Bundesarbeitsgericht
Personenbedingte Kündigung
Es liegt kein personenbedingter Grund zur Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG vor, wenn ein im Bodendienst eines Flughafens tätiger Student auf Grund seiner überlangen Studiendauer von den Sozialversicherungs-trägern nicht mehr als sozialversicherungsfrei angesehen wird.

BAG, Urteil vom 18. 1. 2007 – 2 AZR 731/05 (lexetius.com/2007,793)

[1] Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 15. April 2005 – 17/6 Sa 907/04 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
[2] Tatbestand: Die Parteien streiten in der Revision noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
[3] Der 46 Jahre alte, ledige Kläger studierte im Wintersemester 2002/03 im 41. Semester an der Universität Mainz. Er war seit dem 13. August 1990 bei der Beklagten im Bereich der Bodendienste als "studentische Aushilfe" in Teilzeit beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag von 1991 ist ua. geregelt:
"Das Arbeitsverhältnis ist befristet und an den Nachweis eines fortwährenden ordentlichen Studiums gebunden. Es endet am 31. März 1992, ohne dass es hierzu einer besonderen Kündigung bedarf."
[4] Mit Schreiben vom 7. Oktober 1994 bestätigte die Beklagte das unbefristete Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und führte weiter aus:
"Das Arbeitsverhältnis bleibt unter Beachtung der Sozialversicherungsfreiheit an den Nachweis eines ordentlichen Studiums gebunden.
Der Vertrag endet mit Ablauf des Monats, in dem die Exmatrikulation erfolgt, ohne dass es hierzu einer Kündigung bedarf."
[5] Nachdem sich im Frühjahr 2002 die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger darauf verständigt hatten, bei einer Studienzeit von bis zu 25 Fachsemestern noch eine Versicherungsfreiheit in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung anzunehmen, forderte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nach einer Betriebsprüfung von der Beklagten ua. für den Kläger Sozialversicherungsbeiträge ab dem 1. Januar 1998.
[6] Nach Anhörung des Betriebsrats teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 28. Juli 2003 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit, da der Vertrag an den Nachweis eines fortwährenden ordentlichen Studiums gebunden und der Kläger nicht mehr ordentlicher Student sei. Vorsorglich kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2004.
[7] Mit seiner Klage hat sich der Kläger ua. gegen die Wirksamkeit der vorsorglich erklärten ordentlichen Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, es liege kein personenbedingter Kündigungsgrund vor. Die Kündigung beruhe nur auf wirtschaftlichen Erwägungen. Er könne die Tätigkeit im Bodendienst nach wie vor ausüben.
[8] Der Kläger hat zuletzt beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2003 aufgelöst worden ist.
[9] Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags im Wesentlichen vorgetragen: Die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Auf Grund der langen Studienzeit könne nicht mehr von einem ordentlichen Studium im vertraglichen Sinne ausgegangen werden. Es fehle dem Kläger daher an einer nach dem Arbeitsvertrag vorausgesetzten persönlichen Eigenschaft. Sein Arbeitsverhältnis könne nicht als sozialversicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis fortgesetzt werden. Das vertraglich ausgehandelte Gleichgewicht von Arbeitsleistung und Vergütung sei gestört. Die vertraglich vereinbarte Gegenleistung habe sich durch den Verlust des Studentenstatus erheblich verteuert.
[10] Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Auf die Grundsatzbeschwerde der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht die Revision zugelassen (- 2 AZN 626/05 -). Mit der Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Kündigungsschutzklage.
[11] Entscheidungsgründe: Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht das Vorliegen eines personenbedingten Kündigungsgrundes iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG verneint.
[12] A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei weder durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung noch durch die Kündigung vom 28. Juli 2003 wirksam beendet worden. Es könne dahinstehen, ob die Parteien eine wirksame auflösende Bedingung vereinbart hätten. Jedenfalls seien deren Voraussetzungen nicht erfüllt, der Kläger sei nicht exmatrikuliert worden. Eine Sozialversicherungsfreiheit sei hingegen nicht als auflösende Bedingung vereinbart worden.
[13] Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch die Kündigung vom 28. Juli 2003 beendet worden. Der Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit sei kein personenbedingter Kündigungsgrund. Der Kläger sei, selbst wenn er nicht mehr ordentlicher Student sei, nach wie vor in der Lage, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Die geschuldete Tätigkeit im Bereich der Bodendienste könne er ohne Beeinträchtigung auch als Student, der die Regelstudienzeit überschritten habe, sowie als sozialversicherungspflichtig beschäftigter Arbeitnehmer ausüben.
[14] B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung.
[15] I. Die von der Beklagten behauptete fehlende Eigenschaft eines "ordentlichen Studenten" ist kein in der Person des Klägers liegender Grund iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.
[16] 1. Kündigungsgründe in der Person des Arbeitnehmers sind solche, die auf persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Arbeitnehmers beruhen. Mit der Befugnis zur personenbedingten Kündigung soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet werden, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn der Arbeitnehmer die erforderliche Eignung oder Fähigkeit nicht (mehr) besitzt, um zukünftig die geschuldete Arbeitsleistung – ganz oder teilweise – zu erbringen (BAG 20. Mai 1988 – 2 AZR 682/87BAGE 59, 32; 28. Februar 1990 – 2 AZR 401/89AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 5; Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 1189; KR-Etzel 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 266; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 1 Rn. 176; ErfK/Ascheid/Oetker 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 117). Eine personenbedingte Kündigung setzt hiernach eine Nicht- oder Schlechterfüllung der geschuldeten Arbeitsleistung voraus (ErfK/Ascheid/Oetker § 1 KSchG Rn. 175).
[17] 2. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist ein personenbedingter Kündigungsgrund nicht gegeben.
[18] a) Der Kläger ist nach wie vor in der Lage, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung im Bereich der Bodendienste zu erbringen. Ihm fehlt hierzu weder die erforderliche Eignung noch die entsprechende Fähigkeit. Seine auszuübende Tätigkeit verstößt auch nicht gegen Gesetze. Ferner hat die Beklagte weder eine Nicht- oder Schlechtleistung geltend gemacht noch ist eine solche erkennbar. Die Beklagte erhält nach wie vorher tatsächlich die Arbeitsleistung, die der Kläger nach dem Arbeitsvertrag schuldet.
[19] b) Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger nicht mehr "ordentlicher Student" ist. Diese Eigenschaft stellt jedenfalls für die geschuldete Arbeitsleistung als ein Mitarbeiter des Bodendienstes kein notwendiges Eignungsmerkmal dar.
[20] c) Etwas anderes folgt auch nicht aus der Tatsache, dass die Arbeitsvertragsparteien bei ihrem Vertragsschluss von der Studenteneigenschaft des Klägers ausgegangen sind und diese ihren Vertragsbeziehungen zugrunde gelegt haben. Damit haben sie keine für die vereinbarte Arbeitsleistung notwendige und sachlich gerechtfertigte Anforderung (zum Anforderungsprofil: vgl. BAG 24. Juni 2004 – 2 AZR 326/03AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132) definiert, sondern lediglich die sozialversicherungsrechtlichen Folgebedingungen (Sozialversicherungsfreiheit von Studenten) festgestellt. Einen kündigungsrelevanten Zweck hatte diese vertragliche Festlegung nicht. Es kann weiter dahinstehen, ob die Vereinbarung eines befristeten bzw. bedingten Studentenarbeitsverhältnisses auch im Interesse des Arbeitgebers erfolgen kann, weil er etwa ein berechtigtes Interesse daran haben kann, für bestimmte einfache Tätigkeiten – wie im Gepäckdienst – nicht langfristig eine Vielzahl nach einem Studium überqualifizierte und unzufriedene Mitarbeiter einsetzen zu müssen (vgl. auch BAG 10. August 1994 – 7 AZR 695/93AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 162 = EzA BGB § 620 Nr. 126; 29. Oktober 1998 – 7 AZR 561/97BAGE 90, 103). Dieser Aspekt rechtfertigt eine personenbedingte Kündigung im vorliegenden Fall jedenfalls nicht. Es steht schon nicht fest, dass eine solche Überqualifikation überhaupt vorliegt, zumal der Kläger nach wie vor Student an einer Hochschule ist und nach den eigenen Angaben der Beklagten noch keinen Abschluss besitzen soll. Im Übrigen ist der Betriebsrat zu diesem Aspekt der Kündigung nicht angehört worden.
[21] 3. Selbst wenn auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung der Parteien die Studenteneigenschaft als eine wesentliche Arbeitsbedingung anzuerkennen und bei deren Wegfall der Beklagten ein Festhalten am unveränderten Arbeitsvertrag unzumutbar wäre, weil nunmehr das Austauschverhältnis von Arbeitsleistung und Vergütung durch die zusätzlich zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge sich erheblich verändert würde, wäre eine ordentliche Beendigungskündigung gleichwohl nicht sozial gerechtfertigt. Eine der Störung der Geschäftsgrundlage vergleichbare Situation kann grundsätzlich nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern allenfalls zu einer Vertragsanpassung an die geänderten Umstände führen. Dementsprechend hätte die Beklagte allenfalls eine Änderungs-, nicht jedoch eine Beendigungskündigung aussprechen können (vgl. auch § 313 Abs. 3 BGB; siehe im Einzelnen BAG 16. Mai 2002 – 2 AZR 292/01 – EzA KSchG § 2 Nr. 46; APS/Künzl 2. Aufl. § 2 KSchG Rn. 69). Diese ist von der Beklagten jedoch nicht erklärt worden. Es bedarf deshalb keiner Erörterung, ob die Voraussetzungen für eine Änderungskündigung im vorliegenden Fall erfüllt wären.
[22] II. Die Revision der Beklagten ist daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.