Zur richterlich angeordneten Auskunft über Verbindungsdaten der Telekommunikation im Rahmen der Strafverfolgung

BVerfG, Mitteilung vom 12. 3. 2003 – 20/03 (lexetius.com/2003,191)

[1] Der Erste Senat hat mit Urteil vom 12. März 2003 Verfassungsbeschwerden (Vb) gegen gerichtliche Entscheidungen zurückgewiesen, mit denen die Erteilung von Auskünften über die Verbindungsdaten der Telefongespräche von Journalisten angeordnet worden war. Von den betroffenen Journalisten wurde angenommen, dass sie mit mutmaßlichen Straftätern im Kontakt standen. Beschwerdeführer (Bf) waren das ZDF, zwei seiner journalistischen Mitarbeiter und eine für das Magazin Stern tätige Journalistin. Die Auskunftsanordnung hatte sich gegen Telekommunikationsunternehmen gerichtet (s. Pressemitteilung Nr. 92/2002 vom 21. Oktober 2002).
[2] 1. Im Einzelnen ging es um folgende Sachverhalte: Für die ZDF-Sendung "Frontal" recherchierten zwei der Bf als Journalisten im Fall des Dr. Jürgen Schneider, der wegen Kreditbetruges in Milliardenhöhe und anderer Wirtschaftsstraftaten weltweit gesucht und später in den USA festgenommen wurde. Die Bf waren in den Besitz einer Tonbandkassette gelangt, auf der sich Dr. Schneider zu dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren äußerte. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht unter Berufung auf § 12 Fernmeldeanlagengesetz (FAG; s. Anlage) an, dass die Telekom Auskunft über die Verbindungsdaten für einen Mobilfunktelefonanschluss des ZDF zu erteilen habe, um Aufschlüsse über den Aufenthaltsort des zu diesem Zeitpunkt noch flüchtigen Beschuldigten gewinnen zu können. Im anderen Fall hatte eine Journalistin im Fall des Hans-Joachim Klein wiederholt berichtet.
[3] Dieser wurde als Mittäter an einem terroristischen Anschlag der RAF auf die OPEC-Konferenz im Jahre 1975 verdächtigt. Nach ihm wurde wegen dreifachen Mordes mit erheblichem Ermittlungsaufwand, aber seit Jahren erfolglos gesucht. Die Staatsanwaltschaft erhielt Hinweise, dass die Bf erneut im Fall Klein recherchiere und zu diesem in Kontakt stehen könne. Das Amtsgericht ordnete unter Bezugnahme auf § 12 FAG die Auskunft über ihre Verbindungsdaten an, und zwar für abgehende und eingehende Gespräche. Klein wurde später auf Grund der so gewonnenen Daten lokalisiert und gefasst.
[4] 2. Das BVerfG hält an seiner Rechtsprechung fest, dass es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers ist, im Zuge einer Abwägung zu klären, wie weit das Strafverfolgungsinteresse gegenüber dem Interesse der Medien an der Geheimhaltung ihrer Recherchen zurücktreten soll. Für besondere Vorkehrungen zum Schutz der Journalisten besteht insbesondere dann kein Anlass, wenn dem durch die Medienfreiheit gebotenen Mindestschutz schon durch die allgemeinen Vorschriften der Rechtsordnung ausreichend Rechnung getragen wird. Für den vorliegenden Fall einer Strafverfolgung aus Anlass eines dreifachen Mordes und sehr schwerwiegender Wirtschaftsstraftaten war die Erhebung von Verbindungsdaten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
[5] Der Senat führt dazu weiter aus: Die angeordnete Auskunft über die Verbindungsdaten der Telekommunikation ist ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG, der aber durch § 12 FAG gerechtfertigt ist. Das Gericht nimmt zur Verfassungsmäßigkeit dieser inzwischen außer Kraft getretenen Norm nicht allgemein Stellung, legt sie aber mit Rücksicht auf Art. 10 GG einengend aus. Die Anordnungen zur Erteilung von Auskünften über die Verbindungsdaten des Telekommunikationsverkehrs verfolgten den legitimen öffentlichen Zweck der Aufklärung und Verfolgung schwerer Straftaten und waren geeignet, den Aufenthaltsort der gesuchten Beschuldigten in Erfahrung zu bringen. Ein milderes Mittel, das die Bf weniger belastet hätte und auch nicht zu vergleichsweise stärkeren Belastungen für andere Grundrechtsträger geführt hätte, war angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht ersichtlich. Der Senat betont, dass die Beeinträchtigung des Fernmeldegeheimnisses durch Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten schwer wiegt. Infolge der Digitalisierung der Telekommunikation haben sich die Möglichkeiten der Erfassung von Daten erheblich vergrößert. Die Verbindungsdaten lassen erhebliche Rückschlüsse auf das Kommunikations- und Bewegungsverhalten zu, in begrenzter Weise sogar auf die Art der mutmaßlichen Gesprächsinhalte. Auch ist bei der Bewertung der Schwere des Eingriffs zu berücksichtigen, dass die Übermittlung der Verbindungsdaten eine große Zahl von Personen trifft und dass die Auskünfte – wie bei Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis typischerweise üblich – ohne Anhörung der Betroffenen angeordnet und damit von diesen unbemerkt heimlich vollzogen werden.
[6] Derart schwerwiegende Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis sind nur verhältnismäßig, wenn die Gegenbelange entsprechend gewichtig sind. Das Gewicht des Strafverfolgungsinteresses hängt insbesondere von der Schwere und der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat ab. Vorliegen müssen eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme, dass der durch die Anordnung Betroffene mit dem Beschuldigten über Telekommunikationsanlagen in Verbindung steht, also als Nachrichtenmittler tätig wird. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen haben die Gerichte in den Ausgangsverfahren als gegeben angesehen. Der gesetzlich vorgesehene Richtervorbehalt ist beachtet worden. Es ist Aufgabe und Pflicht des Ermittlungsrichters, sich eigenverantwortlich ein Urteil zu bilden und nicht etwa die Anträge der Staatsanwaltschaft auf Übermittlung der Verbindungsdaten nach einer nur pauschalen Überprüfung einfach gegenzuzeichnen. Er muss im Einzelfall die Eingriffsvoraussetzungen sorgfältig prüfen und die Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall umfassend abwägen.
[7] In der Erteilung von Auskünften über den Telekommunikationsverkehr liegt auch ein Eingriff in die Presse- und die Rundfunkfreiheit der Bf. Dieser ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der verfassungsrechtliche Schutz der Informationsbeschaffung durch die Medien findet seinen tieferen Grund in deren Beitrag für die Information der Bürger und für die darauf aufbauende individuelle und öffentliche Meinungsbildung. Auch die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden liegt im öffentlichen Interesse. Dass das Strafverfolgungsinteresse grundsätzlich hinter dem Rechercheinteresse der Medien zurückzutreten hat, lässt sich verfassungsrechtlich nicht begründen. Umgekehrt lässt sich auch nicht in abstrakter Weise feststellen, dass das Strafverfolgungsinteresse generell dem Interesse der Medien vorgeht. Vielmehr ist es angesichts der Vielgestaltigkeit der durch überkommene und "neue" Medien beeinflussten öffentlichen Kommunikation und der darauf bezogenen Aktivitäten Sache des Gesetzgebers, über die Anlässe und Reichweite einer Freistellung von Journalisten oder Medienunternehmen von strafprozessualen Maßnahmen zu entscheiden. Presse? und Rundfunkfreiheit dürfen dabei nicht nur vom Blickpunkt der Medien aus gesehen und nicht als umfassende Privilegierung für jegliche der Nachrichtensammlung und -verbreitung dienende Handlung verstanden werden. Es bedarf der Abwägung durch den Gesetzgeber, ob und wie weit die Erfüllung der publizistischen Aufgaben einen Vorrang der Medienfreiheit gegenüber dem Interesse an einer rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege rechtfertigt und wie weit die Presse- und die Rundfunkfreiheit ihrerseits an diesem Interesse ihre Grenzen findet.
[8] Im Rahmen seiner Gestaltungsbefugnis hat der Gesetzgeber in der Strafprozessordnung in genereller Weise Abwägungen zwischen den Freiheitsrechten der Medien und den Erfordernissen einer rechtsstaatlichen Strafrechtspflege vorgenommen. Für zusätzliche Vorkehrungen besteht dann kein Anlass, wenn dem durch Art. 5 Abs. 1 GG gebotenen Mindestschutz schon durch die allgemeinen Vorschriften, wie hier durch § 12 FAG, ausreichend Rechnung getragen wird. Nicht zu beanstanden ist auch die Einordnung der Beschwerdeführer als Nachrichtenmittler. Nicht ausreichend wäre insoweit allerdings allein der Umstand, dass die Betroffenen als Journalisten über die Beschuldigten recherchierten. Die journalistische Tätigkeit darf nicht zum Anlass genommen werden, Journalisten einem höheren Risiko auszusetzen als andere Grundrechtsträger, Objekt der Erhebung von Verbindungsdaten für Zwecke der Strafverfolgung Dritter zu werden. Über allgemeine Erfahrungssätze hinaus müssen bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte der Kontaktaufnahme des betreffenden Journalisten zu den gesuchten Straftätern bestehen, die auch ausreichen würden, um entsprechende Maßnahmen gegen andere Personen anzuordnen. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass es bei den hier zu beurteilenden Maßnahmen nicht um die Aufdeckung der Identität eines typischen Informanten, sondern um die Ermittlung des Aufenthaltsorts eines – bekannten – mutmaßlichen Straftäters ging. Es bedarf in den vorliegenden Fällen keiner Entscheidung, wie weit das Interesse von Journalisten, unbehelligt telefonischen Kontakt zu gesuchten Straftätern haben zu können, verfassungsrechtlichen Schutz genießt.
[9] Jedenfalls hat es verfassungsrechtlich grundsätzlich ein geringeres Gewicht als das Interesse an der Kommunikation mit Personen, die als Informanten den Medien für die Öffentlichkeit wichtige Informationen zukommen lassen, etwa zur Aufdeckung und Aufklärung von Missständen.
BVerfG, Urteil vom 12. 3. 2003 – 1 BvR 330/96