Bundesverwaltungsgericht
Verfahrenshindernis; Anhörung; Rechtliches Gehör; Akteneinsicht; Vollmacht; Heilung eines Verfahrensmangels; Nachholung; Beschleunigungsgebot.
WDO §§ 3, 17, 90 Abs. 3, § 93 Abs. 1, § 108 Abs. 3, 4
1. Unter den Begriff eines Verfahrenshindernisses fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen.
2. Wird einem Soldaten oder seinem Verteidiger vor Ergehen der Einleitungsverfügung das Recht auf Akteneinsicht und damit auf rechtliches Gehör durch die Einleitungsbehörde unberechtigterweise vorenthalten, so stellt dies einen schweren Verfahrensmangel dar.
3. Für den Nachweis der Verteidigerbestellung genügt im gerichtlichen Disziplinarverfahren grundsätzlich die entsprechende Anzeige des Beschuldigten oder Verteidigers; bestehen im Einzelfall Zweifel an der Bevollmächtigung, kann die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht verlangt werden.
4. Der Verfahrensmangel einer vor Ergehen der Einleitungsverfügung unterbliebenen Anhörung des Soldaten durch die Einleitungsbehörde kann längstens bis zur Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht geheilt werden (Fortführung der Rechtsprechung des Senats).
5. Ein Verstoß gegen das gesetzliche Beschleunigungsgebot stellt im Regelfall kein einer Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens entgegenste-hendes Verfahrenshindernis dar, kann jedoch bei der Maßnahmebemessung Berücksichtigung finden.

BVerwG, Beschluss vom 22. 7. 2004 – 2 WDB 4.03; Truppendienstgericht Nord (lexetius.com/2004,2478)

[1] Nach Zustellung der Anschuldigungsschrift hat das Truppendienstgericht das gegen den Soldaten, einen Oberstleutnant der Reserve, eingeleitete gerichtliche Disziplinarverfahren mit der Begründung eingestellt, in der vor Ergehen der Einleitungsverfügung unterbliebenen Anhörung durch die Einleitungsbehörde liege ein schwerer Verfahrensmangel, der nicht mehr geheilt werden könne.
[2] Auf die Beschwerde des Wehrdisziplinaranwalts hat das Bundesverwaltungsgericht den Beschluss aufgehoben, soweit darin das gerichtliche Disziplinarverfahren eingestellt worden ist.
[3] Gründe: Die Beschwerde des Wehrdisziplinaranwalts ist begründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die von der Truppendienstkammer vorgenommene Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nach § 108 Abs. 4, Abs. 3 Satz 1 WDO liegen nicht vor, da ein Verfahrenshindernis nicht besteht.
[4] Der Begriff eines Verfahrenshindernisses ist zwar in § 108 Abs. 4, Abs. 3 Satz 1 WDO nicht näher definiert. Aus dem Wortlaut und de Regelungszusammenhang ergibt sich jedoch, dass unter diesen Begriff alle Umstände fallen, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen, also diese verhindern. Dazu zählen fehlende allgemeine Verfahrensvoraussetzungen (z. B. die Verfolgbarkeit von Täter und Tat) sowie schwere Mängel des Verfahrens, die nicht auf andere Weise geheilt werden können (vgl. dazu auch Dau, WDO, 4. Aufl. 2003, § 108 RNr. 11 und § 98 RNr. 4 ff. m. w. N.).
[5] Bei Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens müssen alle Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach dem Gesetz die disziplinare Verfolgung des Soldaten und des Dienstvergehens zulässig ist. Zu den Voraussetzungen eines zulässigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens gehört eine wirksame Einleitungsverfügung, die als Prozesshandlung Bestandteil eines einheitlichen, gesetzlich geregelten Verfahrens ist. Nach der Regelung des § 93 Abs. 1 Satz 3 WDO wird die Einleitung mit der Zustellung an den Soldaten wirksam. Allerdings ist der Soldat "vorher", also vor Ergehen der Einleitungsverfügung, zu hören (§ 93 Abs. 1 Satz 2 WDO). Diese durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung anderer Vorschriften (2. WehrDiszNOG) vom 16. August 2001 (BGBl I S. 2093) in die Wehrdisziplinarordnung – neu – eingefügte Vorschrift stellt die Anhörung des Soldaten vor Ergehen der Einleitungsverfügung nicht in das Ermessen der Einleitungsbehörde, sondern schreibt sie ausdrücklich verbindlich vor. Der Senat hat hierzu in dem Urteil vom 16. März 2004 – BVerwG 2 WD 3.04 – folgendes ausgeführt:
[6] "Die durch § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO vorgeschriebene Anhörung muss dabei gerade durch die Einleitungsbehörde erfolgen, und zwar ungeachtet einer bereits vorher erfolgten Anhörung des Soldaten im Rahmen der Ermittlungen durch den Disziplinarvorgesetzten nach § 32 Abs. 4 und 5 WDO und im Vorermittlungsverfahren (§ 92 Abs. 2 i. V. m. § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO). Dies ergibt sich daraus, dass die Regelung des § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO durch das 2. WehrDiszNOG gerade ungeachtet der für die davor liegenden Verfahrensstadien bereits bestehenden Anhörungspflichten in das Gesetz eingefügt worden ist. Außerdem folgt dies aus dem Regelungszusammenhang, in dem die Vorschrift steht. Als Satz 2 schließt sie im Absatz 1 des § 93 WDO unmittelbar an den vorhergehenden Satz 1 an, der sich allein auf die durch die Verfügung der Einleitungsbehörde erfolgende Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bezieht. Indem Satz 2 des § 93 Abs. 1 WDO regelt, dass die Anhörung des Soldaten 'vorher' zu erfolgen hat, wird klargestellt, dass dies gerade durch die Einleitungsbehörde vor Ergehen der schriftlichen Einleitungsverfügung zu geschehen hat. Denn § 93 Abs. 1 WDO betrifft allein Verfahrenshandlungen der Einleitungsbehörde. Die in § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO normierte Verpflichtung, den Soldaten 'vorher' zu hören, ist darauf gerichtet, ihm Gelegenheit zu geben, gerade zu der von der Einleitungsbehörde beabsichtigten Einleitungsentscheidung Stellung zu nehmen und hierauf einzuwirken. Der normative Zweck der Regelung liegt ersichtlich darin sicherzustellen, dass der Soldat in Kenntnis der drohenden Einleitungsentscheidung alles vortragen kann, was aus seiner Sicht für die Ermessensentscheidung der Einleitungsbehörde von Relevanz sein kann. Gibt der Soldat hierzu eine Stellungnahme ab, ist die Einleitungsbehörde bei ihrer Ermessensentscheidung gehalten, diese zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es reicht nicht aus, wenn die Einleitungsbehörde lediglich diejenigen Stellungnahmen des Soldaten berücksichtigt, die er zuvor im Rahmen der Ermittlungen des Disziplinarvorgesetzten oder im Vorermittlungsverfahren (§ 92 Abs. 2 i. V. m. § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO) abgegeben hat. … Damit ist … zwingend vorgeschrieben, dem Soldaten zur beabsichtigten Ermessensentscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Da nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift die Einleitungsbehörde von einer vorherigen Anhörung des Soldaten vor ihrer Ermessensentscheidung nicht absehen darf, ist eine … unterbliebene Anhörung seit der mit Wirkung vom 1. Januar 2002 erfolgten gesetzlichen Neuregelung durch das 2. WehrDiszNOG ein – schwerer – Verfahrensfehler. …
[7] Dem Gesetzeswortlaut des § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO lässt sich zur Frage der Auswirkungen eines Anhörungsmangels auf die Wirksamkeit der Einleitungsverfügung keine unmittelbare Antwort entnehmen. Allerdings bezeichnet das Gesetz in § 93 Abs. 1 Satz 3 lediglich die Zustellung der Einleitungsverfügung ausdrücklich als Wirksamkeitsvoraussetzung, nicht jedoch die abschließende Anhörung des Soldaten.
[8] Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist insoweit unergiebig. In der Begründung des Regierungsentwurfs ist lediglich davon die Rede, die neue Regelung 'konkretisiert den Anspruch des Soldaten auf rechtliches Gehör für den Fall der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens' (BTDrucks 14/4660, S. 34 zu Nummer 65). Auch der weitere Verlauf der Gesetzesberatungen vermittelt keine näheren Aufschlüsse.
[9] Nach dem Regelungszusammenhang und der erkennbaren normativen Zwecksetzung ist allerdings davon auszugehen, dass dann, wenn einem Soldaten entgegen § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO keine Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Einleitungsverfügung gegeben wird, der Einleitungsbehörde eine vom Gesetz zwingend vorgegebene Entscheidungsgrundlage fehlt, die ihr bei ihrer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung vorliegen muss und die sie zu berücksichtigen hat. Die Ermessensentscheidung der Einleitungsbehörde ist dann notwendigerweise planwidrig unvollständig. Der normative Zweck der Anhörungsvorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO, dass die Behörde ihre Ermessensentscheidung auf der vom Gesetz vorausgesetzten vollständigen Entscheidungsgrundlage trifft, kann dann nicht erreicht werden. Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung der Einleitungsbehörde kann allerdings so lange noch zustande kommen, wie die Einleitungsbehörde befugtermaßen ihr Ermessen hinsichtlich der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens oder dessen Einstellung noch ausüben und dabei das Ergebnis einer nachgeholten Anhörung zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen kann. Wie sich aus § 99 Abs. 1 Satz 1 WDO ergibt, kann die Einleitungsbehörde eine Einstellungsentscheidung noch so lange treffen, bis der Wehrdisziplinaranwalt eine Anschuldigungsschrift dem Truppendienstgericht vorlegt. Mit dem Eingang der Anschuldigungsschrift bei dem Truppendienstgericht werden dagegen die darin erhobenen Vorwürfe rechtshängig. Vom Beginn der Rechtshängigkeit an ist nicht mehr die Einleitungsbehörde, sondern allein das Wehrdienstgericht 'Herr des Verfahrens'. Die Einleitungsbehörde ist dann nicht mehr befugt, das Verfahren durch eine Ermessensentscheidung zu beeinflussen. Eine vor Ergehen der Einleitungsverfügung entgegen § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO unterbliebene Anhörung des Soldaten durch die Einleitungsbehörde kann mithin äußerstenfalls bis zur Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 WDO nachgeholt werden. Geschieht dies nicht, wird also die Anhörung erst später oder gar überhaupt nicht nachgeholt, fehlt es an einer unverzichtbaren Voraussetzung eines zulässigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens, sodass dieses dann gemäß § 123 Satz 3 i. V. m. § 108 Abs. 3 Satz 1 (1. Alternative) WDO wegen eines nicht mehr heilbaren Verfahrenshindernisses einzustellen ist (im Ergebnis ebenso: Dau, a. a. O., § 93 RNr. 3). Die Einleitungsbehörde kann dann nur noch prüfen, ob sie ein neues gerichtliches Disziplinarverfahren einleiten will, soweit nicht die Fristen nach § 17 Abs. 2 bis 5 WDO verstrichen sind."
[10] Hieran hält der Senat nach erneuter Prüfung fest, zumal auch die Verfahrensbeteiligten, nachdem ihnen die vorerwähnte Entscheidung zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt worden war, dagegen keine Einwände vorgebracht haben.
[11] Zu Recht ist die Truppendienstkammer vorliegend davon ausgegangen, dass die Einleitungsbehörde den früheren Soldaten entgegen § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO vor Ergehen der Einleitungsverfügung nicht ordnungsgemäß angehört hat. Denn die Einleitungsbehörde gab ihm keine hinreichende Gelegenheit, auf der Grundlage der – von ihm beantragten – Einsichtnahme in die Verfahrensakte gerade zu der von ihr beabsichtigten Einleitungsentscheidung Stellung zu nehmen und hierauf einzuwirken. Sie versagte ihm die Möglichkeit, in Kenntnis des Inhalts der Verfahrensakten alles vorzutragen, was aus seiner Sicht für die Ermessensentscheidung der Einleitungsbehörde über die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Relevanz sein konnte. Das Schreiben des Wehrdisziplinaranwalt vom 30. April 2002 erfüllte diese Anforderungen nicht. Zwar wurde der frühere Soldat darin von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen im Einzelnen in Kenntnis gesetzt. Ihm wurde auch ausdrücklich Gelegenheit gegeben, sich zu diesen Vorwürfen schriftlich zu äußern und/oder eine mündliche Vernehmung zu beantragen. Vor Ergehen der Einleitungsverfügung vom 29. Mai 2002 haben jedoch weder der Wehrdisziplinaranwalt noch die Einleitungsbehörde dem früheren Soldaten die mit Schreiben vom 20. Mai 2002 beantragte Einsicht in die Verfahrensakten gewährt. Das Recht, Einsicht in die Akten zu nehmen, steht sowohl dem Soldaten (§ 3 WDO) als auch dem Verteidiger (§ 90 Abs. 3 WDO) zu. Es ist ein gesetzlicher Anspruch und Teil der Gewährung rechtlichen Gehörs. Es bedarf keiner besonderen Genehmigung durch die Akteneinsicht gewährende Stelle. Diese bestimmt lediglich Ort, Zeit sowie Art und Weise der Akteneinsicht. Der Anspruch auf Akteneinsicht kann geltend gemacht werden, sobald die Ermittlungen aufgenommen wurden, deren Ergebnis Eingang in Akten oder sonstige Unterlagen gefunden hat. Der Einsicht unterliegen alle anlässlich der Ermittlungen entstandenen und für diese Zwecke beigezogenen Akten (vgl. dazu u. a. Dau, a. a. O., § 3 RNr. 4 m. w. N.). Die Akteneinsicht ist dem Soldaten gemäß § 3 Abs. 1 WDO zu gestatten, soweit dies ohne Gefährdung des Ermittlungszwecks möglich ist (Satz 1); nach Zustellung der Anschuldigungsschrift (sowie – hier nicht einschlägig – bei der Anhörung nach § 14 Abs. 1 Satz 3 und nach § 32 Abs. 5 Satz 1 WDO) ist ihm die Einsicht ohne diese Einschränkung zu gestatten (Satz 2). Vor Ergehen der Einleitungsverfügung vom 29. Mai 2002 ist dem früheren Soldaten und seinem Verteidiger dieses Recht auf Akteneinsicht und damit auf rechtliches Gehör vorenthalten worden, sodass es an einer hinreichenden Anhörung vor Ergehen der Einleitungsver-fügung fehlt. Denn der Wehrdisziplinaranwalt hat erst mit Schreiben vom 25. Oktober 2002 und damit nach Ergehen der Einleitungsverfügung die Verfahrensakte zur Einsichtnahme an den Verteidiger übersandt.
[12] Soweit die Einleitungsbehörde – ungeachtet der vom Verteidiger im Schreiben vom 20. Mai 2002 anwaltlich versicherten Vollmacht – Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung des Verteidigers hatte, wäre sie nach dem rechtsstaatlichen Gebot zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens zumindest gehalten gewesen, den Verteidiger auf die vorhandenen Zweifel hinzuweisen und auf der Vorlage einer schriftlichen Vollmacht innerhalb einer festzusetzenden Frist zu bestehen. Denn auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist – ebenso wie im Strafverfahren (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. 2004, Vor § 137 RNr. 9 m. w. N.) – eine besondere Form für die Beauftragung eines Wahlverteidigers nicht vorgeschrieben. Die Wirksamkeit einer Verteidigerbestellung hängt nicht von der Vorlage einer schriftlichen Vollmachtsurkunde ab. Für den Nachweis des Verteidigerverhältnisses genügt die Anzeige des Beschuldigten oder Verteidigers. Die Vermutung spricht angesichts der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO), seines Rechts zur Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 BRAO) sowie seiner besonderen Pflichtenbindung (§§ 43 ff. BRAO) für eine Bevollmächtigung des Rechtsanwalts, der sich als Verteidiger meldet und eine Prozesshandlung für den Beschuldigten vornimmt. Wenn im Einzelfall Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen, kann die Vorlage einer Vollmachtsurkunde verlangt werden (vgl. dazu die Nachweise bei Meyer-Goßner, a. a. O.). Der Wehrdisziplinaranwalt hat zwar durch sein an den Verteidiger gerichtetes Schreiben vom 11. Juni 2002, zugegangen am 20. Juni 2002, um Vorlage einer Verfahrensvollmacht gebeten. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die Einleitungsverfügung vom 29. Mai 2002 bereits ergangen.
[13] Die Einleitungsbehörde durfte im vorliegenden Falle weder selbst noch durch den Wehrdisziplinaranwalt das Akteneinsichtsbegehren ablehnen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass damals – kurz vor Ergehen der Einleitungsverfügung – durch eine Einsichtnahme in die Akten eine Gefährdung des Ermittlungszwecks drohte. Wäre letzteres der Fall gewesen, wäre die Einleitungsbehörde oder der Wehrdisziplinaranwalt gehalten gewesen, dies dem Verteidiger mitzuteilen, damit dieser und der frühere Soldat sich darauf einstellen konnten. Dies ist jedoch nicht geschehen. …
[14] Nach der dargelegten Rechtsprechung des Senats konnte allerdings die vor Ergehen der Einleitungsverfügung entgegen § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO unterbliebene Anhörung des früheren Soldaten durch die Einleitungsbehörde bis zur Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht, also bis zum 15. September 2003, nachgeholt werden. Dies ist hier geschehen. (wird ausgeführt)
[15] Sonstige schwere Verfahrensmängel, die ein Verfahrenshindernis im Sinne des § 108 Abs. 4, Abs. 3 Satz 1 WDO darstellen könnten, sind nicht ersichtlich. Zwar ist sehr zweifelhaft, ob die bisherige Gestaltung des mit der am 31. Mai 2002 erfolgten Zustellung der Einleitungsverfügung wirksam eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahrens dem Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO genügt. Eine nähere Prüfung kann insoweit jedoch dahingestellt bleiben. Denn auch ein (mehrmonatiger) Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot stellt jedenfalls kein Verfahrenshindernis im Sinne des § 108 Abs. 4, Abs. 3 Satz 1 WDO dar. Wird eine disziplinare Maßregelung verzögert, kann diese allenfalls dann unzulässig werden, wenn aus den Umständen des Einzelfalles auf eine Entscheidung der Einleitungsbehörde geschlossen werden kann, dass sie von einer disziplinaren Ahndung gänzlich habe absehen wollen (vgl. dazu Beschluss vom 2. März 1977 – BVerwG 2 WDB 24.76; Dau, a. a. O., § 17 RNr. 13). Daran fehlt es hier schon deshalb, weil der Wehrdisziplinaranwalt nach Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens unter anderem durch seine Schreiben vom August, Oktober und November 2002 sowie durch das Telefonat im Juni 2003 und durch das weitere Schreiben vom Juli 2003 klar zum Ausdruck gebracht hat, dass das gerichtliche Disziplinarverfahren nach seiner Auffassung fortgesetzt werden soll. Diese Handlungen und Erklärungen des Wehrdisziplinaranwalts hat sich die Einleitungsbehörde ausweislich des vorerwähnten Vermerks vom Juni 2004 zu Eigen gemacht. Angesichts dessen kann ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO nach der Rechtsprechung des Senats allenfalls Auswirkungen auf die Maßnahmebemessung haben (vgl. dazu u. a. Urteil vom 19. Juni 1996 – BVerwG 2 WD 3.96 –; Dau, a. a. O., § 17 RNr. 13 m. w. N.).
[16] Der Beschluss des Kammervorsitzenden vom 19. November 2003 kann daher keinen Bestand haben und ist aufzuheben.