Vorlage zur Bananenmarktordnung unzulässig

BVerfG, Mitteilung vom 1. 8. 2000 – 103/00 (lexetius.com/2000,4136)

[1] Der Zweite Senat des BVerfG hat über eine Vorlage des Verwaltungsgerichts (VG) Frankfurt zu der Frage entschieden, ob die Anwendung der europäischen Bananenmarktordnung in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
[2] I. 1. Die Bananenmarktordnung (insbesondere die EG-Verordnungen 404/93 und 1442/93) unterscheidet zwischen Gemeinschaftsbananen (Herkunft aus den EG-Staaten), AKP-Bananen (Herkunft aus einer Reihe von Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik, zusammengeschlossen im Loméabkommen) und Drittlandsbananen (sonstige Herkunft).
[3] Gemeinschafts- und AKP-Bananen können auf offenen Märkten in Preis und Qualität nicht mit Drittlandsbananen konkurrieren. In Deutschland waren vor Erlass der vorgelegten Normen vor allem Drittlandsbananen bekannt und verbreitet.
[4] Die Bananenmarktordnung soll die Produktion von Gemeinschaftsbananen stützen und den zollfreien Absatz traditioneller AKP-Bananen ermöglichen. Als traditionelle AKP-Bananen werden AKP- Bananen bis zu einer bestimmten Einfuhrmenge, die dem traditionellen Absatz entspricht, bezeichnet.
[5] Für Gemeinschaftsbananen werden zu diesem Zweck Beihilferegelungen geschaffen. Traditionelle AKP-Bananen bedürfen – wie alle außerhalb der Gemeinschaft produzierten Bananen – einer Einfuhrbescheinigung, sind aber zollfrei. Nicht traditionelle AKP-Bananen und Drittlandsbananen können im Rahmen eines bestimmten Zollkontingents zu geringen Zollsätzen oder zollfrei eingeführt werden; außerhalb dieses Kontingents unterliegen sie einem hohen Zollsatz.
[6] Die jeweiligen Zollkontingente werden auf die Importeure im Wege von Einfuhrlizenzen aufgeteilt.
[7] Im Ergebnis führen die EG-Regelungen dazu, dass die von Marktbeteiligten zu entrichtenden Preise für Bananen aus Drittländern über den Preisen für Gemeinschaftsbananen und "traditionellen" AKP-Bananen liegen.
[8] 2. In den Ausgangsverfahren klagten verschiedene Bananenimporteure gegen die Beschränkungen beim Import von Drittlandsbananen. Das VG Frankfurt legte die Frage, ob die Bananenmarktordnung mit dem EG-Recht vereinbar sei, dem Europäischen Gerichtshof vor. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden hatte, gegen die Gültigkeit der Verordnung 404/93 bestünden keine Bedenken, legte das VG Frankfurt dem BVerfG die Frage vor, ob die Anwendung der Einfuhrregelungen für Bananen mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei. Nach seiner Auffassung verletzen die Bestimmungen die klagenden Importfirmen in ihren Grundrechten auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG), freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) und Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Infolge der Bananenmarktordnung hätten die Klägerinnen ab dem 1. Juli 1993 ohne Übergangsregelung nur noch weniger als 50 % der zuvor eingeführten Mengen an Drittlandsbananen in die Bundesrepublik Deutschland einführen können. Dies entwerte ihr Eigentum an den Betriebsanlagen und beschränke die Berufsausübungsfreiheit in verfassungswidriger Weise, insbesondere wegen des Fehlens einer Übergangsregelung. Das VG Frankfurt hält eine Vorlage an das BVerfG für zulässig. Zwar sei an sich der EuGH gesetzlicher Richter hinsichtlich der Normen des sekundären Gemeinschaftsrechts. Dieser habe Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht verneint. Meine das vorlegende Gericht aber, dass die Rechtsprechung des EuGH den nach dem Grundgesetz zu gewährenden Grundrechtsschutz nicht gewährleiste, die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus dem GATT nicht wahre oder einem Handeln des Gemeinschaftsgesetzgebers außerhalb oder unter Verletzung der Vorschriften des EG-Vertrags nicht entgegentrete, stelle sich die Frage nach den Grenzen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts.
[9] Seit dem Maastricht-Urteil (BVerfGE 89, 155) erstrecke das BVerfG seine Prüfungs- und Verwerfungskompetenz auch auf in Deutschland wirksame Hoheitsakte der Gemeinschaft. Es übe, anders als nach der Solange II-Entscheidung, seine Prüfungsbefugnis ausdrücklich wieder aus, wenn auch in Kooperation mit dem EuGH.
[10] Das BVerfG hat das VG darauf hingewiesen, dass im Anschluss an den Vorlagebeschluss der EuGH am 26. November 1996 eine Entscheidung getroffen habe, nach der Art. 30 VO 404/93 die Kommission zum Erlass aller für erforderlich erachteten Übergangsmaßnahmen verpflichte. Diese Übergangsmaßnahmen müssten die Lösung der Probleme ermöglichen, die nach Einführung der gemeinsamen Marktorganisation eingetreten seien, ihren Ursprung jedoch in dem Zustand der nationalen Märkte vor Erlass der Verordnung hätten.
[11] Der Vorsitzende der vorlegenden Kammer des VG hat dieses Schreiben des BVerfG beantwortet. Er hat unter Hinweis auf die Ausführungen im Vorlagebeschluss dargelegt, dass Art. 30 der VO 404/93 keine Handhabe biete, den Grundrechtsverletzungen abzuhelfen. Es liege nicht etwa eine vom Verordnungsgeber nicht oder so nicht gesehene Härte im Einzelfall vor, sondern eine gewollte Härte.
[12] II. Mit Beschluss vom 7. Juni 2000 hat der Zweite Senat des BVerfG beschlossen:
[13] Die Vorlage ist unzulässig.
[14] Wie der Senat in seiner Solange II-Entscheidung 1986 festgestellt hat, gewährleisten die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften.
[15] Dieser ist dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleich zu achten. Solange dies so ist, wird das BVerfG seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht nicht mehr ausüben. Vorlagen von Normen des sekundären Gemeinschaftsrechts an das BVerfG sind deshalb unzulässig (BVerfGE 73, 339). Hieran hat der Senat auch im Maastricht-Urteil festgehalten. Der Senat betont dort: Das BVerfG gewährleistet durch seine Zuständigkeit in Kooperation mit dem Europäischen Gerichtshof, dass ein wirksamer Schutz der Grundrechte für die Einwohner Deutschlands auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell sichergestellt ist. Der EuGH ist unter den Voraussetzungen, die der Senat in der Solange II-Entscheidung formuliert habe, auch für den Grundrechtsschutz der Bürger der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Akten der nationalen (deutschen) öffentlichen Gewalt, die auf Grund von sekundärem Gemeinschaftsrecht ergehen, zuständig. Das BVerfG wird erst und nur dann im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit wieder tätig, wenn der EuGH den Grundrechtsstandard verlassen sollte, den der Senat in der Solange II-Entscheidung festgestellt hat.
[16] Diese Rechtsprechung ist durch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG, der durch Gesetz vom 21. Dezember 1992 eingefügt wurde, bestätigt worden.
[17] Somit sind nach wie vor Verfassungsbeschwerden (Vb) und Vorlagen von Gerichten von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach Ergehen der Solange II-Entscheidung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei. Deshalb muss die Begründung einer Richtervorlage im einzelnen darlegen, dass der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet ist. Dies erfordert eine Gegenüberstellung des Grundrechtsschutzes auf nationaler und auf Gemeinschaftsebene in der Art und Weise, wie das BVerfG sie in der Solange II-Entscheidung geleistet hat.
[18] Hieran fehlt es. Die Begründung der Vorlage beruht auf einem Missverständnis des Maastricht-Urteils und verfehlt deshalb die Zulässigkeitsvoraussetzungen. Das vorlegende Gericht meint, das BVerfG übe seine Prüfungsbefugnis nach dem Maastricht-Urteil entgegen der Solange II-Entscheidung ausdrücklich wieder aus, wenn auch in Kooperation mit dem Europäischen Gerichtshof. Diese Aussage kann dem Maastricht-Urteil nicht entnommen werden. Ein Widerspruch zwischen den Entscheidungen Solange II und Maastricht besteht nicht. Insbesondere hat der Senat im Maastricht-Urteil an keiner Stelle seine Auffassung über die Abgrenzung der Rechtsprechungszuständigkeit des EuGH im Verhältnis zum BVerfG und umgekehrt aufgegeben.
[19] Darüber hinaus bestand im vorliegenden Fall besonderer Anlass zu eingehenden Ausführungen hinsichtlich einer negativen Entwicklung des Grundrechtsstandards in der Rechtsprechung des EuGH. Dies folgt aus dem bereits erwähnten Urteil des EuGH vom 26. November 1996 mit der darin enthaltenen Verpflichtung der Kommission zum Erlass aller für erforderlich erachteten Übergangsmaßnahmen. Der Umstand, dass allein der Kammervorsitzende auf einen entsprechenden Hinweis des BVerfG geantwortet hat, führt zur Unzulässigkeit dieser Stellungnahme bereits aus formellen Gründen, wie der Senat weiter ausführt. Im übrigen hätte das VG auch ein generelles Absinken des Grundrechtsstandards angesichts dieser Entscheidug des EuGH nicht feststellen können.
BVerfG, Beschluss vom 7. 6. 2000 – 2 BvL 1/97