Verfassungsbeschwerde der TAZ gegen Beschlagnahme eines "täuschenden Bekennerschreibens" erfolglos

BVerfG, Mitteilung vom 22. 9. 2000 – 123/00 (lexetius.com/2000,4150)

[1] 1. Im September 1995 hatte die Tageszeitung TAZ in gekürzter Fassung ein Schreiben der Gruppe "Das K. O. M. I. T. E. E." dokumentiert. In dem Schreiben legte die Gruppe ihre Auffassung von "militanter Politik" dar und bekannte sich zu einem Brandanschlag auf das Verteidigungskreiskommando der Bundeswehr in Bad Freienwalde im Oktober 1994 und einen kurz vor Tatausführung aufgedeckten Sprengstoffanschlag auf die leerstehende Vollzugsanstalt Grünau in Berlin.
[2] Aufgrund eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses stellte die Polizei das Original dieses Schreibens in den Redaktionsräumen der TAZ sicher und beschlagnahmte es. Auf die Beschwerde der TAZ bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) die Beschlagnahmeanordnung: Das Schriftstück komme in einem Ermittlungsverfahren gegen vier namentlich genannte Beschuldigte in Betracht. Das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 StPO (s. Anlage), das Journalisten und Redaktionen grundsätzlich vor der Beschlagnahme ihres Informationsmaterials schütze, greife hier nicht ein. Die Erklärung ziele nämlich offensichtlich darauf ab, den Tatverdacht von den vier Beschuldigten abzulenken. Auch die Behauptung, die Gruppe habe sich als Reaktion auf die misslungene Aktion aufgelöst, sei wahrscheinlich ein Täuschungsmanöver. Die Abfassung der Erklärung und ihre Weitergabe an die Presse stelle daher eine Betätigung der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung dar. Letztlich diene sie der Festigung des organisatorischen Zusammenhalts der Gruppe. Das Originalschreiben sei daher durch eine Straftat hervorgebracht worden und deshalb von der Beschlagnahmefreiheit ausgenommen. Die Pressefreiheit sei hierdurch nicht verletzt.
[3] Mit ihrer Verfassungsbeschwerde (Vb) rügte die TAZ die Verletzung der Pressefreiheit sowohl durch die Vorschrift des § 97 Abs. 5 StPO als solche, als auch durch deren Anwendung in diesem Einzelfall.
[4] 2. Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung heißt es u. a. sinngemäß:
[5] Die Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot in § 97 Abs. 5 StPO ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat in dieser Norm die kollidierenden Rechtsgüter der Pressefreiheit auf der einen Seite und des Strafverfolgungsinteresses auf der anderen Seite im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums verfassungsrechtlich unbedenklich zum Ausgleich gebracht. Auf der einen Seite unterfällt das Vertrauensverhältnis zwischen der Presse und privaten Informanten dem von der Pressefreiheit geschützten Redaktionsgeheimnis. Demzufolge sind in den §§ 53 und 97 StPO Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote für Journalisten und Redaktionen vorgesehen. Diese Regelungen haben ihren Grund nicht darin, dass private, wenn auch berufsmäßige Interessen geschützt werden. Sie dienen der Sicherung der für eine moderne Demokratie unabdingbaren Institution einer freien Presse.
[6] Auf der anderen Seite gehört die Rechtspflege mit dem Ziel, Gerechtigkeit herzustellen, ebenfalls zu den überragenden Gemeinschaftsgütern. Durch Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote werden die Presseangehörigen von Pflichten befreit, die sonst die Bürger des Staates allgemein treffen. Sie bedürfen deshalb einer besonderen rechtsstaatlichen Legitimation und können nicht grenzenlos ausgeweitet werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Gegenstände, für die ein Beschlagnahmeverbot gilt, nicht nur für die Anklage nicht zur Verfügung stehen. Auch zur Entlastung des Beschuldigten können sie nicht verwendet werden. Die Grenzziehung des Gesetzgebers, inwieweit bestimmte Gegenstände vom Beschlagnahmeverbot in Redaktionsräumen ausgenommen sein sollen, ist daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
[7] Auch die Anwendung dieser Vorschriften durch den BGH begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Grundsätzlich beziehen sich Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot auch auf anonyme Zuschriften an eine Redaktion. Das BVerfG hat bisher nicht entschieden, inwieweit bei sogenannten Bekennerschreiben ein schützenswertes Vertrauensverhältnis zwischen Journalist und Informant gegeben ist. In diesen Fällen geht es dem Informanten in der Regel gerade darum, die Öffentlichkeit auf die Ziele seiner Organisation und deren Verantwortlichkeit für die Straftat aufmerksam zu machen. Auch der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, grundsätzlich zu dem presserechtlichen Schutz von Bekennerschreiben Stellung zu nehmen. Denn die Entscheidung des BGH beruht auf den besonderen Einzelheiten dieses Falles. Nach der Bewertung des BGH handelte es sich bei der beschlagnahmten Erklärung nicht um ein normales Bekennerschreiben. Schwerpunkt sei daneben der Täuschungszweck gegenüber den Strafverfolgungsorganen gewesen. Eine derartige Tatsachenfeststellung bei der Anwendung einfachen Gesetzesrechts ist der Beurteilung durch das BVerfG grundsätzlich entzogen.
[8] Die vom BGH vorgenommene Abwägung zwischen dem sich auf die konkret zu verfolgenden Taten beziehenden Strafverfolgungsinteresse und der Pressefreiheit lässt keine verfassungsrechtlich erheblichen Fehler erkennen. Der BGH hat das Gewicht der aufzuklärenden Straftaten und die Beweisbedeutung des beschlagnahmten Schreibens einerseits und das Interesse der Presse an einem ungehinderten Informationsfluss andererseits gegeneinander abgewogen. Dabei hat er die Sorge, durch solche Beschlagnahmen könnte der Informationsfluss zwischen der Presse und Personen aus dem terroristischen Bereich in Zukunft zum Erliegen kommen, berücksichtigt. Hierbei hat er darauf abgestellt, dass die Verfasser des Bekennerschreibens zur Verwirklichung ihrer Ziele darauf angewiesen gewesen seien, die Erklärung würde der Öffentlichkeit, vor allem aber der Strafverfolgungsbehörde, bekannt. In Fällen, in denen Informanten die Presse gezielt nutzen, um mit der Veröffentlichung besondere, über die Veröffentlichung selbst hinausreichende Ziele zu verfolgen, hier im Rahmen eines Strafverfahrens vom Tatverdacht abzulenken, ist das Risiko einer zukünftigen Austrocknung solcher Informationsquellen in der Tat eher gering.
BVerfG, Beschluss vom 22. 8. 2000 – 1 BvR 77/96