Bundesverwaltungsgericht
Recht der Vertriebenen
A: Aufnahmebescheid, Einbeziehung in – nach § 27 BVFG; B: Bescheinigung als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers; E: Eingliederung, Ausschluss des Personenkreises von – nach § 7 BVFG; N: Nachweisfunktion einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG; S: Spätaussiedler, Bescheinigung als Ehegatte oder Abkömmling eines –; Staatsangehörigkeit, Bescheinigung nach § 15 BVFG als Grundlage für Erwerb der deutschen –.
BVFG §§ 5, 7 Abs. 2, § 15 Abs. 2, § 27 StAG § 7 GG Art. 116 Abs. 1
Wer die Voraussetzungen des § 5 BVFG erfüllt, kann keine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers erhalten.

BVerwG, Urteil vom 11. 8. 2005 – 5 C 19.04; VG Würzburg (lexetius.com/2005,2982)

[1] In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. August 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit für Recht erkannt:
[2] Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 19. Juli 2004 wird aufgehoben.
[3] Die Klagen werden abgewiesen.
[4] Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
[5] Gründe: I. Die 1951 geborene Klägerin zu 1, ihr 1976 geborener Sohn, der Kläger zu 2, und ihre 1981 geborene Tochter, die Klägerin zu 3, sowie der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu 2 und 3 hatten unter dem 9. Februar 1991 ihre Aufnahme ins Bundesgebiet als Aussiedler beantragt, waren damit nach § 5 BVFG aber erfolglos geblieben, weil der Ehemann der Klägerin zu 1 als Sekretär der Sowchos-Parteiorganisation in der ehemaligen Sowjetunion eine Funktion ausgeübt hatte, die für die Erhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt (rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 28. Juni 2001 – 13 K 9566/96 -). Im August 2002 ist die Familie sodann aufgrund Einbeziehung der Kläger in einen den Eltern der Klägerin zu 1 erteilten Aufnahmebescheid (unter Aufnahme des Ehemannes der Klägerin zu 1 und Vaters der Kläger zu 2 und 3 in diesen Bescheid gemäß § 8 Abs. 2 BVFG) in das Bundesgebiet eingereist.
[6] Durch Bescheide vom 17. November 2003 lehnte die dafür seinerzeit zuständige Behörde des Beklagten die Anträge der Kläger auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG ab, weil § 5 Nr. 2 Buchst. b und c BVFG n. F. dem Begehren entgegenstehe; die Kläger könnten auch keine Bescheinigung als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG erhalten, da auch sie den Tatbestand des § 5 BVFG erfüllten und deshalb nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BVFG von jeder Eingliederungsberechtigung ausgeschlossen seien. Mit ihren hiergegen erhobenen Klagen haben die Kläger Ansprüche (lediglich) auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG weiterverfolgt und geltend gemacht, zwar seien sie infolge des bei ihrem Ehemann und Vater bestandskräftig festgestellten Ausschlusstatbestandes des § 5 Nr. 2 Buchst. b BVFG n. F. von den in § 7 Abs. 2 Satz 1 BVFG vorgesehenen Rechten und Vergünstigungen ausgeschlossen; das bedeute jedoch nicht, dass ihnen die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG nicht zustehe, die keine konstitutive Wirkung habe, aber dem Nachweis der Rechtsstellung nach Art. 116 Abs. 1 GG diene.
[7] Das Verwaltungsgericht hat den Klagebegehren stattgegeben, indem es den Beklagten unter Zulassung der Sprungrevision verurteilt hat, den Klägern je eine Bescheinigung als Abkömmling eines Spätaussiedlers mit dem Zusatz auszustellen: "Berechtigt nicht zur Inanspruchnahme von Leistungen nach § 7 Abs. 2 Satz 1 BVFG". Das Urteil ist im Wesentlichen wie folgt begründet:
[8] Für die Klagen bestehe ungeachtet des Ausschlusses von einem Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 2 Satz 1 BVFG ein Rechtsschutzbedürfnis; denn die Kläger machten geltend, dass die von ihnen beanspruchten Bescheinigungen für den gesetzlichen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 7 StAG F. 1999 erforderlich seien. Die Klagen seien auch begründet. § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG sei dahin auszulegen, dass es (nur) um den Nachweis der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 1 BVFG gehe; die Kläger erfüllten unzweifelhaft und unstreitig diese Voraussetzungen (Ehegatten- und Abkömmlingseigenschaft nach einem Spätaussiedler, Verlassen des Aussiedlungsgebietes "im Wege des Aufnahmeverfahrens", keine eigene Spätaussiedlereigenschaft). § 7 Abs. 2 Satz 2 BVFG normiere keine weitere – negative – Voraussetzung; nach dieser Vorschrift gelte § 5 BVFG nur "sinngemäß". Bei Ehegatten und Abkömmlingen entfalle, falls die Voraussetzungen des § 5 BVFG bei ihnen vorlägen, damit nur die in § 7 Abs. 2 Satz 1 BVFG angeordnete Anwendung der §§ 8, 10 und 11 BVFG, also der Anspruch auf (eingeschränkte) Eingliederung. Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG sei aber nicht auf eine "Leistungsbescheinigung" reduziert, da von ihr auch der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 7 StAG abhänge.
[9] Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Beklagten mit Einverständnis der Kläger eingelegte Sprungrevision. Er rügt die Verletzung von § 15 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 2 Satz 2 und § 5 BVFG.
[10] Die Kläger und der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen das angegriffene Urteil.
[11] II. Die nach § 134 Abs. 1 VwGO zulässige Revision des Beklagten ist auch begründet.
[12] Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), indem der Beklagte verpflichtet worden ist, den Klägern eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ungeachtet dessen auszustellen, dass sie infolge ihrer Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 5 BVFG von Leistungen nach § 7 Abs. 2 BVFG ausgeschlossen sind.
[13] Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG erhalten der Ehegatte und die Abkömmlinge eines Spätaussiedlers zum Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BVFG auf Antrag eine Bescheinigung. Als Bezugsperson (en) kommen bei den Klägern nur die Eltern der Klägerin zu 1 und Großeltern der Kläger zu 2 und 3 in Betracht; denn der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu 2 und 3 ist, was rechtskräftig feststeht, nach § 5 BVFG vom Erwerb des Spätaussiedlerstatus ausgeschlossen. Auch die Kläger fallen unter diese Vorschrift; dies ist ebenfalls rechtskräftig festgestellt und unter den Beteiligten auch nicht streitig.
[14] Für Personen, die unter § 5 BVFG fallen, gilt diese Vorschrift nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BVFG "sinngemäß". Dies bedeutet, dass der von § 5 BVFG erfasste Personenkreis von den in § 7 Abs. 2 Satz 1 BVFG angeordneten Rechtsfolgen ausgenommen ist.
[15] Diese Rechtsfolgen bestehen in einer entsprechenden Anwendung der §§ 8, 10 und 11 BVFG auf den Ehegatten und die Abkömmlinge des Spätaussiedlers, die die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht erfüllen, also in der Begründung eines (nach Maßgabe jener Bestimmungen eingeschränkten) Eingliederungsanspruchs. Die Beteiligten sind sich auch darüber einig, dass den Klägern, da sie unter § 5 BVFG fallen, ein solcher Anspruch nicht zusteht.
[16] Im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanz erfasst die Bezugnahme in § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG auf die "Voraussetzungen des § 7 Abs. 2" auch dessen Satz 2. Die entgegenstehende, vom Verwaltungsgericht vertretene einschränkende Auslegung des § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG lässt sich nicht rechtfertigen. Der Revision ist darin zu folgen, dass die dort vorgesehene Bescheinigung keine Statusbescheinigung ist.
[17] Dies folgt aus einem Vergleich mit Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift, wonach Spätaussiedler "zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft" auf Antrag eine Bescheinigung erhalten, während ihre Ehegatten und Abkömmlinge nach Absatz 2 auf Antrag eine Bescheinigung "zum Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2" erhalten. Zu diesen Voraussetzungen gehört – negativ – auch das Fehlen eines Leistungsausschlusses, wie er bei sinngemäßer Geltung des § 5 BVFG in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Satz 2 BVFG eintritt. Die Nachweisfunktion des § 15 Abs. 2 BVFG geht somit ins Leere, wenn eine entsprechende Anwendung der §§ 8, 10 und 11 BVFG ausscheidet.
[18] § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG lässt aufgrund der uneingeschränkten Bezugnahme auf § 7 Abs. 2 BVFG und die damit angeordnete sinngemäße Geltung des § 5 BVFG auch keinen Raum für die Erteilung einer Bescheinigung mit einer auf die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BVFG mit Ausnahme der Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 5 BVFG beschränkten Nachweiswirkung. Ein gesetzlicher Anhaltspunkt für eine solche isolierte Nachweiswirkung kann insbesondere nicht der Funktion einer Bescheinigung nach § 15 BVFG im Rahmen von §§ 7 und 40a StAG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I S. 1618) entnommen werden.
[19] Nach § 7 Satz 1 StAG erwirbt ein Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, der nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, diese "mit der Ausstellung der Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 des Bundesvertriebenengesetzes". Über die Voraussetzungen der Bescheinigungserteilung ist damit nichts ausgesagt. Gleiches gilt für die Regelung in § 40a StAG, wonach ein Spätaussiedler, sein nichtdeutscher Ehegatte und seine Abkömmlinge im Sinne von § 4 BVFG, wenn sie, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, am 1. August 1999 Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG sind, sofern ihnen vor diesem Zeitpunkt "eine Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 des Bundesvertriebenengesetzes erteilt worden ist". Aus solchen Regelungen lässt sich nicht herleiten, es müsse über das Vertriebenenrecht möglich sein, denjenigen Ehegatten und denjenigen Abkömmlingen, für die § 5 BVFG sinngemäß gelte, nur deswegen eine solche Bescheinigung zu erteilen, um diesen Personen Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit zu verschaffen. Dies zu regeln ist Sache des Staatsangehörigkeitsrechts.
[20] Die Kläger können sich für ihren Rechtsstandpunkt auch nicht auf das Urteil des Senats vom 12. April 2001 – BVerwG 5 C 19.00 – (Buchholz 412. 3 § 5 BVFG Nr. 4) berufen, wonach der Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers auch dann im Wege der Einbeziehung in einen dem Spätaussiedler erteilten Aufnahmebescheid in die Bundesrepublik Deutschland aufgenommen werden kann, wenn in der Person des Ehegatten oder Abkömmlings ein Ausschlusstatbestand im Sinne des § 5 BVFG gegeben ist. Diese Entscheidung betrifft nur das Aufnahmeverfahren nach § 27 BVFG. Ein nach § 27 BVFG erteilter Aufnahmebescheid präjudiziert nicht die Entscheidung über die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG. Anders als für dieses Verfahren – durch die Inbezugnahme von § 7 Abs. 2 Satz 2 BVFG in § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG – ist für das Aufnahmeverfahren eine sinngemäße Geltung des den Ausschluss vom Erwerb des Spätaussiedlerstatus anordnenden § 5 BVFG nicht bestimmt. Der Senat hatte sich im Rahmen des § 27 BVFG dementsprechend nicht mit den Auswirkungen der Erfüllung des Tatbestandes des § 5 BVFG auf den vertriebenenrechtlichen Status von unter diese Vorschrift fallenden Personen zu befassen.
[21] Er hatte dagegen die Erhaltung der Familieneinheit durch Ausgestaltung des Aufnahmeverfahrens im Blick (vgl. auch Beschluss des Senats vom 18. Februar 2000 – BVerwG 5 B 216.99 –, auf den sich das Senatsurteil ausdrücklich bezieht). Dieser Gesichtspunkt entfaltet keine weitergehenden Rechtswirkungen, sobald die betreffenden Personen in den Geltungsbereich des Bundesvertriebenengesetzes aufgenommen sind. Für die Rechtsansicht der Kläger und der Vorinstanz spricht kein im Vertriebenenrecht gründender vergleichbarer Gesichtspunkt. Dementsprechend ist aus der Sicht des Vertriebenenrechts nicht zu erkennen, dass es, wie das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem von der Vorinstanz in Bezug genommenen Urteil vom 31. März 2004 – 13 LB 352/03 – annimmt, "widersinnig" wäre, eine ungeachtet der Erfüllung der Voraussetzungen des § 5 BVFG im Wege der Einbeziehung aufgenommene Person "dann nicht mehr als entsprechenden Angehörigen zu behandeln", sondern dass es "konsequent" wäre, den "aufgenommenen 'belasteten' Angehörigen auch eine Bescheinigung im Sinne von § 15 Abs. 2 BVFG zuzuerkennen". Welche Bedeutung für die Beurteilung der Rechtslage in diesem Zusammenhang die Änderung des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG durch das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) hat, wonach in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson deren Ehegatte oder Abkömmlinge nur dann einbezogen werden, wenn in deren Person keine Ausschlussgründe im Sinne des § 5 BVFG vorliegen, kann hier auf sich beruhen, weil sich daraus ohnehin nichts für den Rechtsstandpunkt der Vorinstanz ergäbe.
[22] Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
[23] Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 15 000 € festgesetzt (§ 72 Nr. 1 Halbsatz 2 i. V. m. § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG).