroffenen Unternehmen die Möglichkeit eines Bußgeldnachlasses angeboten.
[304] 303. Auch das auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und das Urteil Orkem/Kommission gestützte Vorbringen sei nicht stichhaltig. Aus dem letztgenannten Urteil (Randnr. 30) gehe im übrigen ausdrücklich hervor, daß die EMRK für die vorliegende Frage ohne Bedeutung sei.
[305] 304. Schließlich sei sie nicht verpflichtet, während des Verwaltungsverfahrens offenzulegen, welche Kriterien sie bei der Bußgeldbemessung heranziehen wolle (Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnrn. 17 ff.); es reiche aus, wenn sie diese Kriterien in der Entscheidung selbst angebe. Es genüge daher, wenn in der Entscheidung dargelegt werde, in welchem Maß die einzelnen Unternehmen kooperiert hätten.
Würdigung durch das Gericht
[306] 305. Die Kommission hat sich bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen auf die in den Randnummern 167 und 168 der Entscheidung angegebenen Erwägungen gestützt. Außerdem wurden unstreitig gegen die als "Anführer" des Kartells angesehenen Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 7, 5 % des von den Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes festgesetzt.
[307] 306. Die in Randnummer 168 der Entscheidung wiedergegebenen Kriterien rechtfertigen das von der Kommission festgelegte allgemeine Niveau der Geldbußen (siehe oben, Randnr. 262).
[308] 307. In den Randnummern 169 bis 172 der Entscheidung sind die Gesichtspunkte zu finden, die die Kommission der Festsetzung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbußen zugrunde gelegt hat. Die Kommission weist insbesondere in den Randnummern 171 und 172 darauf hin, daß die gegen Rena und Stora festgesetzten Geldbußen erheblich niedriger auszufallen hätten, um deren aktiver Kooperation mit der Kommission Rechnung zu tragen, und daß acht andere Unternehmen ebenfalls in den Genuß einer in geringerem Umfang herabgesetzten Geldbuße kommen könnten, da sie in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der Kommission in der Substanz nicht angefochten hätten. Im Verfahren vor dem Gericht hat die Kommission u. a. erläutert, daß sie gegebenenfalls dem kooperativen Verhalten bestimmter Unternehmen während des Verwaltungsverfahrens Rechnung getragen habe, indem sie die Geldbußen von zwei Unternehmen um zwei Drittel und die von anderen Unternehmen um ein Drittel herabgesetzt habe.
[309] 308. Da das von der Kommission gewählte allgemeine Niveau der Geldbußen in Anbetracht der in der Entscheidung genannten Kriterien als gerechtfertigt angesehen worden ist, ist festzustellen, daß die Kommission – wie in der Entscheidung angegeben – die gegen die Unternehmen festgesetzten Geldbußen tatsächlich herabgesetzt hat, wenn sie sich im Verwaltungsverfahren kooperativ verhalten hatten. Dem Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission die Geldbußen der Unternehmen, die von ihren Verteidigungsrechten Gebrauch gemacht hätten, erhöht habe, kann daher nicht gefolgt werden.
[310] 309. Werden die Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren vor der Kommission in der Weise ausgeübt, daß die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht beantwortet wird, daß zu den Tatsachenbehauptungen in der Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht Stellung genommen wird oder daß in dieser Erwiderung die wesentlichen oder alle in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen Tatsachenbehauptungen bestritten werden, so kann dies keine Herabsetzung der Geldbuße wegen einer Kooperation im Verwaltungsverfahren rechtfertigen. Eine Herabsetzung aus diesem Grund ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und gegebenenfalls zu beenden (vgl. Urteil ICI/Kommission, Randnr. 393). Unter diesen Umständen kann bei einem Unternehmen, das ausdrücklich erklärt, daß es die von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen nicht bestreite, davon ausgegangen werden, daß es zur Erleichterung der in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bestehenden Aufgabe der Kommission beigetragen hat.
[311] 310. Schließlich hat der Gerichtshof im Urteil Orkem/Kommission in bezug auf Artikel 6 EMRK entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht entschieden, daß diese Bestimmung im Verwaltungsverfahren vor der Kommission Anwendung findet, sondern – wie schon aus dem Wortlaut des Urteils (Randnr. 30) hervorgeht – dies für den dortigen Fall lediglich in Erwägung gezogen.
[312] 311. Das Gericht kann die Rechtmäßigkeit einer wettbewerbsrechtlichen Untersuchung nicht anhand von Bestimmungen der EMRK beurteilen, da diese als solche nicht Bestandteil des Gemeinschaftsrechts sind.
[313] 312. Nach ständiger Rechtsprechung gehören die Grundrechte allerdings zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sichern hat (vgl. u. a. Gutachten 2/94 des Gerichtshofes vom 28. März 1996, Slg. 1996, I-1759, Randnr. 33, und Urteil des Gerichtshofes vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-299/95, Kremzow, Slg. 1997, I-2629, Randnr. 14). Dabei lassen sich der Gerichtshof und das Gericht von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Der EMRK kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 18, und in der Rechtssache Kremzow, Randnr. 14). Ferner achtet die Union gemäß Artikel F Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union "die Grundrechte, wie sie in der [EMRK] gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten [ergeben,] als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts …"
[314] 313. Somit ist zu prüfen, ob die Kommission bei Zugrundelegung dieser Erwägungen in der Weise gegen den tragenden Grundsatz der Rechtsordnung der Gemeinschaft, daß die Verteidigungsrechte gewahrt werden müssen (Urteil Michelin/Kommission, Randnr. 7), verstoßen hat, daß sie während des Verwaltungsverfahrens rechtswidrigen Druck auf die Klägerin ausübte, damit diese die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen Tatsachenbehauptungen einräumt.
[315] 314. Insoweit kann es nicht schon als Ausübung von Druck auf ein in die Untersuchung einbezogenes Unternehmen angesehen werden, wenn dieses während des Verwaltungsverfahrens darauf hingewiesen wird, daß im Fall der Anerkennung der wesentlichen oder aller Tatsachenbehauptungen die zu verhängende Geldbuße herabgesetzt werden könnte, wobei der Umfang dieser Herabsetzung nicht angegeben wird.
[316] 315. Die Klägerin hat jedenfalls nicht erläutert, inwiefern die von der Kommission im Verwaltungsverfahren angebotene Möglichkeit, die zu verhängende Geldbuße herabzusetzen, sie derart unter Druck gesetzt hätte, daß sie gezwungen gewesen wäre, die Richtigkeit der wesentlichen Tatsachenbehauptungen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte einzuräumen. In diesem Zusammenhang ist im übrigen darauf hinzuweisen, daß die Klägerin von ihren Verteidigungsrechten im Verwaltungsverfahren Gebrauch gemacht hat, denn sie hat die wesentlichen von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen tatsächlich bestritten. Folglich ist ihr Vorbringen zurückzuweisen.
[317] 316. Schließlich hat die Klägerin nicht erläutert, inwiefern gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung verstoßen worden sei.
[318] 317. Auf ihr Vorbringen, daß sie nicht habe prüfen können, ob sie anders als die übrigen von der Untersuchung betroffenen Unternehmen behandelt worden sei, wird im Rahmen des Klagegrundes eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung eingegangen (siehe unten, Randnrn. 334 und 335).
[319] 318. Nach alledem ist der Klagegrund abzuweisen.
F – Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, der darin bestehen soll, daß die Geldbuße der Klägerin nicht herabgesetzt wurde
Vorbringen der Parteien
[320] 319. Die Klägerin trägt vor, sie sei gegenüber den Unternehmen benachteiligt worden, die einen Bußgeldnachlaß erhalten hätten, weil sie die Tatsachenbehauptungen der Kommission in der Substanz nicht bestritten hätten (Randnr. 172 der Entscheidung).
[321] 320. Aus einem Schreiben der Kommission vom 27. April 1994 gehe hervor, daß diese von ihr für die Gewährung eines Nachlasses die Anerkennung der sachlichen Richtigkeit der Vorwürfe verlangt habe, während sie dies bei anderen Unternehmen nur davon abhängig gemacht habe, daß sie die Tatsachenbehauptungen in der Substanz nicht bestritten.
[322] 321. Sie habe aber die Tatsachenbehauptungen der Kommission in der Substanz nicht bestritten, so daß sie einen Bußgeldnachlaß hätte erhalten müssen. Sie habe stets eingeräumt, an Gesprächen über Preise und Preiserhöhungen teilgenommen zu haben, und sogar erklärt, daß solche Gespräche nach der Rechtsprechung gegen Artikel 85 des Vertrages verstoßende abgestimmte Verhaltensweisen darstellten. Die Kommission habe ihre Kooperation auch in der Einzeldarstellung zu den Beschwerdepunkten ausdrücklich anerkannt.
[323] 322. Sie habe die Richtigkeit der von der Kommission vorgenommenen Würdigung der Tatsachen, insbesondere in bezug auf ihre Behauptungen zur Existenz von Preisvereinbarungen und eines perfekt organisierten Kartells, nicht einräumen können, weil sie vor nationalen Gerichten hätte zur Verantwortung gezogen werden können.
[324] 323. Sie habe aktiv mit der Kommission kooperiert und ihr insbesondere zusammen mit einigen anderen Unternehmen eine verfahrensmäßige Lösung vorgeschlagen, die darin bestanden habe, zum Ausgleich für eine Herabsetzung der Geldbuße auf die Einlegung von Rechtsmitteln zu verzichten. Schon allein dieser Vorschlag hätte eine Herabsetzung der Geldbuße gerechtfertigt.
[325] 324. Soweit sie in der Lage sei, den Inhalt der von den Unternehmen, die in den Genuß des betreffenden Bußgeldnachlasses gekommen seien, abgegebenen Erklärungen zu überprüfen, müsse sie schließlich davon ausgehen, daß sie mit Sicherheit benachteiligt worden sei. Dies zeigten die im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten wesentlichen Klagegründe der von Sarrió und Enso EspaÄnola erhobenen Klagen (ABl. 1994, C 380, S. 20 und 22). Aus ihnen gehe hervor, daß diese beiden Unternehmen die Behauptungen der Kommission vor dem Gericht in mindestens dem gleichen Maß bestritten wie sie. Dennoch seien ihre Geldbußen wegen angeblichen Nichtbestreitens herabgesetzt worden. Außerdem sei auf Auszüge aus den Erklärungen zu verweisen, die der Vertreter von Weig bei der Anhörung vor der Kommission abgegeben habe, und auf die von diesem Unternehmen vor dem Gericht geltend gemachten Klagegründe (wie sie im ABl. 1994, C 380, S. 16 f., dargestellt würden). Daraus gehe hervor, daß Weig, obwohl sie einen Bußgeldnachlaß erhalten habe, die Vorwürfe der Kommission im selben Umfang wie sie bestreite.
[326] 325. Die Kommission weist darauf hin, daß sie nicht nur berechtigt sei, eine aktive Kooperation bußgeldmindernd zu berücksichtigen, sondern daß dies gegebenenfalls sogar geboten sei (Urteil ICI/Kommission, Randnr. 393). Die Berücksichtigung des Nichtbestreitens von Tatsachen als mildernder Umstand bei der Bemessung der Geldbußen sei somit gerechtfertigt, da eine solche Kooperation zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Beschleunigung des Verfahrens beitrage.
[327] 326. Die Klägerin habe keine derartige aktive Kooperation gezeigt. Zum einen habe sie nur die Existenz einer abgestimmten Verhaltensweise eingeräumt, was jedoch kein Eingeständnis der Tatsachen darstelle. Zum anderen habe sie stets nicht nur bestritten, daß Preisvereinbarungen getroffen worden seien, sondern auch jede Absprache über Produktionsmengen, Marktanteile und die planmäßige Durchführung der Preisinitiativen geleugnet.
[328] 327. Die von der Klägerin vorgeschlagene Lösung zur Beendigung des Verfahrens könne nicht als aktive Kooperation angesehen werden, die einen Bußgeldnachlaß rechtfertige. Ein Rechtsmittelverzicht sei nämlich nicht zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet. Er könne auch nicht zur Verfahrensbeschleunigung führen, da die Kommission kein Interesse am Abschluß eines solchen "Handels" mit den Unternehmen habe.
[329] 328. Was die angebliche Ungleichbehandlung gegenüber Sarrió und Enso EspaÄnola anbelange, so hätten diese beiden Unternehmen die von ihr getroffenen Tatsachenfeststellungen jedenfalls vor Erlaß der Entscheidung in der Substanz nicht bestritten. Die Herabsetzung ihrer Geldbußen sei deshalb gerechtfertigt gewesen. Auch das Verhalten von Weig sei mit dem der Klägerin nicht vergleichbar. Zum einen habe Weig die Feststellungen der Kommission bereits in der Erwiderung auf die Beschwerdepunkte im wesentlichen nicht mehr bestritten. Zum anderen habe sie zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen, indem sie eine Aussage eines Vorstandsmitglieds von Feldmühle beigebracht habe, das an den Sitzungen verschiedener Gremien der PG Karton teilgenommen habe.
Würdigung durch das Gericht
[330] 329. Die Klägerin hat in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte nur eingeräumt, daß die Gespräche im Rahmen der Gremien der PG Karton Preise und Preiserhöhungen betroffen haben könnten.
[331] 330. Die Kommission hat zu Recht die Ansicht vertreten, daß sich die Klägerin mit dieser Erwiderung nicht in einer Weise verhalten habe, die eine Herabsetzung der Geldbuße aufgrund einer Kooperation während des Verwaltungsverfahrens rechtfertige. Eine Herabsetzung aus diesem Grund ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und gegebenenfalls zu beenden (vgl. Urteil ICI/Kommission, Randnr. 393).
[332] 331. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnr. 309), kann bei einem Unternehmen, das ausdrücklich erklärt, daß es die von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen nicht bestreite, davon ausgegangen werden, daß es zur Erleichterung der in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bestehenden Aufgabe der Kommission beigetragen hat. Die Kommission ist berechtigt, ein solches Verhalten in ihren Entscheidungen, in denen sie eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln feststellt, als Eingeständnis der behaupteten Tatsachen und damit als Beweis für die Begründetheit der fraglichen Behauptungen zu werten. Dieses Verhalten kann daher eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigen.
[333] 332. Etwas anderes gilt, wenn ein Unternehmen die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht beantwortet, wenn es nur erklärt, daß es zu den von der Kommission darin aufgestellten Tatsachenbehauptungen nicht Stellung nehme oder wenn es in seiner Erwiderung – wie die Klägerin – diese Behauptungen im wesentlichen bestreitet. Durch ein solches Verhalten während des Verwaltungsverfahrens trägt das Unternehmen nicht zur Erleichterung der in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bestehenden Aufgabe der Kommission bei. Ferner liegt es auf der Hand, daß auch der von der Klägerin im Verwaltungsverfahren gemachte Vorschlag an die Kommission, auf die Erhebung einer Klage gegen die zu erlassende Entscheidung zu verzichten, nicht zur Erleichterung dieser Aufgabe beitragen konnte.
[334] 333. Wenn die Kommission in Randnummer 172 Absatz 1 der Entscheidung erklärt, daß sie gegen die Unternehmen, die in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die von ihr vorgebrachten Tatsachenbehauptungen in der Substanz nicht angefochten hätten, eine niedrigere Geldbuße festgesetzt habe, so können diese Bußgeldnachlässe folglich nur dann als zulässig angesehen werden, wenn die betreffenden Unternehmen ausdrücklich mitgeteilt haben, daß sie die fraglichen Behauptungen nicht bestritten.
[335] 334. Selbst wenn man unterstellt, daß die Kommission ein rechtswidriges Kriterium angewandt hätte, indem sie die Geldbußen von Unternehmen herabsetzte, die nicht ausdrücklich erklärt hatten, daß sie die Tatsachenbehauptungen nicht bestritten, ist darauf hinzuweisen, daß die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung mit der Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden muß, das besagt, daß sich niemand zu seinem Vorteil auf eine gegenüber anderen begangene Rechtsverletzung berufen kann (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 4. Juli 1985 in der Rechtssache 134/84, Williams/Rechnungshof, Slg. 1985, 2225, Randnr. 14). Da die Argumentation der Klägerin gerade darauf hinausläuft, ihr einen Anspruch auf eine rechtswidrige Herabsetzung der Geldbuße einzuräumen, kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden.
[336] 335. Da es nicht zu einer Herabsetzung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße führen kann, daß die Kommission einige Geldbußen möglicherweise zu Unrecht herabgesetzt hat, kann die Klägerin nicht geltend machen, daß ihre Verteidigungsrechte dadurch verletzt worden seien, daß sie nicht habe prüfen können, ob sie in diesem Punkt anders als die übrigen Unternehmen behandelt worden sei.
[337] 336. Schließlich geht das Vorbringen der Klägerin fehl, daß die Geldbußen der Firmen Sarrió und Enso EspaÄnola sowie – in gewissem Umfang – Weig um ein Drittel herabgesetzt worden seien, obwohl sie in ihren beim Gericht erhobenen Klagen gegen die Entscheidung die darin enthaltenen Behauptungen angefochten hätten. Die Kommission hat nämlich bei der Gewährung der Bußgeldnachlässe nur das Verhalten der Unternehmen während des Verwaltungsverfahrens berücksichtigt.
[338] 337. Folglich ist der Klagegrund abzuweisen.
G – Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung durch Festsetzung einer Geldbuße gegen die Klägerin, die im Verhältnis zu der gegen Stora verhängten Geldbuße überhöht sei
Vorbringen der Parteien
[339] 338. Die Klägerin trägt vor, nach der Rechtsprechung seien die Geldbußen individuell, ohne Diskriminierung und unter Berücksichtigung des Tatbeitrags, der Marktlage und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage jedes Unternehmens festzusetzen (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 44/69, Buchler/Kommission, Slg. 1970, 733, in den Rechtssachen Suiker Unie u. a./Kommission, und vom 12. Juli 1979 in den Rechtssachen 32/78 und 36/78 bis 82/78, BMW Belgium u. a./Kommission, Slg. 1979, 2435). Der Gerichtshof und das Gericht hätten die Bedeutung des Grundsatzes der Gleichbehandlung mehrfach betont (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 30. Januar 1985 in der Rechtssache 35/83, BAT/Kommission, Slg. 1985, 363, Randnrn. 43 bis 47, und vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-279/87, Tipp-Ex/Kommission, Slg. 1990, I-261, abgekürzte Veröffentlichung, Randnrn. 40 und 41, sowie Urteile Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Randnr. 52, und ICI/Kommission).
[340] 339. In Anbetracht dieser Rechtsprechung könne das Vorbringen der Kommission, daß sich die Klägerin nicht auf eine etwaige Bevorzugung von Stora berufen könne, nicht durchgreifen.
[341] 340. Der Klagegrund besteht aus zwei Teilen.
[342] 341. Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, das gegen sie verhängte Bußgeld sei gegenüber der Geldbuße von Stora unverhältnismäßig.
[343] 342. Feldmühle habe systematische Preisunterbietungen vorgenommen, die die Klägerin und andere nicht in der Gemeinschaft ansässige Hersteller dazu gezwungen hätten, ihre Expansionspolitik auf dem Gemeinschaftsmarkt zu beenden. Die Vertreter von Stora/Feldmühle hätten im JMC und im PWG eine besonders aktive Rolle gespielt. Schließlich sei Stora im fraglichen Zeitraum mit einem Marktanteil von etwa 14 % Marktführer auf dem europäischen Kartonmarkt gewesen.
[344] 343. Vor der Gewährung etwaiger Nachlässe hätte die Geldbuße von Stora somit wesentlich höher sein müssen als die der Klägerin. Die Kommission habe daher bei der Festsetzung der Geldbußen den Gleichheitssatz verletzt (vgl. Urteil ICI/Kommission, Randnrn. 352 und 354 ff.).
[345] 344. Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin geltend, auch der Bußgeldnachlaß für Stora verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Erstens sei die Kommission zu Unrecht davon ausgegangen, daß Stora freiwillig und spontan kooperiert habe. Sie habe nämlich erst neun Monate nach der Einlegung der Beschwerde durch die BPIF, von der die Branche rasch Kenntnis erlangt habe, vier Monate nach den von der Kommission vorgenommenen Durchsuchungen und erst nach Erhalt ihrer Auskunftsverlangen ein "Geständnis" abgelegt.
[346] 345. Zweitens bestünden erhebliche Zweifel daran, ob das "Geständnis" der Firma Stora wirklich maßgeblich zum Nachweis der behaupteten Zuwiderhandlung beigetragen habe. Insoweit sei auf die Angaben der Kommission zu verweisen, nach denen die Aussagen von Stora in allen wichtigen Punkten durch andere Dokumente bestätigt worden seien.
[347] 346. Drittens sei der Nachlaß für Stora jedenfalls unverhältnismäßig. Ein Vergleich der Feststellungen des Gerichts im Urteil ICI/Kommission (Randnr. 393) mit dem vorliegenden Sachverhalt zeige, daß Stora keinesfalls besser behandelt werden dürfe als ICI vor dem Gericht.
[348] 347. Viertens führt die Klägerin in ihrer Erwiderung unter Berufung u. a. auf das Urteil Solvay/Kommission (Randnrn. 341 f.) aus, es sei zweifelhaft, ob das bloße Ablegen eines Geständnisses mit einem "Kooperationsrabatt" belohnt werden könne, da die Unternehmen ohnehin verpflichtet seien, Auskunftsverlangen der Kommission zu beantworten.
[349] 348. Fünftens schließlich trägt die Klägerin in ihrer Erwiderung vor, die Kommission habe bestimmte Unternehmen allein deshalb mit höheren Geldbußen belegt, weil sie der Tatsachenwürdigung durch Stora nicht in vollem Umfang gefolgt seien. Dies könne nicht hingenommen werden, zumal Stora zu den am schwersten belasteten Unternehmen gehört und deshalb ein offensichtliches Interesse daran gehabt habe, ihre eigene Rolle im Kartell gegenüber der anderer Unternehmen herunterzuspielen.
[350] 349. Die Kommission ist der Ansicht, daß die Klägerin nicht die Rechtmäßigkeit ihrer eigenen Geldbuße in Frage stelle, sondern die der gegen Stora verhängten Geldbuße. Die Klägerin könne sich jedoch nicht auf die etwaige Rechtswidrigkeit der gegen Stora verhängten Geldbuße berufen, da aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung nicht abzuleiten sei, daß sie für den Fall, daß die gegen Stora verhängte Geldbuße rechtswidrig sei, ebenfalls Anspruch auf rechtswidrige Behandlung habe.
[351] 350. Davon abgesehen sei die gegen Stora verhängte Geldbuße angemessen. Außerdem setze eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung eine ungleiche Behandlung vergleichbarer Fälle voraus. Die Situation der Klägerin sei jedoch nicht mit der von Stora vergleichbar. Zwar seien beide Unternehmen als "Anführer" des Kartells anzusehen, die eine besondere Verantwortung trügen, aber Stora habe im Gegensatz zur Klägerin frühzeitig und in großem Umfang mit der Kommission kooperiert.
[352] 351. Schließlich gingen die Aussagen von Stora weit über die Auskunftsverlangen der Kommission hinaus, und sie habe ihr Geständnis entgegen der Behauptung der Klägerin auch nicht weitgehend widerrufen.
Würdigung durch das Gericht
[353] 352. Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung, der zu den tragenden Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, nur dann vor, wenn vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden, sofern eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist (Urteile des Gerichtshofes vom 13. Dezember 1984 in der Rechtssache 106/83, Sermide, Slg. 1984, 4209, Randnr. 28, und vom 28. Juni 1990 in der Rechtssache C-174/89, Hoche, Slg. 1990, I-2681, Randnr. 25; im gleichen Sinne Urteil des Gerichts vom 15. März 1994 in der Rechtssache T-100/92, La Pietra/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-275, Randnr. 50).
[354] 353. Im vorliegenden Fall macht die Klägerin einen Verstoß gegen diesen Grundsatz geltend. Sie trägt vor, die gegen sie festgesetzte Geldbuße sei anhand des gleichen Basissatzes – 9 % des 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten Umsatzes – berechnet worden wie bei Stora, obwohl ihre Rolle im Kartell sich von der Rolle Storas unterschieden habe.
[355] 354. Insoweit genügt die Feststellung, daß Stora und die Klägerin nach den Angaben in der Entscheidung als Teilnehmer an den Sitzungen des PWG an den verschiedenen Bestandteilen des Kartells mitwirkten und daß beide Unternehmen aufgrund ihrer Teilnahme an den Sitzungen dieses Gremiums der PG Karton als "Anführer" des Kartells eingestuft wurden. Folglich unterschied sich die Situation dieser Unternehmen im Kartell nicht voneinander, so daß ihre Gleichbehandlung bei der Bemessung der Geldbuße gerechtfertigt war. Selbst wenn man nämlich unterstellt, daß die von der Klägerin zum Beleg dafür, daß sie im PWG eine weniger aktive Rolle als Stora gespielt habe, angeführten Gesichtspunkte erwiesen wären, könnten sie die Feststellung der Kommission zu den jeweiligen Rollen der Klägerin und von Stora nicht entkräften. Unter diesen Umständen ist der erste Teil des Klagegrundes abzuweisen.
[356] 355. Auch dem zweiten Teil des Klagegrundes kann nicht gefolgt werden.
[357] 356. Stora hat gegenüber der Kommission Aussagen gemacht, die eine eingehende Beschreibung von Art und Gegenstand der Zuwiderhandlung, der Funktionsweise der verschiedenen Gremien der PG Karton und der Beteiligung der einzelnen Hersteller an der Zuwiderhandlung enthalten. Durch diese Aussagen hat Stora Auskünfte gegeben, die weit über das hinausgehen, was die Kommission gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 verlangen kann. Auch wenn die Kommission in der Entscheidung erklärt, daß sie Beweise erlangt habe, die die in den Aussagen von Stora enthaltenen Auskünfte bestätigten (Randnrn. 112 und 113), steht außer Frage, daß die Aussagen von Stora den wichtigsten Beweis für das Vorliegen der Zuwiderhandlung darstellten. Ohne diese Aussagen wäre es somit für die Kommission zumindest sehr viel schwieriger gewesen, die den Gegenstand der Entscheidung bildende Zuwiderhandlung fest- und gegebenenfalls abzustellen.
[358] 357. Unter diesen Umständen hat die Kommission durch die Herabsetzung der gegen Stora verhängten Geldbuße um zwei Drittel das ihr bei der Festlegung der Höhe von Geldbußen zustehende Ermessen nicht überschritten. Die Klägerin kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der Stora gewährte Nachlaß unverhältnismäßig sei.
[359] 358. Darüber hinaus kann ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im vorliegenden Fall deshalb nicht festgestellt werden, weil die Klägerin im Gegensatz zu Stora, die aktiv mit der Kommission kooperiert hat, die von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen in der Substanz bestritten hat. Die Kommission konnte diese beiden Unternehmen somit bei der Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang die Geldbußen herabgesetzt werden, unterschiedlich behandeln, da sie sich nicht in der gleichen Situation befanden.
[360] 359. Nach alledem ist der Klagegrund als unbegründet abzuweisen.
H – Zum Klagegrund des Vorliegens bestimmter mildernder Umstände
Vorbringen der Parteien
[361] 360. Die Klägerin trägt vor, daß die Kommission bestimmte tatsächliche Gesichtspunkte bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße als mildernde Umstände hätte berücksichtigen müssen.
[362] 361. Erstens habe die Klägerin nicht versucht, belastende Unterlagen zu beseitigen, obwohl sie vorgewarnt worden sei, daß eine Durchsuchung durch die Vertreter der Kommission bevorstehe.
[363] 362. Zweitens sei sie bis Mitte 1990 ein mittelständisches Unternehmen gewesen. Erst im Lauf dieses Jahres habe sie ihre neue Maschine in der Kartonfabrik Neuss in Betrieb genommen und – im April bzw. September – die Firmen Deisswil und Eerbeek übernommen (rückwirkend zum 1. Januar 1990).
[364] 363. Drittens handele es sich um die erste Zuwiderhandlung im Kartonsektor.
[365] 364. Viertens seien die Preiserhöhungen bei dem von ihr hauptsächlich hergestellten GD-Karton geringer gewesen als bei GC-Karton. Sie habe deshalb nicht die bei den übrigen Unternehmen angenommene Gewinnspanne erzielen können.
[366] 365. Fünftens schließlich führt die Klägerin in ihrer Erwiderung aus, die Kommission hätte entsprechend ihrer früheren Entscheidungspraxis die schwierigen Bedingungen berücksichtigen müssen, die im Kartonsektor bis Ende der achtziger Jahre geherrscht und die Erwirtschaftung einer angemessenen Rendite auf das eingesetzte Kapital ausgeschlossen hätten. Außerdem sei zu bedenken, daß der fragliche Sektor durch hohe Umsätze bei eher geringen Gewinnen gekennzeichnet sei. Daher träfen die Kartonhersteller allein anhand ihres Umsatzes bemessene Geldbußen besonders hart.
[367] 366. Die Kommission entgegnet, daß sie die fraglichen Gesichtspunkte nicht als mildernde Umstände habe ansehen müssen.
Würdigung durch das Gericht
[368] 367. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnr. 256), ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß SPO u. a./Kommission, Randnr. 54).
[369] 368. Folglich kann allein aus der Tatsache, daß die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis bestimmte Gesichtspunkte bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße als mildernde Umstände angesehen hat, nicht abgeleitet werden, daß sie verpflichtet wäre, dies in einer späteren Entscheidung ebenfalls zu tun. Die Kommission brauchte daher die ungünstige Wirtschaftslage in der Branche – unterstellt, sie habe bestanden – nicht zu berücksichtigen.
[370] 369. Außerdem hat die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße den von der Klägerin im Jahr 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten Umsatz zugrunde gelegt. Die Stellung der Klägerin in der Branche sowie der Umfang der von ihr begangenen Zuwiderhandlung sind somit von der Kommission berücksichtigt worden.
[371] 370. Schließlich kann die Tatsache, daß es sich nach Angaben der Klägerin um die erste Zuwiderhandlung in der fraglichen Branche handelt, keinen mildernden Umstand darstellen. Zu Lasten eines Unternehmens kann erschwerend berücksichtigt werden, daß die Kommission in der Vergangenheit bereits Verstöße dieses Unternehmens gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt und insoweit gegebenenfalls eine Strafe verhängt hat; demgegenüber stellt das Fehlen einer früheren Zuwiderhandlung den Normalfall dar, den die Kommission nicht als mildernden Umstand zu berücksichtigen braucht, zumal es sich im vorliegenden Fall um einen besonders offenkundigen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages handelt (vgl. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-8/89, DSM/Kommission, Slg. 1991, II-1833, Randnr. 317).
[372] 371. Angesichts dessen war die Kommission berechtigt, die von der Klägerin angeführten Gesichtspunkte nicht als mildernde Umstände heranzuziehen.
[373] 372. Folglich greift der Klagegrund nicht durch.
I – Zum Klagegrund des fehlenden Vorsatzes
[374] 373. Die Klägerin führt aus, sie sei sich zum damaligen Zeitpunkt der Rechtswidrigkeit des Informationsaustauschs, an dem sie teilgenommen habe, nicht bewußt gewesen. Dabei müsse berücksichtigt werden, daß sie ein mittelständisches Unternehmen gewesen sei, das nicht über einen eigenen Juristen verfügt habe und außerhalb der Gemeinschaft ansässig gewesen sei. Außerdem enthalte das österreichische Wettbewerbsrecht nur Bestimmungen über Sanktionen bei verbindlichen Absprachen, während es im vorliegenden Fall lediglich abgestimmte Verhaltensweisen gegeben habe.
[375] 374. Diesem Klagegrund kann nicht gefolgt werden.
[376] 375. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Einstufung einer Zuwiderhandlung als vorsätzlich nicht voraus, daß sich das Unternehmen des Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages bewußt war. Es genügt, daß es wissen mußte, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt bezweckte oder bewirkte (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 246/86, Belasco u. a./Kommission, Slg. 1989, 2117, Randnr. 41, und Urteil Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Randnr. 157).
[377] 376. Im vorliegenden Fall hat die Kommission die Beteiligung der Klägerin an den Bestandteilen der in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung nachgewiesen. Angesichts der Art der festgestellten Verhaltensweisen mußte die Klägerin wissen, daß sie auf eine Einschränkung des Wettbewerbs abzielten.
J – Zum Klagegrund der Heranziehung einer falschen Umsatzzahl
[378] 377. Dieser Klagegrund besteht aus zwei Teilen, die getrennt zu prüfen sind.
Erster Teil des Klagegrundes: Fälschliche Berücksichtigung des mit dem Verkauf von Graukarton erzielten Umsatzes bei der Berechnung der Geldbuße
Vorbringen der Parteien
[379] 378. Die Klägerin führt aus, die Kommission habe die Geldbuße auf der Grundlage ihres gesamten mit dem Verkauf von Kartonprodukten im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet. Dieser schließe folglich den Umsatz bei Graukarton ein. Die Kommission habe jedoch in einer Pressemitteilung vom 13. Juli 1994 erklärt, daß die Geldbußen auf der Grundlage des Umsatzes berechnet worden seien, den die Adressaten der Entscheidung mit den von ihr betroffenen Kartonsorten erzielt hätten.
[380] 379. Da Graukarton nicht zu den von der Entscheidung erfaßten Kartonsorten gehöre, müsse der der Bemessung der Geldbuße zugrunde gelegte Umsatz um den auf den Verkauf von Graukarton entfallenden Betrag von 13, 1 Millionen ECU verringert werden. Die Geldbuße sei entsprechend herabzusetzen.
[381] 380. Die Kommission trägt vor, man könne bei der Bemessung der Geldbuße keine streng mathematische Formel verwenden. Im vorliegenden Fall sei die Geldbuße in Anbetracht des Gesamtumsatzes der Klägerin angemessen, denn die Unternehmen hätten keinen Anspruch darauf, daß nur der Umsatz mit den von der Zuwiderhandlung unmittelbar betroffenen Produkten zugrunde gelegt werde. Es lägen erschwerende, aber keine mildernden Umstände vor, und als Bemessungsgrundlage habe der 1990 (und nicht 1993) erzielte Umsatz und nur der Umsatz durch Kartonverkäufe in der Gemeinschaft gedient.
[382] 381. In ihrer Gegenerwiderung führt sie aus, sie habe die Klägerin mit Schreiben vom 8. Oktober 1993 gebeten, ihr u. a. die Umsatzzahlen bei Karton mitzuteilen. In ihrer Antwort vom 3. November 1993 habe die Klägerin diese Zahlen unter der Überschrift "Kartonwaren (GC, GD)" angegeben. Da in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, daß sich das Verfahren nicht auf Graukarton erstrecke, habe die Kommission keinen Anlaß gehabt, die Richtigkeit der vorgelegten Umsatzzahlen zu überprüfen.
Würdigung durch das Gericht
[383] 382. Gemäß Randnummer 4 Absatz 2 der Entscheidung erstreckte sich die von ihr erfaßte Zuwiderhandlung nicht auf Graukarton.
[384] 383. Die Kommission hat die Höhe der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße unstreitig auf der Grundlage ihres im Jahr 1990 auf dem Gemeinschaftsmarkt durch den Verkauf von GC-Karton, GD-Karton und Graukarton erzielten Umsatzes berechnet. Wie die Kommission in der Verhandlung eingeräumt hat, geht aus den ihr von der Klägerin vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte erteilten Auskünften ausdrücklich hervor, daß der von der Klägerin angegebene Umsatz auch Graukarton einschloß.
[385] 384. Hinzu kommt, daß die Kommission, obwohl sie wissen mußte, daß der von ihr zugrunde gelegte Umsatz auch Graukarton einschloß, die Klägerin nie aufgefordert hat, ihr den im Jahr 1990 allein mit den in das Verfahren einbezogenen Produkten – GC-Karton, GD-Karton und gegebenenfalls SBS-Karton – erzielten Umsatz mitzuteilen.
[386] 385. Bei den anderen Adressaten der Entscheidung hat die Kommission dagegen – wie sie ebenfalls in der Verhandlung eingeräumt hat – allein den Umsatz bei den Produkten zugrunde gelegt, auf die sich die von der Entscheidung erfaßte Zuwiderhandlung bezog.
[387] 386. In Anbetracht dieser Feststellung sowie der Tatsache, daß die Einbeziehung des Umsatzes bei Graukarton einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Höhe der Geldbuße hatte, ist sie herabzusetzen, um die Ungleichbehandlung zu beseitigen, die die Klägerin somit im Verhältnis zu den übrigen Adressaten der Entscheidung erlitten hat.
[388] 387. Das Gericht wird diesem Ergebnis im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung von Geldbußen bei der Beurteilung der Höhe der Geldbuße Rechnung tragen, die für die in bezug auf die Klägerin festgestellte Zuwiderhandlung festzusetzen ist.
Zweiter Teil des Klagegrundes: Fälschliche Berücksichtigung des Umsatzes von Deisswil und Eerbeek bei der Berechnung der Geldbuße
Vorbringen der Parteien
[389] 388. Die Klägerin trägt vor, die Umsatzzahlen der Kartonfabriken Deisswil und Eerbeek im Jahr 1990 hätten nicht in die Berechnung der Geldbuße einbezogen werden dürfen.
[390] 389. In bezug auf Deisswil weist sie darauf hin, daß sie im April 1990 mit Wirkung zum 1. Januar 1990 eine Beteiligung von 66 % an dieser Gesellschaft und damit die Kontrolle über sie erworben habe. Die früheren Eigentümer dieser Firma, die für mehr als drei Viertel des relevanten Zeitraums für ihr Verhalten verantwortlich gewesen seien, seien noch mit 34 % an ihr beteiligt. Es sei daher unbillig, der Klägerin den gesamten Umsatz von Deisswil zuzurechnen, während die früheren Eigentümer, die immer noch ein Drittel der Gewinne erhielten, von dem Bußgeld nicht betroffen seien. Unter diesen Umständen müsse entweder unmittelbar gegen Deisswil eine Geldbuße verhängt werden – wie dies bei der Firma Laakmann geschehen sei (Randnr. 150 Absatz 3 der Entscheidung) –, oder der Umsatz von Deisswil dürfe der Klägerin nur pro rata temporis (in Höhe von 13/60, dem in Monaten ausgedrückten Bruchteil des Gesamtzeitraums der Zuwiderhandlung, den die Kommission der Berechnung der individuellen Geldbußen zugrunde gelegt habe) zugerechnet werden.
[391] 390. Für das Verhalten von Eerbeek sei die Klägerin erst ab 1. Januar 1990 verantwortlich; bis zu diesem Zeitpunkt sei die Firma KNP dafür zur Verantwortung gezogen worden (Randnr. 150 der Entscheidung). Durch die Heranziehung des gesamten Umsatzes von Eerbeek im Jahr 1990 bei der Bemessung der Geldbuße der Klägerin habe sich die Kommission jedoch nicht an ihre eigene Einschätzung gehalten, denn sie habe diesen Umsatz auch bei der Bemessung der Geldbuße von KNP herangezogen.
[392] 391. Außerdem habe die Klägerin erst im September 1990 die volle Kontrolle über Eerbeek erlangt. Sie habe somit erst von da an maßgeblichen Einfluß auf deren Marktverhalten ausüben können. Nach der Bußgeldpraxis und den Rechtsprechungsgrundsätzen dürfe ihr der Umsatz von Eerbeek erst ab diesem Zeitpunkt zugerechnet werden. Folglich könne ihr der Umsatz von Eerbeek im Jahr 1990 (dem Referenzjahr) nur zu 8/60 – von September 1990 bis April 1991 – zugerechnet werden.
[393] 392. In ihrer Erwiderung fügt die Klägerin hinzu, die Behandlung der Fälle Eerbeek und Deisswil sei widersprüchlich, da die Kommission in bezug auf Eerbeek die Ansicht vertrete, daß ausschlaggebend sei, wem die Gewinne im maßgeblichen Zeitraum zugeflossen seien, während sie dieses Kriterium bei Deisswil für unerheblich erkläre und darauf abstelle, wer die tatsächliche Kontrolle ausgeübt habe.
[394] 393. Die Kommission ist der Ansicht, daß sie die 1990 von den Unternehmen Deisswil und Eerbeek erzielten Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße zu Recht berücksichtigt habe. Bei der Bußgeldbemessung müsse ein Referenzjahr bestimmt werden; dies sei hier das Jahr 1990 gewesen. Firmen, die in diesem Jahr einen höheren Umsatz erzielt hätten als in den anderen Jahren, seien so mit einer höheren Sanktion belegt worden. Da das Referenzjahr jedoch korrekt ausgewählt worden sei, rechtfertige dies keine Unterscheidung nach den Gründen für eine solche Umsatzsteigerung.
[395] 394. In bezug auf Deisswil habe sie zutreffend berücksichtigt, daß die Klägerin im Jahr 1990 die volle Kontrolle über dieses Unternehmen ausgeübt habe und somit dessen Geschäftsverhalten habe steuern können. Unter diesen Umständen sei es unerheblich, daß der Klägerin nicht der gesamte Gewinn dieses Unternehmens zugeflossen sei.
[396] 395. Bei Eerbeek sei darauf abgestellt worden, daß der Klägerin ab 1. Januar 1990 die Gewinne und damit der wirtschaftliche Nutzen aus dem Kartellverstoß zugeflossen seien.
[397] 396. Schließlich sei der Umsatz von Eerbeek auch nicht in unzulässiger Weise doppelt berücksichtigt worden.
Würdigung durch das Gericht
[398] 397. Die Klägerin bestreitet nicht, daß zum Zeitpunkt ihrer Übernahme der Kontrolle über Deisswil sowohl dieses Unternehmen als auch sie selbst an der Zuwiderhandlung teilnahmen, die Gegenstand der Entscheidung ist. Daher kannte sie zwangsläufig das wettbewerbswidrige Verhalten von Deisswil.
[399] 398. Unter diesen Umständen konnte die Kommission ihr das Verhalten von Deisswil für die Zeit vor und nach dem Erwerb dieses Unternehmens zurechnen. Es war Sache der Klägerin als Muttergesellschaft, gegenüber ihrer Tochtergesellschaft alles zu tun, um die Fortsetzung der ihr bekannten Zuwiderhandlung zu verhindern. Die Klägerin bestreitet aber nicht, daß das rechtswidrige Verhalten von Deisswil anhielt, nachdem sie deren Kontrolle übernommen hatte.
[400] 399. Daraus folgt, daß die Kommission berechtigt war, bei der Bemessung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße den von Deisswil im Jahr 1990 – dem Referenzjahr, gegen dessen Zugrundelegung die Klägerin keine Einwände erhoben hat – auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten Umsatz einzubeziehen. Daraus folgt ferner, daß es keine Rolle spielt, ob die Kommission die Geldbuße ganz oder teilweise gegen Deisswil selbst oder gegen die früheren Eigentümer dieses Unternehmens hätte festsetzen können.
[401] 400. In bezug auf Eerbeek heißt es in Randnummer 150 Absatz 2 der Entscheidung: "Mayr-Melnhof ist auch für die Kartellteilnahme … von Mayr-Melnhof Eerbeek B. V. (wie KNP Vouwkarton umbenannt wurde) ab dem Datum der Übernahme am 1. Januar 1990 verantwortlich. Für die Kartellteilnahme von KNP Vouwkarton vor der Übernahme ist KNP verantwortlich; für diese Zeit trifft [Mayr-Melnhof] diesbezüglich keine Verantwortung."
[402] 401. Trotz dieser Angaben hat die Kommission bei der Bemessung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße den gesamten von Eerbeek im Jahr 1990 (dem Referenzjahr) auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten Umsatz herangezogen und nicht pro rata temporis allein auf die Zeit abgestellt, in der sich dieses Unternehmen unter der Kontrolle der Klägerin befand. Dabei hat sie ihre eigene Feststellung außer acht gelassen, daß die Klägerin für die Kartellteilnahme von KNP Vouwkarton/Eerbeek erst ab 1. Januar 1990 verantwortlich war.
[403] 402. Die Kommission hat in der Verhandlung ausdrücklich eingeräumt, insoweit einen Fehler begangen zu haben; die Geldbuße ist demnach herabzusetzen.
[404] 403. Des weiteren wurde Eerbeek zwar im September 1990 zu 100 % von der Klägerin übernommen; diese bestreitet jedoch nicht, daß die Übernahme mit Wirkung zum 1. Januar 1990 erfolgte. Da der Klägerin das rechtswidrige Verhalten der von ihr übernommenen Gesellschaft nicht verborgen geblieben sein konnte (in diesem Sinne auch obige Randnr. 397), war die Kommission zu der Annahme berechtigt, daß die Klägerin ab 1. Januar 1990 die Verantwortung für dieses Verhalten des betreffenden Unternehmens zu tragen hatte.
[405] 404. Nach alledem sind die von der Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung geltend gemachten Klagegründe abzuweisen, während dem zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung geltend gemachten Klagegrund teilweise stattzugeben ist.
[406] 405. Die Geldbuße ist herabzusetzen, um zum einen der Tatsache Rechnung zu tragen, daß der mit Graukarton erzielte Umsatz der Klägerin fälschlich in die Bemessung der Geldbuße einbezogen wurde, und zum anderen der Tatsache, daß die Klägerin für das Verhalten von Eerbeek erst ab 1. Januar 1990 verantwortlich war.
[407] 406. Da kein anderer der von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigt, setzt das Gericht diese in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf 17 000 000 ECU fest.
Kosten
[408] 407. Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage teilweise stattgegeben wurde, hält es das Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für geboten, der Kommission ihre eigenen Kosten sowie ein Viertel der Kosten der Klägerin und dieser drei Viertel ihrer eigenen Kosten aufzuerlegen.
1: Verfahrenssprache: Deutsch