Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 3. 5. 2012 – V ZB 138/11; OLG Karlsruhe (lexetius.com/2012,2170)

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Mai 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub beschlossen:
Dem Kläger wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt bewilligt.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 18. April 2011 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 57.769,12 €.
[1] Gründe: I. Der Antragsteller, der seit dem 11. Januar 2006 Insolvenzverwalter über das Vermögen von H. H. B. (im Folgenden: Schuldner) ist, verlangt von den Beklagten Zahlung einer Entschädigung von insgesamt 57.769,12 € zuzüglich Zinsen für die Nutzung von Wohnungen in einem Haus, das dem Schuldner sowie einer aus dem Schuldner und seiner Tochter bestehenden Erbengemeinschaft gehörte.
[2] Er hat Prozesskostenhilfe für eine Klage beantragt. Das Landgericht hat den Antrag, das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde gegen diese Entscheidung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Prozesskostenhilfegesuch weiter.
[3] II. Das Beschwerdegericht meint, dass dem Antragsteller als Partei kraft Amtes die beantragte Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht zu bewilligen sei. Zwar könne er die für die Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten von 5.032,73 € nicht aus der von ihm verwalteten Masse von 3.986,89 € aufbringen; die Finanzierung der fehlenden 1.045,84 € sei aber den Gläubigern zuzumuten.
[4] Auch wenn ein günstiger Ausgang des Rechtsstreits nicht sicher feststehe, sei es den Gläubigern zumutbar, das Risiko der Prozessführung mitzutragen und den Verlust der eingesetzten Prozesskosten in Kauf zu nehmen, wenn eine wirtschaftlich denkende vermögende Partei ein solches Prozessrisiko eingehen würde. Der Auffassung von Motzer (MünchKomm-ZPO, 3. Auflage, § 116 Rn. 17), dass den Gläubigern eine Finanzierung nur zugemutet werden könne, wenn wenigstens die Rückzahlung des Vorschusses aus der Masse sichergestellt sei, sei nicht zu folgen, da § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO eine solche Besserstellung der Insolvenzgläubiger gegenüber anderen Prozessparteien nicht vorsehe.
[5] III. Das Beschwerdegericht hat im Ergebnis zu Recht die Beschwerde des Insolvenzverwalters gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss zurückgewiesen.
[6] 1. Die Prozesskosten können allerdings nicht aus der von dem Antragsteller verwalteten Masse aufgebracht werden (§ 116 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 ZPO). Aus den dem Verwalter zur Verfügung stehenden Barmitteln von weniger als 4.000 € können nicht Verfahrenskosten von über 5.000 € bestritten werden, die für eine gerichtliche Geltendmachung einer Forderung von 57.796,12 € in erster Instanz erforderlich sind.
[7] 2. Der Antragsteller hat jedoch nicht dargelegt, dass es den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich beteiligten Gläubigern nicht zuzumuten ist, die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen (§ 116 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 ZPO).
[8] a) Zuzumuten sind Vorschüsse auf Prozesskosten nur Gläubigern, welche die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und deren zu erwartender Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozesskostenrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung durch den Verwalter deutlich größer sein wird (BGH, Beschlüsse vom 27. September 1990 – IX ZR 250/89, NJW 1991, 40, 41 und vom 6. März 2006 – II ZB 11/05, NJW-RR 2006, 1064 Rn. 9). Das ist auf der Grundlage einer wertenden Abwägung aller Umstände zu entscheiden, bei der insbesondere die zu erwartende Verbesserung der Quote im Fall des Obsiegens des Verwalters, das Prozess- und das Vollstreckungsrisiko und die Gläubigerstruktur zu berücksichtigen sind (BGH, Beschlüsse vom 6. März 2006 – II ZB 11/06, NJW-RR 2006, 1064, 1065 Rn. 15 und vom 25. November 2010 – VII ZB 71/08, MDR 2011, 132). Diese Beurteilung unterliegt der tatrichterlichen Würdigung des Beschwerdegerichts (BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – VII ZB 71/08, aaO), die von dem Rechtsbeschwerdegericht allein auf Rechtsfehler überprüft werden kann.
[9] b) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO den Gläubigern eine Aufbringung der Kosten selbst dann zuzumuten ist, wenn sie bei einem Prozessverlust aus der Masse keinen Ersatz der von ihnen vorgeschossenen Kosten erhalten. Der abweichenden Ansicht von Motzer (MünchKomm-ZPO, 3. Aufl., § 116 Rn. 17) ist das Beschwerdegericht zu Recht nicht gefolgt. § 116 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO wäre dann weitgehend bedeutungslos, weil sich die Frage nach einem Vorschuss der Gläubiger für den von dem Verwalter zu führenden Rechtsstreit ohnehin erst stellt, wenn die Kosten aus der Masse nicht aufgebracht werden können.
[10] § 116 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO enthält im Übrigen hinsichtlich der Voraussetzungen der Unzumutbarkeit der Kostenaufbringung für die an dem Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten keine von dem Grundsatz der Prozesskostenhilfe abweichende Regelung, nach der leistungsfähige Parteien die Kosten für die Prozessführung grundsätzlich selber tragen sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 1998 – XI ZR 4/98, BGHZ 138, 188, 192).
[11] c) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts, dass den Gläubigern die Aufbringung der Kosten des beabsichtigten Rechtsstreits zuzumuten sei, ist jedoch nur für den Fall rechtsfehlerfrei begründet, dass aus der Masse keine Ansprüche der absonderungsberechtigter Gläubiger (sog. Ausfallgläubiger nach § 52 Satz 2 InsO) zu bedienen sind.
[12] aa) Die Aufbringung eines Anteils an den Prozesskosten wäre der Volksbank, als der größten aus der Masse zu befriedigenden Gläubigerin, zuzumuten, wenn sie bei einem Prozesserfolg des Antragstellers statt einer Zahlung von 2.000 € eine solche von 25.000 € erwarten könnte. Das würde selbst dann gelten, wenn nur 50 % der Klageforderung realisiert werden könnten, da der Nutzen aus der Durchführung des Prozesses auch dann noch den Aufwand für dessen (Vor-) Finanzierung um ein Vielfaches überstiege. In solch einem Fall ist dem Gläubiger das Aufbringen der Kosten zumutbar und dem Verwalter die Prozesskostenhilfe deshalb nicht zu bewilligen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2007 – II ZA 12/07, Rn. 4, juris; vom 23. Oktober 2008 – II ZR 211/08, Rn. 3, juris, und vom 7. Juni 2011 – II ZA 1/11, ZInsO 2011, 1552 Rn. 4).
[13] bb) Anders wäre es jedoch, wenn aus der Masse noch weitere Forderungen von Gläubigern nach § 52 Satz 2 InsO in einer Höhe von 582.725,80 € zu befriedigen wären.
[14] Der auf die Volksbank entfallende Erlös erhöhte sich dann selbst bei einem vollständigen Prozesserfolg des Verwalters nur um ca. 4.650 €. Eine Befriedigung der Ansprüche der Volksbank in dieser Höhe ist aber nicht zu erwarten, weil schon der Umfang der Nutzung durch die Antragsgegner streitig ist, die Vollstreckungsaussichten ungewiss sind und zudem – wie von der Rechtsbeschwerde zu Recht bemerkt – hier selbst die Erfüllung der titulierten Forderung noch nicht zu einer Vermehrung der verteilbaren Masse führte, weil der Antragsteller von den Antragsgegnern nicht Zahlung an sich, sondern gemäß § 1011 i. V. m. § 432 BGB nur Leistung an eine Miteigentümergemeinschaft verlangen kann (vgl. Senat, Urteil vom 11. Dezember 1992 – V ZR 118/91, BGHZ 121, 22, 25).
[15] Hinzu kommt, dass – wenn auch die Ansprüche der Absonderungsberechtigten aus der Masse zu befriedigen sein sollten – weitere Großgläubiger (mit Forderungen von 132.700,59 €, 158.098 €, 206.439,24 € und 49.193,04 €) Zahlungen erhielten, die den auf die Forderung der Volksbank von 64.100,01 € entfallenden Betrag mehrfach überstiegen. Die Zumutbarkeit der Aufbringung der Kosten kann in solch einem Fall nicht nach dem Aufwand bei einer Finanzierung durch die Volksbank beurteilt werden, da nicht ein, sondern grundsätzlich alle Gläubiger zur Aufbringung der Prozesskosten im Verhältnis der zu erwartenden Quotenverbesserung heranzuziehen sind (BGH, Beschluss vom 8. Februar 1999 – II ZB 24/98, NJW 1999, 1404 und KG, ZIP 2003, 270). Einem Gläubiger ist es in diesem Fall grundsätzlich nicht zuzumuten, die Kosten eines Prozesses aufzubringen, der überwiegend den Quoten anderer Gläubiger zugutekommt, denen in gleichem oder noch größerem Umfang die Aufbringung der für die Rechtverfolgung des Verwalters erforderlichen Kosten zumutbar wäre (vgl. OLG Köln, Rpfleger 1995, 126, 127; OLG Naumburg, ZIP 1994, 383, 384; OLG München, ZIP 1996, 512, 513).
[16] d) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich jedoch im Ergebnis als richtig dar, weil die Verminderung des von einem Gläubiger zu erwartenden Ertrags mit einer Verringerung seines Anteils an den aufzubringenden Kosten einherginge. Die Lasten durch die Finanzierung des Rechtsstreits sind auf die Gläubiger entsprechend ihren Vorteilen bei einem Prozessgewinn des Insolvenzverwalters zu verteilen.
[17] aa) Dabei haben grundsätzlich auch die Gläubiger, die eine abgesonderte Befriedigung beanspruchen können, die Kosten eines von dem Verwalter geführten Prozesses mit aufzubringen (OLG Koblenz, OLGR 2006, 316, 318; OLG München [13. Zivilsenat], NZBau 2006, 518, 519). Sie sind bei einem von dem Verwalter geführten Aktivprozesses ebenfalls als wirtschaftlich Beteiligte im Sinne des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO anzusehen, zu denen alle Gläubiger gehören, die bei einem erfolgreichen Abschluss des Rechtsstreits wenigstens mit einer teilweisen Befriedigung ihrer Ansprüche aus der Masse rechnen können (BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1992 – V ZR 3/92, BGHZ 119, 372, 377 und vom 7. Juli 1997 – II ZB 7/97, NJW 1997, 3318, 3319). Das Recht eines Gläubigers, abgesonderte Befriedigung außerhalb des Verfahrens zu erlangen, schließt seine Befriedigung aus der Masse nicht aus.
[18] bb) Allerdings ist derzeit nicht geklärt, ob und in welchem Umfang diese Gläubiger Zahlungen aus der Masse werden beanspruchen können. Dazu sind sie nach § 52 Satz 2 InsO nur dann berechtigt, wenn sie auf ihre Absonderungsrechte verzichten oder bei der abgesonderten Befriedigung ausgefallen sind. Ist das nicht der Fall, kann diesen Gläubigern eine Beteiligung an den Kosten eines von dem Verwalter geführten Aktivprozesses nicht zugemutet werden, weil sie von dem Prozesserfolg nicht profitieren. Ob und welche Absonderungsberechtigten aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind, steht jedoch erst nach Ablauf der in § 190 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 189 Abs. 1 InsO bestimmten Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung des von dem Verwalter erstellten Schlussverzeichnisses fest (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2009 – IX ZR 126/08, NJW-RR 2010, 59 Rn. 12; Meller- Hannich in Jaeger, InsO, 5. Aufl., § 190 Rn. 13 bis 15).
[19] cc) Nach einer Auffassung soll in solchen Fällen der Umstand, dass die Zumutbarkeit einer Beteiligung der sog. Ausfallgläubiger an den Kosten eines Aktivprozesses ungeklärt ist, zu Gunsten des Insolvenzverwalters zu berücksichtigen sein, so dass die beantragte Prozesskostenhilfe zu bewilligen sei (OLG München [5. Zivilsenat], ZIP 2011, 398, 399; PG/Völker-Zimpel, ZPO, 3. Aufl., § 116 Rn. 10). Nach anderer Ansicht ist dagegen zu Lasten des Verwalters davon auszugehen, dass auch die Ausfallgläubiger zu den Kosten des beabsichtigten Rechtsstreits heranzuziehen sind, solange der Verwalter nicht dargetan hat, dass diese Gläubiger auch ohne die beabsichtigte Klage auf Grund ihrer Absonderungsrechte mit einer weitgehenden Befriedigung ihrer Ansprüche rechnen können und deshalb wirtschaftlich nicht in erheblichem Maße an einem Erfolg der Rechtsverfolgung partizipieren werden (OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Oktober 2005 – 6 W 581/05, OLGR 2006, 316, 318; OLG München [13. Zivilsenat], NZBau 2006, 518, 519).
[20] dd) Die letztgenannte Ansicht ist richtig. Sie entspricht dem Grundsatz, dass der Verwalter, der Prozesskostenhilfe beantragt, die für deren Gewährung geltenden besonderen Voraussetzungen darzutun und auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen hat (BGH, Beschluss vom 24. März 1998 – XI ZR 4/98, BGHZ 138, 188, 192). Wegen der Nachrangigkeit der Prozesskostenhilfe gegenüber einer zumutbaren Finanzierung der Kosten eines Rechtsstreits durch die wirtschaftlich Beteiligten (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 20. Januar 2011 – 8 U 250/10, Rn. 4, juris) muss der Verwalter die Umstände darlegen, derentwegen den Gläubigern eine Prozessfinanzierung nicht zumutbar ist. Bezüglich der sog. Ausfallgläubiger hat der Verwalter mitzuteilen, ob die absonderungsberechtigten Gläubiger nach dem Stand des Verfahrens noch Forderungen gegen die Masse geltend machen können. Zudem bedarf es zumindest eines Versuchs des Insolvenzverwalters, die Kosten des Prozesses von den (Groß-) Gläubigern zu erlangen, denen eine Aufbringung der Kosten zumutbar wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – VII ZB 71/08, MDR 2011, 132, 133).
[21] e) Da der Antragsteller – auch auf die Nachfragen des Beschwerdegerichts – weder konkrete Angaben zum Stand des Verfahrens gemacht noch den Versuch unternommen hat, die Kosten des Verfahrens von den fünf Großgläubigern zu erlangen, ist die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe von dem Beschwerdegericht im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen worden.
[22] IV. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Januar 2005 – V ZB 37/04, Rn. 11, juris). Der für die Rechtsanwaltsgebühren maßgebliche Wert der Rechtsbeschwerde bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 RVG i. V. m. VV 3335 nach dem Wert der Hauptsache (BGH, Beschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 82/10, FGPrax 2010, 321 Rn. 6).