Bundesgerichtshof

BGH, Beschluss vom 24. 4. 2014 – V ZR 74/14; OLG München (lexetius.com/2014,1215)

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2014 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Lemke, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth beschlossen:
Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Endurteil des Landgerichts München II – 14. Zivilkammer – vom 8. November 2013 (14 O 2113/13) in Verbindung mit dem Beschluss des Oberlandesgerichts München – 20. Zivilsenat – vom 5. März 2014 (20 U 288/14) einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.
Der Antrag der Beklagten, ihr eine angemessene Räumungsfrist bis mindestens 17. August 2014 einzuräumen, wird als unzulässig verworfen.
[1] Gründe: I. Der Vater des Klägers übertrug diesem 1998 das Eigentum an seinem Einfamilienhausgrundstück und behielt sich ein Wohnrecht vor. 2007 setzte er ihn testamentarisch zum Alleinerben ein. Die Beklagte war mit dem Vater des Klägers bis zu dessen Tod am 16. November 2012 verheiratet und bewohnt das Haus mit ihren beiden aus dieser Ehe hervorgegangenen Kindern. Der Kläger verlangt von ihr Herausgabe des Hauses und Zahlung einer Nutzungsentschädigung. Die Beklagte verweigert die Herausgabe unter Berufung auf erbrechtliche Ansprüche, über welche die Parteien anderweit streiten. Das Landgericht hat die Klage über die Nutzungsentschädigung abgetrennt und die Beklagte zur Herausgabe des Hauses unter Ausschluss einer Verpflichtung zur Entfernung von Gegenständen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht ihr unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen eine Räumungsfrist bis zum 15. Mai 2014 eingeräumt. Die Beklagte beantragt, die Vollstreckung in erster Linie ohne, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, weiter hilfsweise ihr eine Räumungsfrist bis mindestens zum 17. August 2014 einzuräumen.
[2] II. Die Anträge haben keinen Erfolg.
[3] 1. Der Antrag, die Vollstreckung einstweilen einzustellen, ist nach der gemäß § 544 Abs. 5 Satz 2 ZPO i. V. m. § 522 Abs. 3 ZPO entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 719 Abs. 2 ZPO statthaft (Senat, Beschluss vom 8. November 2013 – V ZR 185/13, GuT 2013, 223 Rn. 3), aber unbegründet.
[4] a) Nach den genannten Vorschriften ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Vollstreckung ihr einen über eine Vorwegnahme des Prozessergebnisses hinausgehenden (Senat, Beschluss vom 8. November 2013 – V ZR 185/13, GuT 2013, 223 Rn. 4) nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
[5] b) Die Herausgabe des Hauses könnte die Beklagte nicht verhindern, auch wenn die Nichtzulassungsbeschwerde und eine daraufhin zugelassene Revision Erfolg hätten. Der Einwand, Teile der Bebauung stünden auf Grundstücken anderer Eigentümer, betrifft nicht das Haus, zu dessen Räumung die Beklagte verurteilt worden ist. In Bezug auf das Haus stützt die Beklagte ihr Recht zum Besitz auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen von ihr behaupteter erbrechtlicher Ansprüche. Ein Zurückbehaltungsrecht kann zwar ein Recht zum Besitz nach § 986 BGB begründen (Senat, Urteil vom 2. Oktober 1970 – V ZR 125/68, WM 1970, 1366, 1367), führt aber nicht zur Abweisung der Herausgabeklage, sondern nur dazu, dass der Besitzer zur Herausgabe Zug um Zug gegen Erfüllung der Ansprüche verurteilt wird, derentwegen zurückbehalten wird (BGH, Urteil vom 25. September 1985 – VIII ZR 270/84, WM 1985, 1421, 1422). Die Beklagte könnte daher den Verlust des Familienheims selbst bei Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde nicht abwenden. Als Nachteil, der ihr durch eine vorherige Vollstreckung droht, kann folglich nur der Verlust der Möglichkeit berücksichtigt werden, den Kläger durch den Zug um Zug Vorbehalt zur Erfüllung der geltend gemachten erbrechtlichen Ansprüche zu bewegen. Dass die Erfüllung dieser Ansprüche dadurch gefährdet würde, hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht.
[6] 2. Der Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO ist unzulässig.
[7] a) Wie sich aus § 721 Abs. 1 ZPO ergibt, kann von dem zuständigen Prozessgericht eine Räumungsfrist nur in dem Urteil, in dem auf Räumung erkannt wird, gewährt werden. Zwar kann eine Räumungsfrist auch noch im Revisionsurteil ausgesprochen werden (Senat, Urteil vom 13. März 1963 – V ZR 224/60, NJW 1963, 1307; MünchKomm-ZPO/Götz, 4. Aufl., § 721 Rn. 4). Die isolierte Gewährung einer Räumungsfrist sieht das Gesetz – von dem hier nicht vorliegenden Fall einer auf zukünftige Räumung erkennenden Entscheidung (§ 721 Abs. 2 ZPO) abgesehen – hingegen nicht vor.
[8] b) Der Antrag kann auch nicht in einen Antrag auf Verlängerung der in dem angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichts bestimmten Räumungsfrist nach § 721 Abs. 3 ZPO umgedeutet werden. Für diesen Antrag wäre nach § 721 Abs. 4 Satz 1 ZPO nach Abschluss des Berufungsverfahrens wieder das Prozessgericht erster Instanz zuständig. Das gilt auch, wenn die Sache bei dem Revisionsgericht anhängig ist; die Regelung in § 721 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO, wonach während des Berufungsverfahrens das Berufungsgericht zuständig ist, ist auf das Revisions- und das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht übertragbar (BGH, Beschluss vom 27. Juni 1990 – XII ZR 73/90, NJW 1990, 2823; MünchKomm-ZPO/Götz, 4. Aufl., § 721 Rn. 4).