Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 19. 10. 2011 – I ZR 69/11; LG Frankfurt a. F. (lexetius.com/2011,5553)

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Oktober 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler beschlossen:
1. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Sprungrevision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2011 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2. Auf den Antrag der Beklagten wird die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2011 zugelassen.
[1] Gründe: I. Die KIägerin ist ein Verlag und gibt Lehrbücher heraus. Die Beklagte betreibt eine öffentlich zugängliche Bibliothek und hat dort elektronische Leseplätze eingerichtet, an denen sie den Nutzern ihrer Bibliothek bestimmte Lehrbücher aus ihrem Bestand elektronisch zugänglich gemacht hat, darunter das Buch "Einführung in die neuere Geschichte" von Winfried Schulze aus dem Verlag der KIägerin. Die Beklagte hat das Buch zu diesem Zweck digitalisiert. Sie hat es den Nutzern der elektronischen Leseplätze ermöglicht, das Buch ganz oder teilweise auf Papier auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern und jeweils in dieser Form aus der Bibliothek mitzunehmen. Auf ein Angebot der Klägerin, Lehrbücher als E-Books zu erwerben und zu nutzen, ist die Beklagte nicht eingegangen.
[2] Die Klägerin ist der Ansicht, eine solche Nutzung der in ihrem Verlag erschienenen Werke durch die Beklagte sei nicht von der Schrankenregelung des § 52b UrhG gedeckt.
[3] Die Klägerin hat beantragt, der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, Lehrbücher oder andere Werke aus dem Verlag der Klägerin, insbesondere die "Einführung in die neuere Geschichte" von Winfried Schulze, zu digitalisieren oder digitalisieren zu lassen und/oder in digitalisierter Form für öffentliche Wiedergabe insbesondere an elektronischen Leseplätzen der Universität und Landesbibliothek Darmstadt zu benutzen, wenn nicht die Beklagte zuvor mit der Klägerin geklärt hat, ob die Klägerin für die digitale Nutzung einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet, oder wenn die Klägerin einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet; Nutzern der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt zu ermöglichen, digitale Versionen der Werke, die im Verlag der Klägerin veröffentlicht sind, insbesondere die "Einführung in die neuere Geschichte" von Winfried Schulze, an elektronischen Leseplätzen der Bibliothek ganz oder teilweise auszudrucken und/oder auf USB-Sticks oder andere Träger für digitalisierte Werke zu vervielfältigen und/oder solche Vervielfältigungen aus den Räumen der Bibliothek mitzunehmen.
[4] Darüber hinaus nimmt sie die Beklagte auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch.
[5] Das Landgericht (LG Frankfurt am Main, GRUR 2011, 614) hat den ersten Unterlassungsantrag und die darauf bezogenen Anträge abgewiesen und dem zweiten Unterlassungsantrag und den daran anknüpfenden Anträgen stattgegeben. Beide Parteien beantragen, die Sprungrevision gegen das Urteil des Landgerichts zuzulassen. Mit ihrer Revision will die Klägerin ihren Klageantrag und die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag jeweils in vollem Umfang weiterverfolgen.
[6] II. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Sprungrevision ist unstatthaft, weil die von den Prozessbevollmächtigten des ersten Rechtszugs abgegebene schriftliche Erklärung der Einwilligung der Klägerin in die Übergehung der Berufungsinstanz dem Zulassungsantrag nur in Kopie beigefügt worden ist. Die Statthaftigkeit der Sprungrevision setzt nach § 566 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO voraus, dass der Gegner in die Übergehung der Berufungsinstanz einwilligt. Die schriftliche Erklärung der Einwilligung des Antragsgegners, die auch von dem Prozessbevollmächtigten des ersten Rechtszugs abgegeben werden kann, ist nach § 566 Abs. 2 Satz 4 ZPO dem Zulassungsantrag beizufügen. Sofern die Einwilligung nicht telegrafisch, per Telefax, Computerfax oder elektronisch erklärt wird, muss die handschriftlich unterzeichnete Einwilligungserklärung im Original eingereicht werden; eine vom Anwalt des Antragstellers gefertigte auch beglaubigte – Fotokopie der Einwilligungserklärung genügt nicht (BGH, Beschluss vom 6. März 2007 – VIII ZR 330/06, NJW-RR 2007, 1075 Rn. 2 mwN).
[7] III. Auf den Antrag der Beklagten ist die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2011 zuzulassen. Der Antrag ist zulässig und gemäß § 566 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO auch begründet, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Der Rechtsstreit wirft grundsätzliche Rechtsfragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und der auf dieser Regelung beruhenden Schrankenregelung des § 52b Satz 1 UrhG auf.