Europäischer Gerichtshof
Rechtsangleichung – Marken – Richtlinie 89/104/EWG – Artikel 5 Absatz 1 – Umfang des Ausschließlichkeitsrechts des Markeninhabers – Dritte – Benutzung der Marke nur zu Kennzeichnungszwecken
Artikel 5 Absatz 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass sich der Inhaber einer Marke nicht auf sein Ausschließlichkeitsrecht berufen kann, wenn ein Dritter im Rahmen eines Verkaufsgesprächs die Herkunft der Ware aus seiner eigenen Produktion offenbart und er das betreffende Zeichen ausschließlich zur Kennzeichnung der besonderen Eigenschaften der von ihm angebotenen Ware verwendet, so dass ausgeschlossen ist, dass die benutzte Marke im Verkehr als betriebliches Herkunftszeichen aufgefasst wird.

EuGH, Urteil vom 14. 5. 2002 – C-2/00 (lexetius.com/2002,588)

[1] In der Rechtssache C-2/00 betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit Michael Hölterhoff gegen Ulrich Freiesleben vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstaben a und b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) erlässt DER GERICHTSHOF unter Mitwirkung des Präsidenten der Fünften Kammer P. Jann in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der Kammerpräsidentinnen F. Macken und N. Colneric, des Kammerpräsidenten S. von Bahr sowie der Richter C. Gulmann (Berichterstatter), A. La Pergola, J.-P. Puissochet, M. Wathelet und V. Skouris, Generalanwalt: F. G. Jacobs Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen – von Herrn Hölterhoff, vertreten durch Rechtsanwalt M. Samer, – von Herrn Freiesleben, vertreten durch Rechtsanwalt E. Keller, – der französischen Regierung, vertreten durch R. Abraham und A. Maitrepierre als Bevollmächtigte, – der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Amodeo als Bevollmächtigte im Beistand von D. Alexander, Barrister, – der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Banks als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte I. Brinker und W. Berg, aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Freiesleben, der französischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 12. Juni 2001, nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. September 2001, folgendes Urteil (1):
[2] 1. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Beschluss vom 23. Dezember 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Januar 2000, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstaben a und b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1, im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
[3] 2. Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Freiesleben, Inhaber zweier eingetragener Marken, und Herrn Hölterhoff, in dem es darum geht, dass dieser die Marken im geschäftlichen Verkehr zu Kennzeichnungszwecken benutzt.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
[4] 3. Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt: Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr a) ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist; b) ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.
Deutsche Regelung
[5] 4. Die Richtlinie ist in Deutschland durch das Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen vom 25. Oktober 1994 (BGBl. 1994 I S. 3082) (MarkenG) umgesetzt worden. Sein § 14 Absatz 2 übernimmt die Bestimmungen des Artikels 5 Absatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie nahezu wortgleich.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
[6] 5. Herr Freiesleben ist Inhaber zweier Marken, Spirit Sun und Context Cut, die in Deutschland für Diamanten zur Weiterverarbeitung als Schmuckwaren und für Edelsteine zur Weiterverarbeitung als Schmuckwaren eingetragen sind.
[7] 6. Die beiden Arten von Erzeugnissen, die unter diesen Marken vertrieben werden, zeichnen sich durch einen besonderen Schliff aus. Die Marke Spirit Sun wird für einen runden Schliff mit vom Mittelpunkt ausgehenden Facetten und die Marke Context Cut für einen quadratischen Schliff mit einem spitz zulaufenden diagonalen Kreuz verwendet.
[8] 7. Herr Hölterhoff handelt mit Edelsteinen aller Art, die er selbst schleift oder bei anderen Händlern zukauft. Er vertreibt sowohl Steine aus eigener Herstellung als auch zugekaufte Produkte.
[9] 8. Am 3. Juli 1997 bot er einer Juwelierin im Rahmen eines Verkaufsgesprächs Halb- und Farbedelsteine, für die er die Bezeichnungen Spirit Sun und Context Cut verwendete, zum Kauf an. Die Juwelierin bestellte bei ihm zwei Steine im Schliff Spirit Sun. Auf dem Lieferschein und der Rechnung für den Kauf dieser Steine wurde nicht auf die Marken Spirit Sun und Context Cut Bezug genommen, und die Waren wurden als Rhodoliten bezeichnet.
[10] 9. Nach diesem Verkauf erhob Herr Freiesleben gemäß § 14 MarkenG Klage beim Landgericht Düsseldorf wegen Verletzung seiner eingetragenen Marken. Mit Urteil vom 19. August 1998 gab das Landgericht der Klage statt. Herr Hölterhoff legte beim Oberlandesgericht Düsseldorf Berufung ein, deren Zurückweisung Herr Freiesleben beantragte.
[11] 10. Das vorlegende Gericht hält es für erwiesen, dass Herr Hölterhoff im Verkaufsgespräch vom 3. Juli 1997 die Bezeichnungen Spirit Sun und Context Cut lediglich dazu verwendet hat, die Beschaffenheit, und zwar die Art des Schliffs der zum Kauf angebotenen Edelsteine, zu kennzeichnen, und dass diese Bezeichnungen folglich nicht als Hinweis auf die Herkunft der Steine aus dem Betrieb von Herrn Freiesleben verstanden werden sollten.
[12] 11. Da die Entscheidung des Rechtsstreits nach Ansicht des Oberlandesgerichts von der Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie abhängt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
[13] Liegt eine Markenverletzung im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a und b der Markenrechtsrichtlinie auch dann vor, wenn der Beklagte die Herkunft der Ware aus seiner eigenen Produktion offenbart und er das für den Kläger geschützte Zeichen ausschließlich zur Kennzeichnung der besonderen Eigenschaften der von ihm angebotenen Ware verwendet, so dass zweifelsfrei ausgeschlossen ist, dass die benutzte Marke im Verkehr als betriebliches Herkunftszeichen aufgefasst wird?
[14] 12. Die dem Gerichtshof vorgelegte Auslegungsfrage betrifft Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie, wonach es dem Inhaber einer Marke gestattet ist, Dritten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist (Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a), oder ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der betreffenden Waren für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht (Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b).
[15] 13. Die Vorlagefrage geht im Wesentlichen dahin, ob der Inhaber der Marke einem Dritten gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie in einem Fall, wie ihn das vorlegende Gericht präzise beschreibt, die Benutzung dieser Marke verbieten kann.
[16] 14. Es steht fest, dass in einem solchen Fall die Marke im geschäftlichen Verkehr für Waren benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ähnlich sind, für die diese Marke eingetragen ist.
[17] 15. Folglich soll mit der Vorlagefrage geklärt werden, ob eine Benutzung der Marke, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, einen der in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie erwähnten Fälle einer Benutzung darstellt, durch die das Ausschließlichkeitsrecht des Inhabers dieser Marke verletzt wird.
[18] 16. Dazu genügt die Feststellung, dass in einem Fall wie dem vom Vorlagegericht beschriebenen die Benutzung der Marke keines der Interessen beeinträchtigt, deren Schutz Artikel 5 Absatz 1 bezweckt. Diese Interessen werden nämlich nicht berührt, wenn – der Dritte im Rahmen eines Verkaufsgesprächs mit einem potenziellen Kunden, der Fachmann für Juwelierwaren ist, auf die Marke Bezug nimmt, – die Bezugnahme ausschließlich zu Kennzeichnungszwecken erfolgt, nämlich um über die Merkmale der Ware zu informieren, die dem potenziellen Kunden, der die Merkmale der Waren der betreffenden Marke kennt, zum Kauf angeboten wird, – die Bezugnahme auf die Marke vom potenziellen Kunden nicht als Hinweis auf die Herkunft der Ware verstanden werden kann.
[19] 17. Somit ist, ohne dass im Rahmen der vorliegenden Rechtssache weiter ausgeführt werden müsste, was unter Benutzung einer Marke im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie zu verstehen ist, auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sich der Inhaber einer Marke nicht auf sein Ausschließlichkeitsrecht berufen kann, wenn ein Dritter im Rahmen eines Verkaufsgesprächs die Herkunft der Ware aus seiner eigenen Produktion offenbart und er das betreffende Zeichen ausschließlich zur Kennzeichnung der besonderen Eigenschaften der von ihm angebotenen Ware verwendet, so dass ausgeschlossen ist, dass die benutzte Marke im Verkehr als betriebliches Herkunftszeichen aufgefasst wird.
Kosten
[20] 18. Die Auslagen der französischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
1: Verfahrenssprache: Deutsch.