Erfolglose Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit der Besetzung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

BVerfG, Mitteilung vom 11. 8. 1998 – 89/98 (lexetius.com/1998,1239)

[1] Die Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH), mit der das Gericht die Unzulässigkeit des Volksbegehrens "Bessere Schulen" festgestellt hat, blieb erfolglos. Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde, die u. a. mit der verfassungswidrigen Besetzung des BayVerfGH begründet worden war, nicht zur Entscheidung angenommen.
[2] I. Der BayVerfGH stellte im November 1994 fest, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (Volksbegehren "Bessere Schulen") nicht gegeben seien. Hiergegen erhob der im Verfahren vor dem BayVerfGH als Beauftragter der Antragsteller des Volksbegehrens beteiligte Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG und rügte u. a. eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Die an der Entscheidung beteiligten berufsrichterlichen Richter genügten den Erfordernissen dieser Gewährleistung insbesondere deshalb nicht, weil sie nach dem Gesetz über den BayVerfGH (VfGHG) in Verbindung mit der Verfassung des Freistaats Bayern (BV) mit einfacher Landtagsmehrheit gewählt seien. Verfassungsrechtlich erforderlich sei jedoch eine qualifizierte Mehrheit.
[3] II. Die Verfassungsbeschwerde war erfolglos, weil die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen.
[4] Soweit die mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen überhaupt zulässig sind, sind sie jedenfalls unbegründet.
[5] Die Wahl der berufsrichterlichen Mitglieder des BayVerfGH begegnet aus der Sicht des GG keinen Bedenken. Zwar ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nur der gemäß Art. 97 GG sachlich und persönlich unabhängige Richter. Doch wird die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der berufsrichterlichen Richter des BayVerfGH durch den Modus ihrer Wahl nicht beeinträchtigt. Dasselbe gilt für die richterliche Unparteilichkeit im Sinne innerer Unabhängigkeit und Neutralität. Verfassungspolitisch mag es zwar wünschenswert sein, Stellung, Ansehen und demokratische Legitimation der Verfassungsrichter durch eine Wahl mit qualifizierter Mehrheit, etwa mit der für die Wahl der Bundesverfassungsrichter vorgeschriebenen Zweidrittelmehrheit, zu stärken. Das GG enthält insoweit jedoch keine bindenden Vorgaben. Akzeptanz in der Öffentlichkeit, Amtsverständnis und Wahrnehmung richterlicher Funktionen sind nicht von bestimmten Mehrheiten bei der Richterwahl, sondern vom Selbstverständnis des Richters, von seiner inneren Integrität und von der Art seiner Amtsführung abhängig. Sie und die durch Art. 97 GG gewährleistete Unabhängigkeit nach außen prägen auch seine innere Unabhängigkeit, von der unter diesen Umständen grundsätzlich ausgegangen werden kann.
[6] Zu einer anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung zwingt auch nicht die Tatsache, daß die Richter des BayVerfGH wiedergewählt werden können und dem Gerichtspräsidenten ein Vorschlagsrecht für die berufsrichterlichen Mitglieder zusteht. Es ist nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber insoweit seinen Gestaltungsspielraum in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise überschritten haben könnte.
[7] Von einem Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters kann auch nicht deshalb ausgegangen werden, weil nach Ansicht des Beschwerdeführers die im VfGHG festgelegte Anzahl der Verfassungsrichter (38 zzgl. 15 Vertreter) im Hinblick auf eine Bestimmung in der BV zu hoch sei. Nach der Beurteilung des BayVerfGH ist diese Regelung im VfGHG landesverfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil die BV nicht die Zahl der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs bestimme, sondern lediglich die Zusammensetzung der verschiedenen Spruchkörper. Diese Beurteilung begegnet aus bundesverfassungsrechtlicher Sicht keinen Bedenken.
[8] Die Kammer führt aus, daß auch die Rüge der Überbesetzung des BayVerfGH und die der Verfassungswidrigkeit des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans nicht durchgreifen.
BVerfG, Beschluss vom 23. 7. 1998 – 1 BvR 2470/94