Bundesarbeitsgericht
Einschränkung des Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung
Es ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, wenn eine Versorgungsordnung Ansprüche für Hinterbliebene nur einräumt, soweit deren familienrechtliche Beziehungen zu den begünstigten Arbeitnehmern bereits während des Arbeitsverhältnisses bestanden.

BAG, Urteil vom 19. 12. 2000 – 3 AZR 186/00 (lexetius.com/2000,4674)

[1] 1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. November 1999 – 8 Sa 1808/98 – wird zurückgewiesen.
[2] 2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
[3] Tatbestand: Die Parteien streiten darum, ob der Kläger bei der Beklagten eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erdient hat, die eine Witwen- und Waisenversorgung mit umfaßt.
[4] Der Kläger ist am 1. Februar 1947 geboren. Er war vom 1. Juni 1978 bis zum 31. Dezember 1991 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Die Beklagte erbringt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach Maßgabe einer in der Form einer Betriebsvereinbarung abgeschlossenen Versorgungsordnung vom 10. Juni 1979 in der Fassung vom 7. Januar 1980. In deren § 6 heißt es: "(1) Beim Tode eines männlichen Versorgungsberechtigten, der bis zu seinem Tode in einem Arbeitsverhältnis zur Bank gestanden hat (Mitarbeiter) oder der im Zeitpunkt seines Todes bereits Anspruch auf Zahlung einer betrieblichen Rente hatte (Rentner), hat die überlebende Ehefrau Anspruch auf eine Witwenrente. Die hinterlassenen Kinder haben Anspruch auf Waisenrente. … (2) Ein Anspruch auf Witwenrente setzt voraus, daß die Ehe vor Vollendung des 55. Lebensjahres des Ehemannes oder vor dem Eintritt des Versorgungsfalles bzw. vor dem vorzeitigen Ausscheiden geschlossen wurde und bis zum Zeitpunkt des Todes des Ehemannes bestanden hat. … (4) Stirbt ein Mitarbeiter oder Rentner, so erhalten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und soweit sie sich noch in der Schul- oder Berufsausbildung befinden, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres Waisengeld. Das Waisengeld wird für die Zeit über das 25. Lebensjahr hinaus gezahlt, soweit die Berufsausbildung durch Einberufung zum Wehr- oder Zivildienst verlängert oder verzögert worden ist, längstens jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Als Kinder gelten leibliche Kinder, Stiefkinder und Adoptivkinder des Mitarbeiters oder Rentners, denen er bereits während seines Beschäftigungsverhältnisses unterhaltspflichtig war. …"
[5] Nach seinem Ausscheiden bei der Beklagten erhielt der Kläger Auskunft über eine unverfallbare betriebliche Altersversorgung, derzufolge er im Alter 65 eine Altersrente in Höhe von 2.551,95 DM beanspruchen kann.
[6] Am 13. April 1995 heiratete der Kläger Frau A L. Aus dieser Ehe ging am 26. Juni 1996 das Kind J L hervor.
[7] Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, schon nach dem Wortlaut der Versorgungsordnung bestehe ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung für seine Ehefrau und sein Kind. Jedenfalls könne ein solcher Anspruch nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, die Ehe sei erst nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis geschlossen und das Kind erst danach geboren worden. Die ihm versprochene Hinterbliebenenversorgung sei Teil der von ihm erdienten unverfallbaren Versorgungsanwartschaft.
[8] Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß die unverfallbare Anwartschaft des Klägers auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bei der Beklagten auch eine Anwartschaft auf Witwen- bzw. Waisenrente zugunsten seiner Ehefrau und seiner Kinder umfaßt.
[9] Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält den Feststellungsantrag für unzulässig. Im übrigen umfasse die Versorgungsanwartschaft des Klägers auch keinen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung. Ein solcher Anspruch sei nach der Versorgungsordnung wirksam ausgeschlossen, weil die Unterhaltspflichten des Klägers erst nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis entstanden seien.
[10] Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben seine Klage zu Recht abgewiesen. Die vom Kläger bei der Beklagten erdiente unverfallbare Versorgungsanwartschaft erstreckt sich nicht auf einen Anspruch auf betriebliche Hinterbliebenenrente.
[12] A. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist seine Feststellungsklage allerdings zulässig. Der Kläger hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der gerichtlichen Feststellung, ob seiner Frau und seiner Tochter sowie etwaigen weiteren Kindern bei seinem Vorversterben gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf betriebliche Hinterbliebenenrente zustehen wird. Der 53 Jahre alte Kläger muß wissen, ob seine Hinterbliebenen im Falle seines Vorversterbens mit Rentenzahlungen der Beklagten rechnen können, damit er noch während seines aktiven Arbeitslebens etwaige Versorgungslücken durch private Vorsorgemaßnahmen schließen kann.
[13] B. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat nach der Versorgungsordnung vom 7. Januar 1980 zwar eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft nach § 1 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BetrAVG erworben. Sie erstreckt sich aber nicht auf eine Hinterbliebenenversorgung zugunsten seiner Ehefrau, seiner Tochter sowie etwaiger weiterer Kinder.
[14] I. Nach dem Wortlaut und der Systematik der Versorgungsordnung sind die Ehefrau des Klägers, die gemeinsame Tochter sowie etwaige weitere Kinder aus dieser Ehe aus dem Kreis der von der Versorgungsordnung Begünstigten ausgeschlossen, weil die Ehe erst nach seinem vorzeitigen Ausscheiden bei der Beklagten geschlossen worden ist und die Tochter J auch erst nach diesem Zeitpunkt geboren wurde.
[15] 1. Ein Anspruch auf Witwenrente setzt nach § 6 Abs. 2 der Versorgungsordnung voraus, daß die Ehe vor dem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten geschlossen worden ist. Die Ehe des Klägers mit Frau A L ist jedoch erst später geschlossen worden.
[16] § 6 Abs. 1 der Versorgungsordnung nennt die beiden Fälle, in denen die überlebende Ehefrau eines früheren Mitarbeiters der Beklagten einen Anspruch auf Witwenrente haben soll: wenn der Mitarbeiter stirbt, während er noch im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten steht, oder wenn er als Betriebsrentner der Beklagten verstirbt. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß diesen beiden Versorgungsfällen die näheren Festlegungen der Anspruchsvoraussetzungen in § 6 Abs. 2 der Versorgungsordnung zugeordnet sind.
[17] Verstirbt der Arbeitnehmer während des bestehenden Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten, soll die Witwe nur dann Hinterbliebenenversorgung erhalten, wenn die Ehe vor Vollendung des 55. Lebensjahres des Mitarbeiters geschlossen wurde. In diesem Fall ist der Beklagten die Eheschließung bei Eintritt des Versorgungsfalles bekannt. Verstirbt der Arbeitnehmer demgegenüber erst nach seinem Ausscheiden bei der Beklagten, verlangt die Versorgungsordnung in erster Linie, daß die Ehe vor dem Eintritt des Versorgungsfalles zustande gekommen ist. Dabei geht die Versorgungsordnung davon aus, daß der Mitarbeiter entsprechend den allgemeinen Regeln der Versorgungsordnung bis zum Eintritt des Versorgungsfalles im Betrieb verblieben ist und danach gesetzliche und betriebliche Rente in Anspruch genommen hat. Auch in diesem Fall will die Versorgungsordnung erreichen, daß der Beklagten der Umstand der Eheschließung ihres Mitarbeiters bei Eintritt des Versorgungsfalles, also dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und dem Wechsel in den Ruhestand bekannt ist und von ihr hinsichtlich der auf sie zukommenden Versorgungslasten in etwa kalkuliert werden kann.
[18] Durch die weitere Hinzufügung "bzw. vor dem vorzeitigen Ausscheiden" wird der ansonsten in der Versorgungsordnung nicht angesprochene Fall behandelt, daß ein Arbeitnehmer den Versorgungsfall entgegen den Bestimmungen der Versorgungsordnung nicht im Betrieb erlebt, sondern vorzeitig aus dem Unternehmen ausgeschieden ist, aber auf Grund der gesetzlichen Anordnung in § 1 BetrAVG eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft mitgenommen hat. Auch dann muß die Ehe bereits während des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten geschlossen worden sein, damit ein Anspruch auf Witwenrente entstehen kann. Die Grundlagen für den Anspruch auf Witwenrente sollen für die Beklagte auch in diesem Fall bis zum Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Versorgungsverhältnis feststellbar sein.
[19] 2. Eine entsprechende Festlegung enthält § 6 Abs. 4 Satz 3 der Versorgungsordnung für den Anspruch auf Waisenrente. Anspruchsberechtigt sollen nur Kinder sein, denen der Mitarbeiter bereits während des Beschäftigungsverhältnisses unterhaltspflichtig war. Da die Tochter J L erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der Beklagten geboren wurde, ist sie ebenso wie etwa später geborene Kinder des Klägers nach der Versorgungsordnung nicht anspruchsberechtigt.
[20] 3. Entgegen der Auffassung des Klägers kommen diese Regelungsinhalte mit hinreichender Deutlichkeit in der Versorgungsordnung selbst zum Ausdruck. Für eine Anwendung der Unklarheitenregel ist von vornherein kein Raum. Es kann deshalb auch dahinstehen, inwieweit sie für die Auslegung einer Betriebsvereinbarung überhaupt maßgeblich sein kann. Die Versorgungsordnung legt zunächst die Grundregel für einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung fest und gestaltet ihn unmittelbar anschließend näher aus. Aus dieser näheren Ausgestaltung folgt, daß ein Mitarbeiter für eine Ehefrau und Kinder keinen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung erwerben kann, wenn die familiären Bindungen erst nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten entstanden sind.
[21] II. Diese Beschränkung des Kreises derer, die einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung erwerben können, steht entgegen der Auffassung des Klägers nicht im Widerspruch zu der gesetzlichen Unverfallbarkeitsbestimmung des § 1 Abs. 1 BetrAVG.
[22] Nach § 1 Abs. 1, § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG liegt nur unabdingbar fest, daß ein von vornherein eingeräumter Anspruch auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht dahin eingeschränkt werden kann, daß er nur entstehen soll, wenn der Arbeitnehmer über den Ablauf der Unverfallbarkeitsfrist hinaus bis zum Versorgungsfall im Arbeitsverhältnis bleibt. Ein Arbeitnehmer, dem Invalidenversorgung zugesagt worden ist, kann deshalb die sich aus dieser Zusage ergebenden Leistungen auch dann – teilweise – in Anspruch nehmen, wenn er im Arbeitsverhältnis eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben hat und erst nach seinem vorzeitigen Ausscheiden Invalide geworden ist; eine zusätzliche vertragliche Bedingung, daß Arbeitsverhältnis müsse bei Eintritt der Invalidität noch bestanden haben, ist nichtig (BAG 24. Juni 1998 – 3 AZR 288/97BAGE 89, 180, 184 f.).
[23] Eine solche gesetzeswidrige Bleibebedingung zum Nachteil des Klägers und seiner Familie enthält die Versorgungsordnung der Beklagten nicht. § 6 Abs. 2 und § 6 Abs. 4 der Versorgungsordnung verlangen für den Erwerb eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung nicht, daß der Kläger länger als bis zum Ablauf der Unverfallbarkeitsfrist im Betrieb bleibt. Die Bestimmungen schränken vielmehr den Kreis der möglichen Versorgungsberechtigten von vornherein in einer für den Kläger erkennbaren Weise auf Hinterbliebene ein, die bereits während des bestehenden Arbeitsverhältnisses in familiärer Beziehung zum Kläger standen. Eine solche Begrenzung des Kreises der Berechtigten und damit des Versorgungsrisikos durch den Arbeitgeber ist nicht zu beanstanden. Ein Arbeitgeber ist berechtigt, die Zusage einer Witwenversorgung von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen. Altersdifferenzklauseln, also Regelungen, wonach eine Ehefrau zB nur dann einen Anspruch auf Witwenversorgung erwerben kann, wenn sie nicht mehr als 25 Jahre jünger ist als der Arbeitnehmer, hat der Senat ebenso hingenommen, wie Spätehen- und Getrenntlebenklauseln sowie Regelungen über eine erforderliche Mindestdauer der Ehe. Die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung ist Teil einer umfassenden Versorgungsregelung. Der Arbeitnehmer soll in der Sorge um die finanzielle Lage seiner Hinterbliebenen entlastet werden. Dies bedeutet aber nicht, daß jede Ehe von Anfang an gleichbehandelt werden müßte. Der Arbeitgeber kann vielmehr seinen Aufwand für die Hinterbliebenenversorgung dadurch begrenzen, daß er nach einer der genannten Kriterien den Kreis der möglichen Versorgungsberechtigten einschränkt. Dabei kann es insbesondere auch sachgerecht sein, wenn Witwenbezüge nur einer Witwe desjenigen Arbeitnehmers zustehen sollen, welche die Berufsarbeit des Ehemannes durch ihre Fürsorge mitgetragen hat (vgl. BAG 11. August 1987 – 3 AZR 6/86AP BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 4 = EzA BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 2).
[24] In seinem Urteil vom 26. August 1997 (- 3 AZR 235/96BAGE 86, 216) hat der Senat noch einmal seinen Standpunkt bekräftigt, daß auch Spätehenklauseln wirksam sind. Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Hinterbliebenenversorgung zu schaffen. Deshalb ist er grundsätzlich auch berechtigt, sie von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen. Ausschlußtatbestände müssen zwar einer Rechtskontrolle standhalten und dürfen insbesondere nicht gegen verfassungsrechtliche Wertentscheidungen verstoßen. Eine Spätehenklausel, die bei der Heirat eines Ruheständlers Witwenrente ausschließt, ist aber rechtlich nicht zu beanstanden. Sie widerspricht insbesondere nicht dem Verbot des Art. 6 Abs. 1 GG, die Ehe zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen. Den Ehepartnern entsteht durch eine Spätehenklausel kein Nachteil, den sie ohne die Heirat nicht gehabt hätten. Die Versorgungsansprüche des früheren Arbeitnehmers bleiben ungeschmälert. Das Ausbleiben eines ursprünglich erhofften Vorteils ist kein rechtlicher Nachteil.
[25] Die Erwägungen dieser Rechtsprechung sind auch auf den vorliegenden Fall übertragbar. Es kann der Beklagten unabhängig von versicherungsmathematischen Erwägungen, die für den Umfang der zu bildenden Rückstellungen bedeutsam sein können, nicht untersagt werden, die von ihr freiwillig eingeführte Hinterbliebenenversorgung auf einen Personenkreis zu beschränken, von dem sie während des laufenden Arbeitsverhältnisses erfahren hat. Soweit dies nicht der Fall ist, schließt die Versorgungsordnung durchgängig und damit in sich konsequent Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung unabhängig davon aus, ob der Arbeitnehmer bis zum Erreichen der Altersgrenze im Betrieb geblieben oder vorzeitig mit einer unverfallbaren Anwartschaft ausgeschieden ist.