Bundesgerichtshof
GG Art. 1 Abs. 1; Art. 2 Abs. 1; Art. 5 Abs. 1; BGB §§ 823 Abs. 1; 1004 Abs. 1 Satz 2
Zur Zulässigkeit des Bereithaltens von zeitgeschichtlich bedeutsamen, den Täter namentlich nennenden Prozessberichten über ein Kapitalverbrechen in dem Online-Archiv einer Zeitschrift.

BGH, Urteil vom 13. 11. 2012 – VI ZR 330/11; OLG Hamburg (lexetius.com/2012,5607)

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 1. November 2011 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. April 2011 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
[1] Tatbestand: Der Kläger begehrt von der Beklagten es zu unterlassen, über Straftaten aus dem Jahr 1981, derentwegen der Kläger 1982 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, unter Nennung seines Nachnamens zu berichten.
[2] Das Magazin "Der Spiegel" berichtete in den Ausgaben vom 22. November 1982, 3. Januar 1983 und 14. November 1983 über den "Apollonia- Prozess". Der Kläger war angeklagt, am frühen Abend des 13. Dezember 1981 an Bord der Yacht "Apollonia", die sich mit Kurs Karibik auf hoher See befand, zwei Menschen erschossen und einen dritten schwer verletzt zu haben. Deshalb wurde er vom Landgericht Bremen wegen Mordes in zwei Fällen und wegen versuchten Mordes in einem Fall zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. In dem letzten Artikel wird über das Revisionsverfahren berichtet, in dem der Bundesgerichtshof die Revision des Klägers gegen seine Verurteilung verworfen hat.
[3] Ab April 1999 erstellte die Beklagte unter "www. spiegel. de" ein im Wesentlichen kostenloses Online-Archiv, in welchem bis zum Jahr 2002 auch die vorgenannten Artikel zum Abruf bereitgestellt wurden. Bei der Eingabe des vollen Namens des Beklagten werden – auch über "Google" – die vorgenannten Berichte an den ersten Stellen angezeigt.
[4] Im Jahr 2001 erschien das Buch "Logbuch der Angst – Der Fall der Apollonia" von Klaus Hympendahl. Im Jahr 2004 brachte die ARD den Fall als Fernsehspiel unter dem Titel "Mord in der Karibik – Die Todesfahrt der Apollonia" in der Reihe "Die großen Kriminalfälle". Zeitungsberichte über die Fahrt der Apollonia gab es bis in das Jahr 2008. In allen diesen Veröffentlichungen wurde der Name des Klägers allerdings nicht genannt.
[5] Nachdem der Kläger – nach seiner eigenen Darstellung erstmals im Jahr 2009 – Kenntnis von den Online-Veröffentlichungen der Beklagten erlangt hatte, mahnte er mit Schreiben vom 1. Februar 2010 die Beklagte wegen der identifizierenden Berichterstattung im Internet ab und hat – nachdem die Beklagte keine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgab – die vorliegende Unterlassungsklage erhoben. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, über die Straftat des Klägers aus dem Jahr 1981 unter Nennung seines Nachnamens zu berichten. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
[6] Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht meint, bei der Abwägung zwischen dem Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens sowie seiner Anonymität aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK überwiege das Schutzinteresse des Klägers. Das Bereithalten der beanstandeten Beiträge unter Nennung des Nachnamens des Klägers zum Abruf im Internet verletze dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht in rechtswidriger Weise. Dabei stehe im Vordergrund, dass die Rezipienten lange Zeit nach den Taten und der Verurteilung durch die ausführlichen Beiträge erneut und erstmalig erführen, dass der Kläger zwei Morde und einen Mordversuch begangen habe und dafür verurteilt worden sei. Die Informationen über die von dem Kläger begangenen Gewaltverbrechen hätten bei aller zugleich mitgeteilten Kritik an den Feststellungen des mit der Strafsache befassten Schwurgerichts eine stigmatisierende Wirkung. Denn wegen der außergewöhnlichen Schwere des Tatunrechts und der Folgen der Taten begründeten die Veröffentlichungen in besonderem Maß die Gefahr, dass sie sich bei den Rezipienten als Anknüpfungspunkt für eine soziale Abgrenzung und Isolierung des Klägers auswirkten. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand zur Tat gewinne das Resozialisierungsinteresse des Straftäters an Bedeutung. Die Reaktualisierung der Verbrechen des Klägers auf dem Internetportal der Beklagten habe mit einem zeitlichen Abstand von mindestens 18 Jahren zur Tat und mindestens 16 Jahren zum Abschluss des Revisionsverfahrens stattgefunden, ohne dass es einen neuen Anknüpfungspunkt für ein öffentliches Informationsinteresse gegeben habe. Der Anlass für die Bereitstellung der Artikel aus den Jahren 1982 und 1983 sei lediglich die Schaffung des Online-Archivs gewesen. Der nicht näher bekannte Zeitpunkt der Bereitstellung der Artikel im Internet habe längstens etwa ein Jahr vor oder etwa zwei Jahre nach der Entlassung des Klägers aus dem Strafvollzug gelegen. Auch unter Berücksichtigung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit sei im Verhältnis zu der damit für den Kläger verbundenen Beeinträchtigung kein hinreichender Grund erkennbar, ein schutzwürdiges Informationsinteresse bei dem vorliegenden zeitlichen Ablauf auf eine erneute Bekanntgabe des Nachnamens des Klägers zu erstrecken.
[7] Auch bei einer Bereitstellung von Informationen auf Internetportalen als sogenannte passive Darstellungsplattform dürfe nicht außer Acht bleiben, dass mit den technischen Nutzungsmöglichkeiten des Internets und den dort kostenlos verfügbaren und hoch effizient arbeitenden Suchmaschinen bei Eingabe des Namens des Klägers zeitlich und örtlich unbegrenzt ein Zugriff auf die Artikel mit dem vollen Namen des Klägers möglich sei. Von einem solchen "Dauerzustand" gehe eine ganz erhebliche Eingriffsintensität auf das Persönlichkeitsrecht des Klägers aus. Eine Anonymisierung des Täters im elektronischen Archiv müsse nicht eine Tilgung der Geschichte und vollständige Immunisierung von Straftätern zur Folge haben. Wenn die unveränderten Beiträge in einem herkömmlichen Archiv mit Printmedien bereitgestellt würden, aber nicht für die breite Öffentlichkeit des Internets voraussetzungslos abrufbar wären, wäre einem Interesse an zeitgeschichtlichen Recherchemöglichkeiten hinreichend Genüge getan. Jedenfalls habe es der Beklagten nach Zugang der Abmahnung des Klägers oblegen, die dort bezeichneten Artikel zu überprüfen und den Nachnamen des Klägers zu entfernen sowie darüber hinaus ihr Internetangebot auf weitere Beiträge über die Straftaten des Klägers unter Nennung seines Namens durchzusehen.
[8] II. Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Dem Kläger steht kein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu.
[9] 1. Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht angenommen, dass das Bereithalten der angegriffenen Meldung zum Abruf im Internet einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstellt. Denn die Berichterstattung über ein Strafverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (vgl. Senatsurteile vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99, BGHZ 143, 199, 202 f.; vom 15. Dezember 2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 Rn. 10; vom 9. Februar 2010 – VI ZR 243/08, VersR 2010, 673 Rn. 13; vom 20. April 2010 – VI ZR 245/08, AfP 2010, 261 Rn. 11; vom 1. Februar 2011 – VI ZR 345/09, VersR 2011, 634 Rn. 11; vom 22. Februar 2011 – VI ZR 114/09, AfP 2011, 176 Rn. 11; vom 22. Februar 2011 – VI ZR 346/09, AfP 2011, 180 Rn. 10; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, VersR 2012, 994 Rn. 34; BVerfG, AfP 2012, 143 Rn. 36; EGMR, Urteil vom 7. Februar 2012 – 39954/08, K & R 2012, 187 Rn. 83, 96 – Axel Springer AG gegen Deutschland, jeweils mwN). Dies gilt nicht nur bei aktiver Informationsübermittlung durch die Medien, wie es im Rahmen der herkömmlichen Berichterstattung in Tagespresse, Rundfunk oder Fernsehen geschieht, sondern auch dann, wenn – wie im Streitfall – den Straftäter identifizierende Inhalte lediglich auf einer passiven Darstellungsplattform im Internet zum Abruf bereitgehalten werden. Diese Inhalte sind nämlich grundsätzlich jedem interessierten Internetnutzer zugänglich (vgl. Senatsurteile vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, aaO und vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, zur Veröffentlichung bestimmt).
[10] 2. Im Ausgangspunkt zutreffend hat es das Berufungsgericht auch für geboten erachtet, über den Unterlassungsantrag aufgrund einer Abwägung des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. Senatsurteile vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, aaO Rn. 35 und vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12; zVb; EGMR, Urteil vom 7. Februar 2012 – 39954/08, aaO Rn. 89 ff., jeweils mwN).
[11] 3. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dadurch in rechtswidriger Weise verletzt wird, dass die beanstandeten Presseberichte, die ihn mit vollem Namen nennen, zum Abruf im Internet bereitgehalten werden. Das Berufungsgericht hat das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung mit einem zu geringen Gewicht in die Abwägung eingestellt.
[12] a) Nach den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben (vgl. Senatsurteile vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, aaO Rn. 37 und vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, zVb; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 17; AfP 2009, 480 Rn. 61 f.; AfP 2010, 365 Rn. 27 ff.; AfP 2012, 143 Rn. 36, 39, jeweils mwN) darf die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden (vgl. BVerfG, AfP 2009, 46 Rn. 12; AfP 2012, 143 Rn. 39). Straftaten – auch konkreter Personen – aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien (BVerfG, AfP 2012, 143 Rn. 39; Wenzel/Burkhart, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 10 Rn. 154). Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht. Allerdings kann auch eine wahre Darstellung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussagen geeignet sind, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für eine soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden drohen (vgl. BVerfGE 97, 391, 404 f.; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 17).
[13] b) Geht es um eine Berichterstattung über eine Straftat, so ist zu berücksichtigen, dass eine solche Tat zum Zeitgeschehen gehört, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft begründen ein anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter (vgl. etwa Senatsurteile vom 17. Dezember 1999 – VI ZR 51/99, BGHZ 143, 199, 204; vom 15. November 2005 – VI ZR 286/04, VersR 2006, 274 Rn. 14; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, aaO Rn. 38; vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, zVb; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 18; AfP 2010, 365 Rn. 32; EGMR, Urteil vom 7. Februar 2012 – 39954/08, aaO Rn. 96). Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss aber in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens und seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen (vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, zVb).
[14] c) Mit zeitlicher Distanz zum Strafverfahren und nach Befriedigung des aktuellen Informationsinteresses der Öffentlichkeit gewinnt das Interesse des Betroffenen, von einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, zunehmend an Bedeutung (vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, zVb und vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, aaO Rn. 40; BVerfGE 35, 202, 233; BVerfG, AfP 2006, 354, 355; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 21, jeweils mwN).
[15] Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet Schutz vor einer zeitlich uneingeschränkten Befassung der Medien mit der Person des Straftäters. Hat die das öffentliche Interesse veranlassende Tat mit dem Abschluss des Strafverfahrens die gebotene Reaktion der Gemeinschaft erfahren und ist die Öffentlichkeit hierüber hinreichend informiert worden, so lassen sich fortgesetzte oder wiederholte Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen mit Blick auf sein Interesse an der Wiedereingliederung in die Gemeinschaft nicht ohne weiteres rechtfertigen. Eine vollständige Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse ist damit jedoch nicht gemeint (BVerfGE 35, 202, 233; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 21). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt dem Betroffenen keinen uneingeschränkten Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit seiner Verfehlung konfrontiert zu werden (vgl. Senatsurteile vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, zVb und vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, aaO, mwN). Selbst die Verbüßung der Straftat führt nicht dazu, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch erwirbt, mit der Tat "allein gelassen zu werden". Maßgeblich ist vielmehr stets, in welchem Ausmaß das Persönlichkeitsrecht einschließlich des Resozialisierungsinteresses des Straftäters von der Berichterstattung unter den konkreten Umständen des Einzelfalls beeinträchtigt wird (vgl. BVerfG NJW 2000, 1859, 1860; AfP 2009, 365 Rn. 21; EGMR, Urteil vom 7. Dezember 2006, Beschwerde Nr. 35841/02, Österreichischer Rundfunk gegen Österreich, Nr. 68, ÖJZ 2007, 472, 473, jeweils mwN). Für die Intensität der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts kommt es auch auf die Art und Weise der Darstellung, insbesondere auf den Grad der Verbreitung des Mediums an (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 2010 – VI ZR 243/08, GRUR 2010, 549 Rn. 19).
[16] d) Nach diesen Grundsätzen hat das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.
[17] aa) Das Berufungsgericht zieht nicht in Zweifel, dass die Berichte über die Straftat und die Verurteilung des Klägers zum Zeitpunkt der ursprünglichen Berichterstattung rechtmäßig waren. In den Beiträgen, die der Kläger nur hinsichtlich der Nennung seines Namens, nicht aber im Übrigen angreift, wird wahrheitsgemäß und sachlich ausgewogen über die Tat, ihre Hintergründe, die Persönlichkeit des Klägers und den Strafprozess berichtet. Auch der Kläger selbst stellt nicht in Frage, dass die ihn identifizierenden Angaben zum Zeitpunkt der erstmaligen Veröffentlichung der Artikel im "Spiegel" zulässig waren.
[18] bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war es auch zulässig, die genannten Artikel nach April 1999 unverändert in ein Online-Archiv einzustellen und weiterhin zum Abruf bereitzuhalten.
[19] (1) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Artikel als frühere Veröffentlichung im "Spiegel" erkennbar, die lediglich online zum Abruf bereitgehalten werden. Ein Auffinden setzt eine gezielte Suche voraus. Sie waren und sind nur auf einer als passive Darstellungsplattform gestalteten Website verfügbar, die typischerweise nur von solchen Nutzern zur Kenntnis genommen wird, die sich selbst aktiv informieren (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, zVb und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, aaO Rn. 43 mwN; BVerfG, AfP 2000, 445, 448; NJW 2003, 2818, 2819; NJW 2008, 1298 Rn. 20).
[20] (2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts musste die Beklagte die Berichte nicht allein aufgrund des Zeitablaufs anonymisieren. Ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit besteht nicht nur an der Information über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse anhand der unveränderten Originalberichte in den Medien zu recherchieren (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 Rn. 20 mwN). Dementsprechend nehmen die Medien ihre Aufgabe, in Ausübung der Meinungsfreiheit die Öffentlichkeit zu informieren und an der demokratischen Willensbildung mitzuwirken, auch dadurch wahr, dass sie nicht mehr aktuelle Veröffentlichungen für interessierte Mediennutzer verfügbar halten.
[21] (3) Der "Apollonia-Prozess" war ein bedeutendes zeitgeschichtliches Ereignis. Er betraf ein spektakuläres Kapitalverbrechen, das untrennbar mit der Person und dem Namen des Klägers verbunden ist. In ähnlicher Weise werden viele Aufsehen erregende Kriminalfälle der Strafrechtsgeschichte unter dem Namen der Täter geführt. Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts beschäftigten die Ereignisse auf der "Apollonia" und der nachfolgende Prozess die Medien bis in die jüngste Zeit.
[22] Dies belegt die besondere zeitgeschichtliche Bedeutung dieses Falles und das nach wie vor bestehende Interesse der Öffentlichkeit. Ein generelles Verbot der Einsehbarkeit und Recherchierbarkeit der Originalberichte bzw. ein Gebot der Löschung aller früheren, den Straftäter identifizierenden Darstellungen in Online-Archiven würde dazu führen, dass Geschichte getilgt und der Straftäter vollständig immunisiert würde (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2009 – VI ZR 227/08, aaO Rn. 20 mwN). Hierauf hat der Täter keinen Anspruch (vgl. BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860; AfP 2009, 365 Rn. 21).
[23] (4) Etwas anderes ergibt sich auch nicht – wie das Berufungsgericht meint – aus den technischen Nutzungsmöglichkeiten des Internets und den dort kostenlos verfügbaren und "hoch effizient arbeitenden Suchmaschinen". Die technischen Möglichkeiten des Internets rechtfertigen es nicht, die Zugriffsmöglichkeiten auf Originalberichte über besondere zeitgeschichtliche Ereignisse nur auf solche Personen zu beschränken, die Zugang zu Print-Archiven haben oder diesen suchen.
[24] (5) Die durch die beanstandete identifizierende Berichterstattung hervorgerufene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers steht auch nicht außer Verhältnis zu dem nach wie vor bestehenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit, hinter dem das Interesse des Klägers an einer Anonymisierung zeitgeschichtlicher Originalberichte zurückzutreten hat. Die Verurteilung des Klägers erfolgte wegen eines Kapitalverbrechens, das besondere zeitgeschichtliche Bedeutung erlangt hat. Trotz der Schwere der Tat wird der Kläger in den Berichten als Person nicht stigmatisiert. Er wird vielmehr ausdrücklich als nicht bösartig bezeichnet, sondern als Person, die aufgrund ihres biografischen Hintergrundes unfähig war, die bis zum Wahnsinn und zur Verblendung aller Beteiligten überspannte Situation an Bord der "Apollonia" zu bewältigen. Er wird weiter als Mensch charakterisiert, mit dem man an Land gut Freund in allen Lebenslagen sein könne, ohne auch nur das Geringste von ihm fürchten zu müssen, mit dem man jedoch nicht für Wochen an Bord einer Yacht auf See gehen dürfe. In diesem Lichte behält die kritische Berichterstattung über den "Apollonia" -Prozess im Online-Archiv der Beklagten eine aktuelle Bedeutung für das Interesse der Öffentlichkeit daran, wie schmal – so wörtlich am Ende des letzten Berichts – in Extremsituationen die Gratwanderung zwischen Gut und Böse sein kann.
[25] (6) Bei dieser Sachlage überwiegt das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit das Interesse der Beklagten, die Originalberichte über den Fall in ihr Online-Archiv zu stellen und als Zeitdokument zur Information der interessierten Öffentlichkeit bereitzuhalten, nicht.