Europäischer Gerichtshof
Brüsseler Übereinkommen – Artikel 5 Nummer 3 – Zuständigkeit bei einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder bei Ansprüchen aus einer solchen Handlung – Vorbeugende Verbandsklage – Klage eines Verbraucherschutzvereins auf Untersagung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch Gewerbetreibende in Verbraucherverträgen
Die Zuständigkeitsvorschriften des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland, des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und des Übereinkommens vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden sind so auszulegen, dass eine vorbeugende Klage eines Verbraucherschutzvereins auf Untersagung der Verwendung angeblich missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in Verträgen mit Privatpersonen eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne von Artikel 5 Nummer 3 dieses Übereinkommens zum Gegenstand hat.

EuGH, Urteil vom 1. 10. 2002 – C-167/00 (lexetius.com/2002,1628)

[1] In der Rechtssache C-167/00 wegen eines dem Gerichtshof gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- undHandelssachen durch den Gerichtshof vom österreichischen Obersten Gerichtshof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit Verein für Konsumenteninformation gegen Karl Heinz Henkel vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 5 Nummer 3 des Übereinkommens vom 27. September 1968 (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und – geänderte Fassung – S. 77), des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1), des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) und des Übereinkommens vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1) erlässt DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer) unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin F. Macken sowie der Richter C. Gulmann, J.-P. Puissochet, R. Schintgen (Berichterstatter) und J. N. Cunha Rodrigues, Generalanwalt: F. G. Jacobs Kanzler: M.-F. Contet, Verwaltungsrätin unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen – des Vereins für Konsumenteninformation, vertreten durch Rechtsanwalt H. Kosesnik-Wehrle, – von Herrn Henkel, vertreten durch Rechtsanwälte L. J. Kempf und J. Maier, – der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte, – der deutschen Regierung, vertreten durch R. Wagner als Bevollmächtigten, – der französischen Regierung, vertreten durch R. Abraham und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte, – der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Amodeo als Bevollmächtigten im Beistand von A. Robertson, Barrister, – der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. L. Iglesias Buhigues und C. Ladenburger als Bevollmächtigte, aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Vereins für Konsumenteninformation, vertreten durch Rechtsanwalt S. Langer, der französischen Regierung, vertreten durch R. Loosli-Surrans, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch A. Robertson, und der Kommission, vertreten durch C. Ladenburger, in der Sitzung vom 11. Dezember 2001, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. März 2002, folgendes Urteil (1):
[2] 1. Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 13. April 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Mai 2000, gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung von Artikel 5 Nummer 3 dieses Übereinkommens (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1, und – geänderte Fassung – S. 77), des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1), des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) und des Übereinkommens vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1) (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
[3] 2. Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Verein für Konsumenteninformation (im Folgenden: Kläger), einem Verein nach österreichischem Recht mit Sitz in Österreich, und Karl Heinz Henkel (im Folgenden: Beklagter), einem deutschen Staatsangehörigen mit Wohnsitz inDeutschland, über von diesem in Verträgen mit österreichischen Verbrauchern verwendete Klauseln, die der Kläger für missbräuchlich hält.
Rechtlicher Rahmen
Das Brüsseler Übereinkommen
[4] 3. Artikel 1 des Brüsseler Übereinkommens, der den Titel I – Anwendungsbereich – bildet, bestimmt in Absatz 1: Dieses Übereinkommen ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Es erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.
[5] 4. Die Zuständigkeitsvorschriften des Brüsseler Übereinkommens finden sich in dessen Titel II mit den Artikeln 2 bis 24.
[6] 5. Artikel 2, der zum ersten Abschnitt – Allgemeine Vorschriften – des Titels II des Brüsseler Übereinkommens gehört, stellt in Absatz 1 folgende Grundregel auf: Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen.
[7] 6. Im selben Abschnitt bestimmt Artikel 3 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens: Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaats nur gemäß den Vorschriften des 2. bis 6. Abschnitts verklagt werden.
[8] 7. Die Artikel 5 bis 18 des Brüsseler Übereinkommens, die den zweiten bis sechsten Abschnitt des Titels II des Übereinkommens bilden, enthalten Vorschriften über besondere, zwingende und ausschließliche Zuständigkeiten.
[9] 8. Artikel 5 im zweiten Abschnitt – Besondere Zuständigkeiten – des Titels II des Brüsseler Übereinkommens bestimmt: Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden: 1. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre; … 3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist; …
Die Richtlinie 93/13/EWG
[10] 9. Artikel 7 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29) lautet: (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird. (2) Die in Absatz 1 genannten Mittel müssen auch Rechtsvorschriften einschließen, wonach Personen oder Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind, und angemessene und wirksame Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen.
Nationales Recht
[11] 10. In Österreich ist das Konsumentenschutzgesetz (KSchG) vom 8. März 1979 (BGBl. 1979/140) am 1. Oktober 1979 in Kraft getreten.
[12] 11. Das KSchG wurde wiederholt geändert, u. a. durch ein Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 93/13 (BGBl. 1997/6).
[13] 12. Der so geänderte § 28 KSchG bestimmt mit Wirkung zum 1. Januar 1997: (1) Wer im geschäftlichen Verkehr in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die er von ihm geschlossenen Verträgen zugrunde legt, oder in hiebei verwendeten Formblättern für Verträge Bedingungen vorsieht, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, oder wer solche Bedingungen für den geschäftlichen Verkehr empfiehlt, kann auf Unterlassung geklagt werden. Dieses Verbot schließt auch das Verbot ein, sich auf eine solche Bedingung zu berufen, soweit sie unzulässigerweise vereinbart worden ist. (2) Die Gefahr einer Verwendung und Empfehlung derartiger Bedingungen besteht nicht mehr, wenn der Unternehmer nach Abmahnung durch eine gemäß § 29 klageberechtigte Einrichtung binnen angemessener Frist eine mit angemessener Konventionalstrafe (§ 1336 ABGB) besicherte Unterlassungserklärung abgibt.
[14] 13. Der Kläger gehört zu den in § 29 KSchG genannten klageberechtigten Einrichtungen.
Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorlagefrage
[15] 14. Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, dass der Kläger ein ideeller Verein ist, dessen Zweck im Verbraucherschutz und in der Vertretung der Interessen der Verbraucher besteht.
[16] 15. Der Beklagte ist ein in München ansässiger Kaufmann, der Werbefahrten u. a. in Österreich durchführt.
[17] 16. In seinen Vertragsbeziehungen mit in Wien (Österreich) wohnhaften Verbrauchern hat der Beklagte Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die nach Ansicht des Klägers gegen eine Reihe von Bestimmungen des österreichischen Rechts verstoßen.
[18] 17. Mit einer Verbandsklage vor dem Handelsgericht Wien begehrte der Kläger gemäß § 28 KSchG die Verurteilung des Beklagten zur Unterlassung der Verwendung der streitigen Vertragsklauseln in Verträgen mit österreichischen Kunden.
[19] 18. Der Beklagte erhob die Einrede der Unzuständigkeit der österreichischen Gerichte. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch beruhe weder auf einer unerlaubten Handlung noch auf einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sei, im Sinne von Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens, da im Bezirk des angerufenen Gerichts weder ein schadensverursachendes Verhalten gesetzt worden noch ein Schaden eingetreten sei.
[20] 19. Das Handelsgericht Wien war der Ansicht, der Kläger habe nicht geltend gemacht, dass er durch eine unerlaubte Handlung einen Schaden erlitten habe; es erklärte sich daher für unzuständig.
[21] 20. Diese Entscheidung wurde im Berufungsverfahren vom Oberlandesgericht Wien abgeändert, das die Auffassung vertrat, Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens erfasse auch vorbeugende Klagen, die ein Verein wie der Kläger erhebe, ohne dass er dabei einen eigenen Schaden erlitten haben müsse.
[22] 21. Der mit Revisionsrekurs angerufene Oberste Gerichtshof stellt sich die Frage, ob die Klage unter Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens fällt oder obsie einen vertraglichen Anspruch im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens zum Gegenstand hat.
[23] 22. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts steht nicht eindeutig fest, dass ein Anspruch aus einer unerlaubten Handlung vorliegt. So mache der Kläger keinen Vermögensschaden geltend. Seine Klagebefugnis beruhe zwar nicht auf einem Vertrag, sondern sei gesetzlich angeordnet und dazu bestimmt, künftige Schäden der Verbraucher zu vermeiden, doch wären solche Schäden jedenfalls Gegenstand einer vertraglichen Haftung. Die Anwendung von Artikel 5 Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens könne daher nicht ausgeschlossen werden. Es ließe sich aber auch vertreten, die unerlaubte Handlung in der Störung des Rechtfriedens durch die Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden zu sehen.
[24] 23. Weiter stelle sich die Frage, ob eine vorbeugende Klage, die naturgemäß vor Schadenseintritt erhoben werde, unter Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens fallen könne, obwohl diese Bestimmung, die auf den Ort des Schadenseintritts abstelle, offenbar das Vorliegen eines Schadens voraussetze.
[25] 24. Da die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs somit eine Auslegung des Brüsseler Übereinkommens erforderlich macht, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
[26] Ist der in § 28 KSchG normierte Anspruch auf Unterlassung von gesetzwidrigen oder gegen die guten Sitten verstoßenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen, der gemäß § 29 KSchG und im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Richtlinie 93/13 von einer Verbraucherschutzorganisation geltend gemacht wird, ein Anspruch aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, der beim besonderen Gerichtsstand nach Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens geltend gemacht werden kann?
Zur Vorlagefrage
[27] 25. Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht zunächst geltend, dass eine Klage wie die des Klägers nicht in den Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens falle. Gemäß Artikel 1 Absatz 1 gelte das Übereinkommen nur für Zivil- und Handelssachen; eine Verbraucherschutzorganisation wie der Kläger sei jedoch als Behörde anzusehen; der im Ausgangsverfahren geltend gemachte Anspruch auf Untersagung der Verwendung missbräuchlicher Vertragsklauseln stelle eine Ausübung hoheitlicher Befugnisse dar. Eine solche Organisation erfülle nämlich eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe, die im Schutz der Gesamtheit der Verbraucher bestehe; ihre Befugnis zur Erhebung von Klagen auf Unterlassung rechtswidriger Verhaltensweisen von Gewerbetreibenden folge alleinaus dem Gesetz und nicht aus privatrechtlichen Beziehungen im Zusammenhang mit Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.
[28] 26. Nach ständiger Rechtsprechung sind jedoch nur Rechtsstreitigkeiten, in denen sich eine Behörde und eine Privatperson gegenüberstehen, und diese nur dann vom Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens ausgenommen, wenn es darin um die Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch die Behörde geht (in diesem Sinne Urteile vom 14. Oktober 1976 in der Rechtssache 29/76, LTU, Slg. 1976, 1541, Randnr. 4, vom 16. Dezember 1980 in der Rechtssache 814/79, Rüffer, Slg. 1980, 3807, Randnr. 8, und vom 21. April 1993 in der Rechtssache C-172/91, Sonntag, Slg. 1993, I-1963, Randnr. 20).
[29] 27. Dies ist der Fall, wenn ein Rechtsstreit die Beitreibung von Gebühren betrifft, die eine Privatperson einer öffentlichen – staatlichen oder internationalen – Stelle für die Inanspruchnahme von deren Diensten und Einrichtungen schuldet, insbesondere wenn diese Inanspruchnahme zwingend und ausschließlich ist (Urteil LTU, Randnr. 4).
[30] 28. Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass der Begriff Zivil- und Handelssachen im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens sich nicht auf einen Rechtsstreit erstreckt, den der Staat als Verwalter der öffentlichen Wasserstraßen gegen den kraft Gesetzes Haftpflichtigen führt, um von diesem Ersatz der Kosten für die Beseitigung eines Wracks zu erlangen, die der Verwalter in Ausübung hoheitlicher Befugnisse vorgenommen hat oder hat vornehmen lassen (Urteil Rüffer, Randnrn. 9 und 16).
[31] 29. Damit folgt zwar aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass bestimmte Arten von Verfahren wegen der Natur der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen oder wegen des Gegenstands des Rechtsstreits vom Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens ausgeschlossen sind (vgl. Urteil LTU, Randnr. 4), doch läßt sich diese Rechtsprechung nicht auf eine Klage wie die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende übertragen.
[32] 30. Zum einen handelt es sich bei einem Verbraucherschutzverein wie dem Kläger um eine Einrichtung des Privatrechts; zum anderen steht der Ausgangsrechtsstreit, wie die deutsche Regierung zu Recht bemerkt, nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt in Zusammenhang, da er nicht die Wahrnehmung von Befugnissen betrifft, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften abweichen. Der beim vorlegenden Gericht anhängige Rechtsstreit betrifft vielmehr die Untersagung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verträgen, die von Gewerbetreibenden mit Verbrauchern geschlossen werden; er zielt damit darauf ab, Rechtsverhältnisse des Privatrechts einer gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Bei einer solchen Klage handelt es sich um eine Zivilsache im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens.
[33] 31. Der Einwand der Regierung des Vereinigten Königreichs greift daher nicht durch.
[34] 32. Zur Frage des vorlegenden Gerichts ist zunächst von Belang, dass die Artikel 13 bis 15, die den vierten Abschnitt – Zuständigkeit für Verbrauchersachen – in Titel II des Brüsseler Übereinkommens bilden, im Ausgangsverfahren nicht anwendbar sind.
[35] 33. Wie der Gerichtshof nämlich im Urteil vom 19. Januar 1993 in der Rechtssache C-89/91 (Shearson Lehman Hutton, Slg. 1993, I-139) festgestellt hat, kann eine juristische Person, die als Zessionarin der Rechte eines privaten Endverbrauchers auftritt, ohne selbst an einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einer Privatperson beteiligt zu sein, nicht als Verbraucherin im Sinne des Brüsseler Übereinkommens angesehen werden und folglich auch nicht die Artikel 13 bis 15 dieses Übereinkommens in Anspruch nehmen. Diese Auslegung gilt auch dann, wenn ein Verbraucherschutzverein wie der Kläger zugunsten von Verbrauchern eine Verbandsklage erhebt.
[36] 34. Für die Beantwortung der Vorlagefrage ist somit allein zu untersuchen, ob eine vorbeugende Klage eines Verbraucherschutzvereins auf Untersagung der Verwendung angeblich missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in Verträgen mit Privatpersonen einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens oder aber eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne von Artikel 5 Nummer 3 des Übereinkommens zum Gegenstand hat.
[37] 35. Hierzu hat der Gerichtshof wiederholt festgestellt, dass die Begriffe Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag und eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist im Sinne von Artikel 5 Nummern 1 und 3 des Brüsseler Übereinkommens autonom auszulegen sind, um die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Übereinkommens in allen Vertragsstaaten zu gewährleisten, wobei in erster Linie die Systematik und die Zielsetzungen des Übereinkommens berücksichtigt werden müssen (vgl. u. a. Urteile vom 22. März 1983 in der Rechtssache 34/82, Peters, Slg. 1983, 987, Randnrn. 9 und 10, vom 27. September 1988 in der Rechtssache 189/87, Kalfelis, Slg. 1988, 5565, Randnrn. 15 und 16, sowie vom 26. März 1992 in der Rechtssache C-261/90, Reichert und Kockler, Slg. 1992, I-2149, Randnr. 15).
[38] 36. Es ist ebenfalls ständige Rechtsprechung, dass sich der Begriff eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist im Sinne von Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens anknüpfen (vgl. u. a. Urteile Kalfelis, Randnr. 17, Reichert und Kockler, Randnr. 16, vom 27. Oktober 1998 in der Rechtssache C-51/97, Réunion européenne u. a., Slg. 1998, I-6511, Randnr. 22, und vom 11. Juli 2002 in derRechtssache C-96/00, Gabriel, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 33).
[39] 37. Damit ist zunächst zu prüfen, ob eine Klage wie die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag zum Gegenstand hat.
[40] 38. Bei einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens besteht zwischen dem Verbraucherschutzverein und dem Gewerbetreibenden keine vertragliche Beziehung.
[41] 39. Der Gewerbetreibende mag zwar bereits Verträge mit Verbrauchern abgeschlossen haben. Unabhängig davon, ob die Klage auf einen bereits zwischen dem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag zurückgeht oder ob sie lediglich vorbeugend erhoben wird, um einen künftigen Schadenseintritt zu verhindern, ist die Verbraucherschutzorganisation, die die Klage erhoben hat, jedenfalls nicht Vertragspartei. Sie wird auf der Grundlage eines Rechts tätig, das ihr gesetzlich verliehen wurde, um die Untersagung der Verwendung von Klauseln zu erwirken, die nach dem Urteil des Gesetzgebers in den Beziehungen zwischen Gewerbetreibenden und privaten Endverbrauchern unzulässig sind.
[42] 40. Eine Klage wie die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende hat daher nicht einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens zum Gegenstand.
[43] 41. Ein solche Klage erfüllt dagegen sämtliche Voraussetzungen, die der Gerichtshof in der in Randnummer 36 erwähnten Rechtsprechung aufgestellt hat, da sie nicht an einen Vertrag im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 des Brüsseler Übereinkommens anknüpft und auf eine Haftung des Beklagten wegen einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, gerichtet ist, die im vorliegenden Fall auf der außervertraglichen Verpflichtung des Gewerbetreibenden beruht, in seinen Beziehungen mit Verbrauchern von bestimmten durch den Gesetzgeber missbilligten Verhaltensweisen Abstand zu nehmen.
[44] 42. Der Begriff des schädigenden Ereignisses in Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens ist nämlich weit zu verstehen (Urteil vom 30. November 1976 in der Rechtssache 21/76, Bier, Mines de potasse d'Alsace, Slg. 1976, 1735, Randnr. 18) und erfasst daher im Bereich des Verbraucherschutzes nicht nur Sachverhalte, in denen ein Einzelner einen individuellen Schaden erleidet, sondern u. a. auch Angriffe auf die Rechtsordnung durch die Verwendung missbräuchlicher Klauseln, deren Verhinderung die Aufgabe von Organisationen wie dem Kläger ist.
[45] 43. Nur diese Auslegung lässt sich mit der Zielsetzung von Artikel 7 der Richtlinie 93/13 in Einklang bringen. Die Wirksamkeit der dort vorgesehenen Klagen auf Unterlassung der Verwendung unzulässiger Klauseln wäre erheblich beeinträchtigt, wenn diese Klagen nur im Staat der Niederlassung des Gewerbetreibenden erhoben werden könnten.
[46] 44. Der Beklagte und die französische Regierung tragen vor, Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens nehme Bezug auf den Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei, und setze daher schon nach seinem Wortlaut das Bestehen eines Schadens voraus. Das folge auch aus der Auslegung dieser Bestimmung durch den Gerichtshof, wonach der Begriff Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, so zu verstehen sei, dass er sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten sei, als auch den Ort des ursächlichen Geschehens meine, so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers bei dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden könne (vgl. insbesondere Urteile Mines de potasse d'Alsace, Randnrn. 24 und 25, vom 11. Januar 1990 in der Rechtssache C-220/88, Dumez France und Tracoba, Slg. 1990, I-49, Randnr. 10, vom 7. März 1995 in der Rechtssache C-68/93, Shevill u. a., Slg. 1995, I-415, Randnr. 20, und vom 19. September 1995 in der Rechtssache C-364/93, Marinari, Slg. 1995, I-2719, Randnr. 11). Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens sei daher nicht auf rein vorbeugende Klagen anwendbar, die vor dem Eintritt eines konkreten Schadens erhoben würden und das Auftreten eines künftigen schädigenden Ereignisses verhindern sollten.
[47] 45. Dieser Einwand ist unbegründet.
[48] 46. Die besondere Zuständigkeit nach Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens beruht darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt (in diesem Sinne u. a. Urteile Mines de potasse d'Alsace, Randnrn. 11 und 17, Dumez France und Tracoba, Randnr. 17, Shevill u. a., Randnr. 19, und Marinari, Randnr. 10). Das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, ist nämlich besonders wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden. Diese Erwägungen gelten unabhängig davon, ob sich das Verfahren auf den Ersatz eines bereits eingetreten Schadens oder auf eine Klage zur Verhinderung des Eintritts eines Schadens bezieht.
[49] 47. Für diese Auslegung spricht zudem der Bericht von Professor Schlosser zu dem Übereinkommen über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Brüsseler Übereinkommen (ABl. 1979, C 59, S. 71, 111), nach dem Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens auch für Klagen zur Unterbindung einer drohenden unerlaubten Handlung gilt.
[50] 48. Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens kann also nicht dahin ausgelegt werden, dass seine Anwendbarkeit vom tatsächlichen Vorliegen einesSchadens abhängt. Zudem wäre es widersprüchlich, anzunehmen, dass eine Klage auf Unterlassung eines angeblich unrechten Verhaltens wie die dem Ausgangsverfahren zugrundeliegende, deren Hauptziel gerade in der Vermeidung eines Schadens besteht, erst nach dem Schadenseintritt erhoben werden könnte.
[51] 49. Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) ist zwar in zeitlicher Hinsicht im Ausgangsverfahren nicht anwendbar; gleichwohl stützt schließlich auch sie die Auslegung, dass Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens das Vorliegen eines Schadens nicht voraussetzt. Mit dieser Verordnung wurde der Tatbestand von Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens nämlich derart präzisiert, dass diese Bestimmung in der Neufassung durch die Verordnung auf den Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht abstellt. Da es keinen zwingenden Grund gibt, die beiden Vorschriften unterschiedlich auszulegen, gebietet es das Erfordernis der Kohärenz, für Artikel 5 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens denselben Anwendungsbereich anzunehmen wie für die entsprechende Bestimmung der Verordnung Nr. 44/2001. Dies gilt namentlich, weil diese Verordnung in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Königreichs Dänemark das Brüsseler Übereinkommen ersetzen soll, das im Verhältnis zwischen dem Königreich Dänemark und den durch die Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten weiterhin anwendbar bleibt.
[52] 50. Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Zuständigkeitsvorschriften des Brüsseler Übereinkommens so auszulegen sind, dass eine vorbeugende Klage eines Verbraucherschutzvereins auf Untersagung der Verwendung angeblich missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in Verträgen mit Privatpersonen eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, im Sinne von Artikel 5 Nummer 3 dieses Übereinkommens zum Gegenstand hat.
Kosten
[53] 51. Die Auslagen der österreichischen, der deutschen und der französischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
1: Verfahrenssprache: Deutsch.