Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 9. 12. 2010 – IX ZB 60/10; OLG Naumburg (lexetius.com/2010,5206)

[1] Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring am 9. Dezember 2010 beschlossen:
[2] Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 16. Februar 2010 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.
[3] Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 22.339,88 € festgesetzt.
[4] Gründe: Die nach § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).
[5] Die geltend gemachten Verletzungen des Anspruchs des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) liegen nicht vor.
[6] 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die am 11. Januar 2010 abgelaufene Berufungsfrist nicht gewahrt wurde. Dem an diesem Tag per Telefax eingegangenen Schriftsatz mangelt es an der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten.
[7] a) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss die Berufungsschrift als bestimmender Schriftsatz die Unterschrift des für sie verantwortlich Zeichnenden tragen (BGHZ 37, 156, 157; 92, 251, 255 f; BGH, Urt. v. 10. Mai 2005 – XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2087; Beschl. v. 14. Mai 2008 – XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 9). Die Unterschrift ist grundsätzlich Wirksamkeitserfordernis. Sie soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (BGHZ 37, 156, 157; 75, 340, 349; 97, 283, 285; BGH, Urt. v. 10. Mai 2005 – XI ZR 128/04, aaO). Das letztgenannte Erfordernis soll sicherstellen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (BGHZ 75, 340, 349; 144, 160, 162; BGH, Urt. v. 10. Mai 2005 – XI ZR 128/04, aaO).
[8] Von diesem Grundsatz sind, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nur dann Ausnahmen zulässig, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen. So kann der Mangel der Unterschrift in dem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz durch die gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben werden, auf der der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist (BGHZ 24, 179, 180; BGH, Urt. v. 10. Mai 2005 – XI ZR 128/04, aaO S. 2088). Das Fehlen einer Unterschrift kann ferner unschädlich sein, wenn auch ohne die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten aus anderen, eine Beweisaufnahme nicht erfordernden Umständen zweifelsfrei feststeht, dass der Prozessbevollmächtigte die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hat. Dies kann beispielsweise dann angenommen werden, wenn der in Rede stehende Schriftsatz fest mit einem von dem Rechtsanwalt unterzeichneten Begleitschreiben verbunden war (vgl. BGHZ 37, 156, 160; BGH, Urt. v. 10. Mai 2005 – XI ZR 128/04, aaO).
[9] b) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass vorliegend besondere Umstände der vorgenannten Art fehlen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde bezieht sich das verwendete Kürzel hz-schn auf dem Berufungsschriftsatz nicht zweifelsfrei auf den Inhaber der Einzelkanzlei, den Beklagten. Die beiden Anfangsbuchstaben können gleichermaßen nicht nur für die Person des Kanzleiinhabers stehen, sondern für die Kanzlei als solche, was um so näher liegt, als das Kürzel noch den von der Rechtsbeschwerde nicht näher erläuterten Zusatz "schn" aufweist und damit auf einen sonstigen Kanzleimitarbeiter oder -bediensteten hinzuweisen geeignet erscheint. Die Möglichkeit, dass der bei Gericht eingegangene Schriftsatz aus einem nicht weiter autorisierten Entwurf herrührt, lässt sich aufgrund der vom Berufungsgericht zutreffend gewürdigten Umstände des Einzelfalls nicht zweifelsfrei ausschließen. Die von der Rechtsbeschwerde angeführte Erwägung, es sei eine völlig fern liegende abstrakte Möglichkeit, dass die Berufungsschrift ohne den Willen des Beklagten dem Gericht zugegangen ist, wird, worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung ebenfalls mit Recht hinweist, den vorstehend angeführten Rechtsgrundsätzen nicht gerecht.
[10] 2. Dem Beklagten ist die hilfsweise begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu Recht versagt worden, weil schon nach seinem eigenen Vortrag ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden nicht ausgeräumt ist.
[11] a) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist (BGH, Beschl. v. 18. Juli 2007 – XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778; v. 10. Mai 2006 – XII ZB 267/04, NJW 2006, 2412; v. 14. Mai 2008 – XII ZB 34/07, aaO Rn. 11).
[12] b) Eine diesen Anforderungen genügende Ausgangskontrolle im Büro des Beklagten hat dieser nicht dargetan. Auf den konkreten Hinweis des Berufungsgerichts vom 22. Januar 2010, es sei bislang nicht ersichtlich, ob und gegebenenfalls auf welche Weise in der Kanzlei überprüft werde, ob fristwahrende Telefaxsendungen vollständig abgesandt wurden und ordnungsgemäß zum Empfänger gelangten, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Februar 2010 lediglich vorgetragen, er habe seine Kanzleikraft auch angewiesen, in Terminsachen ein Sendeprotokoll auszudrucken. Diese Anweisung genügt den vorstehend wiedergegebenen Anforderungen nicht, weil die Kontrolle der vollständigen Übermittlung hierdurch nicht erfasst wird. Die fehlende Anweisung des Beklagten, die Vollständigkeit der Übermittlung des fristgebundenen Schriftsatzes anhand des zuvor ausgedruckten Sendeprotokolls in jedem Fall zu prüfen und die Frist erst danach zu löschen, war jedenfalls mitursächlich dafür, dass die Kanzleikraft den Ausdruck als nicht wichtig und letztlich verzichtbar eingeschätzt hat. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war das Berufungsgericht nicht verpflichtet, dem Beklagten nach Eingang des Schriftsatzes vom 8. Februar 2010 einen zusätzlichen Hinweis zu erteilen. Seinen Verpflichtungen nach § 139 Abs. 1 ZPO war das Berufungsgericht bereits im ausreichenden Umfang durch den Hinweis vom 22. Januar 2010 nachgekommen.