Bundesfinanzhof
GG Art. 13 Abs. 1; AO 1977 § 210 Abs. 2
Die richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung im Rahmen einer verbrauchsteuerrechtlichen Verdachtsnachschau setzt voraus, dass konkrete, auf die zu durchsuchenden Räumlichkeiten bezogene Anhaltspunkte vorliegen, die auf einen Verstoß gegen Vorschriften oder Anordnungen hindeuten, deren Einhaltung durch die Steueraufsicht gesichert werden soll. Ein bloßer auf allgemeinen Erfahrungen der Behörde beruhender Verdacht reicht nicht aus.

BFH, Beschluss vom 8. 11. 2005 – VII B 249/05 (lexetius.com/2005,2787)

[1] Gründe: Auf Grund eines fernmündlich eingegangenen anonymen Hinweises beim Zollfahndungsamt und der daraufhin von dort veranlassten Ermittlungen hat der Antragsteller und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt – HZA -) beim Finanzgericht (FG) im Rahmen der Nachschaurechte des § 210 der Abgabenordnung (AO 1977) die finanzgerichtliche Anordnung für die Durchsuchung der Wohnung des X (Betroffener), einschließlich Kellerräumen, Dachboden und Garage, sowie von einem auf den Vater des Betroffenen zugelassenen PKW beantragt.
[2] Das FG hat den Antrag abgelehnt, weil es die Voraussetzungen für eine Durchsuchung nach § 210 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 nicht für gegeben erachtete. Es führte im Wesentlichen aus, der PKW sei kein taugliches Objekt einer finanzbehördlichen Nachschau, da von § 210 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 nur Grundstücke sowie Wohn- und Geschäftsräume erfasst seien und zudem der Betroffene nicht als Halter oder Eigentümer des PKW habe festgestellt werden können. Hingegen sei die Wohnung des Betroffenen einschließlich der angeführten Nebenräume einer Durchsuchung nach § 210 Abs. 2 AO 1977 zugänglich, es fehle aber an einem auf Tatsachen beruhenden, auf die betreffenden Räumlichkeiten bezogenen konkreten Verdacht dahin gehend, dass sich in diesen Räumlichkeiten Schmuggelwaren oder nicht ordnungsgemäß versteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren befänden.
[3] Hiergegen wendet sich das HZA mit seiner Beschwerde. Es ist der Auffassung, das FG stelle zu hohe Hürden für die beabsichtigte Maßnahme der Durchsuchung der Räume des Betroffenen auf und habe auch den Umfang des Antrags in Bezug auf die Durchsuchungsmaßnahme verkannt. Es reiche aus, dass die anonyme Anzeige durch Vorfeldermittlungen der Zollbeamten verifiziert worden sei (Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnanschrift des Betroffenen, Name und Anschrift seines Arbeitgebers, vom Betroffenen benutzte Kfz). Bereits diese ermittelten Tatsachen seien ausreichend für eine Durchsuchung im Rahmen des § 210 Abs. 2 AO 1977. Hinzu komme, dass der Betroffene, dem der Verkauf "polnischer" oder "russischer" Zigaretten in der Anzeige zur Last gelegt werde, in einem Staat der ehemaligen Sowjetunion geboren sei und somit eine Verbindung mit Lieferanten/Verteilern aus der ehemaligen Sowjetunion als möglich erscheinen lasse.
[4] Die gemäß § 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige, weil nicht ausgeschlossene, Beschwerde des HZA hat keinen Erfolg.
[5] 1. Der Senat entnimmt der Beschwerdebegründung des HZA, dass dieses den erstinstanzlich gestellten Antrag auf Durchsuchung des auf den Vater des Betroffenen zugelassenen PKW in der Beschwerdeinstanz nicht weiter verfolgt, da ein PKW, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, nicht tauglicher Gegenstand einer im Rahmen der Steueraufsicht durchgeführten Nachschau gemäß § 210 Abs. 2 AO 1977 sein kann.
[6] 2. Hinsichtlich der beabsichtigten Wohnungsdurchsuchung, für die mangels Gefahr im Verzug (vgl. § 210 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) eine richterliche Anordnung erforderlich ist (Art. 13 Abs. 2 des Grundgesetzes – GG -) – der Senat teilt die vom FG zugrunde gelegte Auffassung, dass im Rahmen des § 210 Abs. 2 AO 1977 hierfür die Finanzgerichte zuständig sind (§ 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO), weil es an einer besonderen Zuständigkeitsregelung, wie etwa für die Wohnungsdurchsuchung durch den Vollziehungsbeamten im Rahmen der Vollstreckung in Sachen nach § 287 Abs. 4 AO 1977, fehlt –, liegen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 210 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 nicht vor. Das HZA hat auch in seiner Beschwerdebegründung nicht deutlich machen können, dass "Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich dort" (nämlich in den zu durchsuchenden Räumen) Schmuggelwaren oder nicht ordnungsgemäß versteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren befinden. Aus dieser Formulierung des Gesetzes ist abzuleiten, dass konkrete, auf die betroffenen Räumlichkeiten bezogene Anhaltspunkte vorliegen müssen, die auf einen Verstoß gegen Vorschriften oder Anordnungen hindeuten, deren Einhaltung durch die Steueraufsicht gesichert werden soll. Ein bloßer auf allgemeinen Erfahrungen der Behörde beruhender Verdacht oder die bloße Vermutung, dass es so sei, reicht nicht aus (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 210 AO 1977 Rz. 7).
[7] a) Die anonyme Anzeige, deren Inhalt von einem Beamten in einem Aktenvermerk dokumentiert worden ist, weist keinen Bezug zu der Wohnung des Betroffenen auf. Dieser soll an seiner Arbeitsstätte russische oder polnische Marlboro, die er aus dem Kofferraum seines PKW geholt habe, an seine Arbeitskollegen verkauft haben. Woher die Zigaretten stammten und wo der Betroffene sie aufbewahrte oder lagerte, konnte der Anzeigenerstatter nicht sagen bzw. geht aus der Anzeige nicht hervor.
[8] b) Auch die daraufhin angestellten Ermittlungen der Zollfahndung haben keine Verbindung der Zigaretten mit der Wohnung des Betroffenen ergeben. Die bloße Ermittlung der Personalien des Betroffenen, seines Arbeitgebers und des vom Betroffenen benutzten Kraftfahrzeugs sind keine ausreichenden Tatsachen dafür, dass in der Wohnung des Betroffenen nicht verzollte und nicht versteuerte Zigaretten lagern.
[9] c) Bei diesen Gegebenheiten kommt dem Umstand, dass es sich bei den Zigaretten um polnische oder russische gehandelt haben soll und dass der Betroffene aus der ehemaligen Sowjetunion stammt, keine eigenständige Bedeutung zu. Selbst wenn aus der Herkunft des Betroffenen aus der früheren Sowjetunion trotz des Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 GG in rechtlich zulässiger Weise ein Verdachtsmoment gegen den Betroffenen hergeleitet werden könnte, änderte dies nichts daran, dass es immer noch an einem Bezug zu den zu durchsuchenden Räumlichkeiten fehlte. Zwar mag dem HZA in der Tat ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Frage, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, zustehen, so dass ggf. auch entferntere Indizien in die Erwägungen eingebracht werden können (vgl. König in Pahlke/König, Abgabenordnung, § 210 Rz. 8); die Indizien müssen sich jedoch in dem Fall, dass sich aus den sonstigen "Tatsachen" noch kein Bezug auf das Objekt der Durchsuchung ergibt, dann darauf beziehen, dass nicht versteuerte Ware in den zu durchsuchenden Räumlichkeiten aufbewahrt oder gelagert wird.
[10] d) Nach der allgemeinen Erfahrung im Bereich der Bekämpfung des Zigarettenschmuggels mag es nahe liegend sein, dass solche Waren häufig in der Wohnung oder in sonstigen Räumlichkeiten der betreffenden Person aufbewahrt werden. Wie bereits ausgeführt, reicht aber diese allgemeine Erfahrung bzw. der darauf gestützte allgemeine Verdacht nicht aus, den für eine Durchsuchung nach § 210 Abs. 2 AO 1977 zu fordernden Verdacht zu begründen. Nach der Vorgabe des Gesetzes müssen Tatsachen, d. h. konkrete und nachprüfbare Anhaltspunkte, vorliegen, die auf die zu durchsuchenden Räumlichkeiten als Aufbewahrungsort der Schmuggelware hinweisen. Die Durchsuchung von Wohnräumen darf nämlich nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus (Bundesverfassungsgericht – BVerfG –, Beschluss vom 9. Februar 2005 2 BvR 1108/03, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 900). Nur diese Anforderung wird auch der überragenden Bedeutung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) gerecht. Wie das BVerfG in ständiger Rechtsprechung hervorhebt, erlaubt das Gebot unbedingter Achtung der Privatsphäre des Bürgers, also dessen Recht, in seinen Wohnräumen "in Ruhe gelassen zu werden", den in einer Durchsuchung von Wohnräumen liegenden Eingriff nur, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für einen solchen Eingriff zuvor durch ein unabhängiges Gericht überprüft und für gegeben erachtet worden sind (vgl. grundlegend BVerfG-Entscheidung vom 3. April 1979 1 BvR 994/76, BVerfGE 51, 97, BStBl II 1979, 601). Ein wenn auch auf polizeiliche oder zöllnerische Erfahrungen gestützter allgemeiner Verdacht reicht zur Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Durchsuchung im Rahmen einer sog. Verdachtsnachschau nach § 210 Abs. 2 AO 1977 nicht aus.
[11] e) Das Vorbringen des HZA, weitere Ermittlungen im konkreten Fall (etwa durch Observation) seien sächlich oder personell zu aufwändig und stünden in keinem vertretbaren Verhältnis zum angestrebten Ziel, nämlich festzustellen, ob der Betroffene mit unversteuerten Zigaretten handele, verkennt die Bedeutung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung und bedarf daher keiner weiteren Erörterung.