Erneut Demonstrationsverbot aufgehoben

BVerfG, Mitteilung vom 12. 4. 2001 – 40/01 (lexetius.com/2001,2637)

[1] Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat erneut in einem Eilverfahren das Verbot einer rechtsextremen Demonstration suspendiert.
[2] Das OVG Münster hatte die Verbotsverfügung der Versammlungsbehörde vorläufig bestätigt, weil von der am Ostermontag ab 12 Uhr unter dem Motto "Nationaler Ostermarsch – Für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit" geplanten Demonstration eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Das zu erwartende Bekenntnis zum Nationalsozialismus mißachte den Charakter des Osterfestes.
[3] Die Kammer hat dem Veranstalter der Demonstration Eilrechtsschutz gewährt. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung wegen "Mißachtung des Osterfestes" ab 12 Uhr trägt ein Versammlungsverbot nicht. Durch das Gesetz über die Sonn- und Feiertage für das Land Nordrhein-Westfalen sind Umzüge an Feiertagen bis 11 Uhr untersagt. Damit hat das Gesetz eine Spezialregelung getroffen. Zeitlich später liegende Veranstaltungen können nicht allein wegen des Feiertages als gegen die öffentliche Ordnung verstoßend gewertet werden.
[4] Die darüber hinaus vom OVG geäußerte Erwartung, die geplante Versammlung werde durch ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt sein, ist nicht hinreichend durch Tatsachen begründet. Allein der Hinweis auf zurückliegende Straftaten des Antragstellers (Ast) trägt nicht die Prognose, es werde erneut zu solchen kommen. Strafrechtlich nicht relevante Äußerungen hingegen sind durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) geschützt. Eine Versammlung kann nicht schon deshalb, weil politisch mißliebige Meinungen geäußert werden, wegen Verstosses gegen die öffentliche Ordnung verboten werden. Art. 5 GG ist auch Maßstab für die Beurteilung von Meinungen, die grundlegenden sozialen und ethische Anschauungen einer Vielzahl von Menschen widerstreiten. Zu Unrecht beruft sich das OVG Münster für seine gegenteilige Auffassung auf den Beschluß der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 1. 2001 (1 BvQ 9/01). Zwar hat die Kammer dort die polizeilich angeordnete Verschiebung einer rechtsextremen Demonstration vom 26. Januar auf einen anderen Tag gebilligt. Dies ist jedoch auf die spezifische Provokationswirkung eines solchen Aufzugs am Holocaust-Gedenktag gestützt worden. Auf das Osterfest läßt sich dieser Gedanke nicht übertragen. Insbesondere die Ostermärsche der Friedensbewegung finden traditionell an diesen Feiertagen statt. Die Ausübung des Demonstrationsrechts an diesen Tagen ist nicht auf Gruppierungen, die in der Tradition der Ostermarschbewegung stehen, beschränkt.
[5] Die Kammer hat der Versammlungsbehörde ausdrücklich die Erteilung von Auflagen für die Durchführung der Versammlung vorbehalten.
BVerfG, Beschluss vom 12. 4. 2001 – 1 BvQ 19/01