Erfolglose Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit Cannabiskonsum zu medizinischen Zwecken

BVerfG, Mitteilung vom 8. 2. 2000 – 15/00 (lexetius.com/2000,4164)

[1] Insgesamt acht Beschwerdeführer (Bf), die u. a. an Hepatitis und Multipler Sklerose leiden, wollen erreichen, dass sie zur Linderung ihrer Leiden Cannabisprodukte konsumieren dürfen, ohne strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt zu sein. Sie hatten deshalb u. a. gegen die entsprechenden Strafnormen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) Verfassungsbeschwerden (Vb) erhoben.
[2] Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist. Die Kammer hat darauf hingewiesen, dass die Bf eine Erlaubnis zum straffreien Konsum auf der Grundlage des BtMG beantragen könnten. Ein solcher Antrag ist nicht von vornherein aussichtslos, weil die medizinische Versorgung der Bevölkerung auch ein öffentlicher Zweck ist, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis rechtfertigen kann. Im Falle der Verweigerung könnten die Bf den Rechtsweg beschreiten, also zunächst die zuständigen Fachgerichte anrufen.
[3] I. Die Vb richtete sich u. a. gegen ein den Bf drohendes Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes von Cannabis sowie gegen die diesbezügliche Strafnorm (§ 29 BtMG).
[4] Die Bf trugen vor, durch Cannabiskonsum sei eine Besserung ihres Gesundheitszustands oder eine Linderung ihrer Leiden eingetreten. Cannabiskonsum sei zwar nach ärztlichen Attesten medizinisch indiziert, jedoch drohe ihnen ein Strafverfahren. Es sei ihnen nicht zuzumuten, das abzuwarten. Die Möglichkeit, eine Erlaubnis zu beantragen sei auch kein zumutbarer Weg. § 3 Abs. 2 BtMG sehe nur vor, dass eine Erlaubnis im öffentlichen Interesse erteilt werde; ihr Interesse sei aber individueller Art.
[5] II. Die 3. Kammer des Zweiten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung angenommen. Sie sind unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist.
[6] Zur Begründung heißt es u. a.: Der Grundsatz der Subsidiarität der Vb verlangt, dass ein Bf alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, eine drohende Grundrechtsbeeinträchtigung zu verhindern oder eine eingetretene Grundrechtsverletzung zu korrigieren. Solche Möglichkeiten sind den Bf gegeben und zumutbar.
[7] Zum einen zählt zu den in Frage kommenden Rechtsbehelfen ein Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz gegen polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen (§ 23 EGGVG). Ein solcher Antrag ist nicht von vornherein aussichtslos.
[8] Zum anderen könnten die Bf versuchen, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen. Sie können nicht ohne weiteres davon ausgehen, ein solcher Antrag habe keine Aussicht auf Erfolg. Denn auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist ein öffentlicher Zweck, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis rechtfertigen kann. Zwar steht die Erteilung einer solchen Erlaubnis im Ermessen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte; jedoch haben Antragsteller einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Eine solche Entscheidung ist gerichtlich überprüfbar.
BVerfG, Beschluss vom 20. 1. 2000 – 2 BvR 2382/99