Bundesgerichtshof
BGB §§ 273, 433
Zum Zurückbehaltungsrecht des Käufers einer mangelhaften Sache wegen der Belastung mit einer Schadensersatzforderung seines eigenen Abnehmers.

BGH, Urteil vom 17. 3. 1999 – VIII ZR 2/98; OLG Koblenz (lexetius.com/1999,791)

[1] Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 1999 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Zülch, Dr. Hübsch, Ball und Wiechers für Recht erkannt:
[2] Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 28. November 1997 aufgehoben.
[3] Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
[4] Tatbestand: Die Beklagte, die mit Baustoffen handelt, lieferte der E. 1993 für das Bauvorhaben "ARGE Gewerbepark W." von der Klägerin hergestellte Fertigteilschächte. Die Schächte waren mangelhaft. Am 15./17. Mai 1993 einigte sich die Klägerin mit der E. über die "Übernahme aller Kosten, die aus der nicht qualitätsgerechten … Lieferung resultieren". In der Folgezeit erteilte die "ARGE W., E." (künftig: E.) der Beklagten Rechnungen über ihre Schadensersatzforderungen in Höhe von 86.688,41 DM und 80.085,43 DM. Die Beklagte übersandte der Klägerin die Rechnungen mit der Bitte um Ausgleich an sie. Dem kam die Klägerin nicht nach. Unter dem 8. August 1994 stellte sie der Beklagten die Nachlieferung fehlerfreier Schächte mit insgesamt 172.176,40 DM in Rechnung. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 19. August 1994, daß sie von dem vorgenannten Betrag Skonto in Höhe von 4.885,84 DM, Reklamationskosten in Höhe von 510 DM sowie die Schadensersatzforderungen der E. abziehe. Den Restbetrag von 6,72 DM überwies sie der Klägerin. Mit Anwaltsschreiben vom 24. August 1995 begehrte die Klägerin von der Beklagten unter Abzug der von dieser geleisteten 6,72 DM und unter Kürzung der Schadensersatzforderung der E. auf 57.199,11 DM noch Zahlung von 114.970,57 DM.
[5] Mangels Erfüllung ihrer Forderung hat die Klägerin die Beklagte, deren eigene Kaufpreisforderung von der inzwischen in der Gesamtvollstreckung befindlichen E. nicht beglichen worden ist, in dem vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung von 114.790,57 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Die Parteien haben darüber gestritten, ob die Beklagte den Vertrag über die Lieferung der Fertigteilschächte mit der Klägerin oder der H. GmbH geschlossen hat, die dem Rechtsstreit als Streithelferin der Klägerin beigetreten ist und dieser ihre etwaigen Ansprüche gegen die Beklagte abgetreten hat. Weiter haben die Parteien darüber gestritten, ob die Abzüge der Beklagten von der Forderung der Klägerin berechtigt sind. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.
[6] Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
[7] Der Klägerin stehe die Klageforderung gemäß §§ 433 Abs. 2, 781, 782 BGB zu. Die Beklagte habe mit ihrem Schreiben vom 19. August 1994 und der darin vorgenommenen Prüfung der klägerischen Rechnungen vom 8. August 1994 deklaratorisch anerkannt, daß die Klägerin ihre Vertragspartnerin sei. Die Klageforderung bestehe auch in der geltend gemachten Höhe. Die Beklagte habe nicht dargetan, daß sie zum Abzug von Skonto und Reklamationskosten berechtigt sei. Die Beklagte könne auch nicht mit den ihr von der E. in Rechnung gestellten Schadensersatzforderungen aufrechnen, weil sie nicht substantiiert dargetan habe, daß ihr die E. diese Forderungen abgetreten habe.
[8] II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Nach den bisher getroffenen Feststellungen hat das Berufungsgericht die von der Klägerin gegen die Beklagte geltend gemachte Restkaufpreisforderung aus § 433 Abs. 2 BGB zu Unrecht bejaht.
[9] 1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, daß zwischen den Parteien ein Kaufvertrag über die Fertigteilschächte zustande gekommen ist. Insoweit kann offenbleiben, ob die Beklagte ihre daraus herrührende Verpflichtung durch ihr Schreiben vom 19. August 1994 gemäß §§ 781, 782 BGB deklaratorisch anerkannt hat. Selbst wenn das entgegen der – revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbaren – tatrichterlichen Auslegung des genannten Schreibens durch das Berufungsgericht nicht der Fall sein sollte, wäre die Klägerin aktivlegitimiert, weil die dann allein als Vertragspartnerin der Beklagten in Betracht kommende Streithelferin der Klägerin in zweiter Instanz ihre etwaigen Ansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin abgetreten hat, nachdem sie sich bereits in erster Instanz ausdrücklich mit der Klage einverstanden erklärt hatte.
[10] 2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen nach den bisher getroffenen Feststellungen die mit der Klage geltend gemachte Restkaufpreisforderung der Höhe nach bejaht.
[11] a) Soweit das Berufungsgericht die im Schreiben der Beklagten vom 19. August 1994 vorgenommenen Abzüge für Skonto und Reklamationskosten nicht anerkannt hat, erhebt die Revision keine Einwendungen und bestehen auch sonst keine Bedenken.
[12] b) Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch dagegen, daß das Berufungsgericht den Abzug der Beklagten in Höhe der beiden Rechnungen der E. über 86.688,41 DM und 80.085,43 DM nicht über die von der Klägerin bereits selbst berücksichtigten 57.199,11 DM hinaus anerkannt hat.
[13] Richtig ist allerdings, daß die Beklagte mit den ihr in Rechnung gestellten Forderungen nicht aufrechnen kann, da sie deren Abtretung seitens der E. nicht dargetan hat und es deswegen an der erforderlichen Gegenseitigkeit fehlt (§§ 387, 389 BGB). Das Berufungsgericht hat indessen verkannt, daß der Beklagten gegen die Klägerin wegen der Lieferung der unstreitig mangelhaften Fertigteilschächte ein eigener Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung (vgl. z. B. Senatsurteile vom 9. Februar 1994 – VIII ZR 282/93 = WM 1994, 1119 unter II 3 und vom 20. März 1996 – VIII ZR 109/95 = WM 1996, 1592 unter II 2 a, jeweils m. w. Nachw.) zustehen kann, den sie dem Kaufpreisanspruch der Klägerin – gegebenenfalls in Verbindung mit § 404 BGB – einrede- oder aufrechnungsweise entgegensetzen kann. Der dazu erforderliche mittelbare Schaden der Beklagten an ihrem Vermögen könnte in der Belastung mit Schadensersatzforderungen ihrer Abnehmerin bestehen, die mit den Rechnungen der E. geltend gemacht worden sind. Schadensersatzansprüche der E. gegen die Beklagte sind nicht durch die Vereinbarung der E. mit der Klägerin vom 15./17. Mai 1993 ausgeschlossen. Jedenfalls ist dafür weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr spricht dagegen der Umstand, daß die E. ihren Schaden der Beklagten in Rechnung gestellt hat und daß die an der Abrede beteiligte Klägerin selbst von ihrer Forderung gegen die Beklagte einen Schadensbetrag von 57.199,11 DM abgesetzt hat.
[14] Das Berufungsgericht hat weder zum Grund noch zur Höhe eines eigenen Schadensersatzanspruchs der Beklagten gegen die Klägerin Feststellungen getroffen. Daher ist in der Revisionsinstanz zugunsten der Beklagten davon auszugehen, daß ihr gegen die Klägerin ein solcher Schadensersatzanspruch in der noch streitigen Höhe von (80.085,43 DM + 86.688,41 DM – 57.199,11 DM =) 109.574,73 DM zusteht. Darüber hinaus kommt in Betracht, daß die Klägerin sich durch ein deklaratorisches Anerkenntnis Einwände gegen den Grund des Schadensersatzanspruchs der Beklagten abgeschnitten hat, indem sie im Schreiben ihrer Anwälte vom 24. August 1995 und dementsprechend auch in ihrer Klage den von der Beklagten mit Schreiben vom 19. August 1994 geltend gemachten Abzug – wenn auch in herabgesetzter Höhe von 57.199,11 DM – kaufpreismindernd berücksichtigt hat. Auch insoweit fehlt es bisher an Feststellungen des Berufungsgerichts.
[15] Da der Schaden der Beklagten mangels Ausgleichs der Schadensersatzforderungen der E. – allenfalls – in der Belastung mit diesen Verbindlichkeiten besteht, kann sie von der Klägerin zwar gemäß § 249 Satz 1 BGB grundsätzlich nur Befreiung von den Verbindlichkeiten verlangen (Senat, BGHZ 57, 78, 81; Urteile vom 11. Juni 1986 – VIII ZR 153/85 = WM 1986, 1115 unter II 2 a und vom 29. April 1992 – VIII ZR 77/91 = WM 1992, 1074 unter 3, jeweils m. w. Nachw.). In dem von ihr vorgenommenen Abzug von der Forderung der Klägerin könnte indessen die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 BGB zu sehen sein (vgl. BGHZ 47, 157, 166 f). Auch mit dieser Frage hat sich das Berufungsgericht bislang nicht auseinandergesetzt.
[16] 3. Nach alledem kann das der Klage stattgebende Berufungsurteil keinen Bestand haben. Da es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf, ist der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif. Daher waren das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.