Bundesgerichtshof
ZPO § 485
Die einseitige Erklärung des Antragstellers, ein selbständiges Beweisverfahren sei in der Hauptsache erledigt, ermöglicht keine Kostenentscheidung gegen den Antragsgegner.

BGH, Beschluss vom 12. 2. 2004 – V ZB 57/03; LG Traunstein (lexetius.com/2004,413)

[1] Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 12. Februar 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin Dr. Stresemann beschlossen:
[2] Auf die Rechtsmittel des Antragsgegners wird der Beschluß der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein vom 23. September 2003 aufgehoben und der Beschluß des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 14. August 2003 abgeändert.
[3] Der Antrag, dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.
[4] Die Antragstellerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
[5] Der Gegenstandswert der Rechtsmittelverfahren beträgt 2.116,51 €.
[6] Gründe: I. Die Beteiligten sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Beide Grundstücke waren bebaut, das Grundstück der Antragstellerin mit einem Wohnhaus, das Grundstück des Antragsgegners mit einem ehemals betrieblichen Zwecken dienenden Gebäude. Die Antragstellerin hat behauptet, von dem Gebäude auf dem Grundstück des Antragsgegners dringe Feuchtigkeit in ihr Haus ein. Sie hat zur Feststellung dieser Tatsache und deren Ursache im Wege eines selbständigen Beweisverfahrens die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Das Amtsgericht hat die Einholung des beantragten Gutachtens angeordnet. Das Gutachten wurde den Beteiligten im Januar 2003 zugeleitet. Der Sachverständige hat festgestellt, daß die zur Grenzwand gelegenen Räume im Haus der Antragsstellerin teilweise Feuchtigkeitsbeeinträchtigungen aufweisen, die insbesondere auf den mangelhaften Anschluß der Giebelwand des Betriebsgebäudes an die Giebelwand des Hauses der Antragstellerin zurückzuführen seien. Im Juli 2003 ließ der Antragsgegner das Betriebsgebäude abreißen. Die Antragsstellerin hat daraufhin das Verfahren für in der Hauptsache erledigt erklärt und beantragt, dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Der Antragsgegner hat der Erledigungserklärung nicht zugestimmt.
[7] Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Die Beschwerde des Antragsgegners ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt er die Zurückweisung des Kostenantrags.
[8] II. Das Landgericht hält den Antragsgegner für verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Es meint, der Abriß des Betriebsgebäudes habe das Interesse der Antragstellerin an dem Verfahren entfallen lassen und seine Fortsetzung unmöglich gemacht. In entsprechender Anwendung von §§ 91 ff. ZPO habe der Antragsgegner daher die Kosten des Verfahrens zu tragen.
[9] III. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
[10] Ein prozeßrechtlicher Kostenerstattungsanspruch der Antragstellerin besteht nicht.
[11] 1. Die einseitige Erklärung der Antragstellerin, das Verfahren sei in der Hauptsache erledigt, ermöglicht keine Kostengrundentscheidung gegen den Antragsgegner (OLG Hamburg MDR 1998, 242; OLG Dresden JurBüro 1999, 594; KG MDR 2002, 422; Lindacher JR 1999, 278, 279; aM OLG Koblenz, BauR 1998, 1045 ff; OLG München NJW-RR 2001, 1580, 1582).
[12] Die Entscheidung über die Kosten eines Rechtsstreits beruht auf dem Grundsatz, daß die Partei die Kosten zu tragen hat, zu deren Nachteil die Entscheidung des Gerichts ergeht (§ 91 Abs. 1 ZPO). Die Belastung des Beklagten mit den Kosten eines Rechtsstreits setzt damit voraus, daß er unterlegen ist. Kommt es zu keiner Entscheidung in der Hauptsache, weil die Parteien übereinstimmend den Rechtsstreit für erledigt erklärt haben, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen über die Kostentragungspflicht (§ 91a Abs. 1 ZPO). Stimmt der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht zu, scheidet eine Ermessensentscheidung über die Kosten aus. Die Erledigungserklärung des Klägers bedeutet vielmehr eine Änderung der Klage, aufgrund deren das Gericht durch Urteil darüber zu entscheiden hat, ob der klageweise geltend gemachte Anspruch bestanden hat und wegen des als Erledigung bezeichneten Ereignisses nicht mehr durchgesetzt werden kann (BGH, Beschl. v. 26. Juni 1994, I ZB 4/94, NJW 1994, 2364, 2365; Urt. v. 7. Juni 2001, I ZR 157/98, NJW 2002, 442; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 91a Rdn. 170; Musielak/Wolst, ZPO, 3. Aufl., § 91a Rdn. 29; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 91a Rdn. 36 f., Zöller/Vollkommer, ZPO. 24. Aufl., § 91a Rdn. 34). Nur wenn es sich so verhält, erreicht der Kläger die Belastung des Beklagten mit den Kosten des Rechtsstreits.
[13] Diese Grundsätze sind auf das selbständige Beweisverfahren nicht anwendbar. In diesem Verfahren ergeht grundsätzlich keine Kostenentscheidung (Musielak/Huber, aaO, § 490 Rdn. 7; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., vor § 485 Rdn. 8; Zöller/Herget, aaO, § 490 Rdn. 5). Die Anordnung der Beweiserhebung bedeutet weder eine Entscheidung über ein Recht oder einen Anspruch, noch ergeht die Anordnung zum Nachteil des Antragsgegners. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens bilden einen Teil der Kosten eines anhängigen oder künftigen Erkenntnisverfahrens zwischen den Parteien, neben dem oder zu dessen Vorbereitung das selbständige Beweisverfahren stattgefunden hat (MünchKomm-ZPO/Schreiber, aaO, § 485 Rdn. 20; Musielak/Huber, aaO, § 490 Rdn. 5; Stein/Jonas/Leipold, aaO, vor § 485 Rdn. 10; Zöller/Herget, aaO, § 490 Rdn. 7). Soweit eine Kostenentscheidung in einem selbständigen Beweisverfahren von der Prozeßordnung überhaupt vorgesehen ist, erfolgt sie gegen den Antragsteller (§ 494a Abs. 2 ZPO). Um so weniger geht es an, über die Regelung des § 91a Abs. 1 ZPO hinaus (vgl. zur Kostenentscheidung bei übereinstimmender Erklärung der Erledigung eines selbständigen Beweisverfahrens einerseits OLG Hamm OLGR 1999, 220; OLG München BauR 2000, 139; MünchKomm-ZPO/Lindacher, 2. Aufl., § 91a Rdn. 146; Musielak/Wolst, ZPO, 3. Aufl., § 91 Rdn. 65, § 91a Rdn. 3; Stein/Jonas/Leipold, aaO, vor § 485 Rdn. 8; Thomas/Putzo, aaO, § 494a Rdn. 6; Zöller/Herget, aaO, § 494a Rdn. 5; Notthoff, JurBüro 1998, 61; Lindacher, JR 1999, 278 f; anderereseits OLG Hamburg MDR 1998, 242; OLG Dresden JurBüro 1999, 594; OLG Stuttgart BauR 2000, 445; KG MDR 2002, 422; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, aaO, § 91 Rdn. 193) dem Antragsgegner ohne ein Verfahren in der Hauptsache und ohne Zustimmung zur Erledigungserklärung die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen.
[14] 2. Dies kann auch nicht in entsprechender Anwendung von § 494a Abs. 2 ZPO geschehen. Zweck von § 494a ZPO ist es, die Lücke zu schließen, die verbleibt, wenn der Antragsteller aufgrund eines für ihn ungünstigen Ergebnisses der Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren auf die Erhebung der Klage in der Hauptsache verzichtet. Das soll nicht dazu führen, daß der Antragsteller der Kostenpflicht entgeht, die sich aus der Abweisung der Klage in der Hauptsache ergäbe (BGH, Beschl. v. 22. Mai 2003, VII ZB 30/02, BRAGOreport 2003, 144). Durch die Fristsetzung gemäß § 494 Abs. 1 ZPO und die Versäumung der Frist durch den Antragssteller wird der Antragsgegner so gestellt, als habe er im Hauptsacheprozeß obsiegt (Bericht des Rechtssausschusses, BT-Drucks. 11/8283, S. 48). Ohne eine einfach herbeizuführende prozessuale Kostengrundentscheidung wäre der Antragsgegner darauf angewiesen, einen materiell rechtlichen Kostenerstattungsanspruch in einem gesonderten Erkenntnisverfahren gegen den Antragsteller geltend zu machen. Das erscheint vermeidbar und zudem häufig unbillig, weil das materielle Recht keinen Anspruch auf Ersatz von Kosten für die Abwehr eines Anspruchs gewährt, wenn weder vertragliche, noch vorvertragliche Beziehungen zwischen den Beteiligten vorliegen und – wie regelmäßig – auch ein deliktischer Kostenersatzanspruch ausscheidet (BGH, Urt. v. 4. November 1987, IVb ZB 83/86, NJW 1986, 2032, 2034). Dem soll § 494a ZPO entgegenwirken.
[15] Nimmt der Antragsgegner nach der Erhebung des beantragten Beweises eine Handlung vor, die das Interesse des Antragstellers entfallen läßt, den Antragsgegner hierauf klageweise in Anspruch zu nehmen, liegt der Fall schon insofern anders, als § 494a ZPO allein die Belastung des Antragstellers und nicht die Belastung des Antragsgegners mit den Kosten des Verfahrens vorsieht. Das Verhalten des Antragsgegners erlaubt grundsätzlich auch weder einen Schluß auf eine ihn treffende materielle Kostentragungspflicht, noch ist es mit seinem Willen zu dem selbständigen Beweisverfahren gekommen. Dem Antragsteller steht vielmehr die Klage auf Feststellung offen, daß der Antragsgegner zu der vorgenommenen Handlung verpflichtet war. Obsiegt er in diesem Verfahren, erreicht er eine Kostengrundentscheidung, die die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens umfaßt. Für eine entsprechende Anwendung von § 494a Abs. 2 ZPO gegen den Antragsgegner besteht daher weder eine Lücke, noch ist die rechtliche Situation mit der von § 494a ZPO geregelten Situation vergleichbar.
[16] IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.