Neue Maßstäbe für die Ausweisung von türkischen Arbeitnehmern

BVerwG, Mitteilung vom 3. 8. 2004 – 48/04 (lexetius.com/2004,1637)

[1] Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass türkische Arbeitnehmer, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsrecht zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei haben, nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen aus Deutschland ausgewiesen werden dürfen. Das Gericht hat Grundsätze, die nach einer neuen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nunmehr für die Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern gelten, weitgehend auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragen (vgl. die heutige Presseerklärung in der Sache BVerwG 1 C 30.02).
[2] Danach ist eine Ausweisung nur nach einer individuellen Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde zulässig. Zwingende Ausweisungen und Regelausweisungen, wie sie § 47 Ausländergesetz bei schweren Straftaten vorsieht, dürfen auch gegen Türken, die sich auf Assoziationsrecht berufen können, nicht mehr verfügt werden. Außerdem müssen die Ausländerbehörden und die Gerichte künftig neue Tatsachen, die nach der Ausweisungsverfügung entstanden sind, berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidung im Falle eines 45-jährigen Türken getroffen, der wegen Handeltreibens mit 12 Kilogramm Heroin im Jahre 1991 zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt wurde und insgesamt etwa acht Jahre in Haft war.
[3] Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sache zur nochmaligen Überprüfung der 1992 verfügten Ausweisung zurückverwiesen. Das Oberverwaltungsgericht Münster muss klären, ob der Kläger ein Aufenthaltsrecht nach Assoziationsrecht besitzt und ob sich die maßgebliche Sachlage in den letzten Jahren wesentlich verändert hat. Dabei wird das Oberverwaltungsgericht der Ausländerbehörde auch Gelegenheit geben müssen, erstmals Ermessenserwägungen anzustellen. Das gilt entsprechend in allen anderen bei den Verwaltungsgerichten anhängigen Ausweisungsverfahren von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen.
BVerwG, Urteil vom 3. 8. 2004 – 1 C 29.02