Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 8. 10. 2013 – 4 StR 379/13 (lexetius.com/2013,4178)

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Oktober 2013 gemäß § 206a, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 15. Mai 2013 wird a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall B. II. 15 der Urteilsgründe wegen Verschaffens des Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist; insoweit werden die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt; b) das genannte Urteil im Schuldspruch dahin abgeändert, dass in den Fällen B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21 der Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung wegen Sich- Verschaffens des Besitzes kinderpornographischer Schriften entfällt; c) das genannte Urteil im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
[1] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Sich-Verschaffen des Besitzes kinderpornographischer Schriften in 29 Fällen, in 13 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes und in 16 weiteren Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, sowie wegen Verschaffen des Besitzes und Besitzes kinderpornographischer Schriften" zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
[2] 1. In den Fällen B. II. 1 bis 21 der Urteilsgründe ist die Strafverfolgung wegen des Verstoßes gegen § 184b Abs. 2 StGB (Fall B. II. 15) bzw. gegen § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB (Fälle B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21) verjährt (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB). Insoweit beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre. Als erste die Verjährung unterbrechende Handlung kommt der am 15. November 2012 erlassene richterliche Durchsuchungsbeschluss in Betracht (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Damit ist die Strafverfolgung wegen des Dritt- oder Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften in den genannten Fällen verjährt, weil die insoweit abgeurteilten Taten vor dem 15. November 2007 beendet worden sind. Hiervon ist zu Gunsten des Angeklagten auch im Fall B. II. 15 der Urteilsgründe auszugehen. Der Verjährung steht in den Fällen B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21 nicht entgegen, dass die Vergehen nach § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB mit weiteren, nicht verjährten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung rechtlich zusammentreffen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Juli 2007 – 4 StR 287/07; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 78a Rn. 5 mwN).
[3] Die insoweit eingetretene Verjährung hat folgende Konsequenzen:
[4] Im Fall B. II. 15 der Urteilsgründe ist das Verfahren wegen des Verfahrenshindernisses der Strafverfolgungsverjährung einzustellen. In diesem Fall ist der Angeklagte ausschließlich wegen (Dritt-) Verschaffens des Besitzes kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 2 StGB verurteilt worden; die insoweit verhängte Einzelstrafe von neun Monaten entfällt.
[5] In den Fällen B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21 der Urteilsgründe hat der Senat den Schuldspruch entsprechend geändert; insoweit verbleibt es bei den nicht verjährten Straftaten des (schweren) sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen.
[6] 2. Der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften in den Fällen B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der jeweiligen Strafaussprüche nach sich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne diese Verurteilung auf geringere Strafen erkannt hätte, weil es die tateinheitliche Verwirklichung des § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB ausdrücklich strafschärfend gewertet hat. Es ist zwar zulässig, festgestelltes strafbares, wenngleich verjährtes Tatverhalten strafschärfend zu berücksichtigen. Indes kann das jedenfalls nicht zur gleichen Gewichtung jenes Verhaltens führen wie die Anlastung den Schuldspruch tragender Tatschuld (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 8. September 1993 – 5 StR 507/93 mwN, vom 11. September 2007 – 3 StR 330/07, vom 9. Januar 2008 – 2 StR 498/07, NStZ-RR 2008, 142, 143, und vom 23. Oktober 2008 – 4 StR 317/08).
[7] Der Senat hebt auch die verbleibenden, von der Schuldspruchänderung nicht betroffenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatrichter eine insgesamt ausgewogene Strafzumessung zu ermöglichen.
[8] 3. Hierzu weist der Senat darauf hin, dass die strafschärfende Erwägung, "die Nebenklägerin (sei) auf unbestimmte Zeit dem Risiko ausgesetzt, psychische Beeinträchtigungen infolge der Taten zu erleiden", nach ständiger Rechtsprechung gegen § 46 Abs. 3 StGB verstößt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 1987 – 2 StR 641/86, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 5, vom 20. Oktober 2004 – 2 StR 398/04, BGHR StPO § 354 Abs. 1a Satz 1 Angemessen 1, und vom 7. Oktober 1997 – 4 StR 389/97, StV 1998, 657). Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht den festgestellten Umstand, der Angeklagte habe ca. eineinhalb Jahre vor der Entdeckung der Taten die Übergriffe auf seine Tochter eingestellt, weil er "gewahr (wurde), dass er seiner Tochter Schaden zufügte und er begann, sie als Opfer seines Handelns wahrzunehmen", nicht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat.