Bundesverwaltungsgericht
Kriegsdienstverweigerung; deutsche Staatsangehörigkeit; isoliertes Verfahren auf Anerkennung.
GG Art. 4 Abs. 3; KDVG §§ 1, 2 Abs. 2
Ein Ausländer, der sich gegenüber der Heranziehung zum Militärdienst im Heimatland auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG beruft, hat keinen Anspruch auf Durchführung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens.

BVerwG, Beschluss vom 27. 10. 2004 – 6 B 54.04; VG Köln (lexetius.com/2004,3114)

[1] In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 27. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bardenhewer – und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und – Dr. Graulich beschlossen:
[2] Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Köln vom 04. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
[3] Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
[4] Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
[5] Gründe: Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
[6] 1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Gerichtsbescheid ist gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 4 VwGO in Verbindung mit der unmittelbar oder entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 10 Abs. 2 KDVG zulässig.
[7] 2. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) bleibt ohne Erfolg. Die für Kriegsdienstverweigerungsverfahren zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts Köln hat zu Recht über den Rechtsstreit entschieden. Diese Zuständigkeit umfasst bei sachgerechter Auslegung alle Verfahren, in denen – wie hier – um die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestritten wird, ohne dass es auf die geltend gemachte Rechtsgrundlage ankäme. Auch für das unmittelbar auf Art. 4 Abs. 3 GG gestützte Anerkennungsbegehren des Klägers war daher die nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kriegsdienstverweigerungssachen zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts zur Entscheidung berufen.
[8] 3. Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Dem Beschwerdevorbringen ist keine Frage des revisiblen Rechts zu entnehmen, die mit Tragweite über den vorliegenden Fall hinaus in einem Revisionsverfahren zu klären wäre. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Klage im Ergebnis offensichtlich zu Recht abgewiesen.
[9] a) Der türkische Kläger besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und unterliegt somit nach § 1 Abs. 1 WPflG nicht der Wehrpflicht in Deutschland. Die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 WPflG liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger kann auch nicht nach den Regelungen des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes den Kriegsdienst verweigern und eine darauf beruhende Anerkennung seines Rechtes aus Art. 4 Abs. 3 GG erlangen, weil diese sich nur auf Personen beziehen, die nach dem Wehrpflichtgesetz wehrpflichtig sind. Dies ergibt sich aus der Verknüpfung zwischen der Wehrpflicht und der für anerkannte Kriegsdienstverweigerer vorgesehenen Ersatzdienstpflicht in § 1 Abs. 2 KDVG sowie daraus, dass der Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach § 2 Abs. 2 KDVG beim Kreiswehrersatzamt zu stellen und bei ungedienten Wehrpflichtigen von dort dem Bundesamt für den Zivildienst zuzuleiten ist, sobald der Musterungsbescheid unanfechtbar geworden ist (§ 2 Abs. 6 Satz 2 KDVG). Auch die Regelungen in § 2 Abs. 4 und 5 KDVG gehen ausdrücklich davon aus, dass das förmliche Anerkennungsverfahren nur auf Personen anzuwenden ist, die nach deutschem Recht wehrpflichtig sind. Darin stimmen im Ergebnis, der Kläger, die Beklagte und das Verwaltungsgericht überein.
[10] b) Der Kläger kann aber auch nicht unmittelbar aus dem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG einen Anspruch auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer durch die Beklagte ableiten.
[11] Im Zeitpunkt der Antragstellung befand sich der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland in Abschiebegewahrsam. Er mag nicht gehindert gewesen sein, sich in diesem Zusammenhang auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG zu berufen, um eine drohende Beeinträchtigung durch die Maßnahme einer deutschen Verwaltungsbehörde abzuwehren. Der Bundesgerichtshof hat in der vom Kläger angeführten Entscheidung vom 24. Mai 1977 – 4 ARs 6/77 (BGHSt 27, 191) ausgeführt, dass das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG nicht nur für Personen gelte, die in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Wehrpflichtgesetz wehrpflichtig sind, und nicht nur die Verweigerung des Dienstes mit der Waffe in den deutschen Streitkräften betreffe. Es sei vielmehr ein in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verankertes, auf dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit beruhendes allgemeines Grundrecht, das ohne Einschränkung für jeden gelte, der zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden könne, gleichviel in welchem Land er abzuleisten sei. In dem zu entscheidenden Fall hat der Bundesgerichtshof daher eine Auslieferung für unzulässig gehalten, soweit diese dazu führt, dass der Verfolgte unmittelbar nach der Verbüßung einer Strafe, noch ehe er das Land, an das er ausgeliefert wird, wieder verlassen kann, zum Wehrdienst mit der Waffe herangezogen wird und – falls er aus Gewissensgründen diesen Dienst verweigert – Bestrafung zu gewärtigen hat.
[12] Daraus könnte über den entschiedenen Fall der Auslieferung hinaus ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts hergeleitet werden, dass deutsche Stellen nicht durch Überstellung eines Ausländers an sein Heimatland daran mitwirken dürfen, das dieser gegen sein Gewissen zur Ableistung des Militärdienstes gezwungen wird. Ob der Schutz des Art. 4 Abs. 3 GG so weit reicht oder ob sich Ausländer auf dieses Grundrecht nur gegenüber der Heranziehung zum Wehrdienst in den deutschen Streitkräften berufen können (vgl. dazu Starck, in: v. Mangoldt/Klein, GG, Band 1, 4. Aufl. 1999, Art. 4 Abs. 3, Rn. 154 Morlok, in: Dreier, GG, 21. Aufl. 2004, Art. 4 Rn. 171 f.; Zippelius, in: Bonner-Kommentar, Art. 4, Rn. 122; Kempen, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 3, Rn. 12: Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4, Rn. 178), kann auf sich beruhen. Jedenfalls wäre den Belangen des ausländischen Kriegsdienstverweigerers in Fällen der vorliegenden Art ausreichend Rechnung getragen, wenn man ihm gestattete, sein Anliegen einredeweise gegenüber aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geltend zu machen. Keinesfalls gebietet es Art. 4 Abs. 3 GG, dem betroffenen Ausländer in solchen Fällen ein förmliches Anerkennungsverfahren nach Art des im Kriegsdienstverweigerungsrecht geregelten Verfahrens zur Verfügung zu stellen.
[13] 4. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Der Streitwert bestimmt sich nach § 72 Nr. 1 GKG n. F. i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a. F.