Bundesgerichtshof
StPO § 244 Abs. 4 und 6
Überprüfung des Verdachts einer wahrheitswidrigen Beweisbehauptung im Revisionsverfahren durch freibeweisliche Einholung des in der Tatsacheninstanz beantragten DNA-Identifizierungsgutachtens.

BGH, Beschluss vom 25. 4. 2012 – 5 StR 444/11; LG Braunschweig (lexetius.com/2012,1780)

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2012 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 21. Juni 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
[1] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachbeschwerde sowie eine Verfahrensrüge gestützte Revision bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Näherer Erörterung bedarf lediglich die erhobene Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte beanstandet, das Landgericht habe ein Beweisbegehren rechtsfehlerhaft beschieden.
[2] 1. Der Rüge liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde:
[3] a) Dem in die Hauptverhandlung eingeführten Sachverständigengutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen und der Zeugenaussage des ermittelnden KHK B. zufolge war einer Person mit den Personalien des Angeklagten im Jahre 2008 in Umsetzung einer Anordnung nach § 81g StPO eine Speichelprobe entnommen, anhand dieser ein DNA-Identifizierungsmuster erstellt, das Material allerdings wegen der vorangegangenen Notierung eines Aliasnamens – behördlicher Übung folgend – unter der polizeilichen Führungspersonalie "S. D. geb. 1982" in die DNA-Analyse-Datei eingestellt worden. Ausweislich eines Gutachtens des hessischen Landeskriminalamtes war am Tatort im Fall 1 der Urteilsgründe eine Blutspur ("Wattetupfer Nr. 1") gesichert worden, die dasselbe DNA-Identifizierungsmuster aufwies wie das unter den Personalien des "S. D. geb. 1982" gespeicherte.
[4] Die Verteidigung hat beantragt, "ein DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten" und ein "rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten einzuholen". Das Gutachten werde ergeben, "dass das DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten nicht mit den unter den Personalien 'S. D. geb. 1982' gespeicherten Daten identisch ist".
[5] Die Strafkammer hat diesen Antrag unter Berufung auf § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund von Gutachten des Landeskriminalamtes Niedersachsen vom 22. März 2011, betreffend das unter den Personalien des "S. D. geb. 1982" gespeicherte DNA-Identifizierungsmuster, und des hessischen Landeskriminalamtes vom 31. März 2011 zu dessen Vergleich mit der Tatortspur sei erwiesen, dass "der Angeklagte (Herr S. D. geb. 1982)" Verursacher der Tatortspur sei, so dass das Gegenteil der behaupteten Tatsache erwiesen sei. Der Einholung eines weiteren Gutachtens bedürfe es nicht. Insbesondere gehe das Gutachten nicht von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Bei dem im Gutachten des Landeskriminalamtes Niedersachsen untersuchten Material handele es sich um solches, das vom Angeklagten stamme. Der Zeuge KHK B. habe glaubhaft angegeben, dass im damaligen Ermittlungsverfahren der Staatanwaltschaft Braunschweig im Rahmen erkennungsdienstlicher Erfassung eine Speichelprobe vom Angeklagten genommen und unter Aliaspersonalien des Angeklagten abgelegt worden sei, weil dessen 2008 abgenommene Fingerabdrücke identisch gewesen seien mit unter jenem Aliasnamen im Jahre 2004 abgenommenen Fingerabdrücken. Der Zeuge KHK B. habe den Angeklagten im Hauptverhandlungstermin als diejenige Person wiedererkannt, der damals die Speichelprobe entnommen wurde. Auch die Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes von der 2008 erkennungsdienstlich behandelten Person habe deren Identität mit dem Angeklagten ergeben.
[6] b) Entsprechend einer Anregung des Senats im Revisionsverfahren ist dem Angeklagten eine neue DNA-Probe entnommen worden, deren Begutachtung Übereinstimmung sowohl mit der unter den Aliaspersonalien abgelegten Probe als auch mit der Tatortspur erbracht hat.
[7] 2. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Zwar ist der Revision zuzugeben, dass die Strafkammer den gestellten Antrag in Anwendung des Beweisantragsrechts gemäß § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO schon deshalb nicht ablehnen durfte, weil ein DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten im Rahmen des hiesigen Verfahrens noch nicht ermittelt, daher im hiesigen Verfahren nicht durch einen Sachverständigen analysiert worden war. Gleichwohl fehlt es an einer Verletzung des Beweisantragsrechts.
[8] a) Es liegt nicht fern, dass die Strafkammer zu einer Behandlung des Antrags gemäß § 244 Abs. 3, 4 und 6 StPO von vornherein nicht verpflichtet war, weil es dem Beweisbegehren an einer bestimmten Beweisbehauptung im Sinne erweitert verstandener Konnexität mangelte (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284; Beschluss vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Konnexität 1). Die Frage muss hier nicht abschließend entschieden werden.
[9] b) Bei Antragstellung hat der gravierende Verdacht einer wider besseres Wissen und damit rechtsmissbräuchlich aufgestellten Beweisbehauptung bestanden.
[10] aa) Das Antragsvorbringen erschöpfte sich nach erfolgter Beweiserhebung zur Täterschaft des Angeklagten allein darin, die Identität seines DNA-Musters mit dem unter der Führungspersonalie "S. D. geb. 1982" abgelegten unter Antritt eines Sachverständigenbeweises zu widerlegen. Dagegen stand deutlich die bisher in der Hauptverhandlung gewonnene Beweislage. Über die in dem beanstandeten Beschluss aufgeführten Indizien hinaus war Identität der im Jahre 2004 abgenommenen und unter den Personalien "S. D. geb. 1982" abgelegten Fingerabdrücke nicht nur mit den Fingerabdrücken der Person gegeben, gegen die unter den Personalien des Angeklagten im Jahre 2008 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls ermittelt und eine Freiheitsstrafe verhängt worden war, sondern darüber hinaus – wie sich aus einem in der Revisionsbegründung vorgelegten Vermerk des Ermittlungsführers ergibt – auch mit den dem Angeklagten im hiesigen Verfahren abgenommenen Fingerabdrücken festgestellt worden. Der Angeklagte hatte zudem im Rahmen seiner Einlassung zu seinen persönlichen Verhältnissen die wegen des Wohnungseinbruchsdiebstahls im Jahre 2008 ergangene – auf einem damaligen Geständnis beruhende – Verurteilung als seine anerkannt.
[11] bb) Bei dieser erdrückenden Beweislage drängte sich auf, dass dem Antrag auf Beweiserhebung zur Nichtidentität der DNA-Merkmale des Angeklagten mit den unter den Aliaspersonalien gespeicherten DNA-Proben und der Tatortspur eine bewusst wahrheitswidrige Behauptung zugrunde lag.
[12] Dies galt mindestens aus Sicht des Angeklagten, der ja wissen musste, ob ihm anlässlich des Wohnungseinbruchs 2008 eine Speichelprobe entnommen worden und ob er im Fall 1 am Tatort gewesen war. Wenn der Senat dem Antrag mit Blick auf den für den Antragsteller offenkundigen, von ihm auch im Revisionsverfahren nicht beseitigten schwerwiegenden Verdacht nicht schon von vornherein die Beweisantragsqualität abgesprochen hat, war er jedenfalls nicht gehalten, ohne weiteres von einem Beweisantrag auszugehen. Vielmehr durfte er dem Verdacht im Freibeweisverfahren weiter nachgehen.
[13] cc) Der Senat hat hierzu das erwähnte Sachverständigengutachten eingeholt (vgl. zur Möglichkeit solchen Vorgehens im Revisionsrechtszug, bislang freilich in etwas anders gelagerten Fallkonstellationen: BGH, Urteile vom 24. November 1992 – 5 StR 500/92, BGHSt 39, 49, 53; 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 72; 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 166 f.; 22. April 2004 – 5 StR 534/02, NStZ-RR 2004, 270, 271; 15. Februar 2005 – 1 StR 91/04, StV 2005, 374). Dadurch hat sich der Verdacht sicher bestätigt. Dementsprechend handelt es sich bei dem Antrag, dessen Bescheidung die Revision beanstandet, nicht um einen nach Maßgabe des § 244 Abs. 3, 4 und 6 StPO zu behandelnden Beweisantrag, sondern um einen tatsächlich nicht zum Zwecke der Wahrheitsermittlung, sondern sachwidriger Prozesstaktik gestellten missbräuchlichen Scheinbeweisantrag. Es fehlt daher erwiesenermaßen an einer Verletzung des Beweisantragsrechts.
[14] c) Bei dieser Sachlage kann der Senat offenlassen, ob das Revisionsgericht etwa ausnahmsweise nach einem Aufklärungsmangel oder einem vom Tatgericht rechtsfehlerhaft beschiedenen Beweisantrag, einen Sachverständigenbeweis betreffend, bei dem ein eindeutiges, von keiner weiteren gerichtlichen Bewertung abhängiges Beweisergebnis zu erwarten ist (vgl. zur DNA BGH, Beschluss vom 21. Januar 2009 – 1 StR 722/08, NJW 2009, 1159, aber auch Beschluss vom 6. März 2012 – 3 StR 41/12), zur Nachholung einer versäumten tatgerichtlichen Beweiserhebung befugt sein könnte, mit der die Frage des Beruhens des angefochtenen Urteils auf dem gerügten Verstoß eindeutig zu klären wäre.