Bundesgerichtshof
StGB § 78c Abs. 4, § 78c Abs. 1 Nr. 3
Stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den zum Tatvorwurf vernommenen Beschuldigten gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO ein und führt es sodann gegen Unbekannt weiter, so wird die Verfolgungsverjährung gegen den (früheren) Beschuldigten nicht nach § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB unterbrochen, wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Richter nunmehr einen Sachverständigen beauftragt.

BGH, Beschluss vom 29. 1. 2013 – 2 StR 510/12; LG Trier (lexetius.com/2013,511)

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerinnen am 29. Januar 2013 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revisionen der Nebenklägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 11. Juni 2012 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten ergeben hat.
Die Beschwerdeführerinnen haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
[1] Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes freigesprochen, da es nach bis zur Schuldspruchreife durchgeführter Hauptverhandlung die am 4. November 1982 begangene Tat des Angeklagten rechtlich als Totschlag gewertet hat, dessen Verfolgung bereits verjährt sei. Hiergegen wenden sich die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der beiden Nebenklägerinnen. Diese sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 24. Oktober 2012 bemerkt der Senat:
[2] 1. Das Landgericht ist, nachdem es rechtsfehlerfrei die in Betracht kommenden Mordmerkmale der Heimtücke und der sonstigen niedrigen Beweggründe verneint hat, zu Recht vom Eintritt der Verfolgungsverjährung ausgegangen. Insbesondere hat es nicht zur Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB geführt, dass durch richterliche Beschlüsse vom 5. Oktober 1999, 9. Mai 2003 und 2. Juni 2003 molekulargenetische Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben worden sind.
[3] a) Die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung wirkt gemäß § 78c Abs. 4 StGB nur gegenüber demjenigen, auf den sich die Unterbrechungshandlung bezieht. Daraus folgt, dass nur eine gegen eine bestimmte Person gerichtete, nicht aber eine die Ermittlung des noch unbekannten Täters bezweckende Untersuchungshandlung geeignet ist, die Verjährung zu unterbrechen (vgl. BGHSt 42, 283, 287 mwN). Der Täter muss im Zeitpunkt der Unterbrechungshandlung "der Person nach" bekannt sein, d. h. er muss – wenn auch nicht unter zutreffenden Namen – als Tatverdächtiger in den Akten genannt sein (vgl. BGH GA 1961, 239, 240; BGHR StGB § 78c Abs. 1 Beschuldigter 1; BGHSt 24, 321, 323; 42, 283, 290; BGH, Beschluss vom 6. März 2007 – KRB 1/07, NStZ 2008, 158, 159). Eine Untersuchungshandlung in einem Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt genügt dagegen zur Verjährungsunterbrechung nicht (vgl. RGSt 6, 212, 214; BGHSt 2, 54, 55; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 78c Rn. 4; Rosenau in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 78c Rn. 5; Rudolphi/Wolter in SK-StGB, 8. Aufl., § 78c Rn. 6; Schmid in LK, StGB, 12. Aufl., § 78c Rn. 3).
[4] b) Nach diesen Maßstäben kommt den Beauftragungen der Sachverständigen durch die genannten richterlichen Beschlüsse keine Unterbrechungswirkung zu.
[5] Das ursprünglich gegen den Angeklagten gerichtete Ermittlungsverfahren war mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Trier vom 13. Oktober 1987 gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. In der Folge wurde das Verfahren gegen Unbekannt weitergeführt und erst am 15. Oktober 2008 gegen den Angeklagten wiederaufgenommen. Die Beschlüsse ergingen somit zu einem Zeitpunkt, in dem das Verfahren gerade nicht auf den Angeklagten als individualisierten Tatverdächtigen zielte. Vielmehr sollte durch die in Auftrag gegebenen molekulargenetischen Untersuchungen (insbesondere von Spurenmaterial) der Täter erst ermittelt werden.
[6] Dementsprechend ist auch im Rubrum der Beschlüsse ausdrücklich aufgenommen, dass das Verfahren gegen Unbekannt geführt werde.
[7] Eine andere Beurteilung ist auch nicht deswegen geboten, weil das Verfahren vor der Beauftragung der Sachverständigen schon einmal gegen den Angeklagten gerichtet und dieser am 6. Juli 1987 als Beschuldigter vernommen worden war. Bei wertender Betrachtung macht es keinen Unterschied, ob das Ermittlungsverfahren von vornherein gegen Unbekannt geführt oder ob der Beschuldigte vor der Unterbrechungshandlung durch eine Verfahrenseinstellung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO aus dem Kreis der Tatverdächtigen ausgeschieden worden ist. Wegen der Bedeutung der Verjährung und der Rechtssicherheit im Hinblick auf ihren Ablauf (BGH, Beschluss vom 6. März 2007 – KRB 1/07, NStZ 2008, 158, 159) ist allein darauf abzustellen, ob der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Unterbrechungshandlung – hier der Beauftragung der Sachverständigen gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB – aus den Akten als Tatverdächtiger hervorgeht. Hierfür spricht auch, dass die Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung als Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind (vgl. BGHSt 28, 381, 382).
[8] Hieran ändert es auch nichts, dass der Angeklagte vor der Einstellung des gegen ihn zunächst geführten Ermittlungsverfahrens als Beschuldigter vernommen worden und damit diese in § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB vorgesehene Voraussetzung für die Unterbrechung der Verjährungsfrist erfüllt war; denn vom Schutzzweck des § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB aus gesehen ist ein Beschuldigter, gegen den ohne sein Wissen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, einem (früheren) Beschuldigten gleichzustellen, dessen Ermittlungsverfahren nach seiner Vernehmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellt worden ist. In beiden Fällen hat der Beschuldigte keine Kenntnis von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen, obwohl in deren Rahmen – möglicherweise mehrfach – Unterbrechungshandlungen erfolgen können (vgl. Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 78c Rn. 11). Der Umstand, dass das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt und ihm dies – wie hier – mitgeteilt worden ist, gibt einem Beschuldigten gerade keinen Anlass, noch mit weiteren gegen ihn gerichteten Ermittlungen zu rechnen. Von der Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen ihn erfuhr der Angeklagte erst mit der auf den
[9] 1. September 2011 datierten Ladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung.
[10] Die mit dem Erfordernis der vorherigen Bekanntgabe der Ermittlungen bzw. der Vernehmung als Beschuldigter (vgl. §§ 163a, 136 StPO) bezweckte Informationsfunktion (vgl. BGHSt 30, 215, 217) ist bei dieser Sachlage nicht gewahrt.
[11] 2. Das Landgericht hat in der vorliegenden Fallkonstellation zu Recht auf Freispruch und nicht auf Einstellung des Verfahrens erkannt (vgl. BGHSt 50, 16, 30; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 260 Rn. 46).