Bundesarbeitsgericht
Zugang zum Internet für Betriebsrat
Der Betriebsrat kann nach § 40 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch gegen den Arbeitgeber haben, die ihm zur Verfügung gestellten Personalcomputer an das Internet anzuschließen.

BAG, Beschluss vom 3. 9. 2003 – 7 ABR 8/03 (lexetius.com/2003,3035)

[1] Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 31. Oktober 2002 – 1 TaBV 16/02 – wird zurückgewiesen.
[2] Gründe: A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, die dem Betriebsrat zur Verfügung gestellten Personalcomputer an das Internet anzuschließen.
[3] Die Arbeitgeberin ist auf dem Gebiet der Elektrotechnik, Elektronik, Regelungstechnik, Meßtechnik, EDV, Optronik, Mechanik und Energietechnik tätig. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb in W 644 Mitarbeiter. Mehr als 90 Arbeitsplätze sind mit Personalcomputern ausgestattet, die über einen Zugang zum Internet verfügen. Für die Nutzung des Internets hat die Arbeitgeberin einen sogenannten Flatrate-Vertrag abgeschlossen.
[4] Antragsteller ist der für das Werk W gebildete Betriebsrat, der aus 11 Mitgliedern besteht. Die beiden freigestellten Betriebsratsmitglieder verfügen in ihren Büros jeweils über einen Personalcomputer. Nachdem die Arbeitgeberin im November 2001 abgelehnt hatte, dem Betriebsrat einen Internet-Anschluß zur Verfügung zu stellen, leitete dieser das vorliegende Beschlußverfahren ein.
[5] Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, das Internet sei als Informationsquelle erforderlich, um sich das für die Erledigung der Betriebsratsarbeit notwendige Fachwissen anzueignen. Er benötige das Internet auch, um sich mit anderen Betriebsräten und der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft auszutauschen.
[6] Der Betriebsrat hat beantragt, die Arbeitgeberin zu verpflichten, dem Betriebsrat einen Personalcomputer mit Bildschirm zur Verfügung zu stellen und den Anschluß an das Internet zu ermöglichen sowie etwaige laufende Kosten zu übernehmen, hilfsweise die Arbeitgeberin zu verpflichten, die bereits vorhandenen Personalcomputer der freigestellten Betriebsratsmitglieder im Betriebsratsbüro an das Internet anzuschließen und etwaige laufende Kosten zu übernehmen.
[7] Die Arbeitgeberin hat die Abweisung der Anträge beantragt und gemeint, ein Internet-Anschluß sei zwar nützlich und zweckmäßig, für die sachgerechte Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats aber nicht erforderlich.
[8] Das Arbeitsgericht hat dem Hilfsantrag des Betriebsrats stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin die Abweisung des Hilfsantrags weiter. Der Betriebsrat beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
[9] B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Arbeitgeberin nach § 40 Abs. 2 BetrVG verpflichtet ist, die bereits vorhandenen Personalcomputer der freigestellten Betriebsratsmitglieder an das Internet anzuschließen und etwaige laufende Kosten zu übernehmen.
[10] I. Nach § 40 Abs. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat für die laufende Geschäftsführung sachliche Mittel im erforderlichen Umfang zur Verfügung zu stellen. In § 40 Abs. 2 BetrVG in der ab 28. Juli 2001 geltenden Fassung ist ausdrücklich bestimmt, daß der Arbeitgeber dem Betriebsrat auch Informations- und Kommunikationstechnik in erforderlichem Umfang zur Verfügung stellen muß. Die Prüfung, ob das verlangte Sachmittel für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben erforderlich und deshalb vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen ist, obliegt dem Betriebsrat. Diese Entscheidung darf er nicht allein an seinem subjektiven Bedürfnis ausrichten. Von ihm wird verlangt, daß er bei seiner Entscheidungsfindung die betrieblichen Verhältnisse und die sich ihm stellenden Aufgaben berücksichtigt. Dabei hat er die Interessen der Belegschaft an einer sachgerechten Ausübung des Betriebsratsamts und berechtigte Interessen des Arbeitgebers, auch soweit sie auf eine Begrenzung seiner Kostentragungspflicht gerichtet sind, gegeneinander abzuwägen (BAG 12. Mai 1999 – 7 ABR 36/97BAGE 91, 325 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 65 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 87, zu B III 2 der Gründe).
[11] Die Entscheidung des Betriebsrats über die Erforderlichkeit des verlangten Sachmittels unterliegt der arbeitsgerichtlichen Kontrolle. Diese ist auf die Prüfung beschränkt, ob das verlangte Sachmittel auf Grund der konkreten betrieblichen Situation der Erledigung einer gesetzlichen Aufgabe des Betriebsrats dient und ob der Betriebsrat nicht nur die Interessen der Belegschaft berücksichtigt hat, sondern bei seiner Entscheidung auch berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rechnung getragen hat. Dient das jeweilige Sachmittel der Erledigung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben und hält sich die Interessenabwägung des Betriebsrats im Rahmen seines Beurteilungsspielraums, können die Gerichte die Entscheidung des Betriebsrats nicht durch ihre eigene ersetzen (BAG 11. November 1998 – 7 ABR 57/97AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 64, zu B 2 der Gründe).
[12] II. Zu den sachlichen Mitteln und der Informationstechnik iSd. § 40 Abs. 2 BetrVG gehört auch das Internet. Der Betriebsrat durfte den Zugang zum Internet angesichts der konkreten betrieblichen Verhältnisse und der sich ihm stellenden gesetzlichen Aufgaben als Mittel zur Informationsbeschaffung für erforderlich halten. Dem Verlangen des Betriebsrats stehen berechtigte betriebliche Interessen der Arbeitgeberin nicht entgegen.
[13] 1. Zu den Sachmitteln iSd. § 40 Abs. 2 BetrVG gehören die Hilfsmittel, die geeignet sind, dem Betriebsrat die zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben notwendigen Informationen zu vermitteln. Dazu zählen ua. arbeitsrechtliche Gesetzestexte, entsprechende Kommentare, Fachliteratur und Zeitschriften. Die dem Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegenden Aufgaben lassen sich sachgerecht nur durch laufende und aktuelle Unterrichtung über die arbeits- und betriebsverfassungsrechtlichen Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung sowie insbesondere durch die daraus gewonnenen Erkenntnisse über mögliche Handlungsspielräume lösen. Solche Informationen kann sich ein Betriebsrat nicht allein durch Unterrichtung in den einschlägigen Gesetzen oder deren Erläuterungen in Kommentaren verschaffen. Vielmehr ist er zur verantwortlichen Wahrnehmung seiner Befugnisse auch auf die Unterrichtung durch andere Veröffentlichungen angewiesen, in denen diese Themen nach neuestem Stand fachlich dargestellt werden (BAG 21. April 1983 – 6 ABR 70/82BAGE 42, 259 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 20 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 53, zu III 3 a der Gründe; 29. November 1989 – 7 ABR 42/89AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 32 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 63, zu II 2 a der Gründe; 26. Oktober 1994 – 7 ABR 15/94AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 43 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 72, zu B 1 der Gründe). Allerdings kann der Betriebsrat nicht ohne Rücksicht auf betriebliche Belange oder betriebsratsbezogene Notwendigkeiten den Zugang zu jeder Informationsquelle verlangen, die sich mit Themen seiner gesetzlichen Aufgabenstellung befaßt. Vielmehr verlangt die normative Wertung des § 40 Abs. 2 BetrVG eine sachgerechte Abwägung der Belange beider Betriebsparteien. Da der Betriebsrat jedoch seine Geschäfte grundsätzlich eigenständig und eigenverantwortlich führt, ist er in der Entscheidung darüber frei, auf welche Weise er sich die zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Informationen verschafft (BAG 25. Januar 1995 – 7 ABR 37/94 – AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 46 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 73, zu B 4 der Gründe).
[14] Danach handelt es sich bei dem Internet um eine Quelle, die geeignet ist, dem Betriebsrat die zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Informationen zu vermitteln. Über das Internet kann er sich nicht nur auf dem schnellsten Weg über die arbeits- und betriebsverfassungsrechtlichen Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung unterrichten, die von den Gesetzgebungsorganen und Gerichten im Internet dargestellt werden. Darüber hinaus kann sich der Betriebsrat mit Hilfe der im Internet zur Verfügung stehenden Suchmaschinen zu einzelnen betrieblichen Problemstellungen umfassend informieren, ohne auf Zufallsfunde in Zeitschriften oder Zeitungen, veralteten Kommentierungen oder längere Zeit zurückliegenden Gerichtsentscheidungen angewiesen zu sein.
[15] 2. Der Betriebsrat durfte den Anschluß der bereits vorhandenen Personalcomputer an das Internet angesichts der konkreten betrieblichen Verhältnisse als Mittel zur Informationsbeschaffung für erforderlich halten. Seiner Entscheidung stehen berechtigte betriebliche Interessen der Arbeitgeberin, insbesondere ihr Interesse an der Begrenzung der Kostentragungspflicht, nicht entgegen.
[16] a) Von der Prüfung, ob das verlangte Sachmittel für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben erforderlich ist, kann auch nach der Neufassung von § 40 Abs. 2 BetrVG nicht abgesehen werden. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Betriebsrat den Zugang zum Internet auch nicht unabhängig von dessen Erforderlichkeit auf Grund der technischen Entwicklung und des Ausstattungsniveaus der Arbeitgeberin beanspruchen.
[17] aa) Durch die seit 28. Juli 2001 geltende Fassung des § 40 Abs. 2 BetrVG wird dem Betriebsrat kein Anspruch auf Kommunikations- und Informationstechnik ohne eine besondere Prüfung der Erforderlichkeit eingeräumt. Bereits nach dem Wortlaut von § 40 Abs. 2 BetrVG stehen Kommunikations- und Informationstechnik gleichrangig neben Räumen, sachlichen Mitteln und Büropersonal. Diese hat der Arbeitgeber jeweils im erforderlichen Umfang zur Verfügung zu stellen. Die Neufassung des § 40 Abs. 2 BetrVG dient lediglich der Klarstellung (BT-Drucks. 14/5741 S. 41). Wie bisher bezweckt § 40 Abs. 2 BetrVG mit der Prüfung der Erforderlichkeit eines sachlichen Mittels, die übermäßige finanzielle Belastung des Arbeitgebers durch den Betriebsrat zu verhindern. Damit ließe sich nicht in Einklang bringen, gerade in dem kostenintensiven Bereich moderner Bürotechnik anders als bei den übrigen Sachmitteln auf die Prüfung der Erforderlichkeit zu verzichten.
[18] bb) Der erforderliche Umfang eines Sachmittels bestimmt sich nicht ausschließlich nach dem Ausstattungsniveau des Arbeitgebers. Weder aus § 40 Abs. 2 BetrVG noch aus dem Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG oder aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit des § 2 BetrVG folgt die Pflicht des Arbeitgebers, dem Betriebsrat dieselben Sachmittel zur Verfügung zu stellen, wie sie von ihm benutzt werden (BAG 17. Februar 1993 – 7 ABR 19/92BAGE 72, 274 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 37 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 69, zu B II 2 e der Gründe). Die Geschäftsleitung eines Betriebs verfolgt andere Ziele als die laufende Geschäftsführung des Betriebsrats. Soweit sich die Aufgaben von Arbeitgeber und Betriebsrat jedoch berühren, etwa bei der betrieblichen Mitwirkung und Mitbestimmung, kann der Einsatz moderner Kommunikationsmittel auf Arbeitgeberseite den erforderlichen Umfang der dem Betriebsrat zur Verfügung zu stellenden Sachmittel beeinflussen (BAG 11. März 1998 – 7 ABR 59/96BAGE 88, 188 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 57 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 81, zu B I 3 c der Gründe).
[19] Zwar sind im Betrieb der Arbeitgeberin mehr als 90 Arbeitsplätze mit Personalcomputern ausgestattet, die über einen Zugang zum Internet verfügen. Die Nutzung des Internets an etwa 15 % der Arbeitsplätze im Rahmen der von der Arbeitgeberin verfolgten Betriebszwecke läßt aber keinen Schluß darauf zu, ob auch der Betriebsrat dieses Sachmittel für seine laufende Geschäftsführung benötigt.
[20] cc) Der Betriebsrat kann den Anspruch auf Zugang zum Internet auch nicht auf die fortschreitende technische Entwicklung und den allgemeinen Verbreitungsgrad der Nutzung des Internets stützen. Die allgemeine Üblichkeit der Nutzung eines technischen Hilfsmittels besagt nichts über die Notwendigkeit, dieses auch zur Bewältigung der gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats einzusetzen. Die fortschreitende technische Entwicklung ist im Rahmen von § 40 Abs. 2 BetrVG nur von Bedeutung, wenn sie sich in den konkreten betrieblichen Verhältnissen niedergeschlagen hat, die vom Betriebsrat im Rahmen seiner Prüfung, ob ein Sachmittel für die Erledigung seiner Aufgaben erforderlich ist, zu berücksichtigen sind.
[21] b) Der Betriebsrat durfte den Zugang zum Internet als Mittel zur Informationsbeschaffung angesichts der konkreten betrieblichen Verhältnisse für erforderlich halten. Die Arbeitgeberin hat die Arbeitsplätze in dem Betrieb in W zum größten Teil mit Personalcomputern ausgestattet. Auch die beiden freigestellten Mitglieder des Betriebsrats verfügen in ihren Büros jeweils über einen Personalcomputer. An mehr als 90 Arbeitsplätzen besteht ein Zugang zum Internet. Angesichts dieser elektronischen Infrastruktur des Betriebs sind für den vom Betriebsrat verlangten Zugang zum Internet keine zusätzlichen Investitionen oder technische Einrichtungen notwendig. Gegenüber anderen Mitteln der Informationsbeschaffung erweist sich das Internet dadurch als überlegen, daß es den Stand der arbeits- und betriebsverfassungsrechtlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung fast tagesaktuell wiedergibt und den Zugriff auf andere Informationsquellen in umfassender Weise ermöglicht. Gegenüber Gesetzeskommentaren, Zeitschriften, Zeitungen oder anderen Erkenntnisquellen bietet das Internet die einzige Möglichkeit, Informationen zeitnah und gebündelt zu gewinnen. Die Nutzung des Internets dient daher nicht ausschließlich der effektiveren Gestaltung der Betriebsratsarbeit, sondern einer sachgerechten, umfassend an den aktuellen Gegebenheiten orientierten Tätigkeit des Betriebsrats. Eine Zeit- oder Arbeitsersparnis ist damit nicht ohne weiteres verbunden. Deshalb kommt es auf die Frage, ob der Betriebsrat ohne den Zugang zum Internet bestimmte Rechte und Pflichten vernachlässigen müßte, nicht an. Dem Interesse des Betriebsrats an der Nutzung des Internets als Informationsquelle stehen berechtigte betriebliche Interessen nicht entgegen. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß durch den Anschluß der beiden vorhandenen Personalcomputer der freigestellten Betriebsratsmitglieder an das Internet keine zusätzlichen Kosten für die Arbeitgeberin entstehen. Andere betriebliche Belange, die der Internetnutzung durch den Betriebsrat entgegenstehen könnten, hat die Arbeitgeberin nicht geltend gemacht.