Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 14. 5. 2013 – III ZR 289/12; OLG München (lexetius.com/2013,1925)

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Mai 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dr. Herrmann, Hucke, Tombrink und Dr. Remmert beschlossen:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Oberlandesgerichts München – 20. Zivilsenat – vom 16. Juli 2012 – 20 U 592/12 – gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des dritten Rechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 93.444,68 €.
[1] Gründe: Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen der Verletzung von Pflichten aus einem Treuhandvertrag.
[2] Die Klägerin, die einen Elektrogroßhandel betreibt, gewährte ihrem Geschäftspartner Bruno H. durch Vertrag vom 27. April 2007 ein Darlehen in Höhe von 120.000 €, mit deren Valuta der Kreditnehmer Kaufpreisforderungen eines dritten Unternehmens begleichen sollte. Als Sicherheit war die Gestellung von an die Klägerin abzutretenden Eigentümergrundschulden durch Harald K. und Bernhard H. über insgesamt 100.000 € und die Sicherungsübereignung des Warenbestand des Darlehensnehmers vereinbart.
[3] Der Beklagte war zur Abwicklung des Darlehensvertrags als Treuhänder eingeschaltet. Die Klägerin überwies die Darlehenssumme auf ein Konto des Beklagten. Nach der mit ihm getroffenen Vereinbarung sollte er den Betrag an die Rechtsanwälte des Drittunternehmens weiterleiten, sobald ihm die Grundschuldbriefe und die Abtretungserklärungen der Sicherungsgeber vorlagen. Der Beklagte überwies im Mai 2007 die ihm zur Verfügung gestellte Summe jedoch an die Vertreter der Kaufpreisgläubigerin, ohne dass diese Sicherheiten bestellt waren. Hiervon erfuhr die Klägerin sogleich. Ihre Bemühungen, K. und H. noch nachträglich zur Bestellung und Abtretung der Grundschulden zu bewegen, scheiterten. Ab Oktober 2008 stellte der Darlehensnehmer die Rückzahlung des Kredits ein.
[4] Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Ausfallschaden in Höhe von 93.444,68 € geltend. Ferner verlangt sie, von den Schäden "freigestellt" zu werden, die ihr dadurch entstehen, dass der Darlehensnehmer nicht mehr in der Lage ist, die vereinbarten Ratenzahlungen zu erbringen.
[5] Die Klägerin hat gegen den Beklagten mit auf den 29. Dezember 2010 datierendem Schriftsatz wegen der vorgenannten Ansprüche Klage erhoben.
[6] Das Original der elf Seiten umfassenden Klageschrift ist beim Landgericht am 4. Januar 2011 eingegangen. Am 29. Dezember 2010 um 15: 49 Uhr hatte nach dem Faxeingangsjournal des Landgerichts der dortige Fernkopierer von dem Fernmeldeanschluss der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei einer Übertragungsdauer von drei Minuten und drei Sekunden elf Seiten empfangen. Laut Auskunft des Leiters der Einlaufstelle vom 14. April 2011 waren diese Seiten jedoch leer. In der Akte befindet sich an diese Auskunft angeheftet der Ausdruck der ersten Seite des Faxes. Dieses Blatt ist leer, abgesehen von der Kopfzeile, die folgende Angaben enthält: "29-DEZ-2010 15: 28 VON: H. RECHTSANWAELTE + 49 AN: LG-M [nchen I S. 001/011" und rechts oben schwarze waagerechte Striche aufweist.
[7] Die Klägerin hat behauptet, beim Landgericht seien elf lesbare Seiten mit der Klageschrift eingegangen. Hierzu hat sie einen Sendebericht vorgelegt, nach dem am 29. Dezember 2010 beginnend um 15: 28 Uhr bei einer Sendedauer von zwei Minuten und 55 Sekunden elf Seiten vom Faxgerät ihrer Prozessbevollmächtigten erfolgreich an den Telefaxanschluss des Landgerichts versandt wurden. Auf dem Bericht ist zudem verkleinert die erste Seite der Klageschrift abgebildet. Ferner hat sie geltend gemacht, die Versendung von elf leeren Seiten beanspruche in keinem Fall eine Übertragungsdauer von rund drei Minuten. Ihren Vortrag zum Eingang der Klageschrift beim Landgericht in lesbarer Form und zur Übertragungsdauer von elf leeren Seiten per Fax hat sie unter Beweis gestellt unter anderem durch den Antrag, ein Sachverständigengutachten einzuholen.
[8] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Klägerin die Zulassung der Revision gegen diese Entscheidung.
[9] II. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Berufungsgerichts ist zulässig und begründet. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
[10] 1. Das Berufungsgericht hat in seinem Zurückweisungsbeschluss und den vorangegangenen Hinweisbeschlüssen ausgeführt, die Forderung der Klägerin sei verjährt. Der Schaden, den sie ersetzt verlange, sei dem Grunde nach bereits mit der Auszahlung der dem Beklagten zur treuen Hand überwiesenen Gelder an die Bevollmächtigten der Kaufpreisgläubigerin eingetreten. Die Darlehensrückzahlungsforderung sei in Ermangelung der vertraglich vorgesehenen Besicherung und aufgrund der bestehenden, von den Beteiligten erkannten Bonitätsrisiken weitgehend ausgehöhlt gewesen. Deshalb sei mit der weisungswidrigen Auszahlung der Valuta durch den Beklagten, von der die Klägerin noch im Jahr 2007 Kenntnis erlangt habe, bereits eine Vermögensverschlechterung eingetreten. Die Verjährungsfrist habe daher mit Ablauf des 31. Dezember 2010 geendet. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass ihre Klageschrift vor diesem Datum beim Landgericht eingegangen sei und daher den Ablauf der Verjährung rechtzeitig gehemmt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei ein Schriftsatz per Fernkopie eingegangen, wenn das Telefaxgerät des Gerichts die gesendeten Signale vollständig empfangen (gespeichert) habe. Hierzu liege kein Beweisangebot der Klägerin vor. Der von ihr vorgelegte Sendebericht mit dem "OK-Vermerk" stelle kein geeignetes Beweismittel für den Zugang der Daten dar und begründe auch keinen Anscheinsbeweis hierfür, sondern habe allenfalls eine Indizwirkung. Diese sei aber stark durch die Stellungnahme des Leiters der Einlaufstelle entkräftet, wonach lediglich leere Seiten bei Gericht eingegangen seien.
[11] 2. Mit dieser Würdigung hat das Berufungsgericht, das nicht die Feststellung des Landgerichts übernommen hat, die Klageschrift sei nicht ordnungsgemäß unterschrieben gewesen, den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, wie die Beschwerde mit Recht rügt.
[12] Es hat den mehrfach gestellten Antrag der Klägerin übergangen, zum Beweis für ihre Behauptungen, die Klageschrift sei am 29. Dezember 2010 per Fax beim Landgericht eingegangen und die Übertragung von elf leeren Seiten könne rund drei Minuten nicht beansprucht haben, ein Sachverständigengutachten einzuholen.
[13] Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Fernkopie übersandten Schriftsatzes kommt es allein darauf an, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden sind (BGH, Beschlüsse vom 7. Juli 2011 – I ZB 62/10, juris Rn. 3 und vom 25. April 2006 – IV ZB 20/05, BGHZ 167, 214 Rn. 18). Der Ausdruck durch das Gerät ist nicht maßgeblich (BGH, Beschluss vom 25. April 2005 aaO, Rn. 17). Die durch einen "OK" -Vermerk unterlegte ordnungsgemäße Absendung eines Schreibens per Telefax begründet nach der auch jüngsten – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs über ein bloßes Indiz hinaus aber nicht den Anscheinsbeweis für dessen tatsächlichen Zugang bei dem Empfänger (z. B. Beschluss vom 21. Juli 2011 – IX ZR 148/10, juris Rn. 3 mwN). Der "OK" -Vermerk belegt nur das Zustandekommen der Verbindung, nicht aber die erfolgreiche Übermittlung der Signale an das Empfangsgerät (aaO). Die Klägerin hat sich jedoch nicht auf die Vorlage des Sendeberichts beschränkt. Vielmehr hat sie, womit sich das Berufungsgericht nicht befasst hat, für die Tatsache, dass die Klageschrift per Fax in lesbarer Form am 29. Dezember 2010 beim Landgericht eingegangen ist, Beweis durch das Angebot der Einholung eines Sachverständigengutachtens angetreten. Bei verständiger Würdigung ist der dem Beweisantritt zugrunde liegende Sachvortrag so zu verstehen, dass die Signale, in die die Klageschrift umgewandelt worden war, an diesem Tag vollständig vom Faxgerät des Landgerichts empfangen wurden.
[14] Der Beweisantritt bezog sich ferner auf die von der Klägerin behauptete Indiztatsache, dass die – sowohl durch den Sendebericht als auch das Telefax- Empfangsjournal des Landgerichts belegte – Übertragungsdauer von etwa drei Minuten mit der Versendung von elf leeren Blättern unvereinbar sei.
[15] Gründe, diesen Beweisantritt zurückzuweisen, sind, jedenfalls nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand, nicht ersichtlich. Insbesondere handelt es sich bei dem unter Beweis gestellten Vortrag nicht um, weil ohne jegliche tatsächliche Anhaltspunkte aufgestellte und damit unbeachtliche, Behauptungen auf das "Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" (siehe hierzu z. B. Senatsurteil vom 11. April 2013 – III ZR 79/12, zur Veröffentlichung vorgesehen; Senatsbeschluss vom 15. Februar 2007 – III ZR 156/06, juris Rn. 8; Senatsurteil vom 15. Mai 2003 – III ZR 7/02, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 40 jeweils mwN). Vielmehr ist aus dem Sendebericht, dem Empfangsjournal und dem in der Akte befindlichen Ausdruck der ersten Seite der am 29. Dezember 2010 vom Telefaxgerät des Landgerichts empfangenen Sendung ersichtlich, dass an diesem Tage ein Telefax der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestehend aus elf Seiten – der Anzahl der Seiten der Klageschrift – eingegangen ist und die Übertragung rund drei Minuten dauerte. Dies ist auch unstreitig. Alle drei Unterlagen weisen übereinstimmend das Datum, die Absendernummer der Rechtsanwälte der Klägerin und die Anzahl der übermittelten Seiten aus. Der Sendebericht und die ausgedruckte erste Seite enthalten zudem die Kurzform der Bezeichnung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie übereinstimmend die Zeitangabe 15: 28 Uhr.
[16] Soweit der Sendebericht und das Empfangsjournal um fünf Sekunden divergierende Angaben zur Übermittlungsdauer (Sendebericht 2 Minuten und 58 Sekunden, Empfangsjournal 3 Minuten und 3 Sekunden) ausweisen, ist dies ohne weiteres erklärlich, da die Versendung und der Empfang von Telefaxsendungen unterschiedlich dauern können. Dass Sendebericht und Empfangsjournal um 21 Minuten abweichende Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs des Telefaxes (Sendebericht 15: 28 Uhr, Empfangsjournal 15: 49 Uhr) wiedergeben, mag unter anderem damit zu erklären sein, dass wenigstens bei einem Gerät die Uhrzeit falsch eingestellt war. Dafür, dass es sich um zwei verschiedene Telefaxe handelt, gibt es keinen Anhaltspunkt. Zum einen weist die erste Seite der von dem Leiter der Einlaufstelle vorgelegten, nach Angabe des Empfangsjournals um 15: 49 Uhr eingegangen Sendung in der Kopfzeile – wie der Sendebericht – als Uhrzeit 15: 28 Uhr aus. Zum anderen ist nach dem Empfangsjournal in dem dort mit der Uhrzeit 15: 20 bis 15: 55 Uhr angegebenen Zeitraum kein weiteres Telefax von dem Anschluss der Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangen.
[17] Angesichts dessen steht, jedenfalls nach dem bisherigen Sach- und Streitstand, nur in Frage, ob die bei dem Empfangsapparat des Landgerichts eingegangene Sendung die Signale der vollständigen Klageschrift enthielt.
[18] Dass der Ausdruck des Geräts, von der Kopfzeile abgesehen, lediglich leere Seiten zeigt, kann – vorbehaltlich besserer Erkenntnisse im weiteren Verfahren – einerseits daran liegen, dass die Signale nicht vollständig übermittelt wurden, sei es, weil ein technischer Übermittlungsfehler auftrat, sei es, weil die Klageschrift im Sendegerät verkehrt herum eingelegt wurde. Letzteres dürfte aber, sofern er echt ist, aufgrund des Sendeberichts ausscheiden, weil dieser ein Abbild der ersten Seite der Klageschrift zeigt. In Betracht kommt andererseits aber ebenso, dass das Empfangsgerät des Landgerichts die Sendesignale zwar vollständig erhalten hatte, aber bei der Speicherung oder beim Ausdruck ein Fehler auftrat.
[19] Zu diesen Fragen wird das Berufungsgericht, nachdem es sich entsprechend dem Antrag der Klägerin sachverständig hat beraten lassen, Feststellungen zu treffen haben. Eigene genügende Sachkunde hat das Berufungsgericht nicht dargetan (siehe hierzu Senatsurteil vom 23. November 2006 – III ZR 65/06, NJW-RR 2007, 357 Rn. 14). Die von ihm in Bezug genommene informatorische Befragung eines Technikers durch den Leiter der Einlaufstelle, deren Ergebnis zudem höchst vage war, war nicht geeignet, dem Gericht den nötigen technischen Sachverstand zu vermitteln.
[20] Das unter Beweis gestellte Vorbringen der Klägerin ist entscheidungserheblich. Die Beschwerde hat keine zulassungsrelevanten Fehler oder klärungsbedürftigen Rechtsfragen aufgezeigt, soweit das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, die Verjährung des geltend gemachten Anspruchs habe im Jahr 2007 begonnen und gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB mit Ablauf des 31. Dezember 2010 geendet, sofern der Fristablauf nicht rechtzeitig gehemmt wurde (§§ 203 ff BGB).