Bundesverwaltungsgericht
Disziplinargerichtsbarkeit über Soldaten; Durchsuchung der Unterkunftsstube und des Dienstzimmers; Beschlagnahme; richterliche Anordnung; Gefahr im Verzug; Beweisverwertungsverbot.
GG Art. 13 Abs. 2, Art. 101; NATO-Truppenstatut Abs. 1 Buchst. a; StPO § 94 Abs. 1 und 2; WDO §§ 20, 68 ff.
1. Der Begriff "Gefahr im Verzug" in § 20 Abs. 2 WDO ist wie die gleichlautende Eingriffsvoraussetzung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG eng auszulegen.
2. Ein aus objektiver Sicht gröblicher Verstoß gegen den Richtervorbehalt nach § 20 WDO kann zu einem Verwertungsverbot der bei der Durchsuchung und/oder Beschlagnahme gewonnenen Beweismittel führen.

BVerwG, Urteil vom 15. 10. 2008 – 2 WD 16.07; TDG Süd (lexetius.com/2008,4079)

[1] Der frühere Soldat mit dem Dienstgrad eines Stabsunteroffiziers der Reserve war während seines Dienstverhältnisses bei der Bundeswehr am Samstag, den 22. Februar 2003 in K. (Deutschland) außerdienstlich wegen unerlaubten Führens von Schusswaffen und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte strafrechtlich in Erscheinung getreten (Anschuldigungspunkte 1 und 2); wegen der Straftaten wurde er später rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt.
[2] Als anlässlich der strafbaren Vorfälle bei dem früheren Soldaten in K. rechtsextremistisches Material aufgefunden worden war – ohne dass dieser dadurch Strafgesetze verletzt hatte – und infolgedessen der Verdacht entstanden war, dieser habe entgegen Nr. 311 ZDv 10/5 entsprechendes Material in seine Unterkunftsstube und in sein Dienstzimmer an seinem Standort im Staat B. (NATO-Mitgliedstaat) eingebracht (Anschuldigungspunkt 3), wurde wegen "Verdunkelungsgefahr" noch am Sonntag, dem 23. Februar 2003, in Anwesenheit des früheren Soldaten dessen Unterkunftsstube durch seinen damaligen Disziplinarvorgesetzten durchsucht. Am Folgetag musste der frühere Soldat den Standort verlassen, da ihm die Ausübung des Dienstes sowie das Tragen der Uniform verboten worden war. Am Dienstag, dem 25. Februar 2003, öffneten der G 2-Offizier nebst einem weiteren Stabsoffizier sowie zwei Unteroffizieren mit Portepee in Abwesenheit des früheren Soldaten dessen Schreibtisch in seinem Dienstzimmer. In der Unterkunftsstube und im Dienstzimmer wurden u. a. die im Anschuldigungspunkt 3 aufgeführten Gegenstände angeblich rechtsextremistischen Inhalts gefunden und beschlagnahmt bzw. sichergestellt. Dem Fax-Antrag des damaligen Disziplinarvorgesetzten vom 24. Februar 2003 auf nachträgliche Genehmigung der am Vortag erfolgten Durchsuchung der dienstlichen Unterkunft stimmte der Vorsitzende der zuständigen Kammer des Truppendienstgerichts Süd durch Beschluss vom 24. Februar 2003 zu.
[3] Im anschließenden gerichtlichen Disziplinarverfahren hat das Truppendienstgericht dem früheren Soldaten wegen des in den drei Anschuldigungspunkten erwiesenen Dienstvergehens das Ruhegehalt aberkannt.
[4] Auf dessen Berufung hin hat das Bundesverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert und den früheren Soldaten wegen der Dienstpflichtverletzungen in den Anschuldigungspunkten 1 und 2 in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve herabgesetzt; von den Vorwürfen im Anschuldigungspunkt 3 ist er freigestellt worden.
Aus den Gründen: …
[5] 18 Es bestehen … keine Bedenken gegen die Entscheidungsbefugnis der Truppendienstkammer. Die Disziplinargerichtsbarkeit über Soldaten ist mit dem Grundgesetz vereinbar und verstößt insbesondere nicht gegen Art. 101 GG. Der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten und deren Besetzung sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies hat der Senat mit Urteil vom 24. September 1992 BVerwG 2 WD 13.91, 7. 92 – BVerwGE 93, 287 ff. zu den §§ 62 ff. WDO a. F. entschieden; darauf wird Bezug genommen. An dieser Rechtslage hat sich durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts vom 16. August 2001, BGBl I S. 2093, in Kraft getreten am 1. Januar 2002, nichts geändert. Die Gesetzesnovelle hat in den neuen §§ 68 ff. WDO die bisherige Struktur der Wehrdienstgerichte, insbesondere die Vorschriften über ihre Errichtung, Zuständigkeit, Zusammensetzung und Besetzung, weitgehend unberührt gelassen. Sowohl die Truppendienstkammer als auch der Senat waren – und sind – daher von Verfassungs wegen berufen, über das disziplinargerichtliche Verfahren gegen den früheren Soldaten zu entscheiden.
[6] 19 4. Die Berufung ist zum Teil begründet. …
[7] 20 a) Von den Vorwürfen im Anschuldigungspunkt 3, entgegen Nr. 311 der ZDv 10/5 Bild-, Ton- und Datenträger sowie Schriften rechtsextremistischen Inhalts in seine Unterkunftsstube sowie in sein Dienstzimmer in … eingebracht zu haben, war der frühere Soldat freizustellen. Die in der Unterkunftsstube und im Dienstzimmer beschlagnahmten bzw. sichergestellten Gegenstände dürfen dem früheren Soldaten disziplinarrechtlich nicht zur Last gelegt werden; für sie besteht ein Beweisverwertungsverbot. Weitere Beweismittel zu Anschuldigungspunkt 3 sind nicht vorhanden. Der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts hat in der Berufungshauptverhandlung auf ausdrückliche Nachfrage erklärt, er könne zur Stützung der Vorwürfe keine weiteren Beweismittel vorlegen.
[8] 21 Die in der Unterkunftsstube und im Dienstzimmer in … durchgeführten Beschlagnahmen bzw. Sicherstellungen waren schon aus formellen Gründen rechtswidrig und haben zu einem Beweisverwertungsverbot geführt:
[9] 21a aa) Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme von Gegenständen in der Unterkunftsstube des früheren Soldaten in … zur Aufklärung eines Dienstvergehens war § 20 WDO. Die Befugnis, in B. gegen dort Dienst leistende Soldaten der Bundeswehr disziplinarrechtliche Maßnahmen nach deutschem Recht treffen zu dürfen, beruht auf Abs. 1 Buchst. a NATO-Truppenstatut. Danach haben die Militärbehörden des Entsendestaates – hier Deutschland – das Recht, innerhalb des Aufnahmestaates – hier B. – die gesamte Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit auszuüben, die ihnen durch das Recht des Entsendestaates über alle dem Militärrecht dieses Staates unterworfenen Personen übertragen ist.
[10] 22 (1) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO darf der Disziplinarvorgesetzte zur Aufklärung eines Dienstvergehens Durchsuchungen und Beschlagnahmen nur außerhalb von Wohnungen und nur auf Anordnung des Richters des zuständigen, notfalls des nächsterreichbaren Truppendienstgerichts vornehmen. Bei Gefahr im Verzug darf der Disziplinarvorgesetzte Maßnahmen nach Absatz 1 auch ohne richterliche Anordnung treffen (§ 20 Abs. 2 Satz 1 WDO). Die richterliche Genehmigung ist unverzüglich zu beantragen. Der Antrag auf richterliche Zustimmung oder Genehmigung ist zu begründen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 und 3 WDO). Der Soldat ist vor allen Entscheidungen, welche die Bestätigung von Maßnahmen nach Absatz 1 zum Gegenstand haben, zu hören. Die Entscheidungen sind ihm zuzustellen (§ 20 Abs. 2 Satz 9 und 10 WDO).
[11] 23 Der damalige Disziplinarvorgesetzte, der in der Berufungshauptverhandlung als Zeuge angehörte Oberstleutnant L., hatte nach Rücksprache mit dem zuständigen Rechtsberater die Unterkunftsstube des eines Dienstvergehens verdächtigen früheren Soldaten am Sonntag, dem 23. Februar 2003, durchsucht und dort Beschlagnahmen vorgenommen, ohne zuvor gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO dafür eine truppendienstrichterliche Anordnung eingeholt zu haben. Erst nachträglich, auf Antrag des Disziplinarvorgesetzten vom 24. Februar 2003, stimmte der Vorsitzende des zuständigen Truppendienstgerichts durch Beschluss vom selben Tag – ohne vorherige Anhörung des früheren Soldaten – der Durchsuchung zu. Die anlässlich der Durchsuchung der Unterkunftsstube durchgeführten Beschlagnahmen der im Anschuldigungspunkt 3 genannten Gegenstände entsprachen in mehrfacher Hinsicht nicht den gesetzlichen Anforderungen, wobei der Senat offenlassen kann, ob sich die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen schon aus dem Umstand ergibt, dass die Unterkunftsstube 228 des früheren Soldaten im Gebäude 312 in … eine "Wohnung" im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO war.
[12] 24 Das Bundesverfassungsgericht hatte zu Art. 13 Abs. 2 GG, wonach Wohnungsdurchsuchungen nur durch den Richter, bei "Gefahr im Verzug" auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und durchgeführt werden dürfen, bereits durch Urteil vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00BVerfGE 103, 142 [153 f.] – entschieden, dass der Begriff "Gefahr im Verzug" eng auszulegen ist. Die vorherige richterliche Anordnung einer Durchsuchung ist die Regel, die nichtrichterliche – mit nachträglicher richterlicher Kontrolle – die Ausnahme. Danach ist "Gefahr im Verzug" nur anzunehmen, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde. Bei der Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln soll die Eilkompetenz das zuständige Organ in die Lage versetzen, einen Beweismittelverlust zu verhindern. "Gefahr im Verzug" muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Die bloße (abstrakte) Möglichkeit eines Beweismittelverlusts genügt nicht (BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 a. a. O. [155]). Die für Eilfälle zuständigen Organe müssen regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen. Dem korrespondiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Richters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 a. a. O. [155 f.]). Die Einschaltung eines Richters darf nicht deshalb unterbleiben, weil nicht ausreichend für die Erreichbarkeit eines solchen Richters gesorgt worden war (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. September 2006 – 2 BvR 876/06 – EuGRZ 2006, 605 f.). Auslegung und Anwendung des Begriffs "Gefahr im Verzug" unterliegen einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Eine solche wirksame Nachprüfung setzt aber voraus, dass das handelnde Organ vor oder jedenfalls unmittelbar nach der Durchsuchung seine für den Eingriff bedeutsamen Erkenntnisse und Annahmen in den Ermittlungsakten dokumentiert hat (insbesondere, unter Bezeichnung des Tatverdachts und der gesuchten Beweismittel, Darlegung der Umstände, auf die die Gefahr des Beweismittelverlusts gestützt werden); ferner muss erkennbar sein, ob zuvor der Versuch unternommen worden war, den zuständigen Richter zu erreichen (BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 a. a. O. [157, 159 f.]).
[13] 25 Der Senat hat keine Bedenken, diese Auslegung des Begriffs "Gefahr im Verzug" im Rahmen der Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung durch Strafverfolgungsbehörden gemäß Art. 13 Abs. 2 GG auf den gleichlautenden Begriff in § 20 Abs. 2 Satz 1 WDO im Hinblick auf eine disziplinarrechtliche Durchsuchung dienstlicher Räume und Unterkünfte – außerhalb von "Wohnungen" – durch den Disziplinarvorgesetzten zu übertragen. Auch § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO geht von dem Regelfall aus, dass Durchsuchungen und Beschlagnahmen nur auf Anordnung des Richters des zuständigen, notfalls des nächsterreichbaren Truppendienstgerichts durchgeführt werden dürfen. Lediglich bei "Gefahr im Verzug", d. h. ausnahmsweise, dürfen die Maßnahmen auch ohne richterliche Anordnung vorgenommen werden; die richterliche Genehmigung ist (dann) unverzüglich zu beantragen (§ 20 Abs. 2 Satz 1 und 2 WDO). Da die Regelungen des Richtervorbehalts sowohl in Art. 13 Abs. 2 GG als auch in § 20 WDO grundsätzlich auf eine wirksame präventive Kontrolle der Eingriffe in die geschützte persönliche Lebenssphäre des Betroffenen zielen, ist es aus rechtsstaatlichen Gründen geboten, an die Ausnahmebefugnis des Disziplinarvorgesetzten gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 WDO im Hinblick auf die nur repressive Überprüfung einer solchen Eil-Maßnahme, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, gleich hohe Anforderungen zu stellen.
[14] 26 (2) Die anlässlich der Durchsuchung der Unterkunftsstube des früheren Soldaten am Sonntag, dem 23. Februar 2003, durchgeführten Beschlagnahmen waren schon aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig. "Gefahr im Verzug" im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 WDO lag nicht vor.
[15] 27 Zunächst ist nichts dafür ersichtlich, dass mit der Durchsuchung und entsprechenden Beschlagnahmen nicht bis Montag gewartet werden konnte. Ein Beweismittelverlust drohte objektiv nicht. Zwar hatte sich der damalige Disziplinarvorgesetzte in seiner Niederschrift über die Durchsuchung und Beschlagnahme vom 23. Februar 2003, zugleich Antrag an die … Kammer des Truppendienstgerichts Süd auf Erteilung der erforderlichen Anordnung, auf "Verdunkelungsgefahr" berufen (vgl. dazu auch § 20 Abs. 4 Satz 4 WDO) und in seinem beigefügten Anschreiben an das Gericht vom 24. Februar 2003 die "Gefahr im Verzug" damit begründet, es habe nicht sichergestellt werden können, dass der frühere Soldat von Sonntag bis zum Dienstbeginn am Montag früh seiner Unterkunftsstube fernbleiben würde. Es sei generell nicht möglich, den Verbleib der Stubenschlüssel zu überwachen. Zudem sei zu befürchten gewesen, dass der frühere Soldat in seinem Besitz vermutete Gegenstände aus seiner Stube beiseite schaffen würde. Eine sofortige Durchsuchung – noch am Sonntag – war jedoch objektiv nicht zwingend. Es gab Alternativen, um bis zu einer richterlichen Anordnung von Durchsuchungs- und Beschlagnahmehandlungen mögliche Beweise in der Unterkunftsstube zu sichern. Neben dem Verschließen und Versiegeln der Stube sowie regelmäßigen Kontrollen seitens des UvD/GvD kam zusätzlich in Betracht, dem Soldaten das Betreten seiner Stube durch einen entsprechenden Befehl zu verbieten. In der Zwischenzeit konnte er in der damals vorhandenen Gaststube oder der UvD-Stube vorübergehend untergebracht werden. Dass solche Alternativen bestanden, hat der Zeuge L. in der Berufungshauptverhandlung ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Gegenteiliges, dass damals z. B. die Gaststube nicht frei gewesen sei, hatte er nicht dokumentiert.
[16] 28 Es ist auch nicht erwiesen, dass der damalige Disziplinarvorgesetzte noch vor der Durchsuchung am Sonntag erfolglos versucht hatte, gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO eine Anordnung des Richters des zuständigen, notfalls des nächsterreichbaren Truppendienstgerichts zu erlangen. Dies ist jedenfalls nicht schriftlich festgehalten. Weder die Niederschrift vom 23. Februar 2003 noch das Anschreiben an das Truppendienstgericht vom Folgetag enthalten entsprechende Hinweise. Der Zeuge L. hat vor dem Senat ausgesagt, er habe gewusst, dass ein Richter einer Durchsuchung und Beschlagnahme zustimmen müsse. Die Telefonnummer des zuständigen Truppendienstrichters sei ihm bekannt gewesen. Ob er noch am Sonntag versucht habe, ihn zu erreichen, wisse er nicht mehr. Einen diesbezüglichen Vermerk habe er nicht gemacht. Sein Rechtsberater habe ihm damals geraten, die Durchsuchung sofort durchzuführen. Der Umstand, dass es im Jahr 2003 bei den Truppendienstgerichten noch keinen Notdienst für Wochenenden etc. gab – so der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts in der Berufungshauptverhandlung, darf sich im Zweifel nicht zum Nachteil des betroffenen Soldaten auswirken. Insbesondere entbindet diese Tatsache den Disziplinarvorgesetzten – ungeachtet ihm erteilten Rechtsrats – nicht von der Notwendigkeit, sich nach Kräften zu bemühen, dass Durchsuchungen und Beschlagnahmen nach den Regelvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO vorgenommen werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf Art. 13 Abs. 2 GG ausdrücklich klargestellt.
[17] 29 Die Beschlagnahme von Gegenständen in der Unterkunftsstube des früheren Soldaten war schließlich auch deshalb rechtswidrig, weil der nachträgliche, unter Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör zustande gekommene Beschluss des Truppendienstgerichts vom 24. Februar 2003 weder nach seinem Tenor noch nach seiner Begründung eine richterliche Genehmigung gerade der "Beschlagnahmen" enthält. Es ist dort lediglich von der am 23. Februar 2003 erfolgten "Durchsuchung" und von "(Beweis-) Material" die Rede. Die beschlagnahmten Gegenstände werden überhaupt nicht erwähnt. Da § 20 WDO ausdrücklich zwischen Durchsuchung und Beschlagnahme unterscheidet und die nachträgliche Genehmigung beider Maßnahmen beantragt war, sieht der Senat nach dem eindeutigen Wortlaut der gerichtlichen Entscheidung keine Möglichkeit, durch eine weite Auslegung des Begriffs "Durchsuchung" auch die erfolgten Beschlagnahmen als genehmigt anzusehen. Es kommt hinzu, dass im Falle einer nachträglichen richterlichen Genehmigung der Beschlagnahme bereits feststeht, welche Gegenstände tatsächlich beschlagnahmt worden sind, so dass der Richter auch zu prüfen hat, ob gerade diese Gegenstände als Beweismittel in Betracht kommen und ob deren Beschlagnahme verhältnismäßig ist. Eine pauschale nachträgliche Genehmigung der Durchsuchung, wie sie hier allein vorliegt, ist daher auch inhaltlich nicht geeignet, die erfolgte Beschlagnahme zu rechtfertigen.
[18] 30 Der Beschluss führt auch nicht näher aus, warum ausnahmsweise die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 WDO vorlagen. Der Vorsitzende des nachträglich angerufenen Truppendienstgerichts hat offensichtlich ebenfalls den Ausnahmecharakter des Begriffs "Gefahr im Verzug" verkannt. Sein Beschluss wird den strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht.
[19] 31 Ob die Rechtswidrigkeit einer Beschlagnahme nach § 20 WDO möglicherweise dann unbeachtlich ist, wenn die Maßnahme durch rechtskräftigen Gerichtsbeschluss nachträglich genehmigt wird, kann offenbleiben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene truppendienstgerichtliche Beschluss vom 24. Februar 2003, der dem früheren Soldaten am 7. März 2003 zugestellt worden war, erfasst – wie erwähnt – die Beschlagnahmehandlungen in der Unterkunftsstube überhaupt nicht.
[20] 32 (3) Die Rechtswidrigkeit der Beschlagnahmen rechtfertigt auch die Annahme eines Verwertungsverbotes hinsichtlich der bei der Durchsuchung der Unterkunftsstube des früheren Soldaten beschlagnahmten Gegenstände.
[21] 33 Unter welchen Voraussetzungen bei einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt gemäß § 20 WDO ein Verwertungsverbot hinsichtlich der in dienstlichen Räumen und Unterkünften – außerhalb von "Wohnungen" – aufgefundenen Beweismittel anzunehmen ist, hat der Gesetzgeber nicht geregelt. Es gibt auch keinen Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Juni 2005 – 2 BvR 1502/04NVwZ 2005, 1175 m. w. N.). Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wohnungsdurchsuchung in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist unter Berücksichtigung der Art des Verbotes, dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen anerkannt, dass eine bewusste Missachtung oder gleichgewichtig grobe Verkennung der Voraussetzungen des für Wohnungsdurchsuchungen bestehenden Richtervorbehalts die Annahme eines Verbots der Verwertung bei der Durchsuchung gewonnener Beweismittel rechtfertigen kann (BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06BGHSt 51, 285 ff., Leitsatz). Nach Auffassung des Senats kann für das Wehrdisziplinarverfahren im Wesentlichen nichts anderes gelten, zumal auch nach § 20 WDO richterliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen die Regel und die nichtrichterlichen die Ausnahme bilden. Dass jedenfalls aus objektiver Sicht grobe Verstöße gegen den Richtervorbehalt im Disziplinarverfahren nicht sanktionslos bleiben dürfen, ergibt sich auch im Hinblick auf den alleinigen Zweck des Wehrdisziplinarrechts, zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Dienstbetriebs beizutragen (vgl. dazu zuletzt Urteil vom 5. August 2008 BVerwG 2 WD 14.07 m. w. N.). Ein ordnungsgemäßer Dienstbetrieb ist nicht nur dann gewährleistet, wenn jeder Soldat für sein Dienstvergehen disziplinarisch zur Verantwortung gezogen wird, sondern setzt auch voraus, dass jeder Disziplinarvorgesetzte die gesetzlichen Bestimmungen und dienstlichen Anordnungen befolgt und die Truppendienstgerichte, soweit sie angerufen werden, für deren Einhaltung Sorge tragen. Objektiv grobe Verstöße gegen die Regelungen des § 20 WDO müssen sich daher im Zweifel zugunsten des betroffenen Soldaten auswirken. Dies gebietet auch der Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Disziplinarverfahren (vgl. speziell zum gerichtlichen Wehrdisziplinarverfahren BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juni 2000 – 2 BvR 993/94ZBR 2001, 208).
[22] 34 Nach diesen Maßstäben war hier ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen. In Bezug auf die bei der Durchsuchung der Unterkunftsstube vorgenommenen Beschlagnahmen ist – insgesamt gesehen – gröblich gegen den Richtervorbehalt nach § 20 WDO verstoßen worden. Das ergibt sich aus folgenden Umständen:
[23] 35 Zunächst ist insoweit auf das in mehrfacher Hinsicht fehlerhafte Handeln des damaligen Disziplinarvorgesetzten, des Zeugen L., damals im Rang eines Majors, abzustellen, ohne dass diesem insoweit ein Schuldvorwurf gemacht wird. Dieser kannte den Richtervorbehalt, wie er in der Berufungshauptverhandlung bestätigt hat, und hatte auch die einschlägigen Formulare für das Verfahren bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen nach § 20 WDO verwendet. Obwohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur "Durchsuchung bei Gefahr im Verzug" und zum dazugehörigen "Richtervorbehalt" bereits Anfang 2001, d. h. zwei Jahre zuvor ergangen war, hatte der Disziplinarvorgesetzte das schon im Wortlaut des § 20 WDO zum Ausdruck kommende Regel-Ausnahme-Prinzip und dessen Voraussetzungen in mehrfacher Hinsicht missachtet und den Begriff "Gefahr im Verzug" verkannt. So ist nicht ersichtlich, dass er sich noch am Sonntag um eine zumindest fernmündliche richterliche Zustimmung bemüht hatte. Offensichtlich war er – ohne Bedenken – dem Rat seines Rechtsberaters gefolgt, die Durchsuchung sofort durchzuführen. Dabei dürfte auch mitursächlich gewesen sein, dass es im Jahr 2003 bei den Truppendienstgerichten an den Wochenenden noch keinen Notdienst gab; dies ist ein weiterer gewichtiger (Organisations-) Mangel, der eine ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens nach § 20 WDO an Wochenenden und Feiertagen vereitelt hat und deshalb ebenfalls für ein Beweisverwertungsverbot streitet. Die sofortige Durchsuchung der Unterkunftsstube noch am Sonntag war auch nicht zwingend. Wie bereits dargelegt, hatte der Disziplinarvorgesetzte aus objektiver Sicht verschiedene Alternativen. Diese hatte er damals weder erkannt und sich mit ihnen auseinandergesetzt noch Entsprechendes schriftlich festgehalten. Die von ihm in Anspruch genommene Eilkompetenz hat er insgesamt auch nur sehr oberflächlich dokumentiert. So hat er in der "Niederschrift über eine Durchsuchung und Beschlagnahme" vom 23. Februar 2003 als Tatsachen, die seiner Meinung nach zur Annahme einer Gefahr im Verzug geführt hatten, lediglich auf bestehende "Verdunkelungsgefahr" verwiesen, "wodurch die Aufklärung des Dienstvergehens erschwert worden wäre". Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass dem damaligen Disziplinarvorgesetzten der Ausnahmecharakter der nicht richterlich durchgeführten Durchsuchung und Beschlagnahme nicht ausreichend bewusst war. Schließlich hätte ihm nach Zustellung des truppendienstgerichtlichen Beschlusses am 27. Februar 2003 auffallen müssen, dass schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Entscheidung die von ihm vorgenommenen Beschlagnahmen überhaupt nicht erwähnt und folglich von der richterlichen Zustimmung auch nicht erfasst sind. Dies hätte ihn zumindest veranlassen müssen, nachträglich den Rat seines Rechtsberaters einzuholen. Das ist aber unterblieben.
[24] 36 Hinzu kommt, dass der vom Disziplinarvorgesetzten angerufene Kammervorsitzende des Truppendienstgerichts den gesetzlichen Richtervorbehalt offensichtlich auch nicht sehr ernst genommen hat, wie die fehlerhafte Durchführung des gerichtlichen Verfahrens einschließlich seiner Entscheidung, die ohne besondere Dringlichkeit noch am selben Tag ergangen ist, zeigen; auch insoweit liegen grobe Verstöße gegen § 20 WDO vor. So mangelt es nicht nur am rechtlichen Gehör des früheren Soldaten vor Erlass der die Maßnahme bestätigenden Entscheidung (§ 20 Abs. 2 Satz 9 WDO), sondern auch an der – beantragten – Zustimmung zu den Beschlagnahmen vom 23. Februar 2003. Tenor und Gründe des Beschlusses vom 24. Februar 2003 schweigen dazu. Schließlich geht die Entscheidung auch nicht näher auf die besonderen Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nach § 20 Abs. 2 WDO ein, wie die nur formelhafte Begründung des Gerichtsbeschlusses zeigt:
"Der Soldat war durch das Ergebnis einer am Wochenende 22./23. 02. 2003 in K. durchgeführten Polizeikontrolle in den hinreichenden Verdacht geraten, im Besitz von verfassungsfeindlichem Material zu sein und dies in den dienstlichen Bereich eingebracht zu haben.
Es bestand die Gefahr, dass er dieses Material beiseite schaffen und damit Beweise vernichten könnte.
Die Durchsuchung sollte dem Zweck dienen, Beweismaterial für eine etwaige rechtsradikale oder rechtsextremistische Gesinnung aufzufinden. Sie duldete keinen Aufschub und konnte ohne vorherige richterliche Anordnung durchgeführt werden. Sie bedarf jedoch der nachträglichen Genehmigung (§ 20 Abs. 2 WDO).
Diese war hiermit zu erteilen."
[25] 37 bb) Die Sicherstellung von Gegenständen des früheren Soldaten im Dienstzimmer in … zu disziplinarrechtlichen Zwecken war ebenfalls schon aus formellen Gründen rechtswidrig und hat insoweit zu einem Beweisverwertungsverbot geführt.
[26] 38 (1) Nach dem Ergebnis der Berufungshauptverhandlung steht für den Senat aufgrund der Einlassungen des früheren Soldaten, soweit ihnen gefolgt werden kann, der Anhörung des Zeugen Oberstleutnant L. und des Zeugen Fregattenkapitän S., damals G 2/Marine bei …, sowie der zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Urkunden fest, dass die am 25. Februar 2003 im Dienstzimmer aufgefundenen und dem früheren Soldaten im Anschuldigungspunkt 3 zur Last gelegten Gegenstände im Rahmen einer Durchsuchungsmaßnahme zu disziplinarrechtlichen Zwecken formlos sichergestellt worden sind.
[27] 39 Gemäß dem vierseitigen Protokoll des Deutschen Militärischen Vertreters bei … G 2/Marine wurde am Dienstag, dem 25. Februar 2003, in Anwesenheit des Divisionsoffiziers, Oberstleutnant Sch., des Zeugen S. (G 2), des Divisionsunteroffiziers, Stabsfeldwebel B., und des Hauptbootsmanns Ho. (S 2) in der Zeit von 17. 40 Uhr bis 19. 10 Uhr der Schreibtisch des früheren Soldaten im Dienstzimmer geöffnet und wurden alle Gegenstände, die nicht zum Inventar gehörten, entnommen und der Deutschen … kompanie unter ihrem damaligen Kompaniechef, dem Zeugen L., zugeführt. Die Maßnahme fand ohne Zustimmung und in Abwesenheit des früheren Soldaten statt. Dieser hatte nach Rückgabe seines …-Ausweises den Standort bereits am Montag, dem 24. Februar 2003, in Richtung K. verlassen. Bei den aufgefundenen privaten Gegenständen handelte es sich zum Teil um solche angeblich rechtsextremistischen Inhalts, die – vom früheren Soldaten in sein Dienstzimmer eingebracht – in das Disziplinarverfahren einbezogen worden und im Anschuldigungspunkt 3 aufgeführt sind; im Protokoll vom 25. Februar 2003 sind sie bereits mit einem Ausrufungszeichen versehen. Wie der Zeuge S. in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft ausgesagt hat, stammten diese Markierungen von ihm. Die von ihm gekennzeichneten Sachen schienen ihm bedeutsam für den gegen den früheren Soldaten geäußerten Verdacht, gegen Nr. 311 ZDv 10/5 verstoßen zu haben. Der Zeuge hat auch eingeräumt, dass aufgrund der beim früheren Soldaten in K. und in seiner Unterkunftsstube aufgefundenen Gegenstände rechtsextremistischen Inhalts auch von ihm, dem Zeugen S., vermutet worden war, im Dienstzimmer des früheren Soldaten entsprechendes Material zu finden. Der Rechtsberater sei in die Aktion eingeschaltet gewesen. Einen Antrag auf Zustimmung des Truppendienstgerichts habe man nicht gestellt. Der Zeuge L., der die Aussagen des Zeugen S. bestätigt hat, hat vor dem Senat ergänzend angegeben, als Kompaniechef sei er nur für die Durchsuchung im Unterkunftsbereich seiner Einheit, nicht für Maßnahmen im eigentlichen Dienstbereich … (Dienstzimmer), zuständig gewesen. Er habe die im Dienstzimmer aufgefundenen Gegenstände des früheren Soldaten zusammen mit der Auflistung vom G 2 später übernommen.
[28] 40 (2) Nach den dargestellten Bekundungen des Zeugen S. diente die Maßnahme am 25. Februar 2003 nicht – wie der Bundeswehrdisziplinaranwalt vorgetragen hat – oder jedenfalls nicht in erster Linie der Räumung des Arbeitsplatzes, um diesen für einen Nachfolger freizumachen, sondern vielmehr dem Auffinden weiteren Beweismaterials im Zusammenhang mit dem Verdacht eines Dienstvergehens. Nur so erklärt sich auch die "hochrangige" Besetzung der an der Aktion beteiligten Offiziere und Unteroffiziere. Materiell lag daher eine Durchsuchung im Sinne des § 20 Abs. 1 WDO vor, die nur nach vorheriger Genehmigung durch den Vorsitzenden des zuständigen Truppendienstgerichts zulässig gewesen wäre. Gefahr im Verzuge lag hier schon deswegen nicht vor, weil sich der frühere Soldat zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr in B. aufhielt und weil mit seiner Rückkehr auch nicht zu rechnen war.
[29] 41 Eine disziplinarrechtliche Verwertung der im Dienstzimmer des früheren Soldaten in dessen Abwesenheit und ohne dessen Zustimmung formlos sichergestellten Gegenstände setzt im Übrigen deren Beschlagnahme gemäß § 20 WDO voraus. Das folgt aus § 20 Abs. 5 WDO i. V. m. § 94 Abs. 1 und 2 StPO. Nach den zuletzt genannten Vorschriften sind Gegenstände, die als Beweismittel von Bedeutung sein können, in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen; befinden sich die Gegenstände im Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme. Ein solcher Fall lag hier vor. Der im Zeitpunkt der Sicherstellung der Gegenstände abwesende frühere Soldat hatte der Maßnahme zu keinem Zeitpunkt zugestimmt. Dies hat er in der Berufungshauptverhandlung noch einmal ausdrücklich bestätigt. Die in seinem Dienstzimmer verbliebenen privaten Gegenstände befanden sich im Zeitpunkt ihrer Sicherstellung (25. Februar 2003) auch noch in seinem Gewahrsam. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ob diese ausgeübt wird, ist nach den Umständen des Einzelfalls und der Verkehrsauffassung zu bestimmen. So behält z. B. der Wohnungsinhaber auch bei längerer Abwesenheit den Gewahrsam an den Sachen in seiner Wohnung (vgl. z. B. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1961 – 2 StR 289/61BGHSt 16, 271 [273]). Auch im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der frühere Soldat, der seinen Dienstbereich am Vortag kurzfristig verlassen musste, den Gewahrsam an seinen Privatsachen im Dienstzimmer, insbesondere in seinem Schreibtisch, aufgegeben hat mit der Folge, dass diese herrenlos geworden wären. Die Vorgesetzten gingen ebenfalls davon aus, dass der frühere Soldat seine Privatsachen zurückerhalten wollte. Noch bis zur Berufungshauptverhandlung hat der Bundeswehrdisziplinaranwalt die Sicherstellung der Privatgegenstände im Dienstzimmer allein mit der Bewahrung des Eigentums des früheren Soldaten begründet. Es habe sich nur um eine "Aufräumaktion" im Interesse des Eigentümers gehandelt. Dass dies allenfalls ein Nebenzweck der Maßnahme war, steht aufgrund der Berufungshauptverhandlung fest.
[30] 42 Nach alledem war die nur formlose Sicherstellung der im Dienstzimmer aufgefundenen Gegenstände des früheren Soldaten zur Verwertung im Disziplinarverfahren nicht ausreichend; diese hätten gemäß § 20 Abs. 1 WDO vom damaligen Disziplinarvorgesetzten auf Anordnung des Truppendienstgerichts beschlagnahmt werden müssen, was nicht geschehen ist. "Gefahr im Verzug" im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 WDO lag hier – wie ausgeführt – erst recht nicht vor.
[31] 43 (3) Nach den oben genannten Maßstäben war deshalb auch im vorliegenden Fall ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen. Alle Beteiligten, einschließlich des hinzugezogenen Rechtsberaters, haben gröblich fehlerhaft verkannt, dass es sich um eine nicht richterlich genehmigte Durchsuchung handelte und dass sie die im Dienstzimmer des früheren Soldaten durchgeführten Sicherstellungen als Beschlagnahmen nur auf Anordnung eines Richters des Truppendienstgerichts vornehmen durften.
[32] 44 b) Die dem früheren Soldaten in den Anschuldigungspunkten 1 (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) und 2 (unerlaubter Schusswaffen- und Munitionsbesitz) zur Last gelegten Verfehlungen sind erwiesen und stellen ein außerdienstliches Dienstvergehen dar, das mit einer Herabsetzung in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten der Reserve zu ahnden war. (wird ausgeführt)