Bundesverwaltungsgericht
Auslandseinsatz der Bundeswehr; Ausführen des so genannten Hitlergrußes; Präsentieren nationalsozialistischer Symbole vor laufender Kamera.
SG §§ 7, 8, 10 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 1, § 23 Abs. 1; WDO § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1
Ein Soldat, der während eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr den "Hitlergruß" wiederholt praktiziert, darüber hinaus vor einer laufenden Videokamera eines Kameraden sich stolz über seinen "Blutsbruder in der Heimat" äußert und dessen Brief mit Aufdruck eines Haken- und Keltenkreuzes präsentiert, begründet erhebliche Zweifel daran, ob er sich zu den Prinzipien der Menschenwürde, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit bekennt und bereit ist, für sie aktiv einzutreten.

BVerwG, Urteil vom 28. 2. 2002 – 2 WD 35.01; Truppendienstgericht Süd (lexetius.com/2002,3364)

[1] Der Soldat, ein Oberfeldwebel, war als Angehöriger eines Deutschen Kontingents IFOR in Sibenik/Kroatien eingesetzt. Während dieser Zeit hob er wiederholt die Hand zum so genannten Hitlergruß. Darüber hinaus zeigte er einem Kameraden, der von ihm in einem Wachlokal in Sibenik Aufnahmen machte, wo der Soldat als stellvertretender Offizier vom Wachdienst den Dienst versah, in dessen Videokamera unter anderem einen Brief mit Haken- und Keltenkreuz, wobei er davon sprach, er sei stolz auf den "Blutsbruder in der Heimat", der ihm diesen Brief geschickt habe. Ebenfalls vor laufender Kamera gab er auf die Frage eines anderen Kameraden, wo sein "Führer" sei, zur Antwort, dieser sei "schon 40 Jahre tot".
[2] Die Truppendienstkammer fand den Soldaten eines Dienstvergehens schuldig und setzte ihn in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers herab. Die dagegen eingelegte Berufung des Soldaten hatte keinen Erfolg.
[3] Gründe: Dieser Sachverhalt ist rechtlich wie folgt zu würdigen: Der Soldat hat durch das zweimalige Ausführen des sogenannten Hitlergrußes vorsätzlich gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) und gegen die Pflicht, die freiheitlich demokratische Grundordnung anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Einhaltung einzutreten (§ 8 SG), verstoßen. Aus § 7 SG ergibt sich vor allem die Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Staat, seinen Organen und seiner Rechtsordnung. Gegen diese Verpflichtung verstößt ein Offizier oder Unteroffizier, der sich als Träger nationalsozialistischen Gedankenguts darstellt oder die Symbole und Embleme des Nazi-Regimes zur Schau stellt und propagiert. Denn damit fügt er dem Selbstverständnis der Bundeswehr als Organ des der Freiheit und Menschenwürde verpflichteten demokratischen Rechtsstaates der Bundesrepublik Deutschland Schaden zu, verunsichert andere Soldaten, insbesondere Kameraden und Untergebene, in ihrer Loyalität gegenüber dem Dienstherrn, stürzt sie in Konflikte und beeinträchtigt dadurch die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr.
[4] Zugleich hat er damit die politische Treuepflicht gemäß § 8 SG verletzt. Diese Kernpflicht des Soldaten gebietet, sich mit der Idee der freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, der er dienen soll, zu identifizieren. Identifizieren bedeutet dabei nicht nur, die Grundordnung dieses Staates anzuerkennen, sondern verlangt ein Mehr an staatsbürgerlicher Verpflichtung, das dem Soldaten wie auch dem Richter und Beamten auferlegt ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Demokratie, die von ihren Bürgern die Verteidigung der freiheitlichen Ordnung erwartet. Das Prinzip der streitbaren Demokratie gilt auch für die innere Ordnung der Bundeswehr. Dementsprechend verlangt die politische Treuepflicht von jedem Soldaten die Bereitschaft, sich zu der Idee des Staates, dem er dient, zu bekennen und aktiv für ihn einzutreten. Daher gehört die Verletzung der politischen Treuepflicht zu den schwersten denkbaren Pflichtwidrigkeiten. Ein solcher Verstoß liegt dann vor, wenn sich ein Soldat für Ziele einsetzt, die geeignet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung auszuhöhlen, oder wenn er sich nicht eindeutig von Bestrebungen distanziert, die diesen Staat und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (Urteil vom 28. September 1990 – BVerwG 2 WD 27.89BVerwGE 86, 321 = NZWehrr 1991, 32 m. w. N.). Danach ist der Soldat im vorliegenden Fall durch sein Verhalten gerade nicht für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eingetreten, sondern hat mit dem sogenannten Hitlergruß die Gewalt- und Willkürherrschaft des Nazi-Regimes sichtbar verherrlicht.
[5] Weiter hat der Soldat dadurch, dass er den Brief mit dem gezeichneten Hakenkreuz und einem Keltenkreuz – Kennzeichen einer als verfassungswidrig verbotenen Organisation – in der Videoaufnahme des Zeugen S. gezeigt hat und davon sprach, er sei stolz auf den "Blutsbruder in der Heimat", der ihm dies mit der Post geschickt habe, wiederum vorsätzlich die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) und die politische Treuepflicht (§ 8 SG) verletzt.
[6] Darüber hinaus war das vom Soldaten gezeigte Verhalten auch geeignet, sein dienstliches Ansehen bei Untergebenen, Gleichgestellten und Vorgesetzten ernsthaft zu beeinträchtigen, sodass er auch gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen hat. Es bedarf keiner Frage, dass ein Soldat, der den sogenannten Hitlergruß ausführt bzw. sich mit einem Brief, der das Hakenkreuz und Keltenkreuz enthält, fotografieren lässt und zum Ausdruck bringt, er sei stolz auf den "Blutsbruder in der Heimat", der ihm dies mit der Post geschickt habe, die Pflicht zur Achtungs- und Vertrauenswahrung im Dienst gröblichst verletzt. Das Verhalten des Soldaten war auch geeignet, das Ansehen der Bundeswehr zu beeinträchtigen. Allein entscheidend ist, ob ein vernünftiger, objektiv wertender Dritter, wenn er von diesem Verhalten Kenntnis erhielte, darin eine ernsthafte Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr sehen würde. Das war hier zweifelsfrei der Fall. …
[7] Das Dienstvergehen des Soldaten stellt sowohl nach seiner Eigenart und Schwere als auch nach dem Maß der Schuld ein äußerst schwerwiegendes dienstliches Versagen dar, das die Truppendienstkammer nicht zu hart geahndet hat.
[8] Da die politische Treuepflicht zu den elementarsten soldatischen Pflichten gehört, ist ihre Verletzung eine der schwersten denkbaren Pflichtwidrigkeiten (Urteile vom 24. Januar 1984 – BVerwG 2 WD 40.83 –, vom 28. September 1990 – BVerwG 2 WD 27.89 – und vom 25. Januar 2000 – BVerwG 2 WD 43.99 -). Gegen diese Pflicht verstößt ein Soldat in eklatanter Weise, wenn er – wie hier – nationalsozialistische Symbole demonstrativ präsentiert und damit zumindest den Eindruck erweckt, dass er sich zu ihnen bekennt und für sie eintritt, mithin nicht bereit ist, sich auf den Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu stellen und jederzeit für sie einzutreten. Der sog. Hitlergruß sowie die Präsentation des Hakenkreuzes und Keltenkreuzes vor der Videokamera des Zeugen S. sind Ausdruck der Verehrung eines diktatorischen und verbrecherischen Regimes, das die Menschenwürde mit Füßen getreten und eine totalitäre Gewaltherrschaft errichtet hat. Begeht ein Soldat eine derartige Pflichtwidrigkeit, so verletzt er die fundamentalen Pflichten eines Soldaten, weil er nicht nur die Grundlagen, auf denen die Bundeswehr aufgebaut ist, sondern auch die Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaates in Frage stellt. Wie oben dargelegt wurde, ist damit auch eine erhebliche Schädigung von Ruf sowie Ansehen der Bundeswehr verbunden, insbesondere dann, wenn wie hier, ein einschlägiges Video in die Hände von Außenstehenden gelangt. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist daher stets die Entfernung aus dem Dienstverhältnis (vgl. Urteile vom 4. September 1980 – BVerwG 2 WD 74.79 –, vom 24. Oktober 1996 – BVerwG 2 WD 22.96 – und vom 25. Januar 2000 – BVerwG 2 WD 43.99 –. Nur wenn besondere Milderungsgründe in der Tat lägen, könnte ausnahmsweise von der Höchstmaßnahme abgesehen werden.
[9] Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass der Soldat zum Tatzeitpunkt in der herausgehobenen Funktion eines Portepee-Unteroffiziers eingesetzt war. Je höher ein Soldat in den Dienstgradgruppen steigt, umso mehr Achtung und Vertrauen genießt er; umso größer sind auch die Anforderungen, die an seine Zuverlässigkeit, sein Pflichtgefühl und sein Verantwortungsbewusstsein gestellt werden müssen, und umso schwerer wiegt eine Pflichtverletzung, die er sich zu Schulden kommen lässt (vgl. Urteile vom 9. Juli 1991 – BVerwG 2 WD 41.90 – und vom 24. Juni 1992 – BVerwG 2 WD 62.91 -). Diesen Anforderungen ist der Soldat nicht gerecht geworden. Von ihm hätte auf Grund seiner herausgehobenen Dienststellung als Vorgesetzter, der in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben hat (§ 10 Abs. 1 SG), und des Vertrauens, das er bei seinen Vorgesetzten und Untergebenen genoss, erwartet werden müssen, dass er der von Gesetzes wegen geforderten Loyalität und Selbstdisziplin gerecht wird. Das hat er nicht getan. Durch sein Fehlverhalten hat er ein denkbar schlechtes Beispiel gegeben. Auch fällt ihm zur Last, dass ihm nach dem Bekanntwerden der Vorfälle die Ausübung des Dienstes verboten werden musste, wodurch sich die Notwendigkeit einer kurzfristigen Änderung der Personalplanung ergab.
[10] Das Maß der Schuld als Richtlinie für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme bestimmt sich vorliegend nach der vorsätzlichen Verhaltensweise des Soldaten. Weiterhin ist ihm anzulasten, dass er wiederholt in einschlägiger Weise in Erscheinung getreten ist.
[11] Als besonders schwerwiegend im Hinblick auf die für die Bundeswehr und die Bundesrepublik Deutschland nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens in der Öffentlichkeit ist der Umstand zu werten, dass das dargestellte Verhalten des Soldaten sich während eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr im Rahmen eines IFOR-Kontigents zugetragen hat. Ein Oberfeldwebel, der im Ausland als Kommandant eines Bundeswehrfahrzeuges bei der Konvoibegleitung den sogenannten Hitlergruß verwendet und darüber hinaus vor einer Videokamera eines Kameraden sich stolz über seinen "Blutsbruder in der Heimat" äußert, der ihm einen Brief mit Haken- und Keltenkreuz geschickt habe, lässt ernsthafte Zweifel daran aufkommen, ob er verlässlich zu den Prinzipien von Menschenwürde, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit steht und bereit ist, diese Werte aktiv zu verteidigen. Solche Verhaltensweisen wirken in schwerwiegender Weise dem Bestreben der Bundesrepublik Deutschland entgegen, im Ausland die Hypothek abzutragen, die aufgrund der nationalsozialistischen Verbrechen noch auf ihr lastet.
[12] Erschwerend fällt ferner zu Lasten des Soldaten ins Gewicht, dass er zeitlich nach den Tatvorwürfen, jeweils während seines Dienstes als Offizier vom Wachdienst mehrere die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verherrlichende und nationalsozialistische Propaganda versinnbildlichende Parolen in das Wachbuch eingetragen hatte, und zwar "Junger-Sturm", "Florian-Geyer" und "Blut-Schande". "Junger Sturm" war die Vorläufer-Organisation der totalitären Organisation der Jugend innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung, "Blutschande" war im Nationalsozialismus ein Schlagwort der Rassenideologie, und "Florian Geyer" war der Name einer ehemaligen SS-Division.
[13] Vor allem angesichts der durch den Soldaten als Offizier vom Wachdienst befohlenen Parolen konnte der Senat nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die von ihm in der Berufungshauptverhandlung und in seinem Schreiben an den Vorsitzenden des 2. Wehrdienstsenats in allgemeiner Form geäußerte "Entschuldigung" für sein Fehlverhalten sowie sein Abstellen auf die mit einer Degradierung für ihn verbundenen beruflichen Nachteile erkennbar von Einsicht oder Reue in der Weise bestimmt waren, dass er sich im Nachhinein von seinem damaligen Fehlverhalten innerlich distanziert und entsprechende Konsequenzen gezogen hat. …
[14] Milderungsgründe in der Tat sind nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 18. Juni 1996 – BVerwG 2 WD 10.96 – m. w. N.) nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte; als solche Besonderheiten sind nur ein Handeln in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf andere Weise nicht zu beheben war, ein Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischem Zwang oder unter Umständen anerkannt worden, die es als unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Soldat hat weder in einer psychischen Ausnahmesituation, etwa unter Schock gehandelt, noch liegen Anhaltspunkte für eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat vor. Denn der Soldat ist bei drei zeitlich auseinander liegenden Gelegenheiten, davon einmal durch Alkoholeinfluss enthemmt, die anderen Male aber während des Dienstes und außerhalb von Alkoholeinfluss aufgefallen, weshalb eine unbedachte Augenblickstat nicht anzunehmen ist. Ferner ist in der Berufungshauptverhandlung für den Senat nicht in ausreichendem Maß erkennbar geworden, dass das Verwenden nationalsozialistischer Kennzeichen für den Soldaten persönlichkeitsfremd war.
[15] Mildernd fiel jedoch zu Gunsten des Soldaten ins Gewicht, dass er bei der ersten Tat unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol gehandelt hat. Der Senat ist hierbei von einer verminderten Schuldfähigkeit des Soldaten zum Zeitpunkt der Tat ausgegangen. Als persönliche Milderungsgründe sind außerdem zu Gunsten des Soldaten seine überdurchschnittlichen dienstlichen Leistungen, seine förmliche Anerkennung, seine Auszeichnungen und das gute Persönlichkeitsbild, das die beiden Leumundszeugen über ihn gezeichnet haben, zu berücksichtigen. Nach deren Aussagen hat der Soldat vor, während und nach dem Auslandseinsatz mit hohem Engagement seine dienstlichen Pflichten erfüllt.
[16] Bei der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände des Falles, insbesondere angesichts der Schwere des Fehlverhaltens und seiner Auswirkungen, aber auch aus Erwägungen der Generalprävention, ist die Herabsetzung des Soldaten in den Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers durch die Truppendienstkammer keineswegs eine zu harte Ahndung des Dienstvergehens gewesen, sondern sie war tat- und schuldangemessen.