Bundesverfassungsgericht

BVerfG, Beschluss vom 9. 5. 2008 – 2 BvR 733/08 (lexetius.com/2008,2367)

[1] In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des serbischen Staatsangehörigen Z …, – Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Jörg Dietz, Milchstraße 8 + 12, 73728 Esslingen – gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27. März 2008 – 3 Ausl. 140/2007 – und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Di Fabio, Gerhardt und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 9. Mai 2008 einstimmig beschlossen:
[2] Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
[3] Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
[4] Gründe: Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers an die Vereinigten Arabischen Emirate zum Zweck der Strafverfolgung.
[5] I. Dem Beschwerdeführer, der im Oktober 2007, aus Serbien kommend, am Flughafen Stuttgart festgenommen wurde, wird in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorgeworfen, im März 2006 zusammen mit einem Mittäter und bewaffnet mit einem Hammer und einer Eisenstange in zwei Uhrengeschäfte in Dubai eingebrochen zu sein und insgesamt 123 Uhren erbeutet zu haben.
[6] Mit Beschluss vom 4. Februar 2008 erklärte das Oberlandesgericht die Auslieferung für zulässig. Eine hiergegen erhobene Gegenvorstellung hatte keinen Erfolg, desgleichen ein Antrag auf erneute Entscheidung über die Zulässigkeit gemäß § 33 IRG. Insofern führte das Oberlandesgericht in dem angegriffenen Beschluss vom 27. März 2008 aus, soweit der Beschwerdeführer eine strafrechtliche Verfolgung wegen homosexueller Handlungen anlässlich eines früheren Aufenthalts in Dubai fürchte, hemme allein das von ihm zwischenzeitlich angestrengte Asylverfahren die Auslieferung nicht. Die Gefahr der rechtsstaatswidrigen Verfolgung habe das Oberlandesgericht in eigener Zuständigkeit zu prüfen. Es gebe keinen Anlass, zu befürchten, dass die Vereinigten Arabischen Emirate ihrer Spezialitätsbindung zuwiderhandeln würden. Das Auswärtige Amt habe die bereits erteilte Bewilligung ausdrücklich unter den Vorbehalt der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes gestellt. Wie bereits im Beschluss vom 4. Februar 2008 dargelegt worden sei, halte das Oberlandesgericht die Tatvorwürfe auch nicht für konstruiert. Die von dem Beschwerdeführer geschilderte erhebliche Bevorzugung von Gefangenen, die bereit sind, Suren des Korans zu lernen, sei zwar nach deutschen Maßstäben unvereinbar mit dem Gleichheitssatz. Die Auslieferung einer nicht dieser bevorzugten Gruppe zuzurechnenden Person verstoße gleichwohl nicht gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung im Sinne des § 73 Satz 1 IRG. Diese kenne keinen Grundsatz, wonach jedem zu Freiheitsstrafe Verurteilten stets die effektive Möglichkeit eines vorzeitigen Straferlasses zustehen muss. Ebenso sei es kein wesentlicher Grundsatz der deutschen Rechtsordnung, dass ein rechtskräftig Verurteilter im Sinne einer Meistbegünstigung an jedem Straferlass teilhaben müsste, der anderen Gefangenen gleichheitswidrig gewährt wird.
[7] II. Der Beschwerdeführer rügt, das Oberlandesgericht habe die Frage der politischen Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG nicht geprüft. Da es sich bei den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht um einen demokratischen Rechtsstaat handle, habe das Oberlandesgericht auch nicht ohne Weiteres davon ausgehen dürfen, dass diese sich an den Spezialitätsgrundsatz halten werden. Die Auslieferung und die ihm in den Vereinigten Arabischen Emiraten drohende Behandlung aufgrund seiner Homosexualität verletzten den Beschwerdeführer in seiner Menschenwürde, seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und seinen in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Grundrechten. Zudem sei die Religionsfreiheit des Beschwerdeführers verletzt. Zwar möge die Einschätzung des Oberlandesgerichts zu den geschilderten Strafnachlässen zutreffend sein. Die dargestellte Praxis gebe aber Anlass zur Befürchtung, dass die Konvertierungsbestrebungen auch in der Untersuchungshaft – mit dem Ziel der Erlangung besserer Haftbedingungen – angewandt würden. Dem hätte das Oberlandesgericht weiter nachgehen müssen, desgleichen der Frage, ob der Beschwerdeführer auch dem Druck der Ablegung seiner sexuellen Gesinnung ausgesetzt werde.
[8] III. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt sind. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, denn die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den in § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 BVerfGG normierten Anforderungen.
[9] 1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde wie hier gegen gerichtliche Entscheidungen, so zählt zu den Begründungsanforderungen auch die Vorlage der angegriffenen Entscheidungen beziehungsweise die Wiedergabe von deren wesentlichem Inhalt, da das Bundesverfassungsgericht nur so in die Lage versetzt wird, zu beurteilen, ob die Entscheidungen mit dem Grundgesetz in Einklang stehen (vgl. BVerfGE 88, 40 [45]; – 93, 266 [288]). In Fällen, in denen eine angegriffene Entscheidung in ihren Gründen auf eine vorangegangene Entscheidung Bezug nimmt, reicht es insofern nicht aus, wenn zwar die angegriffene Entscheidung selbst, nicht aber die in Bezug genommene Entscheidung vorgelegt wird, da eine verfassungsgerichtliche Beurteilung der angegriffenen Entscheidungen dann nicht oder jedenfalls nicht vollständig möglich ist (vgl. BVerfGK 5, 170 [171]). Im Auslieferungsrecht gilt dies in besonderem Maße in Bezug auf Beschlüsse über einen Antrag, gemäß § 33 IRG erneut über die Auslieferung zu entscheiden, einerseits und die ursprüngliche Zulässigkeitsentscheidung andererseits. Trifft nämlich das Oberlandesgericht im Verfahren über den Antrag nach § 33 IRG eine erneute Sachentscheidung, erstreckt sich eine gegen diese gerichtete Verfassungsbeschwerde wegen des inneren Zusammenhangs auch auf die frühere Zulässigkeitsentscheidung (vgl. zu der früheren, dem jetzigen § 33 IRG entsprechenden Vorschrift des § 29 DAG BVerfGE 9, 174 [179]; – 50, 244 [252]).
[10] Hier hat der Beschwerdeführer zwar den Beschluss vom 27. März 2008, mit dem das Oberlandesgericht auf den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 33 IRG erneut über die Zulässigkeit entschieden hat, vorgelegt, nicht jedoch den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 4. Februar 2008, mit dem es die Auslieferung für zulässig erklärt und auf dessen Begründung es im Beschluss vom 27. März 2008 Bezug genommen hat. Auch den Inhalt des Beschlusses vom 4. Februar 2008 hat der Beschwerdeführer nicht mitgeteilt. Damit ist aber eine umfassende verfassungsgerichtliche Prüfung der Zulässigkeitsentscheidung nicht möglich.
[11] 2. Die Verfassungsbeschwerde ermangelt auch im Übrigen einer hinreichend substantiierten Begründung.
[12] a) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 16a GG rügt, ergibt sich aus der Niederschrift über die Anhörung im Asylverfahren, dass der Beschwerdeführer in Serbien, wo er zuletzt gelebt habe, nach seiner Einschätzung "überhaupt nichts zu befürchten" habe. Warum dem Beschwerdeführer angesichts der freiwilligen Einreise aus seinem von ihm selbst als sicher empfundenen Heimatstaat in Deutschland und vor dem Hintergrund der dem Asylanspruch immanenten Voraussetzung des Fehlens anderweitiger Schutzmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 80, 315 [342]; BVerwGE 101, 328 [335]; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 16a Rn 108 f.) das Grundrecht auf Asyl zustehen soll, trägt er nicht ansatzweise vor.
[13] b) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG rügt, setzt er sich nicht hinreichend mit den Ausführungen des Oberlandesgerichts auseinander. Er verkennt dabei, dass die Bewertung des Sachverhalts und die Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften, wozu auch der ordre public-Vorbehalt des § 73 Satz 1 IRG zählt, grundsätzlich Sache der Fachgerichte ist (vgl. BVerfGE 18, 85 [93]; stRspr) und auch in Auslieferungsverfahren das Bundesverfassungsgericht nur prüft, ob die Rechtsanwendung und das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 108, 129 [137]; BVerfGK 2, 82 [85]).
[14] Eine solch willkürliche Sachverhaltsinterpretation und Rechtsanwendung hat der Beschwerdeführer nicht substantiiert vorgetragen. Die Begründung der Verletzung in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 GG beschränkt sich auf die Darlegung, dass homosexuelle Handlungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten als Straftat behandelt werden. Der Beschwerdeführer setzt sich indes nicht hinreichend substantiiert mit dem Umstand auseinander, dass einerseits dem Auslieferungsersuchen keine derartige Tat zugrunde liegt, und andererseits das Oberlandesgericht seine Entscheidung ausdrücklich auf die Erklärung der Staatsanwaltschaft Dubai, dass das Recht der Scharia nicht angewandt werde, sowie die Erklärung des Vorbehalts der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes in der Bewilligungsentscheidung gestützt hat.
[15] Zwar genügt im gerichtlichen Auslieferungsverfahren der Verweis auf die Möglichkeit der Bundesregierung, im (späteren) Bewilligungsverfahren Zusicherungen des ersuchenden Staates einzuholen, den den Oberlandesgerichten obliegenden Aufklärungs- und Prüfungspflicht wegen der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Bewilligungsentscheidung nicht (vgl. BVerfGK 3, 159 [164 f.]; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2007 – 2 BvQ 51/07 –, juris). Dieses Rechtsschutzargument steht jedoch einer Bezugnahme auf Vorbehalte einer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag nach § 33 IRG bereits erfolgten Bewilligungsentscheidung nicht entgegen. Völkerrechtlich stellt sich die Auslieferung als Vertrag dar, zu dem der ersuchende Staat dem ersuchten Staat mit dem Auslieferungsbegehren ein Angebot unterbreitet, welches dieser entweder annimmt oder ablehnt, wobei die Annahme in Form der Auslieferungsbewilligung erfolgt (vgl. BVerfGE 50, 244 [248 f.] m. w. N). Erfolgt die Bewilligung – wie hier – unter einem Vorbehalt, stellt sich dies als Ablehnung des ursprünglichen unter Abgabe eines neuen, modifizierten Vertragsangebots dar (vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, S. 170). Der auf diesem neuen Angebot basierende Vertrag kommt zustande, wenn der ersuchende Staat dieses, gegebenenfalls konkludent (vgl. BVerfGE 90, 286 [361]; – 104, 151 [200]), also etwa durch die Übernahme des Verfolgten, annimmt. Auf diesem Wege erlangt der erklärte Vorbehalt völkerrechtlich in gleicher Weise Verbindlichkeit wie eine von dem ersuchenden Staat gegebene Zusicherung, welche grundsätzlich geeignet ist, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird (vgl. BVerfGE 63, 215 [224]; – 109, 38 [62]; BVerfGK 2, 165 [172 f.]; 3, 159 [165]; 6, 13 [19]; 6, 334 [343]). Dass Letzteres der Fall wäre hat der Beschwerdeführer nicht belegt. Der bloße Verweis darauf, die Vereinigten Arabischen Emirate seien keine Demokratie, nicht "der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet" und zudem ein islamischer Staat, genügt insofern nicht.
[16] c) Auch die Rüge einer Verletzung des Art. 4 GG ermangelt einer hinreichenden Begründung. Einwände gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass die Gewährung von Strafnachlässen im Falle des Erlernens von Suren des Korans die Auslieferung nicht hindere, trägt der Beschwerdeführer nicht vor. Er rügt lediglich, dass das Oberlandesgericht sich nicht mit der Frage der Behandlung nichtmuslimischer Häftlinge in der Untersuchungshaft auseinandergesetzt habe. Diesen Einwand hat der Beschwerdeführer indes erstmals in der Verfassungsbeschwerde geäußert; ihm steht daher der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen, welcher gebietet, dass der Beschwerdeführer alle zumutbaren Möglichkeiten ergreift, verfassungsrechtliche Einwände bereits im fachgerichtlichen Instanzenzug vorzutragen, um somit eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 16, 124 [127]; – 54, 53 [65]; – 64, 135 [143]; – 81, 22 [27]; stRspr).
[17] Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
[18] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.