Bundesgerichtshof
VBLS § 42 Abs. 2
Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) darf sich gegenüber einem Versorgungsberechtigten nicht auf eine Satzungsänderung berufen, nach der sie in der ehemaligen DDR zurückgelegte Dienstzeiten nicht anrechnet, wenn der Versorgungsberechtigte vor der Satzungsänderung gemäß dem Tarifvertrag West in den öffentlichen Dienst übernommen und zur Versicherung bei der VBL angemeldet worden war.

BGH, Urteil vom 27. 9. 2000 – IV ZR 140/99; OLG Karlsruhe; LG Karlsruhe (lexetius.com/2000,2278)

[1] Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Prof. Römer, Dr. Schlichting, Terno und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juli 2000 für Recht erkannt:
[2] Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. Juni 1999 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
[3] Tatbestand: Der Kläger war ehemals bei den Berliner Verkehrsbetrieben in Ostberlin (Büro für Verkehrsplanung beim Magistrat) beschäftigt. An deren Stelle trat ab 1. Januar 1991 die Senatsverwaltung Berlin für Bauen, Wohnen und Verkehr. Diese meldete den Kläger zum 1. April 1991 bei der Beklagten zur Versicherung an.
[4] Nach Erreichen der Altersgrenze teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 26. Februar 1998 mit, daß er nach § 37 der Satzung der Beklagten (VBLS) ab 1. Januar 1998 eine Versorgungsrente für Versicherte von monatlich 205,72 DM erhalte.
[5] In dieser Mitteilung berücksichtigte die Beklagte gemäß § 29 Abs. 10 VBLS 81 Umlagemonate, nämlich vom 1. April 1991 bis 31. Dezember 1997, und als Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 a, aa VBLS 87 Monate, nämlich vom 1. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1997. Vor dem 1. Oktober 1990 zurückgelegte Zeiten, die der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde liegen, blieben unberücksichtigt. Die Beklagte stützte sich dabei auf § 42 VBLS in der Fassung der 28. Satzungsänderung vom 20. Oktober 1995 (im folgenden n. F.), der auszugsweise wie folgt lautet:
[6] "§ 42. Gesamtversorgungsfähige Zeit. (1) Gesamtversorgungsfähige Zeit sind die bis zum Beginn der Versorgungsrente (§ 62) zurückgelegten Umlagemonate (§ 29 Abs. 10).
(2) Als gesamtversorgungsfähige Zeit gelten a) bei einem Versorgungsrentenberechtigten, der eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält, die Kalendermonate, aa) die in der gesetzlichen Rentenversicherung als Beitragszeiten … – mit Ausnahme der vor dem 3. Oktober 1990 zurückgelegten Zeiten im Beitrittsgebiet, wenn die Pflichtversicherung erstmals nach dem 2. Oktober 1990 begonnen hat – der Rente zugrunde liegen … abzüglich der Umlagemonate (Absatz 1) zur Hälfte."
[7] Die Berechnung der Beklagten führte zu einer Gesamtversorgung von 1.200,06 DM. Da diese niedriger ist als die gesetzliche Rente, hat sie dem Kläger nur eine sogenannte Versicherungsrente als Mindestrente gemäß § 40 Abs. 1 i. V. mit § 44 a Satz 1 Nr. 1 VBLS in der vorgenannten Höhe zuerkannt.
[8] Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse bei der Errechnung seiner Versorgungsrente die Zeit zwischen 1947 und dem Beitritt der neuen Länder zum Bundesgebiet am 3. Oktober 1990 nach § 42 VBLS a. F. berücksichtigen. Diese Vorschrift enthält nicht die oben unter § 42 Abs. 2 a) aa) VBLS n. F. wiedergegebene Ausnahmeregelung über die Nichtanrechnung der Versicherungszeiten im Beitrittsgebiet. Die Nichtberücksichtigung gemäß der aktuellen Fassung der Satzung stelle eine Ungleichbehandlung innerhalb der Versichertengemeinschaft dar. Insgesamt seien von ihm in der gesetzlichen Rentenversicherung 604 Monate zurückgelegt worden, so daß die nach Abzug der Umlagemonate verbleibenden 523 Monate zur Hälfte, also mit 262 Monaten angerechnet werden müßten.
[9] Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger ab 1. Januar 1998 eine monatliche Versorgungsrente in satzungsgemäßer Höhe zu gewähren, wobei die gesamtversorgungsfähige Zeit nach § 42 Abs. 2 a) aa) VBLS so zu berechnen sei, daß die Ausnahme, wonach vor dem 3. Oktober 1990 zurückgelegte Zeiten im Beitrittsgebiet nicht berücksichtigt werden, keine Anwendung finde.
[10] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.
[12] I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die durch die 28. Satzungsänderung vorgenommene Änderung des § 42 Abs. 2 Satz 1 VBLS sei für das Versicherungsverhältnis des Klägers nicht wirksam geworden. Die Neuregelung halte der Inhaltskontrolle nicht stand. Der Personenkreis, der – wie der Kläger – erstmals nach dem 2. Oktober 1990 und vor dem Inkrafttreten der 28. Satzungsänderung bei der Beklagten pflichtversichert worden sei, werde durch § 42 Abs. 2 Satz 1 a) aa) VBLS entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Die Regelung verstoße deshalb gegen § 9 AGBG und sei unwirksam. Während ein Versicherter aus den alten Bundesländern im Alter des Klägers, der zunächst nur in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert war und erst nach dem 3. Oktober 1990 bei der Beklagten pflichtversichert worden sei, bei gleichem gesamtversorgungsfähigen Entgelt eine dynamische Versorgungsrente in erheblicher Höhe erhalte, habe der Kläger nach der Mitteilung der Beklagten nur einen Anspruch auf eine statische Versicherungsrente von 205,72 DM. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keine sachlichen Gründe.
[13] Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, § 42 Abs. 2 Satz 1 VBLS n. F. sei "conditio sine qua non" für die Einführung der Zusatzversorgung im Tarifgebiet Ost ab dem 1. Januar 1997 gewesen. Dieses Argument greife jedenfalls nicht im Verhältnis zum Kläger. Denn für diesen habe die Pflichtversicherung bei der Beklagten schon unabhängig von diesem Tarifvertrag im Jahre 1991 unter der Geltung der alten Fassung des § 42 Abs. 2 Satz 1 VBLS begonnen. Mit der Neuregelung sei ihm daher nicht erstmals eine Rechtsposition neu gewährt worden, die er vorher nicht gehabt habe. Vielmehr sei ihm eine Rechtsposition, die er innegehabt habe, teilweise entzogen worden.
[14] Diese Ausführungen des Berufungsgerichts sind jedenfalls im Ergebnis richtig. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
[15] II. Es kann für die Entscheidung des vorliegenden Falles dahinstehen, ob die Neuregelung des § 42 Abs. 2 Satz 1 VBLS wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam ist mit der möglichen Folge, daß auch denjenigen Bediensteten die alte Regelung zugute käme, die erst nach der Satzungsänderung bei der Beklagten versichert worden sind. Jedenfalls darf sich die Beklagte dem Kläger gegenüber nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf den neu geregelten § 42 Abs. 2 Satz 1 VBLS berufen.
[16] 1. Durch die Anmeldung seines Arbeitgebers bei der Beklagten zum 1. April 1991 wurde der Kläger als Begünstigter der Gruppenversicherung in den Vertrag einbezogen. Zu diesem Zeitpunkt galt § 42 VBLS noch in der Fassung vor der 28. Satzungsänderung. Berechnet man die Leistung der Beklagten auf der Grundlage des § 42 VBLS a. F., so erhält der Kläger zumindest 1.914,60 DM monatlich. Das ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 4. Juni 1998 an das Amtsgericht Karlsruhe. Demgegenüber berechnet die Beklagte ihre Leistung nach § 42 Abs. 2 Satz 1 VBLS n. F. auf monatlich 205,72 DM. Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß in diesem Unterschied für den Kläger ein erheblicher Nachteil liegt.
[17] Diesen braucht der Kläger nicht hinzunehmen. Denn er durfte – als er am 1. April 1991 in die Zusatzversorgung einbezogen wurde – darauf vertrauen, daß die Beklagte ihre Satzung nicht in einer Weise ändern werde, die nachträglich zu einer solch erheblichen Verminderung seiner Bezüge aus der Zusatzversorgung führen würde. Der Kläger hatte zu jenem Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für die Annahme, er werde später mit derartigen Verminderungen rechnen müssen.
[18] 2. Der Kläger konnte, wie aber die Beklagte meint, auch nicht annehmen, § 42 VBLS a. F. gestatte zur Ermittlung der gesamtversorgungsfähigen Zeit nicht den Einbezug von Versicherungszeiten in der ehemaligen DDR. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis es bei der Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen ankommt (BGHZ 123, 83, 85), kann dem Wortlaut des § 42 VBLS a. F., soweit sich für ihn der Sinn überhaupt erschließen läßt, eine solche Einschränkung nicht entnehmen. Selbst eine mit den Regeln der Satzung der Beklagten vertraute Person wird im Wege der Auslegung des § 42 VBLS a. F. keine Einschränkung für in der früheren DDR und schon seinerzeit nach dem Tarifvertrag West in den öffentlichen Dienst übernommene Beschäftigte entnehmen können. Dies mag aber dahinstehen. Denn der Kläger hatte im Zeitpunkt seiner Anmeldung bei der Beklagten keine Veranlassung, sich Rechtsrat bei einer kundigen Person einzuholen, nachdem weder die Beklagte noch sein Arbeitgeber ihn auf irgendwelche Leistungseinschränkungen bei der Versorgung hingewiesen haben.
[19] 3. Einen rechtfertigenden Grund für die den Kläger benachteiligende Leistungsminderung hat die Beklagte nicht dargetan. Er ist auch nicht ersichtlich.
[20] a) Die Revision trägt vor, die 28. Satzungsänderung beruhe auf einer Grundentscheidung der beteiligten Sozialpartner. Diese gehe dahin, daß die gesamtversorgungsfähige Zeit für alle Versicherten, die nach dem 2. Oktober 1990 bei der Beklagten versichert worden seien, anders als nach der alten Fassung des § 42 VBLS zu berechnen seien. Die maßgebenden Grundentscheidungen unterlägen nicht der gerichtlichen Nachprüfung. Daß die in der ehemaligen DDR zurückgelegten Versicherungszeiten bei der Berechnung der Zusatzversorgung nicht mit heranzuziehen seien, beruhe auf sachlichen, nämlich finanziellen Gründen. Die Mittel, die bei einer Einbeziehung aufzubringen gewesen wären, hätten insbesondere die Länder und Kommunen in den neuen Bundesländern finanziell überfordert. Die Einigung über die Nichtberücksichtigung der Rentenzeiten vor dem 3. Oktober 1990 sei eine Grundbedingung für die Einführung der Zusatzversorgung in den neuen Bundesländern gewesen. Diese Argumentation greift jedenfalls für die Beurteilung des vorliegenden Falles nicht durch.
[21] b) Richtig ist, daß die Frage der Finanzierbarkeit bei den Verhandlungen über die Einführung der Zusatzversorgung in den neuen Bundesländern eine erhebliche Rolle gespielt hat (vgl. Kiefer, ZTR 1996, 97). Die Gewerkschaften hatten die Einführung der Zusatzversorgung bei den Tarifverhandlungen immer wieder thematisiert. Bei den Verhandlungen in der Lohn- und Vergütungsrunde 1995 kam es zur Einigung über Eckpunkte, die in der Niederschrift über die Tarifverhandlungen vom 3. Mai 1995 festgehalten sind (wiedergegeben bei Kiefer, aaO).
[22] Alledem ist jedoch nicht zu entnehmen, daß die Einführung der Zusatzversorgung in den neuen Bundesländern auch davon abhängig sein sollte, daß dem Personenkreis, dem eine Zusatzversorgung nach dem alten § 42 VBLS bereits zugesagt war, durch nachträgliche Änderung der Anrechnungszeiten im wesentlichen wieder entzogen werde. Insoweit handelt es sich jedenfalls nicht um eine Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien.