Entscheidung des Kartellsenats des Bundesgerichtshofs zum Übernahmepreis für ein Stromversorgungsnetz

BGH, Mitteilung vom 16. 11. 1999 – 90/99 (lexetius.com/1999,2297)

[1] Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hatte heute über die kartellrechtliche Zulässigkeit einer Vertragsbestimmung zu entscheiden, die den Preis festlegt, den ein Energieversorgungsunternehmen (EVU) bei einem Wechsel des Versorgers für die Überlassung des Versorgungsnetzes fordern kann. In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit ging es um die Wirksamkeit einer sogenannten Endschaftsklausel in einem Konzessionsvertrag zwischen der klagenden Gemeinde Kaufering, die die Stromversorgung für ihr Territorium selbst übernehmen will, und der LEW Lech-Elektrizitätswerke AG, die die Abnehmer im Gebiet der Gemeinde Kaufering bislang mit Strom versorgt. Der Konzessionsvertrag endete nach der seinerzeit geltenden Bestimmung des § 103a GWB zum 1. Januar 1995. Mit der Einführung dieser Bestimmung durch die 4. GWB-Novelle 1980 hatte der Gesetzgeber die Laufzeit von Konzessionsverträgen auf maximal zwanzig Jahre beschränkt, um wenigstens im Zwanzigjahresturnus Wettbewerb unter den Stromversorgern um Versorgungsgebiete zu ermöglichen.
[2] Der in diesem Rechtsstreit zu beurteilende Konzessionsvertrag sieht vor, daß die Gemeinde bei Beendigung des Vertrages die Übertragung des örtlichen Versorgungsnetzes gegen Zahlung des sogenannten Sachzeitwertes verlangen kann. Der Sachzeitwert ist im Vertrag definiert als der Herstellungswert der Versorgungsanlagen zum Übergabezeitpunkt unter Berücksichtigung der bisherigen Nutzungsdauer und des technischen Erhaltungszustandes der Anlagen. Nach der Berechnung des beklagten EVU beläuft sich dieser Wert für das Versorgungsnetz (und die Straßenbeleuchtungsanlagen) auf knapp 8.500.000 DM. Die klagende Gemeinde hält diesen Preis für überhöht. Nach ihrer Auffassung kann als Entgelt für die Übertragung des Versorgungsnetzes nur der sogenannte Anschaffungskostenrestwert verlangt werden, der sich durch Abzug der Abschreibungen von den historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten ergibt. Sie hält die Endschaftsklausel des Konzessionsvertrages daher für unwirksam.
[3] Der Kartellsenat hatte die Wirksamkeit der Endschaftsbestimmung im wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten zu prüfen. Zum einen ging es um die Frage, ob der von dem beklagten EVU formularmäßig verwendete Konzessionsvertrag die Gemeinde insoweit unangemessen benachteiligt und die Klausel deshalb, wie von der Gemeinde geltend gemacht, nach § 9 des AGB-Gesetzes unwirksam ist. Der Senat hat dies verneint, weil die Endschaftsklausel als sogenannte Preisabrede nach § 8 des AGB-Gesetzes der richterlichen Inhaltskontrolle entzogen ist.
[4] Zum andern war zu entscheiden, ob ein Netzentgelt in Höhe des Sachzeitwertes der mit der Einführung des § 103a GWB verfolgten Intention des Gesetzgebers zuwiderläuft, den Parteien eines beendeten Konzessionsvertrages Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Frage zu gewährleisten, ob die Stromversorgung mit dem bis dahin versorgenden oder mit einem anderen EVU fortgesetzt oder von der Gemeinde selbst übernommen werden soll. Dazu hatte die klagende Gemeinde geltend gemacht, einen Übernahmepreis in Höhe des Sachzeitwertes könne weder eine Gemeinde noch ein anderes EVU aufbringen, ohne nachhaltige Rentabilitätsverluste aus der Stromversorgung hinnehmen zu müssen, weil der Strompreis staatlicher Kontrolle unterliege und im Preisgenehmigungsverfahren die Kosten der Netzübernahme nur mit einem weitaus geringeren Betrag – dem sogenannten tarifkalkulatorischen Restwert – angesetzt werden könnten. Ein Netzentgelt in Höhe des Sachzeitwertes verhindere daher die Übernahme der Stromversorgung durch die Gemeinde und führe zu einer faktischen Bindung an den bisherigen Versorger.
[5] Der Senat hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Er hält eine Bemessung des Übernahmepreises für ein Stromversorgungsnetz nach dem Sachzeitwert nicht schlechthin für unzulässig. Zu einer kartellrechtlich unzulässigen faktischen Bindung an den bisherigen Versorger kann eine solche Preisgestaltung aber dann führen, wenn der Sachzeitwert den Ertragswert des Versorgungsnetzes übersteigt und dadurch ein Versorgerwechsel, der nur unter Übernahme des vorhandenen Versorgungsnetzes möglich ist, verhindert wird. Eine Endschaftsbestimmung in einem Konzessionsvertrag zwischen einer Gemeinde und einem EVU, die für die Übertragung des örtlichen Versorgungsnetzes auf die Gemeinde ein Entgelt in Höhe des Sachzeitwertes vorsieht, ist daher gemäß § 1 GWB, § 103a GWB a. F. unwirksam, wenn der Sachzeitwert den Ertragswert des Netzes nicht unerheblich übersteigt, so daß die Übernahme der Stromversorgung durch einen nach den Maßstäben wirtschaftlicher Vernunft handelnden anderen Versorger ausgeschlossen ist und die Kommune infolgedessen nach Beendigung des Konzessionsvertrages faktisch an den bisherigen Versorger gebunden bleibt. Ob dies hier der Fall ist, muß das Oberlandesgerichts München noch klären.
BGH, Urteil vom 16. 11. 1999 – KZR 12/97