Bundesgerichtshof
BGB § 839 Fi; GG Art. 34; PrStHG § 1 Abs. 3
Zur Abgrenzung von Amtshaftung und persönlicher Vertragshaftung für Pflichtverletzungen eines Gerichtsvollziehers bei einer Sequestration.
Gerichtsvollzieher sind keine "Gebührenbeamten".

BGH, Urteil vom 9. 11. 2000 – III ZR 314/99; OLG Schleswig; LG Lübeck (lexetius.com/2000,2523)

[1] Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter Dr. Wurm, Streck, Schlick und Dörr für Recht erkannt:
[2] Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 4. Februar 1999 wird zurückgewiesen.
[3] Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
[4] Tatbestand: Die Klägerin, ein Betrieb für Stahl- und Anlagenbau, insbesondere Fördertechnik, stand in Geschäftsbeziehungen mit der F. Industrieanlagenbau GmbH in A. (im folgenden: F.). Aufgrund einer entsprechenden Bestellung
[5] lieferte die Klägerin – wie sie behauptet, unter Eigentumsvorbehalt – ab April 1994 an F. Förderelemente für den Transport von EURO-Paletten; das Auftragsvolumen betrug 212.299 DM. F. wollte die gelieferten Teile für den Bau einer Abfüllanlage verwenden, die für einen Besteller in Argentinien bestimmt war.
[6] Nachdem die Klägerin die Elemente geliefert hatte, geriet F. in Zahlungsschwierigkeiten. Am 20./21. Juni 1994 wurden zwei für die Klägerin bestimmte Schecks über insgesamt 82.593,81 DM nicht eingelöst. Daraufhin erwirkte die Klägerin am 22. Juni 1994 eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts A., durch die der F. aufgegeben wurde, die ihr unter Eigentumsvorbehalt gelieferten – in der Verfügung im einzelnen bezeichneten – Anlagen und Gegenstände an den zuständigen Gerichtsvollzieher als Sequester zur Sicherstellung und Aufbewahrung bis zur Entscheidung über den Verbleib herauszugeben.
[7] Noch am gleichen Tag beauftragte die Klägerin den Beklagten als den zuständigen Gerichtsvollzieher mit der Vollziehung der einstweiligen Verfügung. Zugleich schloß sie mit ihm einen Sequestrationsvertrag, durch den er sich verpflichtete, die Sache an einem von ihm zu bestimmenden Ort ordnungsgemäß zu verwahren, zu bewachen und in sonst geeigneter Weise für den Erhalt zu sorgen. Bei der F. stellte der Beklagte ebenfalls noch am selben Tage fest, daß ein Teil der in der einstweiligen Verfügung genannten Gegenstände dort nicht mehr vorhanden, sondern bereits ausgeliefert und der andere, größere Teil in eine Förderstraße eingebaut war. Wegen der Schwierigkeiten, die von der Klägerin gelieferten Gegenstände herauszufinden, auszubauen und abzutransportieren, beließ er diese im Einvernehmen mit der Klägerin auf dem Gelände der F., nachdem diese sich verpflichtet hatte, der Klägerin am folgenden Tag einen bankbestätigten Scheck über 82.593,81 DM zur Verfügung zu stellen. Durch schriftliche Vereinbarung mit dem Beklagten vom 22. Juni 1994 verpflichtete sich die F. ferner, die noch unter dem Eigentumsvorbehalt der Klägerin stehenden Anlagenteile nicht ohne Genehmigung des Beklagten als des Sequesters aus ihren Werkshallen zu verbringen. Der Beklagte verpflichtete sich seinerseits, die Genehmigung zu erteilen, falls die F. glaubhaft machen könne, daß der Auslieferung der Anlagenteile ein zur Begleichung der Restforderung der Klägerin ausreichender Liquiditätszufluß gegenüberstehe.
[8] Auf Antrag der F. erteilte ihr der Beklagte am 7. Juli 1994 die Zustimmung zur Auslieferung der sequestrierten Anlagenteile vorbehaltlich des Nachweises des Liquiditätszuflusses. Der Geldnachweis habe zu erfolgen, bevor die Anlagenteile das Werksgelände verließen. Daraufhin lieferte F. die Förderstraßen nach Argentinien aus. Der vom Käufer auf das Konto der F. bei der Raiffeisenbank B. überwiesene Kaufpreis von mehr als 400.000 DM wurde von dieser Bank vollständig mit eigenen Forderungen gegen die F. verrechnet. Die Klägerin erhielt auf ihre noch offene Restforderung von 97.657,53 DM keine Zahlungen. Am 19. Juli 1994 stellte die F. Konkursantrag; wenige Tage später wurde das Konkursverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Die Klägerin meldete ihre restliche Forderung zuzüglich Kosten – insgesamt 107.739,96 DM – zur Konkurstabelle an. Die Forderung wurde vom Konkursverwalter anerkannt; eine Konkursquote ist jedoch nicht zu erwarten.
[9] Die Klägerin nimmt nunmehr den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Sie wirft ihm vor, den Sequestrationsvertrag dadurch verletzt zu haben, daß er die Anlagenteile freigegeben habe, ohne den Zahlungszufluß an die Klägerin ausreichend abzusichern. Der Beklagte hat eine Pflichtverletzung bestritten und eingewendet, Schuldner eines etwaigen Schadensersatzanspruches sei nicht er persönlich, sondern nach Amtshaftungsgrundsätzen das Land Schleswig-Holstein, dem die Klägerin den Streit verkündet hat.
[10] Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch gegen den Beklagten weiter.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision ist zulässig, im Ergebnis aber nicht begründet.
[12] Die Klageforderung scheitert bereits daran, daß für etwaige Pflichtverletzungen keine vertragliche Eigenhaftung des Beklagten, sondern allenfalls eine Amtshaftung des streitverkündeten Landes (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG) eintreten kann.
[13] 1. Besteht die einstweilige Verfügung in einer Sequestration (§ 938 Abs. 2 ZPO), so sind bei ihrer Vollziehung die Zuständigkeitsbereiche des hoheitlich handelnden Gerichtsvollziehers als Vollstreckungsorgan einerseits und des privatrechtlich tätig werdenden Sequesters andererseits zu unterscheiden und voneinander abzugrenzen. Die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers als Sequester ist keine ihm kraft seines Gerichtsvollzieheramtes zugewiesene Aufgabe; er ist deshalb zur Übernahme des Sequesteramtes nicht verpflichtet (§ 195 Nr. 2 Satz 3 GVGA; Noack JR 1963, 295, 297). Der Sequester selbst ist kein Vollstreckungsorgan im Sinne der Zivilprozeßordnung. Deswegen hat er auch keine staatlichen Zwangsbefugnisse gegenüber dem Schuldner. Er ist somit nicht schon kraft seines Amtes als Sequester befugt, die zu sequestrierende Sache gegen den Willen des Schuldners wegzunehmen (Gleußner DGVZ 1996, 33, 35). Die Wegnahme des Sequestrationsobjektes fällt vielmehr in den hoheitlichen Bereich der Vollziehung der einstweiligen Verfügung und obliegt daher dem Gerichtsvollzieher kraft seines Amtes. Dabei handelt der Gerichtsvollzieher in Ausübung öffentlicher Gewalt. Durch ihn als sein Organ übt der Staat als alleiniger Träger der Vollstreckungsgewalt sein Zwangsmonopol in hoheitlicher Weise aus (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 21. Aufl. 1999 vor § 704 Rn. 1 m. w. N.; BVerfGE 61, 126, 136). Mit der Übergabe an den Sequester ist die Vollziehung beendet (vgl. § 195 Nr. 2 Satz 2 GVGA; Gleußner aaO); zugleich beginnt die Sequestration. Sie umfaßt die Sicherstellung, Verwahrung und Verwaltung einer Sache und ist keine Maßnahme der Zwangsvollstreckung, sondern beruht auf einem privatrechtlichen Sequestrationsvertrag (OLG Koblenz MDR 1981, 855; OLG München MDR 1984, 62; Zöller/Vollkommer aaO § 938 Rn. 9; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 2. Aufl., ZPO § 938 Rn. 22).
[14] 2. Haftungsrechtlich hat dies die Konsequenz, daß bei pflichtwidrigem Handeln des Gerichtsvollziehers als Vollstreckungsorgan die Amtshaftung, bei pflichtwidrigem Handeln als Sequester dagegen die persönliche Vertragshaftung eintritt. Von diesem rechtlichen Ansatz sind auch beide Vorinstanzen zutreffend ausgegangen; im Gegensatz zum Berufungsurteil und in Übereinstimmung mit dem Landgericht ist das Handeln des Beklagten hier dem hoheitlichen Aufgabenbereich des Gerichtsvollziehers zuzuordnen.
[15] a) Dies folgt – worauf die Revisionserwiderung zu Recht hinweist – schon daraus, daß hier eine Sequestration überhaupt (noch) nicht stattgefunden hatte und deshalb für eine Durchführung des von den Parteien abgeschlossenen Sequestrationsvertrages kein Raum war. Der Beklagte hatte bei der Schuldnerin festgestellt, daß die zu sequestrierenden Gegenstände, soweit sie überhaupt noch vorhanden waren, zum Teil weiterverarbeitet worden, zum Teil in einen Verbund mit fremden Gegenständen gelangt waren. Um die Teile wegzunehmen, wären daher eine Fachfirma zum Zerlegen sowie eine Speditionsfirma mit geeigneten Fahrzeugen und Lagerräumen hinzuzuziehen gewesen. Für diesen Fall hätte die Klägerin einen Kostenvorschuß in Höhe von 30.000 DM zahlen müssen. Deshalb erklärte sich der Geschäftsführer der Klägerin damit einverstanden, daß das Verfahren zunächst nicht fortgesetzt werde, sofern ihm am folgenden Tag, dem 23. Juni 1994, ein bankbestätigter Scheck über 82.593,81 DM übergeben werde und darüber hinaus sichergestellt sei, daß die noch bei der Schuldnerin befindlichen Gegenstände nicht ohne Genehmigung des Sequesters die Werkshallen verließen. Über diese Feststellungen hatte der Beklagte einen mit seinem Dienstsiegel als Gerichtsvollzieher versehenen amtlichen Vermerk aufgenommen. Sämtliche vom Beklagten in diesem Zusammenhang ergriffenen Maßnahmen dienten dem Zweck, einen ungehinderten Zugriff der Schuldnerin auf die Vollstreckungsobjekte nach Möglichkeit auszuschließen. Damit sollten die Risiken vermindert werden, die sich für die Klägerin als Gläubigerin daraus ergaben, daß die angeordnete Wegnahme der Objekte (§ 883 ZPO), die eine Sequestration erst ermöglicht hätte, nicht erfolgt war. War aber der wesentliche Zweck der getroffenen Maßnahmen, die Gegenstände dem Einflußbereich der Schuldnerin zu entziehen und ihr die Möglichkeit zu nehmen, weiterhin darüber zu verfügen, noch nicht erreicht, so verblieb das Verfahren in dem der eigentlichen Sequestration vorausgehenden Stadium des hoheitlichen Zugriffs auf die Sequestrationsobjekte und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten in seiner Eigenschaft als Gerichtsvollzieher, nicht als Sequester. Daran ändert es nichts, daß der Geschäftsführer der Klägerin sein Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erteilt hatte; die diesbezügliche Erklärung stellte lediglich einen Aufschub der Vollstreckung dar und bedeutete nicht etwa, daß nunmehr der Sequestrationsvertrag in Vollzug gesetzt werde. Auch die Verwendung des Begriffes "Sequester" in dem amtlichen Vermerk des Beklagten besagte nichts darüber, daß die Sequestration bereits begonnen hatte.
[16] b) Auch die Vereinbarung vom 22. Juni 1994, die der Beklagte mit der F. getroffen hatte, fiel in seine Zuständigkeit als Gerichtsvollzieher und nicht als Sequester, obwohl er dort als "Sequester" bezeichnet wird und auch in seiner späteren Freigabeerklärung vom 7. Juli 1994 von den "sequestrierten" Anlagenteilen die Rede ist. Diese Absprachen betrafen nämlich lediglich den durch den Beginn der Vollziehung, aber noch vor deren Beendigung geschaffenen Zwischenzustand. Sie sollten gewährleisten, daß die Vollziehung der einstweiligen Verfügung fortgesetzt werden konnte, sofern sich das Verfahren nicht durch Befriedigung der Klägerin anderweitig erledigte. An den tatsächlichen Besitzverhältnissen änderte sich dadurch nichts; eine Wegnahme im Sinne des § 883 ZPO, die den Beginn der Sequestration hätte einleiten können, fand nicht statt. Insbesondere verblieb es dabei, daß die zu sequestrierenden Gegenstände mit anderen verbunden waren und eine Aussonderung ohne erheblichen Aufwand nicht möglich war. Indem der Beklagte lediglich die Verpflichtung der F. erwirkte, sie werde diese Sachen nicht ohne seine Genehmigung wegschaffen, wurde er nicht in den Stand gesetzt, seine vertraglichen Sequesterpflichten der Verwahrung, Bewachung und Erhaltung zu erfüllen. Dementsprechend hat sich hier nicht etwa eine Gefahr verwirklicht, wie sie aus unsorgfältiger Verwahrung, Bewachung oder Erhaltung entstehen kann, sondern gerade die Gefahr, der die hoheitliche Inbesitznahme als solche hatte vorbeugen sollen: Die Sachen sind nämlich deswegen verlorengegangen, weil die Schuldnerin trotz der Anordnung der Sequestration über sie verfügt hatte. Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn die der Übernahme des Sequestrationsobjekts durch den Sequester vorausgehende Verfahrensphase der Ausschaltung der Schuldnerin vom Zugriff auf die Objekte beendet gewesen wäre.
[17] 3. Der Beklagte ist auch kein "Gebührenbeamter" i. S. d. § 1 Abs. 3 des – in Schleswig-Holstein noch geltenden (GS Schl. -H. II 2030—1) – preußischen Gesetzes über die Haftpflicht des Staates und anderer Verbände für Amtspflichtverletzungen von Beamten bei Ausübung der öffentlichen Gewalt (Gesetz vom 1. August 1909 – PrGS S. 691 [PrStHG]). Deswegen trifft die amtshaftungsrechtliche Verantwortlichkeit nicht ihn persönlich, sondern das streitverkündete Land Schleswig-Holstein als seinen Dienstherrn (Art. 34 GG). Schon das Reichsgericht hatte aus der Entstehungsgeschichte des preußischen Staatshaftungsgesetzes entnommen, daß die Aufrechterhaltung der persönlichen Beamtenhaftung für Gebührenbeamte nicht die Gerichtsvollzieher betreffe (RGZ 138, 178, 180 f). Dementsprechend ist der Eintritt der Staatshaftung für Amtspflichtverletzungen von Gerichtsvollziehern durchgängig anerkannt (RGZ 87, 294; 138, 178; 144, 262; Senatsurteile vom 26. September 1957 – III ZR 67/56 = VersR 1957, 735, und vom 25. Oktober 1962 – III ZR 105/61 = VersR 1963, 88; BGB-RGRK/Kreft 12. Aufl. 1984 § 839 Rn. 27; MünchKomm/Papier BGB 3. Aufl. 1997 § 839 Rn. 337; Soergel/Vinke BGB 12. Aufl. 1999 § 839 Rn. 242; Palandt/Thomas BGB 59. Aufl. 2000 § 839 Rn. 6;). Nach § 1 Abs. 3 PrStHG ist die Verantwortlichkeit des Staates bei Beamten ausgeschlossen, die ausschließlich auf den Bezug von Gebühren angewiesen sind, sowie bei solchen Amtshandlungen anderer Beamter, für die diese eine besondere Vergütung durch Gebühren von den Beteiligten zu beziehen haben. Der Gerichtsvollzieher unterfällt bei seiner amtlichen Tätigkeit als Vollstreckungsorgan weder der ersten noch der zweiten Alternative. Er erhält als Beamter gemäß § 10 Nr. 1 GVO Dienstbezüge nach Besoldungsrecht (Besoldungsgruppen A 8 oder A 9) und ist damit nicht ausschließlich auf den Bezug von Gebühren angewiesen (§§ 3 Abs. 1, 20 Abs. 1 Bundesbesoldungsgesetz vom 23. Mai 1975 [BGBl. I S. 1173] i. d. F. der Bekanntmachung vom 9. März 1992 [BGBl. I S. 409] i. V. m. Anlage I zum Bundesbesoldungsgesetz). Zwar erhält der Gerichtsvollzieher daneben Anteile von den Gebühren, die er vereinnahmt hat (§ 10 Nr. 1 GVO). Damit bezieht er für seine Vollstreckungstätigkeit aber keine "besondere Vergütung durch Gebühren von den Beteiligten" i. S. d. § 1 Abs. 3 2. Alt. PrStHG. Diese Bestimmung betrifft nur solche Amtshandlungen, in denen ein unmittelbarer Gebührenanspruch des Beamten gegen die Beteiligten besteht (RGZ 88, 256, 258 f unter Bezug auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes; ferner RGZ 138, 178 ff). Gläubiger des Gebührenanspruchs ist vielmehr ausschließlich das Land als Dienstherr des Gerichtsvollziehers. Der dem Gerichtsvollzieher zustehende Anteil der Gebühren ist somit im Rechtssinn Bestandteil seiner beamtenrechtlichen Bezüge.