Bundesgerichtshof
EuGVÜ Art. 17
Zur Begründung der Zuständigkeit aus einer Gerichtsstandsvereinbarung i. S. des Art. 17 des Brüsseler EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) ist die schlüssige Darlegung des Anspruchs, auf welchen sich die Vereinbarung bezieht, erforderlich, aber auch ausreichend (im Anschluß an BGHZ 124, 237, 240 f.; 133, 240, 243).

BGH, Urteil vom 30. 10. 2003 – I ZR 59/00 – Produktvermarktung; OLG Hamm (lexetius.com/2003,3074)

[1] Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und Dr. Schaffert für Recht erkannt:
[2] Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden die Urteile des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. Dezember 1999 und der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen vom 27. November 1998 aufgehoben.
[3] Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht Essen zurückverwiesen.
[4] Tatbestand: Die in Essen ansässige Klägerin und die in Madrid ansässige Beklagte erheben und verarbeiten Daten, insbesondere für die Automobilindustrie. Sie stehen seit rund 15 Jahren in engen Geschäftsbeziehungen zueinander.
[5] Mit schriftlichem Vertrag vom 1. März 1996 räumte die Klägerin der Beklagten das ausschließliche Recht ein, im einzelnen aufgeführte Produkte der Klägerin sowie jedwede von dieser in der Zukunft entwickelten neuen Produkte und Studien in Spanien und Portugal zu vermarkten. Die Verteilung der Einnahmen sollte Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung sein. Die Parteien vereinbarten die Anwendung des deutschen Rechts und bestimmten Essen als Gerichtsstand.
[6] Im weiteren Verlauf des Jahres 1996 akquirierten die Parteien gemeinsam einen Großauftrag der spanischen Ölgesellschaft R. über ein für den Tankstellenbereich neu zu entwickelndes Computerprogramm. Dieses sollte auf dem von der Klägerin für die Automobilindustrie bereits vor dem 1. März 1996 entwickelten, aber nicht in die zu diesem Zeitpunkt abgeschlossene Vereinbarung einbezogenen Programm "A." aufbauen. Das Programm sollte von der Klägerin entwickelt und von der Beklagten bei dem Kunden installiert werden.
[7] Im März 1997 erteilte R. der Beklagten Aufträge über insgesamt 161. 988. 000 Pta. Die Parteien korrespondierten in der Folgezeit darüber, wie diese Vergütung zwischen ihnen aufzuteilen sei. Von den von R. im April und August 1997 geleisteten Abschlagszahlungen leitete die Beklagte insgesamt 44. 392. 024 Pta an die Klägerin weiter. Die abschließende Installation des von der Klägerin entwickelten Programms bei R. ist nicht erfolgt. Statt dessen installierte die Beklagte dort ein anderes Programm.
[8] Mit der Behauptung, die Parteien hätten sich auf eine entsprechende Aufteilung geeinigt, hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von 55 % der von R. zu zahlenden Vergütung abzüglich der erhaltenen Beträge in Anspruch genommen.
[9] Die Klägerin hat daher beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 44. 701. 376 Pta nebst 8, 25 % Zinsen seit dem 1. Dezember 1997 zu zahlen.
[10] Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
[11] Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
[12] Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
[13] Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit verneint. Hierzu hat es ausgeführt:
[14] Die internationale Zuständigkeit könne sich allein aus der in dem Vertrag vom 1. März 1996 getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung ergeben. Diese gelte aber nicht für die Klageforderung. Die Klägerin mache mit der Klage ausdrücklich nur einen vertraglichen Erfüllungsanspruch geltend. Für die Bejahung der internationalen Entscheidungszuständigkeit sei mindestens die schlüssige Behauptung der sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit der Klage erheblichen (doppelrelevanten) Tatsachen erforderlich. Das von der Beklagten bei R. installierte Programm gehöre nicht zu den in dem Vertrag vom 1. März 1996 ausdrücklich genannten Produkten und stelle, wie die Klägerin selbst vorgetragen habe, auch kein von dieser neu entwickeltes System dar. Die nach dem Klagevortrag vorgesehene Lieferung eines entweder von der Klägerin oder von beiden Parteien gemeinsam zu entwickelnden Programms könne einen Erfüllungsanspruch aus der Vereinbarung vom 1. März 1996 nicht tragen. Ein solcher Anspruch könne auch nicht auf die Behauptung gestützt werden, die Beklagte habe bei der Entwicklung des bei R. installierten Programms die gleiche Technologie verwandt wie die Klägerin; denn die solchenfalls möglicherweise gegebenen Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüche ergäben sich nicht aus dem Vertrag vom 1. März 1996. Dasselbe gelte für Ansprüche aus einer zwischen den Parteien etwa getroffenen gesonderten Vereinbarung über eine Vergütung für das bei R. installierte Programm.
[15] II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[16] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Streitfall allein aus Art. 17 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a des gemäß Art. 66 Abs. 1 EuGVVO zeitlich noch anwendbaren Brüsseler EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 II S. 774) in der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29. September 1996 (BGBl. 1998 II S. 1411) ergeben kann.
[17] 2. Das Berufungsgericht ist mit Recht auch davon ausgegangen, daß für die Zulässigkeit der Klage die schlüssige Darlegung des Anspruchs durch die Klägerin ausreicht.
[18] Die Auslegung der nach dem EuGVÜ zu beurteilenden Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der in deren Anwendungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten ist Sache des angerufenen nationalen Gerichts (EuGH, Urt. v. 10. 3. 1992 – Rs. C-214/89, Slg. 1992, I-1745, 1769, 1778 Tz. 37 = NJW 1992, 1671 – Powell Duffryn; Urt. v. 3. 7. 1997 – Rs. C-269/95, Slg. 1997, I-3767, 3788, 3798 Tz. 31 = WM 1997, 1549 – Benincasa; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 7. Aufl. 2002, Art. 23 EuGVVO Rdn. 69). Die sich dabei gegebenenfalls – wie auch im Streitfall – stellende Frage, nach welchen Grundsätzen der Sachvortrag der Klage bei der Prüfung ihrer Zulässigkeit zu beurteilen ist, war bereits Gegenstand mehrerer Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (vgl. die Darstellung bei Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, 2002, S. 170 bis 183). Ihnen ist zu entnehmen, daß sich die gebotene Prüfungsintensität grundsätzlich nicht nach dem EuGVÜ bestimmt, sondern nach dem anwendbaren nationalen Recht (vgl. EuGH, Urt. v. 7. 3. 1995 – Rs. C-68/93, Slg. 1995, I-415, 450, 463 f. Tz. 35 bis 40 = NJW 1995, 1881 – Shevill % Presse Alliance; vgl. auch EuGH, Urt. v. 29. 6. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913, 2949, 2956 f. Tz. 19 f. = NJW 1995, 183 – Custom Made Commercial % Stawa Metallbau). Danach ist für die Zulässigkeit der Klage die schlüssige Darlegung des Anspruchs durch die Klägerin erforderlich, aber auch ausreichend (vgl. BGHZ 124, 237, 240 f.; 133, 240, 243; KG NJW-RR 2001, 1509, 1510; MünchKomm. ZPO/Patzina, 2. Aufl., § 12 Rdn. 56, jeweils m. w. N.).
[19] 3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, die Klägerin habe nicht schlüssig dargetan, daß ihr der mit der Klage geltend gemachte Anspruch aus der Vermarktung einer Produktneuentwicklung im Sinne der am 1. März 1996 geschlossenen Vereinbarung zustehe.
[20] Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung maßgeblich darauf abgestellt, daß das von der Beklagten bei R. installierte Programm nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht von dieser entwickelt worden war. Weiter hat es ausgeführt, die nach dem Vorbringen der Klägerin vorgesehene Lieferung eines entweder von dieser oder von beiden Parteien gemeinsam zu entwickelnden Programms trage den Klageanspruch ebenfalls nicht. Das Berufungsgericht hat dabei jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, den Vortrag der Klägerin unberücksichtigt gelassen, wonach deren Programm auch nach der in der Weiterleitung der 44. 392. 024 Pta sowie in den Schreiben der Beklagten vom 4. Juli und 11. August 1997 zum Ausdruck gebrachten Auffassung der Beklagten bereits vermarktet worden war und es sich damit entsprechend dem Vortrag der Klägerin auch hinsichtlich der geltend gemachten Forderung um einen Anspruch auf Erfüllung der getroffenen vertraglichen Absprache handelt. Die Revisionserwiderung hält dem ohne Erfolg entgegen, auch unter Berücksichtigung dieser Umstände habe seinerzeit noch keine Produktvermarktung vorgelegen, sondern lediglich eine Tätigkeit, die auf die Vermarktung eines von der Klägerin erst noch zu entwickelnden Produkts gerichtet gewesen sei. Soweit sich die Beklagte entsprechend verteidigt hat, läßt dies die nach dem zu vorstehend 2. Ausgeführten für die Zulässigkeit der Klage ausreichende Schlüssigkeit des Klagevortrags hinsichtlich einer bereits erfolgten Produktvermarktung unberührt. Auf die sachliche Richtigkeit des Verteidigungsvorbringens kommt es erst im Rahmen der Prüfung an, ob die Klage begründet ist.
[21] III. Danach konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es war ebenso aufzuheben wie das Urteil des Landgerichts (vgl. § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F.). Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landgericht zurückzuverweisen.
[22] Dieses wird nunmehr im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der Klage die zwischen den Parteien streitige Frage zu prüfen haben, ob die Beklagte das im Hinblick auf den ihr von R. erteilten Auftrag von der Klägerin erstellte Programm "A." im Sinne der Rahmenvereinbarung vom 1. März 1996 bereits vermarktet hat. Sollte dies der Fall sein, wird das Landgericht des weiteren zu untersuchen haben, inwieweit die Klägerin gemäß der von ihr behaupteten, die Rahmenvereinbarung vom 1. März 1996 ausfüllenden Vereinbarung den Klagebetrag von der Beklagten zu beanspruchen vermag.