Nicht nur Rechts- oder Patentanwälte dürfen Fälligkeit und Zahlung von Patentgebühren überwachen

BVerfG, Mitteilung vom 6. 3. 1998 – 23/98 (lexetius.com/1998,1190)

[1] Der Erste Senat des BVerfG hat im Zusammenhang mit der Überwachung von Patentgebühren durch eine GmbH ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) wegen Verstoßes gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) – teilweise – aufgehoben. Durch dieses Urteil war der GmbH und ihrer Geschäftsführerin rechtskräftig verboten worden, weiterhin geschäftsmäßig die Fälligkeit und Einzahlung von Patentgebühren zu überwachen.
[2] I. Die Verfassungsbeschwerde betraf die Frage, ob Dienste, die im wesentlichen in der Überwachung der Fälligkeit und der Einzahlung von Patentgebühren bestehen, auch von Personen geleistet werden dürfen, die nicht als Patent- oder Rechtsanwälte zugelassen sind.
[3] Patentinhaber müssen jährlich sogenannte Aufrechterhaltungsgebühren entrichten. Die damit verbundenen Überwachungs- und Verwaltungsaufgaben sind Gegenstand spezialisierter Dienstleistungsunternehmen geworden, die in Konkurrenz zu den herkömmlich hiermit befaßten Anwälten treten. Aber auch ein Teil der Patentanwälte selbst hat diese Dienstleistung auf eine von ihm gegründete Genossenschaft (PAVIS) ausgelagert.
[4] Eine solche patentberatende Tätigkeit durch Dritte ("Nicht-Anwälte") ist jedoch nur zulässig, wenn es sich hierbei nicht um eine "Rechtsbesorgung" nach dem Rechtsberatungsgesetz (RBerG) handelt. Denn eine solche "Rechtsbesorgung" ist nach diesem Gesetz allein Patent- und Rechtsanwälten vorbehalten.
[5] Beschwerdeführer sind eine privatrechtliche Gesellschaft (GmbH) sowie deren Geschäftsführerin. Ihre Dienstleistungen bestehen in Überwachungs- und Verwaltungsaufgaben hinsichtlich der Aufrechterhaltungsgebühren von Patenten. Durch ihre EDV-gestützte Arbeit erinnern sie ihre Kunden an fällig werdende Patentgebühren und übernehmen auftragsgemäß deren rechtzeitige Einzahlung.
[6] Hierin sah ein Patentanwalt einen Verstoß gegen das RBerG und verklagte die Beschwerdeführer. In letzter Instanz verbot der BGH den Beschwerdeführern diese Tätigkeit. Sie stehe als geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nur Anwälten zu und sei für Dritte nicht erlaubnisfähig. In dem Verbot liege kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Es sei nicht unangemessen, daß die gesamte der Aufrechterhaltung gewerblicher Schutzrechte dienende Tätigkeit den Patentanwälten vorbehalten bleibe, solange eine gesetzliche Regelung des Berufsbildes fehle.
[7] Hiergegen wendeten sich die Beschwerdeführer mit ihrer Verfassungsbeschwerde. Sie rügten insbesondere eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG.
[8] II. Der Erste Senat hat den Beschwerdeführern Recht gegeben. Auslegung und Anwendung des Rechts im angegriffenen Urteil verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten auf Berufsfreiheit.
[9] Zur Begründung heißt es u. a.: Das Verbot des von den Beschwerdeführern ausgeübten – neuartigen – Berufs bedeutet einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufswahl. Derartige Eingriffe bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und sind nur zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft.
[10] Das RBerG und das Patentanwaltsgesetz, die die Rechtsberatung auf dem Gebiet des Patentwesens grundsätzlich Rechtsanwälten und Patentanwälten zuweisen, genügen diesen Anforderungen. Der Vorbehalt ist durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Gerade die umfassende Rechtsberatung auf dem Gebiet des Patentrechts ist eine schwierige und erhebliche Sachkunde erfordernde Tätigkeit, die eine qualifizierte und umfassende Ausbildung erfordert.
[11] Allerdings halten im vorliegenden Fall Auslegung und Anwendung dieser Normen durch den BGH verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand. Das angegriffene Urteil wird der Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit nicht ausreichend gerecht.
[12] a) Der BGH hat zum einen die Merkmale des tatsächlich ausgeübten Berufs der Beschwerdeführer nicht hinreichend berücksichtigt. Ihre Dienstleistungen bestehen in der Überwachung des Fristablaufs und der Gebühreneinzahlung. Dies sind einfache kaufmännische Tätigkeiten, die keine substantielle Rechtsberatung darstellen. Zu einer solchen werden sie auch nicht dadurch, daß Zahlung oder Nichtzahlung – unvermeidlich – rechtliche Folgen haben. Auch wenn durch eine fristgerechte Zahlung Rechtsnachteile für den Auftraggeber vermieden werden sollen, liegt in der auftragsgemäßen Ausführung des Auftrags weder Beratung noch rechtliche Vertretung gegenüber Dritten.
[13] b) Zum anderen rechtfertigen auch die das RBerG tragenden Gemeinwohlbelange (s. o.) nicht die Einbeziehung der Patentgebührenüberwachung in den Anwaltsvorbehalt.
[14] Das vorliegende Verfahren hat keine Erkenntnisse darüber gebracht, daß durch den Einsatz von Servicebüros den Patentinhabern erhebliche Nachteile drohen könnten oder ein gesteigertes Risiko im Hinblick auf die rechtzeitige Einzahlung der Gebühren bestünde.
[15] Zu den Gemeinwohlbelangen im Zusammenhang mit einer ordnungsgemäßen Rechtspflege zählt zwar auch der Erhalt einer leistungsfähigen Berufsgruppe. Er vermag das Verbot aber nicht zu rechtfertigen. Eine fühlbare Beeinträchtigung der für eine ordnungsgemäße Rechtspflege benötigten Anwaltschaft durch die Servicegesellschaften ist nicht zu besorgen.
[16] c) Angesichts der tatsächlichen Ausgestaltung der von den Beschwerdeführern angebotenen Dienstleistung und der hiervon berührten Gemeinwohlbelange ist das Betätigungsverbot unverhältnismäßig.
[17] Ein Eingriff in die Berufswahl berührt den Einzelnen in besonders empfindlicher Weise. Deshalb sind an den Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Freiheitsbeschränkung besonders strenge Anforderungen zu stellen.
[18] Entwickeln sich Spezialberufe, die auf kleine und einfach zu beherrschende Ausschnitte anderer Tätigkeiten mit festgelegtem Berufsbild beschränkt sind, so ist deren Verbot nur erforderlich, wenn dieses der Abwehr schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dient. Insoweit ist zu berücksichtigen, daß Spezialisten, die gerade nicht den "Vollberuf" ausüben, Gemeinwohlbelange des Gesamtberufsbildes in aller Regel nur in Ausschnitten gefährden.
[19] Daß es sich bei der von den Beschwerdeführern angebotenen Serviceleistung um einen solchen Spezialberuf mit eigenem und abgrenzbarem Aufgabenbereich und eigenem Gepräge handelt, ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß solche Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union erlaubtermaßen angeboten und auch in Anspruch genommen werden. Aufgaben, die die Anwaltschaft in eigener Entscheidung "Nicht-Juristen" überläßt, haben jedoch nicht ein solches Gewicht, daß für sie die volle (juristische) Kompetenz erforderlich ist. Wenn aber Anleitung und Lenkung von Hilfskräften zur Aufgabenerfüllung ausreichend sind, erscheinen mildere Mittel als der Eingriff in die Berufswahl möglich, um den im Interesse des Gemeinwohls gebotenen Standard zu erhalten.
[20] Entgegen der Auffassung des BGH steht dem auch nicht entgegen, daß für die Spezialisierung noch kein hergebrachtes und vom Gesetzgeber geregeltes Berufsbild besteht. Hiervon hängt die Anerkennung eines Berufs nicht ab. Ein solches Berufsbild könnte allenfalls von Bedeutung sein, wenn ohne Ausbildungsprofil und ohne spezielle Haftungsvorschriften eine Gefährdung der Kundeninteressen oder der Rechtspflege zu besorgen wäre. Beides ist nicht ersichtlich.
BVerfG, Beschluss vom 29. 10. 1997 – 1 BvR 780/87