Bundesarbeitsgericht
InsO § 113; KO § 22; BGB § 622
Ist arbeitsvertraglich eine längere Kündigungsfrist vereinbart, so ist bei einer Kündigung im Konkurs bis zur Höchstfrist des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO von drei Monaten diese längere Frist maßgeblich.

BAG, Urteil vom 3. 12. 1998 – 2 AZR 425/98; LAG Köln (lexetius.com/1998,82)

[1] Tatbestand: Der Klägerwar seit 14. März 1994 bei der Gemeinschuldnerin bzw. deren Rechtsvorgängerin als Projektingenieur zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 8.000 DM beschäftigt. Nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin am 2. Dezember 1996 hat der beklagte Konkursverwalter das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. Dezember 1996 zum 31. Januar 1997 gekündigt.
[2] Mit seiner am 7. Januar 1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und aus verschiedenen Gesichtspunkten deren Unwirksamkeit geltend gemacht. In der Berufungsinstanz hat der Kläger die Wirksamkeit der Kündigung als solche nicht mehr in Zweifel gezogen und nur noch die Ansicht vertreten, der Beklagte hätte die in § 7 des Arbeitsvertrages vom 18. Dezember 1995 vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende einhalten müssen, Der Kläger hat, soweit für die Revisionsinstanz von Belang, beantragt festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 27. Dezember 1996 zum 31. Januar 1997 aufgelöst worden ist, sondern bis 31. März 1997 fortbestanden hat.
[3] Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, der durch das arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vorzeitig in Kraft gesetzte § 113 InsO habe unterhalb der dort normiertern Höchstfrist von drei Monaten zum Monatsende nichts daran geändert, dass im Konkurs nur die gegenüber der vertraglichen Frist kürzere gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten werden müsse, zumal § 22 KO nicht aufgehoben worden sei.
[4] Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das LAG Köln (ZIP, 1998, 1319, dazu EWiR 1998, 789 (Berscheid)) hat die auf die Frage der einzuhaltenden Kündigungsfrist beschränkte Berufung des Klägers zurückgewiesen.
[5] Entscheidungsgründe: Die Revision des Klägers ist begründet. Der Beklagte musste gem. § 113 Abs 1 Satz 2 lnsO eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende einhalten.
[6] I. Das LAG Köln (ZIP, 1998, 1319, dazu EWiR 1998, 789 (Berscheid)) hat angenommen, § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO sei dahin auszulegen, dass unterhalb der Höchstfrist von drei Monaten zum Monatsende die gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB und nicht die längere vertragilche Kündigungsfrist maßgeblich sei. Sinn und Zweck der Neuregelung des § 113 InsO sei es, Kündigungsmöglichkeiten im lnsolvenzverfahren zu erleichtern. Erkennbar habe der Gesetzgeber mit dem Begriff einer "maßgebilchen" Kündigungsfrist nur den Streit unentschieden gelassen, ob auch tarifliche Kündigungsfristen als gesetzliche im Sinn des § 22 KO zu behandeln seien. Dass der nicht aufgehobene § 22 KO "obsolet" geworden sei, sei jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht zutreffend.
[7] II. Diese Auslegung und damit die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht stand.
[8] 1. Die Auslegung von Gesetzen hat zunächst vom Wortlaut auszugehen und sich sodann an dem systematischen Zusammenhang, der Gesetzesgeschichte und dem Normzweck auszurichten, soweit er im Gesetz erkennbaren Ausdruck gefunden hat (Senatsurt. v. 29. 9. 1983 – 2 AZR 179/82, AP Nr. 1 zu § 79 BPersVG, zu A IV 2 der Gründe; BAGE 48, 40, 46 = ZIP 1985, 108 = AP Nr. 40 zu § 613 a BGB, dazu EWiR § 613 a BGB 6/85, 565 (Plander)). Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt es hier darauf an, ob eine kürzere Kündigungsfrist als die in § 113 Abs. 1 Satz 2 lnsO genannte Frist von drei Monaten zum Monatsende maßgeblich ist. "Maßgeblich" ist, was von entscheidender Bedeutung ist (Duden, Bedeutungswörterbuch, 2. Aufl., S. 433), also Geltung beansprucht.
[9] Im Privat- und damit auch im Arbeitsrecht ist es grundsätzlich der Privatautonomie der Parteien überlassen, zu vereinbaren, was zwischen ihnen "maßgeblich" sein soll, solange sie damit nicht gegen zwingende Rechtsnormen verstoßen. § 622 Abs. 5 Satz 2 BGB lässt die Vereinbarung längerer als der in Abs. 1 bis 3 genannten Kündigungsfristen ausdrücklich zu, die Vereinbarung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende in § 7 des Arbeitsvertrages vom 18. Dezember 1995 ist somit grundsätzlich wirksam und § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist deshalb im Verhältnis der Parteien nicht "maßgeblich". Der Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO spricht nachhaltig für die von der Revision und der überwiegenden Meinung in der Literatur (vgl. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 122; Grunsky, in: Grunsky/Moll, Arbeitsrecht und lnsolvenz, Rz. 338; Lakies RdA 1997, 145 f; KR-Weigand, 5. Aufl., InsO Rz. 18, a. A. Berscheid, ZinsO 1998, 159, 162; wohl auch Hess/Weis/Wienberg, insolvenzarbeitsrecht, Rz. 423; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 456) vertretene Rechtsauffassung.
[10] 2. Zutreffend weist die Revision auch darauf hin, dass der Zweck der vorzeitigen lnkraftsetzung von § 113 InsO nicht allein in einer Schwächung von Arbeitnehmerrechten gesehen werden darf. Erklärtes Ziel des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes war es unter anderem, im Kündigungsschutzrecht mehr Rechtssicherheit zu schaffen und auch dadurch Neueinstellungen anzuregen (Begründung des Gesetzentwurfs der Regierungsparteien BT-Drucks. 13/4612, S. 8).
[11] Unabhängig davon, ob dieses Ziel durchgehend erreicht wurde, kann somit entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht davon ausgegangen werden, die Neuregelung habe auf keinen Fall eine – wenn auch nur punktuelle – Verbesserung der Rechtsstellung der Arbeitnehmer zur Folge haben sollen.
[12] 3. Dem Zweck des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes, mehr Rechtssicherheit im Kündigungsrecht zu schaffen, würde es ersichtlich zuwider laufen, wenn ohne ausdrückliche Regelung § 22 KO für eine Zwischenphase von 2 1/4 Jahren bis zum Inkrafttreten der gesamten InsO, noch dazu nur partiell, weiter Geltung beanspruchen würde.
[13] § 113 InsO sollte nach seinem ursprünglichen Zweck zum 1. Januar 1999 § 22 KO vollständig ersetzen (Art. 2 Nr. 4 EGInsO; vgl. auch die Synopse in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, RWS-Dok. 18 Bd I, S. 663). Allein aus dem Umstand, dass § 22 KO im Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz nicht ausdrücklich aufgehoben wurde, kann nicht darauf geschlossen werden, der Gesetzgeber habe an der ursprünglichen Zweckrichtung von § 113 lnsO für eine kurze Übergangszeit etwas ändern wollen. Mindestens ebenso nahe liegt, dass es sich dabei um ein bloßes Versehen des Gesetzgebers handelt (vgl. Giesen, ZIP 1998, 46, 48). Demgemäß ist es in der Literatur nahezu einhellige Auffassung, für § 22 KO bleibe kein Anwendungsbereich mehr, die Vorschrift sei durch § 113 InsO nach dem Grundsatz "lex posterior derogat legi priori" voll inhaltlich ersetzt worden (Berscheid, ZAP Entscheidungsreport Wirtschaftsrecht 2/98 S. 14, Braun/Uhlenbruck, Unternehmerisinsolvenz, S. 11O; Düwell, Kölner Schrift zur lnsolvenzordnung, S. 1108 Rz. 17; Fischermeier, NZA 1997, 1089, 1098; Giesen, ZIP 1998, 46, 48; Grunsky, aaO, Rz. 330; von Hoyningen-Huene/Linck DB 1997, 41, 45; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 12, Aufl., § 1 Rz. 107 e; Lakies, RdA 1997, 1458; Preis, NJW 1996, 3369, 3377; Schaub, Insolvenzrecht 1996, RWS-Forum 9, S. 238; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, 3. Aufl., § 622 Rz. 14; KR-Weigand, aaO, InsO Rz. 8; zweifelnd Bichelmeier/Oberhofer, AIB 1997, 161 f), Dafür spricht auch, worauf die Revision mit Recht hinweist, dass Art. 6 Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz § 113 lnsO nicht völlig unverändert vorzeitig in Kraft gesetzt hat, sondern mit der Maßgabe, dass das Wort "Insolvenzverwalter" durch das Wort "Konkursverwalter" und das Wort "lnsolvenzgläubiger" durch das Wort "Konkursgläubiger" ersetzt wird. Wenn der Gesetzgeber schon diese rein sprachliche Anpassung für regelungsbedürftig hielt, erscheint es kaum vorstellbar, dass er zwar § 22 KO partiell weiter angewandt wissen wollte, eine entsprechende ausdrückliche Regelung aber für überflüssig ansah.
[14] 4. Wird somit die vom Landesarbeitsgericht befürwortete Auslegung durch Sinn und Zweck der Neuregelung und die fehlende ausdrückliche Aufhebung von § 22 KO nicht ausreichend gestützt, bleibt es bei der schon oben zu 1), begründeten, am Wortlaut orientierten Auslegung von § 113 Abs. 1 Satz 2 lnsO. Für sie spricht zudem die Entstehungsgeschichte der InsO. In § 119 des Diskussionsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Insolvenzrechts und noch in § 127 des Regierungsentwurfs (BT-Drucks, 12/2443, S. 28) war für die vom Verwalter einzuhaltende Kündigungsfrist – insoweit in Übereinstimmung mit § 22 KO – auf die gesetzliche Frist abgestellt worden. Dass abweichend von § 22 KO eine etwa kürzere vertragliche Frist keine Erwähnung mehr fand, wer in der Literatur als Redaktionsversehen angesehen worden (Dörner, NZA 1989, 546, 548; vgl. auch Tuxhorn, Kündigung und Kündigungsschutz in der lnsolvenzordnung, S. 47). Die jetzige Fassung des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO geht erst auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 12/7302, S. 46) zurück. Demgemäß ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dem Abstellen auf die "maßgebliche" Frist bewusst von dem engeren Begriff der gesetzlichen Frist abgerückt ist und dass ihm dabei auch die Problematik abweichender vertraglicher Fristen durchaus bewusst war. Bestätigt wird dies durch die Begründung der Beschlussernpfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 12/7302, S. 169): "Der neue Abs. 1 enthält eine eigene Kündigungsfrist von höchstens drei Monaten zum Monatsende für die Kündigung von Dienstverhältnissen in der Insolvenz. Diese Regelung schafft einen Ausgleich zwischen den sozialen Belangen der Arbeitnehmer und sonstigen Dienstverpflichteten des insolventen Unternehmens sowie den Interessen der Insolvenzgläubiger an der Erhaltung der Masse als Grundlage ihrer Befriedigung, Diese Höchstfrist wird in der Regel nur bei Dienstverpflichteten zur Anwendung kommen, die bereits längere Zeit im Unternehmen des insolventen Schuldners tätig sind. Für andere Dienstverhältnisse werden auf Grund von Gesetz, Tarifvertrag oder einzelvertraglicher Bestimmung regelmäßig kürzere Kündigungsfristen maßgeblich sein; diese sollen dann auch für die Kündigung im Insolvenzverfahren gelten." Die gleichrangige Erwähnung der Alternative einzelvertraglicher Bestimmungen neben Gesetz und Tarifvertrag lässt in keiner Weise erkennen, dass jene nur dann "maßgeblich" sein sollen, wenn sie kürzere Kündigungsfristen vorsehen als Gesetz- bzw. Tarifvertrag; ersichtich bezieht sich das Wort "kürzere" nicht auf das Verhältnis dieser Rechtsquellen zueinander, sondern auf die im vorhergehenden Satz erwähnte Höchstfrist, zugleich wird aus der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses deutlich, dass es dem Gesetzgeber bei § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht allein darum ging, die Rechtsposition der Arbeitnehmer zu verschlechtern, vielmehr wollte er mit der Regelung einen Ausgleich zwischen den sozialen Belangen der Arbeitnehmer und den Interessen der Insolvenzgläubiger schaffen.
[15] Da vorliegend zum einen § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht "maßgeblich" und andererseits die "maßgebliche" vertragliche Kündigungsfrist in § 7 des Arbeitsvertrages vorn 18. Dezember 1995 nicht kürzer als die Höchstfrist des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO war, hatte der Beklagte letztere bei seiner Kündigung vom 27. Dezember 1996 einzuhalten.