Bundesgerichtshof
HGB § 25 Abs. 1
a) Eine Unternehmensfortführung i. S. von § 25 Abs. 1 HGB liegt auch dann vor, wenn nur ein Teilbereich des Unternehmens fortgeführt wird, sofern es sich aus der Sicht des maßgeblichen Rechtsverkehrs um den – den Schwerpunkt des Unternehmens bildenden – wesentlichen Kernbereich handelt.
b) Für die Frage, ob der wesentliche Kernbereich eines Unternehmens fortgeführt wurde, kommt dem Wert der Unternehmensteile maßgebliche Bedeutung zu.

BGH, Beschluss vom 7. 12. 2009 – II ZR 229/08; OLG Düsseldorf (lexetius.com/2009,3821)

[1] Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 7. Dezember 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Strohn, Dr. Reichart, Dr. Drescher und Bender gemäß § 544 Abs. 7 ZPO beschlossen:
[2] Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. August 2008 aufgehoben.
[3] Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 17. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
[4] Streitwert: 71.385,71 €
[5] Gründe: Die Beschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
[6] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass eine Unternehmensfortführung i. S. von § 25 Abs. 1 HGB auch dann vorliegt, wenn nur ein Teil des Unternehmens fortgeführt wird, sofern es sich nach den gesamten für den Rechtsverkehr in Erscheinung tretenden Umständen um den – den Schwerpunkt des Unternehmens bildenden – wesentlichen Kernbereich handelt (vgl. Sen. Urt. v. 4. November 1991 – II ZR 85/91, ZIP 1992, 398, 399; BGH, Urt. v. 16. September 2009 – VIII ZR 321/08, DB 2009, 2429 Tz. 17 f.). Es hat jedoch einen Anspruch der Klägerin aus § 25 Abs. 1 HGB verneint, weil die Klägerin nicht hinreichend dargelegt habe, dass die Beklagte mit dem Geschäftsbereich "Adressen" den wesentlichen Kern des Unternehmens der früheren K. – GmbH übernommen habe. Damit hat es die Anforderungen an den Vortrag der Klägerin verfahrensfehlerhaft in einer gegen Art. 103 GG verstoßenden Weise überspannt.
[7] Die Klägerin hat im Kern behauptet, dass die Beklagte mit dem Bereich "Adressen" den wesentlichen Teil des früheren Unternehmens erworben habe, dass es sich bei diesem Bereich des Direktmarketing regelmäßig – und deshalb auch im konkreten Fall – um den "Ertragsträger" des Unternehmens handele, mit dem die Gewinne erwirtschaftet würden, und hat für diese Behauptung Sachverständigenbeweis angeboten (GA 190). Damit hat sie letztlich unter Beweisantritt vorgetragen, dass der übernommene Bereich den wesentlichen (Ertrags-) Wert des Unternehmens verkörpert habe. Mit seiner Beurteilung, der – für die Frage einer Unternehmensfortführung i. S. von § 25 Abs. 1 HGB grundsätzlich erhebliche (vgl. Baumbach/Hopt, HGB 33. Aufl. § 25 Rdn. 6) – Vortrag der Klägerin zum Wert der Unternehmensbereiche sei "in keiner Weise konkretisiert und daher weder aussagekräftig noch einer Sachaufklärung zugänglich", hat sich das Berufungsgericht in den Schutzbereich des Art. 103 GG verletzender Weise der Erkenntnis verschlossen, dass nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Partei ihrer Darlegungslast bereits genügt, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen.
[8] Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, kann der Vortrag weiterer Einzelheiten nicht verlangt werden. Es ist vielmehr Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten, dabei ggf. die benannten Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen bzw. einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (Sen. Beschl. v. 22. Juni 2009 – II ZR 143/08, ZIP 2009, 1467 Tz. 2; v. 14. Juli 2008 – II ZR 204/07, ZIP 2008, 1870, 1871 Tz. 13 f.; v. 14. Juli 2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675, 1676 Tz. 6; v. 21. Mai 2007 – II ZR 266/04, ZIP 2007, 1524 Tz. 5; Sen. Urt. v. 25. Juli 2005 – II ZR 199/03, ZIP 2005, 1738, 1740). Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts stellt sich als Weigerung dar, den Kern des Vortrags der Klägerin in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und sich inhaltlich mit ihm auseinanderzusetzen.
[9] 2. Diese Verletzung des rechtlichen Gehörs ist entscheidungserheblich.
[10] Das Berufungsgericht konnte nicht aus anderen Gründen von der Erholung des angebotenen Sachverständigengutachtens absehen. Soweit das Berufungsgericht gemeint haben sollte, der Vortrag der Klägerin zum Wert der Unternehmensbereiche sei als Grundlage für die Erstellung des beantragten Gutachtens unzureichend, wäre dies eine unzulässige – ebenfalls gegen Art. 103 GG verstoßende – vorweggenommene Beweiswürdigung. Zwar fehlen bisher die – grundsätzlich von der beweispflichtigen Partei beizubringenden (Zöller/Greger, ZPO 28. Aufl. § 402 Rdn. 5; BGH, Urt. v. 29. Oktober 2008 – IV ZR 272/06, NJW-RR 2009, 244 Tz. 8 f.) – Anknüpfungstatsachen für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens zum Ertragswert der beiden Geschäftsfelder der früheren K. GmbH, weil bisher weder Jahresabschlüsse noch Gewinn- und Verlustrechnungen dieser Firma vorliegen. Abgesehen davon, dass die erforderlichen Unterlagen auf gerichtlichen Hinweis von der Klägerin möglicherweise noch beigebracht werden könnten, kann aber jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass – wie die Klägerin behauptet – einem Sachverständigen aufgrund der Gegebenheiten im Bereich des Direktmarketing zumindest allgemein gültige Aussagen über die Wertverhältnisse der verschiedenen Tätigkeitsbereiche auf dem Gebiet des Direktmarketing möglich sind, die – ggf. in einer Gesamtschau mit weiteren Gesichtspunkten – Rückschlüsse auch für den hier vorliegenden Fall zulassen. Als Indizien, die dafür sprechen könnten, dass es sich bei dem übernommenen Tätigkeitsbereich "Adressen" um den wesentlichen Bestandteil der früheren K. GmbH gehandelt haben könnte, sind der von der Beklagten gezahlte Kaufpreis und die eigene steuerliche Bewertung der Parteien ebenso in Betracht zu ziehen wie der Umstand, dass ca. 6 Monate nach Abschluss des Kaufvertrages Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der K. F. GmbH gestellt wurde.