Bundesgerichtshof
BGB § 130
Eine Willenserklärung geht der GmbH auch dann zu, wenn das Schriftstück in ein privates Postfach ihres Geschäftsführers gelegt wird.

BGH, Beschluss vom 31. 7. 2003 – III ZR 353/02; OLG München (lexetius.com/2003,1942)

[1] Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke am 31. Juli 2003 beschlossen:
[2] Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 25. September 2002 – 7 U 1586/02 – wird zurückgewiesen.
[3] Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
[4] Beschwerdewert: 40.516,02 €
[5] Gründe: I. Die damalige Firma CCD Werbeagentur H. E. in M. (Österreich) schloß im Jahre 1990 mit der Beklagten einen Rahmenvertrag, durch den der Firma E. das Recht eingeräumt wurde, Anzeigen für die Österreich-Ausgabe der Zeitschrift B. zu akquirieren und sie in einem den Zeitschriften beigefügten Hefter zu veröffentlichen. Die Vereinbarung galt zunächst bis zum 31. Dezember 1991, sie sollte sich aber jeweils um ein weiteres Kalenderjahr verlängern, wenn sie nicht mit einer Frist von zwei Monaten schriftlich gekündigt wurde. Ende 1991 wurde der Geschäftssitz der Firma E. nach W. (Österreich) verlegt und die Einzelfirma E. anschließend in die CCD Werbeagentur E. GmbH umgewandelt. Die Beklagte bestätigte den Übergang des Vertrags auf die GmbH und führte die weitere Korrespondenz mit der Klägerin unter der neuen Adresse in W.
[6] Mit einem an die Firma CCD Werbeagentur H. E. in M. gerichteten Schreiben vom 6. Oktober 1998 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis. Das Schriftstück gelangte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts spätestens am 19. Oktober 1998 in ein vom Geschäftsführer der Klägerin noch in M. unterhaltenes privates Postfach, das er nur in Abständen von zwei bis drei Monaten leerte. Dort wurde der Brief am 2. Dezember 1998 vorgefunden. Die Parteien streiten um die Frage, ob die Kündigung der Beklagten fristgemäß zum Ende des Jahres 1998 erfolgt ist. Die Vorinstanzen haben dies bejaht und die Schadensersatzklage der Klägerin abgewiesen. Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Klägerin die Zulassung der Revision.
[7] II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).
[8] 1. Nach Auffassung der Beschwerde hat das Berufungsgericht schon übersehen, daß die Beklagte mit ihrem an die Einzelfirma E. gerichteten Schreiben überhaupt keine Kündigungserklärung gegenüber der Klägerin abgegeben habe. Die Beschwerde sieht darin eine Verweigerung rechtlichen Gehörs und hält zudem das Berufungsurteil insoweit für objektiv willkürlich. Dem kann nicht beigetreten werden. Das Berufungsgericht hat ersichtlich, ohne dies ausdrücklich zu sagen, die Kündigungserklärung dahin ausgelegt, daß Adressatin die Klägerin als die neue Vertragspartnerin der Beklagten sein sollte. So hat es die Klägerin seinerzeit auch selbst verstanden. Eine solche Beurteilung steht im Einklang mit den Grundsätzen über die Person des Erklärenden oder des Vertragsgegners bei unternehmensbezogenen Geschäften (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 164 Rn. 2 m. w. N.) und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
[9] 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hält es weiter für klärungsbedürftig, ob Willenserklärungen einer GmbH auch dann wirksam zugehen, wenn sie in das private Postfach des Geschäftsführers eingelegt werden. Zur Klärung dieser Frage bedarf es indessen keiner Zulassung der Revision. Sie beantwortet sich in Übereinstimmung mit dem Berufungsurteil ohne weiteres aus den gesetzlichen Vorschriften. Maßgebend sind, soweit es um die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers E. geht, die Bestimmungen des österreichischen Rechts. Im übrigen gilt nach Art. 27, 32 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB deutsches Recht, da die Parteien ihr Vertragsverhältnis insgesamt dem deutschen Recht unterstellt haben.
[10] a) Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine empfangsbedürftige, in Abwesenheit des Empfängers abgegebene Willenserklärung wirksam, wenn sie dem Empfänger zugeht. Zugang an einen Empfangsvertreter genügt (§ 164 Abs. 3 BGB); bei einer GmbH ist dies insbesondere der Geschäftsführer als ihr gesetzlicher Vertreter (hier: § 18 Abs. 1 und 4 öGmbHG). Es reicht daher aus, daß die Zugangsvoraussetzungen in der Person des Geschäftsführers erfüllt sind, ohne daß es weiter darauf ankommt, ob diesen die Willenserklärung, wie üblich, innerhalb des Geschäftsbetriebs der GmbH oder ausnahmsweise in seiner privaten Sphäre erreicht. Entscheidend für eine wirksame passive Stellvertretung ist allein, daß der Empfänger insoweit Vertretungsmacht hat (MünchKomm/Schramm, BGB, 4. Aufl., § 164 Rn. 133; s. ferner Staudinger/Schilken, BGB, Neubearbeitung 2001, § 164 Rn. 22). Daran ist hier nicht zu zweifeln.
[11] b) Bei der Einlegung von Post in ein Postschließfach geht der Brief dem Inhaber an dem Tage zu, an dem nach der Verkehrsanschauung mit einer Abholung zu rechnen ist (BGH, Urteil vom 19. Januar 1955 – IV ZR 160/54 – LM Nr. 2 zu § 130 BGB). Auf eine verspätete Kenntnis wegen verzögerter Leerung kann er sich dann nicht berufen. Unter gewöhnlichen Umständen wird ein Postfach täglich oder doch jedenfalls in kurzen zeitlichen Abständen geleert. Rechtsfehlerfrei hat auf dieser Grundlage das Berufungsgericht im Streitfall den Oktober als spätesten Zugangszeitpunkt festgestellt.
[12] 3. Bei dieser Sachlage ist lediglich noch zu prüfen, ob sich die Beklagte nach Treu und Glauben deshalb nicht auf einen Zugang ihrer Kündigung vor November 1998 berufen könnte, weil sie das Kündigungsschreiben nicht nur an den falschen Empfänger, sondern vor allem auch an eine seit Jahren nicht mehr gültige Adresse gerichtet hat. Das Berufungsgericht hat diese Frage verneint, weil die Beklagte nicht arglistig gehandelt habe. Das ist frei von Rechtsfehlern, ganz abgesehen davon, daß die Nichtzulassungsbeschwerde auch insoweit eine allgemeine Bedeutung der Sache und mithin einen Zulassungsgrund nicht darzulegen vermag.