Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 28. 9. 2011 – IV ZR 170/10; OLG Saarbrücken (lexetius.com/2011,5661)

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Wendt, Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski und Lehmann am 28. September 2011 beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken vom 30. Juni 2010 gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen eines Monats Stellung zu nehmen.
[1] Gründe: I. Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrt Deckungsschutz aus einer bei der Beklagten gehaltenen Betriebshaftpflichtversicherung, der Allgemeine Haftpflichtversicherung-Bedingungen aus 1984 (AHB 84) zugrunde liegen. Deren § 4 I Nr. 6 Abs. 3 bestimmt:
"Die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllungsleistung tretende Ersatzleistung ist nicht Gegenstand der Haftpflichtversicherung, auch dann nicht, wenn es sich um gesetzliche Ansprüche handelt, …"
[2] Gemeinsam mit der Firma M. B. (im Folgenden: Mitgesellschafterin) hatte die Klägerin vom Saarländischen Landesbetrieb für Straßenbau (LfS) im Jahre 2003 den Zuschlag unter anderem für Brückenbauarbeiten im Zuge der Bundesstraße 269 ("Querspange Ensdorf") erhalten. Beide Unternehmen schlossen sich daraufhin in Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) zusammen und vereinbarten intern, dass im Rahmen jeweils selbständiger Nachunternehmerverträge die Klägerin den Erd- und die Mitgesellschafterin den Betonbau übernehmen sollte.
[3] Nachfolgend beschädigte ein Mitarbeiter einer von der Klägerin beauftragten Subunternehmerin bei Nassbaggerarbeiten eine Bohrpfahlwand, die nach der Behauptung der Klägerin von der Mitgesellschafterin errichtet worden war. Unter anderem wegen dieses Schadens verweigerte der LfS am 24. November 2005 die Abnahme des Gesamtbauwerks.
[4] Die Klägerin beseitigte den Schaden an der Bohrpfahlwand selbst. Sie meint, die Beklagte müsse ihr die dabei entstandenen Kosten ersetzen.
[5] Die Beklagte verweigert Versicherungsleistungen unter anderem unter Berufung auf die oben zitierte Erfüllungsschadenklausel.
[6] Die Vorinstanzen haben die Klage auf Zahlung von 569.142,27 € und Feststellung, dass die Beklagte Deckungsschutz auch für einen der ARGE entstandenen Schaden wegen einer – infolge verspäteter Bauabnahme – um 3 % erhöhten Mehrwertsteuerschuld gewähren müsse, abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revis ion verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
[7] II. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i. S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
[8] 1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Beklagte infolge der Erfüllungsschadenklausel des § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB 84 leistungsfrei.
[9] Ob eine vertragliche Erfüllungsleistung im Sinne der Klausel vorliege, hat es in Übereinstimmung mit der ständigen Senatsrechtsprechung (Senatsbeschluss vom 29. September 2004 – IV ZR 162/02, VersR 2005, 110 unter c, cc m. w. N.; Senatsurteil vom 25. September 1985 – IVa ZR 183/83, BGHZ 96, 29, 31 = VersR 1985, 1153) danach beurteilt, ob der Geschädigte sein unmittelbares Interesse an einem vertraglich geschuldeten Leistungsgegenstand (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008 – IV ZR 277/05, VersR 2009, 107 Rn. 15, 17) geltend mache. Für solche Aufwendungen bestehe kein Versicherungsschutz. Die Ausschlussklausel lasse nur Schäden unberührt, die über das Erfüllungsinteresse hinausgingen. Bei dessen Ermittlung dürfe nicht isoliert auf die werkvertragliche Verpflichtung der Klägerin zu Erdbauarbeiten abgestellt werden, weil sich die vertraglichen Beziehungen zwischen der ARGE und der Klägerin darin nicht erschöpften. Für die versicherungsrechtliche Einordnung eines Anspruchs sei nicht auf die Anspruchsgrundlage abzustellen, auf die sich der Geschädigte stütze, vielmehr sei die Unterscheidung zwischen Erfüllung und Schadensersatz anhand von Inhalt und Umfang der vertraglichen Leistungspflichten zu treffen. Hier sei deshalb auch die Präambel des ARGE-Vertrages bedeutsam, nach der sich die beiden Gesellschafterinnen wechselseitig verpflichtet hatten, im Verhältnis ihrer Beteiligung ihre volle unternehmerische Leistung zur Erreichung des gesellschaftlichen Zwecks einzusetzen und sich hierbei gegenseitig zu unterstützen. Dies und auch der in § 2. 3 des ARGE-Vertrages beschriebene Gesellschaftszweck seien auf eine gemeinsame Durchführung des vom LfS vergebenen Auftrags gerichtet gewesen. Vertragspflichten, die sich unmittelbar darauf bezögen, zählten zur vertraglich geschuldeten Hauptleistungspflicht und beträfen nicht lediglich das Integritätsinteresse der Mitgesellschafterinnen. Stehe – wie hier – die Beschädigung des Werks in Rede, dessen Herstellung gemeinsamer Zweck der ARGE sei, sei mithin die Erfüllung einer vertraglichen Hauptleistungspflicht betro ffen. Die im Innenverhältnis der Mitgesellschafterinnen vereinbarte Arbeitsteilung in die Lose Erd- und Betonbau und die insoweit abgeschlossenen Nachunternehmerverträge änderten daran nichts.
[10] 2. Anders als das Berufungsgericht meint, sind die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erfüllt, weil die grundsätzlichen Fragen des Falles in der Senatsrechtsprechung bereits hinreichend geklärt sind. Das betrifft nicht nur den vorgenannten, vom Berufungsgericht zutreffend angewandten Maßstab für die Bestimmung einer vertraglichen Erfüllungsleistung, sondern auch die Frage, inwieweit die rechtliche Einordnung des zugrunde liegenden Vertrages insoweit bedeutsam ist.
[11] Der Senat hat bereits im Urteil vom 19. November 2008 (aaO Rn. 15) dargelegt, dass es sich bei der Voraussetzung der "an die Stelle der Erfüllungsleistung tretenden Ersatzleistung" i. S. des § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB 84 um einen eigenständigen versicherungsrechtlichen Begriff handelt, der losgelöst davon ist, wie die vom Geschädigten erhobenen Ansprüche werkvertraglich einzuordnen sind. Für die Voraussetzung "Erfüllung von Verträgen" gilt nichts anderes. Zu Recht hat das Berufungsgericht deshalb dem Umstand keine entscheidende Bedeutung beigemessen, dass sich die Klägerin neben der gemeinsam mit der Mitgesellschafterin gegenüber dem LfS übernommenen Verpflichtung zur Errichtung der Brücke als Ganzes in einem gesonderten Nachunternehmervertrag gegenüber der ARGE und der Mitgesellschafterin lediglich zur Erbringung der Erdarbeiten verpflichtet hatte, und sich die Pflicht, Gewerke der Mitgesellschafterin nicht zu beschädigen, bei isolierter Betrachtung dieses Werkvertrages als reine Nebenpflicht erwiese.
[12] 3. Was unter einer vom Versicherungsschutz ausgenommenen vertraglichen Erfüllungsleistung zu verstehen ist, muss anhand des Interesses am unmittelbaren Leistungsgegenstand bestimmt werden, wie es in den den Versicherungsnehmer bindenden Verträgen seinen Niederschlag findet. Gemessen daran ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Gesamtbetrachtung der von der Klägerin eingegangenen gesellschaftsrechtlichen und werkvertraglichen Verpflichtungen und ihre eigenständige versicherungsrechtliche Bewertung nicht zu beanstanden.
[13] Dabei kann hier offen bleiben, ob in erster Linie das Interesse des LfS an der Errichtung eines mangelfreien Brückenbauwerks oder das Interesse der Mitgesellschafterin und der ARGE an der Erreichung des Gesellschaftszwecks in den Blick genommen werden muss. Denn in jedem Falle erweist sich die von der Klägerin vorgenommene Reparatur der Bohrpfahlwand als Erfüllungsleistung im Sinne der Ausschlussklausel. Sie diente nicht nur dem Erfüllungsinteresse des LfS als Besteller der gesamten Brücke (vgl. dazu Senatsurteil vom 29. September 2004 aaO), sondern – wie das Berufungsgericht im Einzelnen zutreffend darlegt – zugleich dem gemeinsamen Interesse der beiden Mitgesellschafterinnen und der ARGE an der Erreichung des Gesellschaftszwecks.
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.