Bundesgerichtshof
WEG § 21 Abs. 4, § 43 Abs. 1, § 45 Abs. 1; FGG § 28 Abs. 2
1. a) Für die Prüfung der Vorlagevoraussetzungen ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes auch dann maßgeblich, wenn sie erst nach einem Vorlagebeschluß des Oberlandesgerichts ergangen ist.
b) Die Vorlage bleibt in einem solchen Fall aber zulässig, wenn der Bundesgerichtshof die Vorlagefrage nicht im Sinne des vorlegenden Gerichts entschieden hat.
2. Auch ein Eigentümerbeschluß, mit dem einem ausgeschiedenen Verwalter Entlastung erteilt wird, steht im Grundsatz nicht in Widerspruch zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung, sondern erst dann, wenn Ansprüche gegen den (ausgeschiedenen) Verwalter erkennbar in Betracht kommen und nicht aus besonderen Gründen Anlaß besteht, auf die hiernach möglichen Ansprüche zu verzichten (Fortführung von Senat, Beschl. v. 17. Juli 2003, V ZB 11/03).

BGH, Beschluss vom 25. 9. 2003 – V ZB 40/03; BayObLG (lexetius.com/2003,2594)

[1] Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 25. September 2003 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin Dr. Stresemann beschlossen:
[2] Auf die Rechtsmittel der Antragstellerin werden der Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Passau vom 22. Juli 2002 und der Beschluß des Amtsgerichts Passau vom 30. Mai 2000 insoweit aufgehoben, als sie den Eigentümerbeschluß über die Verwalterentlastung für das Jahr 1997 betreffen.
[3] Der Beschluß der Wohnungseigentümerversammlung vom 12. September 1998 unter Tagesordnungspunkt 3 (Entlastung der Verwaltung für das Geschäftsjahr 1997) wird für ungültig erklärt.
[4] Im übrigen wird die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin, soweit über sie nicht durch den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 10. Juli 2003 entschieden ist, zurückgewiesen.
[5] Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
[6] Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 73.626,03 € festgesetzt.
[7] Gründe: I. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die Wohnungs- und Teileigentümer einer Anlage, die aus 57 Hotelappartements, einer Wohnung sowie sechs Laden- und Praxiseinheiten besteht. Seit dem 1. Januar 1998 ist die Beteiligte zu 3 Verwalterin der Anlage, zuvor war die Beteiligte zu 4 zur Verwalterin bestellt.
[8] In der Eigentümerversammlung vom 12. September 1998 genehmigten die Wohnungseigentümer mit Stimmenmehrheit die von der Beteiligten zu 4 vorgelegten Jahresabrechnungen für 1994 bis 1997 und beschlossen zu den Tagesordnungspunkten 3, 6, 8 und 10 die Entlastung der Beteiligten zu 4 für diesen Zeitraum.
[9] Die Antragstellerin hat u. a. beantragt, diese Beschlüsse für ungültig zu erklären. Während die Anfechtung anderer Eigentümerbeschlüsse teilweise erfolgreich gewesen ist, hat das Amtsgericht die Anträge hinsichtlich der Jahresabrechnungen und Verwalterentlastung zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin ist ohne Erfolg geblieben.
[10] Das Bayerische Oberste Landesgericht, das die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin betreffend die Anfechtung der Jahresabschlüsse für 1994 bis 1996 sowie eines Verpflichtungsantrages für 1997 zurückgewiesen hat, möchte dem Rechtsmittel stattgeben, soweit es sich gegen die Entlastung der früheren Verwalterin richtet. Es sieht sich hieran jedoch durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Schleswig vom 23. Januar 2002 (ZMR 2002, 382) gehindert und hat insoweit die Sache durch Beschluß vom 10. Juli 2003 (ZfIR 2003, 777 mit Anm. Häublein, ZfIR 2003, 764) dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
[11] II. Die Vorlage ist statthaft (§§ 43 Abs. 1, 45 Abs. 1 WEG i. V. m. § 28 Abs. 2 FGG).
[12] 1. Das vorlegende Gericht ist – unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (etwa noch BayObLG NZM 1999, 504, 505) – der Ansicht, daß zwar keine konkreten Umstände ersichtlich seien, die zu einer Verweigerung der Entlastung führen müßten. Die Eigentümerbeschlüsse über die Entlastung seien aber gleichwohl für ungültig zu erklären, weil ein Beschluß über die Entlastung des Verwalters grundsätzlich nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
[13] 2. Mit dieser Auffassung weicht das vorlegende Gericht von einer nach § 28 Abs. 2 FGG zur Vorlage verpflichtenden Entscheidung ab. Insoweit ist allerdings die im Vorlagebeschluß herangezogene Divergenz zur Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Schleswig (ZMR 2002, 382, 384) – wie im übrigen auch weiterer Oberlandesgerichte (vgl. etwa KG, NJW-RR 1997, 79, 80; OLG Düsseldorf, NZM 1999, 269, 270) – nicht mehr maßgeblich, weil der Senat über die betreffende Rechtsfrage inzwischen mit dem Beschluß vom 17. Juli 2003 (V ZB 11/03, zur Veröffentlichung – auch in BGHZ – vorgesehen) entschieden hat. Daß diese Entscheidung erst nach dem Vorlagebeschluß ergangen ist, ändert nichts an ihrer Maßgeblichkeit für die Prüfung der Vorlagevoraussetzungen nach § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG (vgl. BGHZ 5, 356, 358). Da der Senat die Rechtsfrage jedoch nicht im Sinne des vorlegenden Gerichts entschieden hat, ist an die Stelle der Divergenz zu den Entscheidungen der Oberlandesgerichte nun die Divergenz zu der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes getreten. Diese hindert das vorlegende Gericht nach § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG weiterhin an einer abweichenden Entscheidung, so daß – im Unterschied zu einer Beantwortung der Rechtsfrage in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Gericht (vgl. dazu BGHZ 5, 356, 357 f; Senat, Beschl. v. 1. Juni 1955, V ZB 38/54, WM 1955, 1203, 1204; BGH, Beschl. v. 27. Juni 1985, VII ZB 25/84, WM 1985, 1325, 1326) – die Notwendigkeit zur Vorlage an den Bundesgerichtshof unberührt geblieben ist (Jansen, FGG, 2. Aufl., § 28 Rdn. 31; a. A. wohl Meikel/Streck, Grundbuchrecht, 8. Aufl., § 80 Rdn. 37).
[14] III. Soweit der Senat auf Grund der Vorlage als Rechtsbeschwerdegericht über die sofortige weitere Beschwerde (Rechtsbeschwerde) zu entscheiden hat, ist das Rechtsmittel zulässig (§§ 45 Abs. 1, 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG, §§ 27, 29 FGG) und teilweise begründet.
[15] 1. Der Senat hat die Vorlagefrage in seinem Beschluß vom 17. Juli 2003 abweichend von der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts dahin entschieden, daß ein Eigentümerbeschluß über die Entlastung eines Verwalters nicht grundsätzlich ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht. Hieran ist auch für die vorliegende Fallkonstellation festzuhalten, die durch die Entlastung eines ausgeschiedenen Verwalters gekennzeichnet ist. Die Erwägungen des Senats zur Bedeutung der Entlastung und der mit ihr verbundenen Verzichtswirkung sowie zur Prüfung des Entlastungsbeschlusses am Maßstab ordnungsmäßiger Verwaltung (§ 21 Abs. 3 WEG) treffen hier ebenfalls zu.
[16] a) Auch mit der Entlastung eines ausgeschiedenen Verwalters sind die Wirkungen eines Verzichts auf solche Ansprüche verbunden, die den Wohnungseigentümern bekannt oder für sie bei sorgfältiger Prüfung erkennbar waren. Dagegen erlangt der Gesichtspunkt, dem Verwalter durch die Entlastung das Vertrauen für seine künftige Tätigkeit auszusprechen, hier keine Bedeutung. Dieser Umstand ist aber nicht entscheidend für die mit der Entlastung verbundene Wirkung eines Verzichts. Insoweit hat der Senat in seinem Beschluß vom 17. Juli 2003 – ohne Hinweis auf die künftige Amtsführung – allein auf die Vertrauenskundgabe durch die Wohnungseigentümer abgestellt, die mit dem Entlastungsbeschluß verbunden ist (vgl. dazu K. Schmidt, Gesellschaftrecht, 4. Aufl., § 14 VI 2 b; Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 28 WEG Rdn. 438). Sie beschränkt sich bei einem ausgeschiedenen Verwalter in der Billigung der zurückliegenden Amtsführung als zweckmäßig sowie dem Gesetz, der Gemeinschaftsordnung und den vertraglichen Pflichten entsprechend. Eine Vertrauenskundgabe mit diesem Inhalt reicht aus, um die Wohnungseigentümer ggf. daran zu hindern, gleichwohl Ansprüche gegen den Verwalter geltend zu machen, die in dem Zeitraum entstanden sind, für den seine Amtsführung gebilligt wurde.
[17] b) Den Gesichtspunkt der Kundgabe des Vertrauens in die künftige Amtsführung des Verwalters hat der Senat in dem Beschluß vom 17. Juli 2003 bei der Prüfung herangezogen, ob eine Entlastung des Verwalters grundsätzlich ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen kann. Anders als im Gesellschaftsrecht, das einen vergleichbaren Maßstab nicht kennt und daher den Gesellschaftern für die Entlastung eine breite Spanne des Ermessens einräumen kann (vgl. dazu BGHZ 94, 324, 327), erlangen die Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung im Wohnungseigentumsrecht für die inhaltliche Prüfung von Eigentümerbeschlüssen Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist das Anliegen der Wohnungseigentümer, mit der Entlastung die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem – neuen – Verwalter zu schaffen, auch bei Ausscheiden des Verwalters anzuerkennen, dem die Entlastung erteilt wurde. Wird ein ausscheidender Verwalter entlastet, so ist damit zwar keine Vertrauenskundgabe gegenüber dem neuen Verwalter verbunden, dessen Amtsführung noch nicht zur Beurteilung der Wohnungseigentümer stand. Gleichwohl ist auch für den neuen Verwalter die Entlastung seines Vorgängers von Bedeutung. Sie gibt ihm nämlich berechtigten Anlaß zu der Erwartung, daß die Wohnungseigentümer bei beanstandungsfreier und erfolgreicher Amtsführung ihm in gleichem Maße wie seinem Vorgänger Vertrauen entgegenbringen werden. An der Kundgabe der Bereitschaft zu vertrauensvoller Zusammenarbeit auch gegenüber dem neuen Verwalter ist den Wohnungseigentümern ein Interesse nicht ohne weiteres abzusprechen. Vergleichbar mit der Entlastung bei Fortsetzung der Amtsführung des Verwalters kann auf diese Weise bereits bei Beginn einer längerfristig angelegten Tätigkeit die Grundlage für ein von wechselseitigem Vertrauen getragenes Verhältnis zwischen Wohnungseigentümern und Verwalter geschaffen werden.
[18] 2. Ein Eigentümerbeschluß über die Entlastung auch eines ausgeschiedenen Verwalters widerspricht hiernach nicht grundsätzlich, sondern nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung (§ 21 Abs. 3 WEG), wenn die Entlastung dazu führt, daß den Eigentümern mögliche Ansprüche gegen den – früheren – Verwalter verloren gehen und für einen solchen "Verzicht" auch nicht aus besonderen Gründen ein Anlaß besteht.
[19] a) Gemessen daran ist der Eigentümerbeschluß über die Entlastung der Beteiligten zu 4 hinsichtlich des Jahres 1997 für ungültig zu erklären. Gegenüber der Beteiligten zu 4 kommen nämlich Ansprüche der Wohnungseigentümer erkennbar in Betracht, die sie auf Grund der Entlastung verlieren könnten.
[20] aa) Das vorlegende Gericht geht zu Recht davon aus, daß eine ordnungsgemäße Jahresabrechnung (§ 28 Abs. 3 WEG) auch den Stand der Gemeinschaftskonten, insbesondere der Instandhaltungsrücklage, ausweisen muß (BayObLGZ 1989, 310, 314; BayObLG, NJW-RR 1992, 1169; ZWE 2000, 187, 188; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 28 Rdn. 67; Staudinger/Bub, aaO, § 28 WEG Rdn. 366). Dieser Verpflichtung ist die Beteiligte zu 4 für das Jahr 1997 nicht nachgekommen.
[21] bb) Entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts sind Ansprüche der Wohnungseigentümer wegen der fehlenden Angaben zu den Kontenständen selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn entsprechende Ergänzungen der Jahresabrechnungen nicht von der Beteiligten zu 4, sondern von der Beteiligten zu 3 als gegenwärtiger Verwalterin geschuldet sein sollten. Bei der Argumentation des vorlegenden Gerichts bleibt nämlich außer Betracht, daß gegenüber der Beteiligten zu 4 wegen der zurückliegenden Verletzung ihrer Verwalterpflichten Schadensersatzansprüche begründet sein können. Die mit der Entlastung verbundenen Verzichtswirkungen sind nicht auf die primären Ansprüche der Wohnungseigentümer beschränkt, sondern umfassen auch (sekundäre) Ersatzansprüche gegen den Verwalter (BGH, Urt. v. 6. März 1997, III ZR 248/95, NJW 1997, 2106, 2108). Der Verlust dieser hier in Betracht kommenden Ansprüche hat zur Folge, daß eine Entlastung der Beteiligten zu 4 für das Jahr 1997 mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung nicht zu vereinbaren ist (BayObLGZ 1989, 310, 315).
[22] b) Hingegen bleibt die weitere sofortige Beschwerde der Antragstellerin ohne Erfolg, soweit sie sich gegen die übrigen Entlastungsbeschlüsse wendet. Für die insoweit erfaßten Jahre von 1994 bis 1996 sind nach den getroffenen Feststellungen und auf Grund der bereits ergangenen Entscheidungen keine Ansprüche gegen die Beteiligte zu 4 erkennbar, die ihrer Entlastung für diesen Zeitraum entgegenstehen könnten.
[23] 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 47 WEG und berücksichtigt die Erfolglosigkeit des weitergehenden Rechtsmittels der Antragstellerin, wie sie sich aus der Entscheidung des vorlegenden Gerichts über einen Teil der Rechtsbeschwerde ergibt. Auf Grund des nur geringfügigen Obsiegens der Antragstellerin ist es gerechtfertigt, ihr die gesamten Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen und es für die Vorinstanzen bei den dort ergangenen Kostenentscheidungen zu belassen (arg. § 92 Abs. 2 ZPO; zur Anwendung der §§ 91 ff ZPO: Senat, BGHZ 111, 148, 153). Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 WEG und orientiert sich an den Wertfestsetzungen der Vorinstanzen.