Bundessozialgericht

BSG, Urteil vom 30. 8. 2000 – B 5 RJ 4/00 R (lexetius.com/2000,2646)

[1] Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. August 2000 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Wetzel-Steinwedel, den Richter Dr. Fichte und die Richterin Streffer sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Stemmer und Behrens für Recht erkannt:
[2] Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. November 1999 wird zurückgewiesen.
[3] Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
[4] Gründe: I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemanns (der Versicherte) ungeteilte große Witwenrente über den 30. November 1995 hinaus zusteht.
[5] Die 1934 geborene Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige; sie lebt seit 1981 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie war seit 1956 mit dem am 15. März 1920 geborenen und am 6. Januar 1993 verstorbenen Versicherten, der gleichfalls marokkanischer Staatsangehöriger war, verheiratet. Am 13. Juni 1990 hatte der Versicherte in Marokko die 1960 geborene Najima Azbairi als zweite Ehefrau geheiratet. Während die Klägerin nicht wiederverheiratet ist, hat die zweite Ehefrau am 26. November 1994 in Marokko erneut geheiratet.
[6] Auf den Antrag der Klägerin vom 8. Februar 1993 gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 1993 ab 1. Februar 1993 große Witwenrente in Höhe von 674,03 DM monatlich. Am 19. Juli 1995 beantragte auch die zweite Ehefrau zunächst formlos die Gewährung von Witwenrente. Im nachgereichten Formantrag verneinte sie die Frage nach einer Wiederheirat. Das marokkanische Generalkonsulat erteilte der Beklagten unter dem 28. August 1995 eine Bestätigung über die Nichtwiederheirat. Die Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 3. November 1995 den der Klägerin am 11. Mai 1993 erteilten Bescheid mit Wirkung vom 1. Dezember 1995 auf. In dem auf § 48 SGB X gestützten Bescheid heißt es, die Witwenrente sei gemäß § 34 Abs 2 SGB I iVm Art 25 Nr 6 des deutsch-marokkanischen Abkommens über Soziale Sicherheit (Abk Marokko SozSich) zu gleichen Teilen aufzuteilen; es stehe daher vom 1. Dezember 1995 an nur noch Witwenrente in Höhe von monatlich 375,34 DM zu.
[7] Zur Begründung des am 5. Dezember 1995 erhobenen Widerspruchs legte die Klägerin die Übersetzung der marokkanischen Heiratsurkunde vom 26. November 1994 über die erneute Ehe der zweiten Ehefrau vor, auf weitere Nachfrage der Beklagten bestätigte das marokkanische Generalkonsulat am 2. Mai 1996 die Wiederheirat der zweiten Ehefrau des Versicherten. Inzwischen hatte die Beklagte der zweiten Ehefrau des Versicherten mit bindend gewordenen Bescheiden vom 22. und 29. März 1996 kleine Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli bis 30. November 1994 in Höhe von 154,38 DM monatlich (insgesamt 771,90 DM) sowie Witwenrentenabfindung gemäß § 107 SGB VI nach einer fiktiven Rentenlaufzeit von 24 Kalendermonaten in Höhe von 3.705,17 DM bewilligt.
[8] Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Bescheid vom 20. Januar 1997 mit der Begründung zurück, gemäß § 34 Abs 2 SGB I iVm Art 25 Nr 6 Abk Marokko SozSich seien Ansprüche mehrerer Ehegatten anteilig und endgültig aufzuteilen; endgültig heiße, daß sich an der (einmal) getroffenen Aufteilung unter Witwen aus einer nach ausländischem Recht rechtmäßigen polygamen Ehe nichts ändere, auch wenn eine Teilwitwenrente wegen Todes oder Wiederheirat wegfalle.
[9] Das SG hat die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 10. Februar 1998 insoweit aufgehoben, als die Witwenrente auch über den 30. November 1996 hinaus der Klägerin anteilig entzogen worden ist; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Klägerin habe ein Anspruch auf Widerruf des Bescheides vom 3. November 1995 zugestanden, so daß sie ab dem 1. Dezember 1996 (Zeitpunkt, ab dem ein Anspruch auf Witwenrente der zweiten Ehefrau – auch unter Berücksichtigung der Witwenrentenabfindung – nicht mehr bestand) wieder die ungeteilte Witwenrente beanspruchen könne. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 9. November 1999). Die Anschlußberufung der Klägerin hat es (konkludent) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe die angefochtenen Bescheide zutreffend auf § 48 SGB X gestützt. Dem Bescheid vom 11. Mai 1993, mit dem der Klägerin die große Witwenrente bewilligt worden sei, habe die Tatsache zugrunde gelegen, daß lediglich die Klägerin einen Antrag auf Witwenrente gestellt hatte. Da sie auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt habe, habe die Beklagte ihr zu Recht die ungeteilte Witwenrente gewährt. Eine Änderung dieser tatsächlichen Verhältnisse sei erst im Juli 1995 mit dem Witwenrentenantrag der zweiten Ehefrau des Versicherten eingetreten. Eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse habe der Bescheid vom 22. März 1996 herbeigeführt, mit der der zweiten Witwe für die Zeit von Juli bis November 1994 kleine Witwenrente gewährt worden sei. Zumindest ab diesem Zeitpunkt und damit noch vor Erlaß des angefochtenen Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 1997 sei die Beklagte berechtigt gewesen, die Witwenrente in Anwendung von § 91 Satz 3 SGB VI iVm § 34 Abs 2 SGB I aufzuteilen, weil mit der Bescheiderteilung an die zweite Witwe eine weitere Witwenrentenanspruchsberechtigung für den vorgenannten Zeitraum entstanden sei. Aus dem marokkanischen Recht, insbesondere aus Art 29 des "Code du Statut Personnel et des Successions" (CSPS), ergebe sich, daß in Marokko die Ehe mit mehr als einer Frau gleichzeitig erlaubt sei. Entsprechend sei die Hinterbliebenenrente zwischen der Klägerin und der zweiten Ehefrau des Versicherten gemäß § 34 Abs 2 SGB I iVm Art 25 Abs 6 Abk Marokko SozSich anteilig und endgültig aufzuteilen gewesen. "Anteilig" bedeute "zu gleichen Teilen", dh zu so vielen gleichgroßen Teilen wie Hinterbliebenenrentenberechtigte vorhanden seien. "Endgültig" bedeute, daß die einmal vorgenommene Teilung nicht mehr auch nur teilweise rückgängig gemacht werde.
[10] Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 34 Abs 2 SGB I iVm § 91 SGB VI sowie einen Verstoß des Art 25 Nr 6 Abk Marokko SozSich gegen Art 14 GG. Sie ist der Ansicht: Die Aufteilung der Hinterbliebenenrente zu gleichen Teilen widerspreche den Grundsätzen der Billigkeit. Sie sei in der Zeit von 1956 bis zum 6. Januar 1993, also rund 37 Jahre, mit dem Versicherten verheiratet gewesen; dagegen habe die Ehe der zweiten Ehefrau mit dem Versicherten zwischen dem 13. Juni 1990 und dem 6. Januar 1993 nur rund 2 1/2 Jahre gedauert. Überdies sei die zweite Frau wiederverheiratet und ihre Witwenrentenansprüche seien auf Dauer durch die Abgeltung erloschen. Ohne Anwendung des Abk Marokko SozSich wäre Aufteilungsmaßstab das Verhältnis der Ehedauer der Berechtigten zueinander. Die Vorschrift des § 91 SGB VI solle sicherstellen, daß die Versichertengemeinschaft mit nicht mehr als einer Hinterbliebenenrente belastet werde, nicht jedoch den Rentenversicherungsträger entlasten. Daher hätte sie, die Klägerin, den Anspruch auf Rente in voller Höhe gehabt, wenn die Berechnung der Rente bei der zweiten Ehefrau zu keinem Rentenzahlbetrag geführt hätte. Dies sei vorliegend der Fall; denn am 19. Juli 1995, dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung durch die zweite Ehefrau, sei diese bereits erneut verheiratet gewesen und habe keinen Anspruch auf Zahlung der Rente mehr gehabt. Nur aufgrund der Anwendung des Art 25 Nr 6 des Abk Marokko SozSich komme es bei unverhältnismäßig unterschiedlicher Dauer der Ehezeiten zu einer Aufteilung der Renten zu gleichen Teilen, selbst in einem Zeitpunkt, in dem die zweite Witwe wegen der Wiederverheiratung keinen Anspruch mehr auf Rentenzahlungen habe. Dies sei dem Rechtsgebiet, in dem sie lebe, fremd. Diese vom Abk Marokko SozSich nicht gewollte Konsequenz sei grob unbillig und verstoße gegen Art 14 GG. Zumindest liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor, weil die unterschiedliche Ehedauer nicht berücksichtigt werde. Eine "endgültige Aufteilung" der Witwenrente iS des § 34 Abs 2 SGB I liege gemäß Art 25 Nr 6 Abk Marokko SozSich erst dann vor, wenn das entsprechende Verfahren bestandskräftig abgeschlossen sei, was vorliegend nicht der Fall sei.
[11] Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. November 1999 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. Februar 1998 insoweit aufzuheben, als hierdurch für die Zeit vom 11. Dezember 1995 (richtig: 1. Dezember 1995) bis 30. November 1996 die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. November 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 1997 aufzuheben.
[12] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
[13] Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
[14] II. Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat das teilweise zusprechende Urteil des SG Düsseldorf zu Recht geändert und die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 3. November 1995 und 20. Januar 1997 in vollem Umfang abgewiesen.
[15] 1. Die Revisionsbegründung der Klägerin vom 29. Februar 2000 entspricht noch den Zulässigkeitserfordernissen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Danach muß die Begründung ua die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Zwar ist dies nicht dadurch geschehen, daß die Klägerin rügt, die Aufteilung der Rente zwischen den beiden Witwen zu gleichen Teilen widerspräche "den Grundsätzen der Billigkeit". Der Revisionsbegründung läßt sich jedoch noch hinreichend erkennbar entnehmen, daß die Klägerin offenbar die Verletzung materiellen Rechts, nämlich des Art 14 GG, gegen den Art 25 Nr 6 Abk Marokko SozSich verstoße, rügen will.
[16] Zum Verfahren gegen den Aufteilungsbescheid war die zweite Ehefrau des Versicherten nicht notwendig beizuladen. Sie ist am streitigen Rechtsverhältnis nicht iS des § 75 Abs 2 SGG beteiligt. Denn nach der ab 1992 geltenden Rechtslage ist bei Aufteilung einer Hinterbliebenenrente das allgemeine Verfahrensrecht des SGB X anzuwenden (vgl BSG Urteil vom 21. April 1999 – B 5/4 RA 90/97 R – SozR 3—2600 § 91 Nr 2; Gürtner in Kasseler Komm, § 91 SGB VI, RdNrn 24 f, Stand August 2000), so daß es – wie auch der vorliegende Fall zeigt – in der Summe der Leistungspflichten zu mehr als einer vollen Hinterbliebenenrente kommen kann; damit wird das Bestehen eines weiteren Hinterbliebenenrentenanspruchs zur bloßen Vorfrage (dennoch für eine Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG: Gürtner, aaO, RdNr 26).
[17] 2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere, insbesondere die volle große Witwenrente über den 30. November 1995 hinaus. Vielmehr hat die Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 3. November 1995 die Leistung mit Wirkung ab 1. Dezember 1995 auf die Hälfte gekürzt. Denn in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlaß des Rentenbescheids vom 11. Mai 1993 vorgelegen haben (dazu unter a), war eine wesentliche Änderung eingetreten (dazu unter b), die die Beklagte berechtigte, den Bescheid insoweit für die Zukunft gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X aufzuheben (dazu unter c).
[18] a) Bezogen auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Todes des Versicherten im Jahre 1993 bestand damals eine volle Rentenberechtigung der Klägerin. Damit kommt als Rechtsgrundlage für die Aufhebung (Änderung) des Rentenbescheides vom 11. Mai 1993 nur § 48 Abs 1 SGB X (Änderung der Verhältnisse) in Betracht, nicht jedoch § 45 SGB X (Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes). Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen für einen Anspruch auf große Witwenrente nach § 46 Abs 2 SGB VI; denn nur sie hatte 1993 einen Antrag auf Witwenrente gestellt. Unerheblich ist, daß bereits damals eine zweite Witwe vorhanden war. Dies hat keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 11. Mai 1993, da die zweite Witwe noch keinen "Anspruch auf Witwenrente" iS des § 91 Satz 1 SGB VI hatte, der zu einer Aufteilung der Witwenrente auf mehrere Berechtigte hätte führen müssen. Zwar lagen damals auch für die zweite Witwe die materiellen Voraussetzungen für eine kleine Witwenrente nach § 46 Abs 1 SGB VI vor; im Rahmen des § 91 SGB VI kommt es jedoch darauf an, ob der weitere Berechtigte sämtliche Leistungsvoraussetzungen erfüllt; das Bestehen eines "Stammrechts" oder "Anspruchs dem Grunde nach" reicht insoweit nicht (vgl BSG Urteil vom 21. April 1999 – B 5/4 RA 90/97 R – SozR 3—2600 § 91 Nr 2). Zu diesen Leistungsvoraussetzungen gehört auch die Antragstellung. Die zweite Witwe des Versicherten hat jedoch erst im Juli 1994 den Rentenantrag gestellt.
[19] An der Erforderlichkeit des Antrags ändert weder etwas, daß der Gesetzgeber mit der Normierung der Antragstellung im Zweiten Kapitel (Leistungen), Sechster Abschnitt (Durchführung), Erster Unterabschnitt (Beginn und Abschluß des Verfahrens) verdeutlicht hat, daß die Antragstellung selbst nicht zu den materiellen Anspruchsvoraussetzungen zählt (vgl hierzu: Zweiter Abschnitt [Renten], Zweiter Unterabschnitt [Anspruchsvoraussetzungen für einzelne Renten], Dritter Titel [Renten wegen Todes]), sondern mit der Antragstellung "das Verfahren beginnt" (§ 115 Abs 1 Satz 1 SGB VI); noch kann insoweit den Ausschlag geben, daß der Antragstellung im Juli 1995 nach § 99 Abs 2 Satz 3 SGB VI Rückwirkung für zwölf Monate zukam.
[20] b) Gegenüber den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlaß des Bescheids vom 11. Mai 1993 vorgelegen haben, war durch die Antragstellung der (materiell berechtigten) zweiten Witwe im Juli 1995 ein Umstand eingetreten, der die Beklagte an einer neuerlichen Bewilligung der großen Witwenrente gehindert hatte, der sie also iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 100 Abs 1 SGB VI berechtigte, wegen einer wesentlichen Änderung die Rentenbewilligung insoweit für die Zukunft, hier ab 1. Dezember 1995, aufzuheben.
[21] § 48 Abs 1 SGB X ist im Fall der Klägerin maßgebend, da das ab 1. Januar 1992 geltende und nach § 300 Abs 1 SGB VI für eine Rentenaufteilung nach diesem Zeitpunkt anzuwendende Rentenrecht anders als das frühere Recht (§ 1268 Abs 4 Satz 2 RVO) keine die allgemeinen Bestimmungen des SGB X über die Rücknahme von Verwaltungsakten verdrängende spezialgesetzliche Regelung mehr enthält (vgl BSG Urteil vom 21. April 1999 – B 5/4 RA 90/97 R – SozR 3—2600 § 91 Nr 2 mwN). Der Aufteilung einer Witwenrente nach § 91 SGB VI steht deshalb nicht entgegen, daß bei Erlaß des angefochtenen Bescheides vom 3. November 1995 der zweiten Witwe des Versicherten noch keine Leistungen bewilligt worden waren, sondern diese Leistungen erst mit Bescheiden vom 22. und 29. März 1996 bewilligt worden sind. Denn die Aufteilung einer Witwenrente ist nicht – wie teilweise in der Literatur (vgl Eicher/Haase/Rauschenbach, Kommentar zum SGB VI, § 91 Ziff 5, Stand: November 1992; Maier/Heller in Berliner Komm, § 91 RdNr 7, Stand Juni 1992) in offenbarer Anknüpfung an das frühere Recht vertreten wird, stets erst dann vorzunehmen, wenn der Witwenrentenanspruch für mehr als einen Berechtigten durch den Rentenbescheid "anerkannt wird" oder – anders ausgedrückt – durch den Rentenbescheid festgestellt wird. Die Aufteilung der Witwenrente nach § 91 SGB VI beurteilt sich vielmehr – wie bereits oben unter a) ausgeführt – danach, ob für denselben Zeitraum aus den Rentenanwartschaften des Versicherten "Anspruch auf Witwenrente" für mehrere Berechtigte besteht, dh die Aufteilung hat ab dem Zeitpunkt der Erfüllung sämtlicher Leistungsvoraussetzungen, einschließlich des zurückwirkenden Rentenantrages, durch den Berechtigten zu erfolgen. Daß die zweite Ehefrau im Zeitpunkt der Rentenantragstellung (19. Juli 1995) bereits wieder verheiratet war und sie daher die Anspruchsvoraussetzungen des § 46 Abs 1 SGB VI aktuell nicht mehr erfüllte, hindert ihren Witwenrentenanspruch für die Vergangenheit nicht. Denn auch insoweit gilt, daß der Antrag allein Leistungsvoraussetzung ist; hierdurch wird lediglich "das Verfahren" in Gang gesetzt, das ermöglicht, die Erfüllung der materiellen Anspruchsvoraussetzungen für den Zeitraum der vergangenen 12 Monate festzustellen (vgl auch BSG Urteil vom 7. Juli 1998 – B 5 RJ 18/98 R – SozR 3—2200 § 115 Nr 3). Waren die Anspruchsvoraussetzungen während eines Teils dieses gesetzlich vorgesehenen Zeitraums rückwirkender Berücksichtigung erfüllt, besteht für diesen Zeitraum, hier für die Zeit vom 1. Juli bis 30. November 1994 (Monat der Wiederverheiratung) Anspruch auf Gewährung von Witwenrente, wobei sich hier der Zeitraum noch um weitere 24 Kalendermonate verlängert. Denn nach § 107 Abs 1 Satz 2 SGB VI wird im Fall der Rentenabfindung bei Wiederheirat bis zum Ablauf des 24. Kalendermonats nach Ablauf des Kalendermonats der Wiederheirat unterstellt, daß ein Anspruch auf Witwenrente besteht.
[22] c) Nach der Rechts- und Sachlage bei Erlaß des angefochtenen Bescheids vom 3. November 1995 stand der Klägerin die große Witwenrente nur noch zur Hälfte zu. Dieser Aufteilungsmaßstab ergibt sich aus § 91 Satz 3 SGB VI iVm § 34 Abs 2 SGB I sowie Art 25 Nr 6 Abk Marokko SozSich vom 25. März 1981 (BGBl II 1986, 552), in Kraft getreten am 1. August 1986 (BGBl II, 772).
[23] Gemäß der Grundregel des § 91 Satz 1 SGB VI ist dann, wenn für denselben Zeitraum aus den Rentenanwartschaften eines Versicherten Anspruch auf Witwenrente für mehrere Berechtigte besteht, Aufteilungsmaßstab das Verhältnis der Ehedauer der Berechtigten zueinander. Mehrere Berechtigte sind auch Witwen aus nach ausländischem Recht erlaubten, polygamen Ehen, wenn diese Ehe einer Ehe iS des Eherechts der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Dies folgt aus § 91 Satz 3 SGB VI. Ergibt sich danach aus der Anwendung des Rechts eines anderen Staates – wie vorliegend aus dem marokkanischen Recht –, daß mehrere Berechtigte vorhanden sind, so erfolgt die Aufteilung nach § 34 Abs 2 SGB I. Da nach den das Revisionsgericht bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG zum marokkanischen Recht gemäß Art 29 CSPS die Ehe mit mehr als einer Frau gleichzeitig erlaubt ist, das marokkanische Generalkonsulat die Eheschließung des verstorbenen Versicherten mit der zweiten Ehefrau bestätigt hat und hierüber eine notarielle Urkunde vorliegt, ergibt sich aus der Anwendung marokkanischen Rechts, daß nach dem Tode des Versicherten zwei Witwenrentenberechtigte vorhanden sind, die zeitgleich mit dem Versicherten verheiratet waren. Nach der Rechtsfolgenregelung des § 34 Abs 2 SGB I, auf die § 91 Satz 3 SGB VI Bezug nimmt, sind die Ansprüche mehrerer Ehegatten auf Witwenrente "anteilig und endgültig" aufzuteilen.
[24] aa) Was unter "endgültiger" Aufteilung zu verstehen ist, ergibt sich aus § 34 Abs 2 SGB I iVm dem Abk Marokko SozSich. Das Wort "endgültig" bedeutet gegenüber der Regelung des § 91 SGB VI, der eine spätere Änderung der Aufteilung bei Hinzutreten oder Wegfall einer Berechtigten nicht ausschließt, eine Abweichung. In der Gesetzesbegründung zu Art 6 § 6 des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts (BT-Drucks 10/504, S 97), durch den § 34 Abs 2 SGB I – mit Ausnahme einer redaktionellen Änderung zum 1. Januar 1992 durch das RRG 1992 (vgl Bley, Gesamt-Komm, § 34 SGB I Anm 1a, Stand August 1991; Behn, RV 1987, 1 ff) – seine jetzige Fassung erhalten hat, heißt es dazu: "Die einmal geschehene Aufteilung ist endgültig in dem Sinn, daß der Tod eines überlebenden Ehegatten nicht zu einer Rentenanwachsung auf Seiten des oder der anderen Überlebenden führt. Damit wird nach dem Vorbild des am 25. März 1981 unterzeichneten Abk Marokko SozSich sowohl dem Recht der betreffenden Kulturkreise als auch der in diesen Fällen in der Regel verlängerten Rentenlaufzeit Rechnung getragen. Die §§ 44 ff SGB X bleiben im übrigen unberührt." Demnach soll eine einmal vorgenommene Teilung auch nach dem Wegfall der Anspruchsberechtigung einer Hinterbliebenen nicht mehr rückgängig gemacht werden. Zweck dieser Regelung ist es, das inländische Recht, das auf Sachverhalte mit Auslandsberührung anwendbar ist, an die Besonderheiten dieser Sachverhalte anzupassen, um ungerechtfertigte Vorteile der Berechtigten zu verhindern (Bley in Gesamt-Komm, aaO, Anm 1c). Es ist deshalb unerheblich, daß die zweite Witwe des Versicherten bereits seit Ende November 1994 erneut verheiratet war und jedenfalls nach Ablauf des 24. Kalendermonats nach Ablauf des Kalendermonats der Wiederheirat kein Anspruch auf Witwenrente mehr bestand (vgl § 107 Abs 1 Satz 2 SGB VI).
[25] bb) Es kann hier offenbleiben, ob "anteilig" iS des § 34 Abs 2 SGB I – ebenso wie § 91 Satz 1 SGB VI – eine Aufteilung im Verhältnis der Ehejahre der jeweiligen Ehepartner meint (vgl Maier/Heller in Berliner Komm, § 91 SGB VI RdNr 9, Stand Juni 1992; Mrozynski, Komm zum SGB I, 2. Aufl 1995, § 34 RdNr 10). Denn insoweit geht Art 25 Nr 6 Abk Marokko SozSich vor (vgl § 30 Abs 2 SGB I). Nach Satz 1 des Art 25 Nr 6 Abk Marokko SozSich wird die Witwenrente "gegebenenfalls zu gleichen Teilen und endgültig" auf die Anspruchsberechtigten aufgeteilt, die gleichzeitig Ehefrauen waren, während nach Satz 2 der Regelung die deutschen Rechtsvorschriften über die Aufteilung der Witwenrente auf Anspruchsberechtigte, die nacheinander Ehefrauen waren, unberührt bleiben. Damit hat das Abkommen für die dem deutschen Recht fremde Situation der Mehrehe des Versicherten auf die Rechtssituation abgestellt, die bei dieser Konstellation nach marokkanischem Recht besteht: In Art 26 Nr 5 Abk Marokko SozSich ist nämlich gleichermaßen für den marokkanischen Träger bestimmt, daß die Witwenrente "gegebenenfalls zu gleichen Teilen und endgültig" auf die Anspruchsberechtigten aufgeteilt wird. Es trägt der Situation Rechnung, daß die Anspruchsberechtigung zweier zugleich mit einem Versicherten verheirateter Ehefrauen nach deutschem Recht nicht entstehen kann; diese Besonderheit des marokkanischen Rechts soll daher auch im Hinterbliebenenrentenrecht nach den dortigen Vorgaben gelöst werden (vgl Behn, RV 1987, 1 ff, 2).
[26] Nicht zu beanstanden ist daher die Interpretation des LSG, daß "anteilig" hier "zu gleichen Teilen" heißt, so daß die beiden anspruchsberechtigten Hinterbliebenen unabhängig von ihrer Ehedauer in gleicher – hälftiger – Höhe die Hinterbliebenenrente aus der Rentenanwartschaft des Versicherten beanspruchen können, wobei je nach Anspruch des Berechtigten auf kleine oder große Witwenrente – wie hier geschehen – der betreffende Rentenartfaktor anzusetzen und von dem Rentenbetrag der individuelle zustehende Anteil zu leisten ist. Für Billigkeitserwägungen bleibt angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung kein Raum.
[27] 3. Dieses Ergebnis begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
[28] a) Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt das vorbeschriebene Verständnis der genannten Vorschriften nicht gegen Art 14 GG. Unabhängig von der Frage, ob – wie von der Klägerin geltend gemacht – Bestimmungen eines zwischenstaatlichen Abkommens an der Grundrechtsnorm des Art 14 Abs 1 GG gemessen werden können, unterliegt die Hinterbliebenenrente nicht dem Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG. Zwar können zu den von dieser Vorschrift geschützten Rechtspositionen grundsätzlich auch öffentlich-rechtliche Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung gehören; nach der Konzeption des Gesetzgebers ist die Hinterbliebenenversorgung jedoch nicht dem Versicherten als "seine Rechtsposition" zugeordnet. Sie steht auch nach Ablauf der Wartezeit und Eintritt des Versicherungsfalls unter der weiteren Voraussetzung, daß der Versicherte zu diesem Zeitpunkt in gültiger Ehe lebt. Er hat also lediglich die Aussicht auf eine Leistung, die mit Auflösung der Ehe oder Vorversterben des Partners entfällt (BVerfG Beschluß vom 18. Februar 1998 – 1 BvR 1318 und 1484/86 – BVerfGE 97, 271 = SozR 3—2940 § 58 Nr 1).
[29] Unterliegt die Hinterbliebenenrente aber nicht dem Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG, so kann deren Aufteilung "zu gleichen Teilen" bei verschieden langer Ehedauer der Berechtigten auch nicht einem aus dieser Vorschrift gewonnenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen. Im übrigen war bereits bei der zweiten Eheschließung des Versicherten (1990) das Abk Marokko SozSich in Kraft (1986), so daß die Anwartschaft der Klägerin auf Witwenrente von vornherein nur unter den Einschränkungen des Abk Marokko SozSich entstanden ist. Die Klägerin verkennt zudem, daß sie auch ohne Anwendung des § 91 Satz 3 SGB VI – unter Berücksichtigung der Berechtigung der zweiten Ehefrau des Versicherten – wie unter 2 b) dargestellt, nicht (durchgehend) einen Anspruch auf Rente in voller Höhe gehabt hätte.
[30] b) Sofern die Klägerin mit ihren Billigkeitserwägungen einen Verstoß des § 34 Abs 2 SGB I gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG rügen wollte, vermag diese Argumentation ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn für die "endgültige" Aufteilung der Hinterbliebenenrente gibt es sachliche Gründe, die in der Besonderheit der Anerkennung der dem deutschem Recht fremden Mehrehe liegen. So liegt es – wie gerade der vorliegende Fall zeigt – auf der Hand, daß das Auftreten einer weiteren (oder mehrerer weiterer) Witwe (n) den Rentenversicherungsträger zusätzlich belasten kann: Da zu erwarten ist, daß nicht sämtliche Witwen zur gleichen Zeit versterben, hätte der Rentenversicherungsträger bei einem "Anwachsen" des auf die erstversterbende Witwe entfallenden Teils des Gesamtrechts stets die volle Rente bis zum Versterben der zweiten Witwe zu leisten und somit im Durchschnitt länger, als gäbe es nur eine Witwe. Auch für die Aufteilung zu "gleichen Teilen" besteht vorliegend ein sachlicher Grund. Denn damit werden – wie bereits unter 2 c) bb) ausgeführt – die Rechtsanschauungen des Kulturkreises übernommen, dem die Beteiligten (Versicherter, zwei Ehefrauen) angehören.
[31] Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.