Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 30. 11. 2010 – 1 StR 574/10 (lexetius.com/2010,5200)

[1] Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. November 2010 beschlossen:
[2] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 5. Juli 2010, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
[3] Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
[4] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sechs tatmehrheitlich begangener Waffendelikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); einer Erörterung der Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.
[5] Das angefochtene Urteil weist durchgreifende materiell-rechtliche Fehler auf, so dass es insgesamt keinen Bestand hat:
[6] 1. Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 3. der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen unerlaubten Überlassens einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe an einen Nichtberechtigten gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG verurteilt hat, hält der Schuldspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[7] a) Nach den Feststellungen des Landgerichts verkaufte der Angeklagte im Februar 2009 einen Revolver, den er im Oktober 2008 in Belgien erworben und nach Deutschland verbracht hatte (Fall II. 2.), an eine Vertrauensperson der Polizei. Entgegen der Annahme des Landgerichts erfüllt ein solches "Scheingeschäft" nicht den Tatbestand des "Überlassens" im Sinne des § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG, da das von dieser Vorschrift geschützte Rechtsgut, nämlich zu verhindern, dass Waffen unter Missachtung der waffenrechtlichen Vorschriften in Umlauf kommen bzw. bleiben, in einer solchen Fallgestaltung nicht gefährdet wird (BGH, Beschluss vom 5. Mai 2009 – 1 StR 737/08, NStZ 2010, 456, 457). Insoweit fehlt es im vorliegenden Fall an einer Tatvollendung. Der Versuch ist nicht strafbar. Die Versuchsstrafbarkeit gemäß § 52 Abs. 2 WaffG bezieht sich, was sich aus der systematischen Stellung dieser Vorschrift ergibt, ausschließlich auf Delikte nach § 52 Abs. 1 WaffG, nicht aber auf solche des § 52 Abs. 3 WaffG (MüKo-Heinrich, WaffG, § 52 Rn. 116; vgl. auch BGH aaO).
[8] b) Ob sich der Angeklagte aufgrund dieses Tatgeschehens wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Schusswaffen gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2c WaffG strafbar gemacht hat, vermag der Senat aufgrund der unzureichenden Feststellungen des Landgerichts nicht zu beurteilen.
[9] Allein der Umstand, dass es sich bei dem Waffengeschäft um ein Scheingeschäft mit einer Vertrauensperson der Polizei gehandelt hat, steht hier einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Schusswaffen nicht entgegen. Handeltreiben stellt auch im Waffenrecht kein Erfolgsdelikt dar. Deshalb ist es für die Tatvollendung rechtlich unerheblich, ob der durch das Handeltreiben erstrebte Umsatz im Einzelfall überhaupt möglich oder – wie hier – undurchführbar war, weil die zum Schein als Käufer auftretende Vertrauensperson der Polizei diesen Umsatz durch ihren Einsatz gerade verhindern wollte (zur vergleichbaren Fallkonstellation im Betäubungsmittelstrafrecht vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1981 – 3 StR 61/81, NStZ 1981, 257 mwN).
[10] Eine Schuldspruchänderung durch den Senat kommt hier nicht in Betracht, da es – abgesehen von der Frage der Vereinbarkeit einer solchen Schuldspruchänderung mit § 265 StPO – hinsichtlich der für die Tatbestandsverwirklichung zusätzlich erforderlichen Gewerbsmäßigkeit (vgl. Anlage 1 Abschnitt 2 Nr. 9 zu § 1 Abs. 4 WaffG) an entsprechenden eindeutigen Feststellungen fehlt. Auch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe lässt sich eine Gewerbsmäßigkeit nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, auch wenn die Feststellungen insbesondere im Hinblick auf die Größe des Waffendepots sowie auf den Umstand, dass der Angeklagte wenige Wochen nach dem Revolver auch noch eine weitere Waffe, nämlich eine Maschinenpistole, an die Vertrauensperson verkauft hat (Fall II. 4.), eine solche Annahme nahe legen.
[11] Falls der Verkauf des Revolvers an die Vertrauensperson den Tatbestand des Handeltreibens erfüllen würde, käme in diesem Fall zudem die Annahme einer Tateinheit mit dem Erwerb des Revolvers und dessen Verbringen nach Deutschland im Fall II. 2. der Urteilsgründe in Betracht. Dies setzt allerdings voraus, dass der Angeklagte schon beim Erwerb des Revolvers den Entschluss gefasst hätte, diesen weiterzuverkaufen. Tateinheit wäre allenfalls dann ausgeschlossen, wenn sich der Angeklagte erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund eines neuen Tatentschlusses zum Verkauf des Revolvers entschieden hätte (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 1989 – 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151, 153; BGH, Beschluss vom 13. Januar 2009 – 3 StR 543/08; Steindorf/Heinrich/Papsthart, Waffenrecht, 9. Aufl., WaffG § 52 Rn. 70d). Welche Vorstellungen sich der Angeklagte beim Erwerb des Revolvers gemacht hat, ob er ihn für sich behalten oder weiterverkaufen wollte, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
[12] 2. Auch die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten durch das Landgericht hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[13] a) Rechtsfehlerhaft ist die Verurteilung wegen zweier selbständiger Taten in den Fällen II. 5. und II. 7. der Urteilsgründe.
[14] Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden bei einer polizeilichen Durchsuchung am 9. Juli 2009 unter anderem mehrere Schusswaffen, darunter ein Revolver und ein Gewehr, eine halbautomatische Kurzwaffe, ein Griffstück einer Maschinenpistole, ein Schnellfeuergewehr AK-47 sowie Magazine und Munition sichergestellt. Ein Teil der Waffen (Revolver, Gewehr) und Munition wurden in der Wohnung des Angeklagten aufgefunden (Fall II. 5.), der Rest wurde in dem bereits erwähnten Waffendepot sichergestellt, das sich auf dem Gartengrundstück befand, das der Angeklagte gemeinsam mit dem gesondert verfolgten B. gepachtet hatte (Fall II. 7.). Der Angeklagte hatte nicht nur bei dem Ausheben des Depots geholfen, er hatte auch Kenntnis von den dort versteckten Waffen und einen ungehinderten Zugang zu diesen. Das Landgericht hat zwar diese einzelnen Verstöße gegen das Waffengesetz bzw. das Kriegswaffenkontrollgesetz rechtlich zutreffend gewertet. Seine Annahme, diese Zuwiderhandlungen stünden in Tatmehrheit zueinander, begegnet jedoch rechtlichen Bedenken. Es ist vielmehr von Tateinheit auszugehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das gleichzeitige Ausüben der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen, auch wenn diese nicht unter dieselben Strafbestimmungen fallen, zur Folge, dass die verschiedenartigen Verstöße gegen das Waffengesetz bzw. das Kriegswaffenkontrollgesetz tateinheitlich zusammentreffen (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 1 StR 457/02, NStZ- RR 2003, 124; BGH, Beschluss vom 13. Januar 2009 – 3 StR 543/08 mwN; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1998 – 2 StR 536/98 mwN). Dies gilt selbst dann, wenn diese Waffen – wie im vorliegenden Fall – an unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden (BGH, Beschluss vom 28. März 1990 – 2 StR 22/90, BGHR WaffG § 53 Abs. 3a Konkurrenzen 1; BGH, Beschluss vom 10. März 1993 – 2 StR 4/93, BGHR WaffG § 53 Abs. 3a Konkurrenzen 2; Steindorf/Heinrich/Papsthart aaO Rn. 70c).
[15] b) Weiter ist das Konkurrenzverhältnis zwischen den Zuwiderhandlungen im Fall II. 6. und den Verstößen hinsichtlich des Tatgeschehens in den Fällen II. 5. und II. 7. vom Landgericht rechtlich fehlerhaft als tatmehrheitlich bewertet worden.
[16] Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte am 26. April 2009 auf einer Waffenmesse in Belgien einen weiteren Revolver, den er nach Deutschland verbrachte (Fall II. 6.) und in seiner Wohnung aufbewahrte, wo er am 9. Juli 2009 zusammen mit einem Gewehr und Munition von der Polizei sichergestellt wurde. Damit stehen das Verbringen des Revolvers nach Deutschland und das gleichzeitige Ausüben der tatsächlichen Gewalt über diesen sowie über die weiteren in seiner Wohnung und in dem Waffendepot auf dem Gartengrundstück gelagerten Waffen nebst Munition (Fälle II. 5. und 7., vgl. auch oben unter 2.) bis zu deren Sicherstellung durch die Polizei entgegen der Annahme des Landgerichts ebenfalls in Tateinheit zueinander (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1997 – 3 StR 383/97 mwN). In weiterer Tateinheit hierzu könnte auch ein unerlaubtes Handeltreiben mit Schusswaffen gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2c WaffG stehen, wenn der Angeklagte schon beim Erwerb des Revolvers vorgehabt hätte, diesen im Wege gewerbsmäßigen Handelns in Deutschland zu verkaufen (vgl. oben unter 1. b). Ob der Angeklagte – was angesichts der beiden von der Strafkammer festgestellten vorangegangenen Verkaufsgeschäfte (Fall II. 3. und 4.) nahe liegt – mit einer entsprechenden Vorstellung gehandelt hat, ist aus den Urteilsgründen nicht hinreichend ersichtlich.
[17] c) Das Landgericht hat schließlich rechtsfehlerhaft nicht erörtert, ob hier möglicherweise sämtliche Taten oder zumindest ein großer Teil von ihnen durch die andauernde Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Waffen im Wege der Verklammerung tateinheitlich verbunden sind. Hierfür könnte sprechen, dass der Angeklagte nach seiner im Urteil wiedergegebenen geständigen Einlassung in der Hauptverhandlung angegeben hat, dass das auf dem Gartengrundstück befindliche Waffendepot bereits "im Jahr 2008 oder Anfang 2009" eingerichtet worden sei. Bei der Einrichtung habe er, der Angeklagte, gesehen, welche "Gegenstände" dort versteckt worden seien. Aufgrund der Einlassung des Angeklagten besteht daher die nahe liegende Möglichkeit, dass die Errichtung des Depots und dessen Bestückung mit Waffen zeitlich mit der ersten vom Landgericht abgeurteilten Tat des Angeklagten, dem Verbringen des Revolvers von Belgien nach Deutschland im Oktober 2008, zusammenfällt. In diesem Fall kann der Besitz und Erwerb sämtlicher vom Angeklagten seit der Errichtung und Bestückung des Waffendepots angesammelter Schusswaffen und Munition, losgelöst von deren waffenrechtlicher Einordnung, zu einer tateinheitlichen waffenrechtlichen Dauerstraftat verbunden sein, deren Bindeglied der zeitgleiche Besitz der vielen Waffen bildet (BGH, Beschluss vom 13. März 1997 1 StR 800/96, NStZ 1997, 446 mwN; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1998 – 2 StR 536/98). Weder die kurze Dauer des Besitzes (Fall II. 4.) noch die Aufbewahrung der Waffen an unterschiedlichen Orten lässt dabei den sachlichrechtlichen Zusammenhang entfallen (vgl. oben 2.; BGH, Beschluss vom 13. März 1997 – 1 StR 800/96, NStZ 1997, 446 mwN; BGH, Beschluss vom 28. März 1990 – 2 StR 22/90, BGHR WaffG § 53 Abs. 3a Konkurrenzen 1; BGH, Beschluss vom 10. März 1993 – 2 StR 4/93, BGHR WaffG § 53 Abs. 3a Konkurrenzen 2). Angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Errichtung des Waffendepots und den übrigen waffenrechtlichen Verstößen hätte sich das Landgericht mit der Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte die Waffen, auf die sich die Taten bezogen, (zumindest teilweise) gleichzeitig in Besitz hatte.
[18] d) Der Senat kann den Schuldspruch nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO insgesamt auf Tateinheit umstellen. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil hinsichtlich der Tat II. 3. (i. V. m. der Tat II. 2.; vgl. oben unter 1. a) über den Schuldspruch neu zu befinden ist. Ungeachtet dessen setzt eine Schuldspruchänderung klare, erschöpfende und eindeutige Feststellungen voraus; sie ist dagegen nicht möglich, wenn eine neue Hauptverhandlung andere oder ergänzende Feststellungen erwarten lässt, oder wenn eine dem Tatrichter vorbehaltene Würdigung der Feststellungen erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 25. Mai 2010 – 1 StR 59/10 mwN). Hier fehlt es an den entsprechenden Feststellungen. Aus den Urteilsgründen lässt sich schon nicht entnehmen, wann der Angeklagte bezüglich der in den Fällen II. 5. und 7. sichergestellten Waffen – mit Ausnahme des in Fall II. 6. erworbenen Revolvers – und Munition jeweils Besitz begründet hat. Aus dem Urteil ergibt sich auch nicht, zu welchem Zeitpunkt das Waffendepot tatsächlich eingerichtet worden ist. Da es insoweit an einer tragfähigen Grundlage für die Entscheidung fehlt, ob sämtliche Taten aufgrund des möglicherweise gleichzeitigen Waffenbesitzes in Tateinheit miteinander verbunden sind, kommt eine Schuldspruchänderung vorliegend auch deshalb nicht in Betracht. Das Urteil ist vielmehr mit den Feststellungen aufzuheben, soweit dieser Angeklagte verurteilt wurde. Der Mitangeklagte, der wegen einer anderen Tat verurteilt wurde, hat keine Revision eingelegt.